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Sonnabend, den 14. November 1936 Pulsnitzer Anzeiger — Ohorner Anzeiger Nr. 267 Seite 12 einer Lichtsekunde aus. Richtet er aber seine Niesenfern- rohre in den unendlichen Weltcnraum, dann kann er die Entfernungen nur noch in Lichtjahren ausdrückeu. Mit fast ungläubiger Miene rechnen wir nach und stellen fest, daß also ein Lichtjahr rund lO Billionen Kilometer be tragen muß. Größenentfernungen von 300, 500, lOOO, ja 180 000 Lichtjahren gehören zu den täglichen Rechenauf gaben der Astronomen. Auch die geheimnisvollen Aetherwellen, die wir uns durch die Erfindung des Radio dienstbar gemacht haben, Wenn die Menschen des Altertums in stolzer Ueber- hcbung glaubten, die Erde wäre ein ruhender Pol, um den sich die ganze Welt. Sonne, Mond und Sterne dreh ten, dann willen wir seit Kopernikus, daß unsere Erde.: nur ein winziges Atom im unermeßlichen Weltganzen ist und daß ihr nur die bescheidene Rolle eines kleinen Pla neten innerhalb des Sonnensystems zugewiesen ist. Gewiß ist den meisten von uns die Wissenschaft der Astronomie ein Buch mit sieben Siegeln. Doch niemand kann sich je dem Zauber und der Allmacht verschließen, die uns der Anblick des gestirnlen Himmels ossenbart. Wun der über Wunder, Unbegreiflichkeit über Unbegreiflichkeit türmen sich vor unseren erdgebundenen Vorstellungen auf! Staunend vernehmen wir aus dem Munde des Astro nomen, der an seinem Riesenfernrohr steht, jene unge heuren Zahlen, sür die uns jeder Vergleich und jeder Maßstab fehlen, die aber für ihn die Entschleierung der Geheimnisse ferner Weltensysteme bedeuten. Unlängst hat nun Dr. Martin Rikli, der von seinen Filmexpeditionen Mit dem Niesensernrohr versucht der Astronom, das Geheimnis im Weltenraum zu enträtseln. öle Das Licht des Sternbildes des Skorpion. Das Licht seines hellsten Sternes erreicht uns erst nach 360 Jahren. aber Tausende solcher Milchstraßen ziehen und daß jede wieder ein Weltensystem von Milliarden Sternen darstelU. Und was wir nur als Spiralnebel durch die vielhundert fachen Vergrößerungen unserer Fernrohre als winzige Lichtpunkte im Fadenkreuz erkennen, sind Welten, die mehr als lOO OOO Lichtjahre von uns entfernt sind. Den Astronom interessieren gar nicht so sehr die großen bekannten Sterne, die auch der Laie am nächtlichen Him mel erkennt und mit Namen nennt. Seine Aufmerksam keit gilt vornehmlich der großen Zahl der kleinen und klein sten Sterne, die man irrtümlicherweise als Firsterne be zeichnet hat, eben noch aus jener altüberlieferten Vorstel lung heraus, daß sie ihre Position am Himmel stets un verändert beibehielten. Nur durch Messungen in großen Zeitkäufen, wie z. B. in Abständen von 50 Jahren, kann das Auge des Forschers überhaupt ihre Bewegungen wahrnehmen. Auf Grund dieser Untersuchungen hat mau festgestellt, daß es Fixsterne gibt, die mit 30 Kilometer in der Sekunde durch den Wellenraum rasen, die also die gleiche Geschwindigkeit besitzen wie die Sonne. Aber dem Astronomen sind auch Sterne bekannt, die mit 500, ja 1000 Kilometern in der Sekunde durch das Weltall fliehen. Wenn der Laie bei der Betrachtung des gestirnten Him mels tief ergriffen wird von der überirdischen Ruhe dieses Anblicks, dann gibt er sich eigentlich einer Täuschung hin. Denn das Weltall, wie es der Astronom sieht, ist kein Bild erhabener Ruhe In unaufhörlicher Veränderung und ständiger Bewegung sind alle Himmelskörper, sie fliehen aus dem unbekannten Woher nach einem unbe nach Afrika und Ostasien bekannt ist. gleichsam einen Ab stecher in den unendlichen Weltenraüm gemacht. Wohl- gemerkt nicht mit seinem Freund und Landsmann Dr. Piccard, der die Stratosphäre mit seinem Kugelballon durchstreift hat, sondern im Trickfilm-Atel':sr. Ein Film lehrt uns die großen Zusammenhänge de° Weltalls ver- stehen. Die Sonne steht im Mittelpunkt unserer Welt. Aber können wir uns eine Vorstellung von der Größe dieses Weltenkörpers machen, der das Werden und Vergehen ans unserer Erde von Anbeginn bestimmt hat? Ein über aus einfacher und sinnfälliger Vergleich bietet uns die Möglichkeit, die Größe der Sonne gleichsam entstehen und erleben zu können. Man stelle sich eine Glaskugel vor, die sich allmählich mit lauter kleinen glitzernden Silber kugeln füllt. Jede dieser Kugeln ist eine Erde und hat das Gewicht von 6 000 000 000 000 000 000 T o n n e n ! Um nun die große Glaskugel, die die Sonne darstellt, mit Erd kugeln anzufüllen, sind l 300 000 solcher Erden nötig. Bei den großen Entfernungen, die der Astronom am nächtlichen Himmel zu durchstreifen hat, genügt ihm nicht das Zentimetermatz. Er rechnet mit Lichtsekunden und meist nur mit Lichtjahren. Aber kann sich der Laie über haupt unter diesen Begriffen etwas vorstellen, selbst wenn man ihm erklärt, das; eine Lichtsekunde die Geschwindig keit sei. mit der sich das Licht im Raum fortbewegt? 30U00O Kilometer legt das Licht in der Sekunde zurück, während unsere schnellsten Flugzeuge zu 300 Kilometern eine geschlagene Stunde brauchen. Schon wesentlich plau sibler wird uns der Geschwindigkeitsrekord des Lichtes, wenn wir ihn uns durch folgenden Vergleich verständlich zu machen suchen. Mitten um den Aeguator unserer Erde rast Tag und Nacht im lOO-Stundenkilomcter-Tempo ein Erpreßzng. >6 Tage würde er brauchen, um die Erde ein mal zu umkreise». >20 Tage lang ohne Aufenthalt und ohne Maschinenwcchsel müßte ein solcher Zug rasen, um 7'/- mal den Erdumfang zurückzulegen. Dann erst hätte er jene gewaltige Strecke Himer sich gebracht, zu der das Licht nur eine einzige Sekunde benötigt: 300 000 Kilo meter! Für so „kleine" Entfernungen, wie sie zwischen unse rem Planeten und seinem Trabanten, dem Mond, bestehen, kommt der Astronom ja noch gerade mit etwas mehr als Wenn der Schnellzug 120 Tage ununterbrochen um die Erde rast, dann hat er die Strecke zurückgelegt, die das Licht in einer Sekunde bewältigt. durchrasen mit der gleichen Geschwindigkeit wie das Licht den Weltenraum. Noch ist das Rätsel nicht gelöst, ob an dere Sterne unseres Sonnensystems bewohnt sind. Wäre es der Fall und lebten auf dem Sirius, dem nächsten bei uns mit bloßem Auge sichtbaren Stern, Menschen gleich uns, dann würden die Radiowellen, die l926 die erste Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten ausstrahUen, erst 1935 von den Antennen seiner Bewohner aufgesangcn Worden sein. Jedoch diese Entfernung von neun Licht jahren erscheint uns sogleich als winzig, wenn wir an die „Strecke", von 360 Lichtjahren denken, die das Licht des hellsten Sterns des Skorpions braucht, ehe es uns kleine Erdenbürger erreicht. Immer wird uns der Anblick der Milchstraße in ihrer flimmernden Schönheit begeistern. Diese Milchstraße un seres Sonnensystems ist aber im Grunde nur ein Hausen von Milliarden Sternen, von denen manche mehr als 2000 Lichtjahre von uns entfernt sind. Das Licht also, das ivir heute sehen, wurde von dort ausgestrahlt, als Christus noch nicht geboren war. Nur die wenigsten ahnen, daß durch den unendlichen Weltenraum sich Tausende und kannten Wohin. Immer wieder wird der Laie die Frage an den Forscher richten, ob denn nicht bei dieser Anhäu fung von Milliarden Sternen, die mit tausendfacher Schnellzugsgeschwindigkeit im Weltraum durcheinander rasen, die Möglichkeit gegeben fei, daß die Sterne ständig Zusammenstößen. Sofort wird der Forscher uns beruhigen und uns erklären, daß auch diese Sterne nie regellos ihre Bahn durcheilen, sondern daß sie sich immer gleichsam in Familien und in Siernströmen durch das unendlich große Weltall bewegen. So wenig zwei kleine Nachen, einer an der Südspitze Afrikas und einer in Grönland ausgesetzt, je im Atlantischen Ozean Zusammenstößen werden, so ge ring ist die Wahrscheinlichkeit, daß einmal ein Stern mit einem anderen zusammenprallen kann. Fast an ein Wunder scheinen jedoch die Erkenntnisse zu grenzen, die heule der Astronom uns über die Sterne kündet, die für das unbewaffnete menschliche Ange gar nicht sichtbar sind. Er aber errechnet nicht nur ihre Ge schwindigkeiten. er bestimmt auch das Gewicht jedes ein zelnen Sternkörpers, er mißt ihre Temperatur und deutet uns die chemischen Bestandteile genau so exakt, als ob ex eine Probe jenes unendlich fernen Weltenkörvers in einem irdischen Laboratorium analysieren würde Die schwachen Lichtenergien, die die Fixsterne durch den Weltenranm sen den, werden von einer lichtelektrischen Phoiozelle, die am Okular der großen Fernrohre aufgchängi wird, in einen elektrischen Strom verwandelt. Diese Pbowzelle ermög licht die genaue Messung der Temperaturen aller Himmels körper. Wir wissen heute, daß die kühlen, vornehmlich- gelbes Licht ausstrahlenden Sterne an ihrer Oberfläche Temperaturen von 3000 Grad, die heißen, blaue Strahlen aussendenden Sterne, über 30 000 Grad haben. Im In nern solcher Sterne dürften Millionen Hitzegrade herrschen. Zwei Erkenntnisse sind es vor allem, die der Anblick des Sternenhimmels jedem Sterblichen offenbart: nur ein winziges Stanbkörnchen ist der Mensch auf dieser Erde, und diese selbst nur ein Atom in dem unermeßlichen Welt ganzen. Aber der unermüdliche Wissensdrang des Men schen hat nicht vor dem ewigen Rätsel der Weltentstehung und Weltenvergänglichkeit in müdem Verzicht haltgemacht. Unablässig versucht er, die Gesetze unseres Sternensystems wie aller übrigen Sonnensysteme des Weltalls zu deuten. S. Pfankuch. Oben: Unvorstellbar ist die Größe der Sonne. Jedes Kügelchen soll eine Erde darstcllcn.; über 1300 000 Erd kugeln füllen die Sonne. Links: Der Nordtcil des Mondes im Licht des letzten Viertels. Man er kennt deutlich die Krater. Rechts: Radiowcllen und Lichlwcllen eilen gleich schnell durch den Wckiru- raum. Die Radiowcllen, die im Jahre 1926 die Wahl Hindenburgs meldeten, erreichten den der Erde nächsten Fix stern Sirius erst im Jahre 1935. Ausnahmen (6): Ufa — M.