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352 PAPIER-ZEITUNG Nr. 9 Kam ein Vertrag zustande? 9010. frage: Auf eine Anzeige der Firma X in der Papier- Zeitung fragte ich am 15. November 1907 um einen Abschluß von rund 1 Million Papier-Zigarrenspitzen zu je 250 000 Stück in einer Saison lieferbar, an und bat um Bemusterung. Nach Wechseln mehrerer Briefe empfing ich unterm 23. November das Angebot: >Nr. 2 lithographiert 3farbig zu 6 M. 50 Pf. franko netto Kasse bei Abnahme von 1 Million Stück.« Ich depeschierte daraufhin am 25 November gegen 5—6 Uhr nachmittags an X: Drahtet ob Preis von . . 2 lackiert Abschluß 11/2 Millionen zu 6 M. 30 Pf. akzeptiert.« Am darauffolgenden Tage erhielt ich wörtlich folgendes Telegramm: »11/2 Millionen . . 2 zu 6 M. 30 Pf. geschlossen.« Dies Telegramm trägt die Nr. 62, ist um 11 Uhr 48 Min. in A aufgegeben und gelangte kurz vor Bureauschluß, um 12 Uhr 20 Min., in meinen Besitz. Zufolge dieses Telegramms habe ich mich noch um dieselbe Zeit telegraphisch meinem Kunden gegenüber verpflichtet. Abends, als ich im Begriffe stehe, einige Tage zu verreisen, findet sich in meinem Briefkasten ein dringendes Telegramm vor, welches lautet: »Auftrag kann nur gegen entsprechende Anzahlung und Nachnahme ausgeführt werden.« Dies Telegramm trägt die Nr. 67 und ist um 12 Uhr 30 Min. mittags in A aufgegeben, also zu einer Zeit, als ich schon im Besitze des ersten Telegramms war. Nach Rückkehr von meiner Reise am 5. Dezember habe ich der Firma X erklärt, daß ich Ausführung des Auftrages, wie von mir telegraphisch aufgegeben und wie von ihr telegraphisch akzeptiert, verlange. Ich gab der Firma X zugleich eine Referenz über mich und erklärte, daß meine Zahlungen pünktlich erfolgen, falls markt gerechte Ware geliefert wird. Die Firma X erwiderte mir, daß sie den Auftrag nicht ausführe, und daß ihre beiden Tele gramme bei mir zu gleicher Zeit eingetroffen seien, da das zweite dringend war. Ich gab nun am 10. 12. der Firma X Zeit zur Rückäußerung bis zum 15. 12, andernfalls ich Klage auf Lieferung einreichen würde. Ich habe ferner erklärt, die Ware gegen Kasse anzu nehmen, nachdem ich sie bei einem hiesigen Spediteur geprüft und für richtig befunden habe. Firma X antwortete hierauf, daß sie nichts liefere. Fragen: a) Halten Sie einen Prozeß für unbedingt erfolgreich? b) Bin ich berechtigt, mir einen andern Fabrikanten zu suchen, und darf ich die Firma X für alle meine Spesen, wie Reisen Porti, Mehrkosten, verantwortlich machen? c) Bin ich verpflichtet, der Firma X nochmals eine Verzugs frist zu geben? d) Habe ich Anspruch auf meinen vollen Schaden, falls ich keine geeignete Bezugsquelle auftreiben kann? e) Würden Sie mir raten, der Firma X mitzuteilen, daß ich bereit bin, den Betrag eines jedesmaligen Abrufes bei meiner Bank zu hinterlegen? Antwort: Nach § 130 BGB wird eine Willenserklärung, die einem andern gegenüber in dessen Abwesenheit ab gegeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem andern vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. In diesem Falle ist dem Fragesteller die Willenserklärung, in welchem Ab schluß des Vertrags mitgeteilt wird, früher zugegangen als der Widerruf, daher ist der Abschluß zustande gekommen. Da als Zahlungsbedingung in den früheren Verhandlungen »netto Kasse« angegeben war, so muß sich der Lieferer mit dieser Zahlungsweise begnügen, darf also nicht Be zahlung gegen Nachnahme fordern. Das Anerbieten des Fragestellers, daß er die Ware beim Spediteur prüft, und wenn er sie genehmigt, den Preis dem Spediteur sofort entrichtet, erscheint billig. Unsere Antworten lauten also: a) Der Anspruch auf Erfüllung des Vertrages erscheint begründet. b) Fragesteller ist bei Weigerung der Firma, die Ware zu liefern, berechtigt, von ihr Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu fordern. c) Da sich die Firma zu liefern weigert, ist es nicht nötig, ihr eine Nachfrist zu geben. d) Die Höhe des Schadens wird vom Richter unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände des Falls festgesetzt. e) Solche Mitteilung kann nicht schaden. Geschäftsvertrag 9011. Frage: Mein Schwiegervater A hat im Jahre 1904 mit meinem Schwager B einen Kauf- und Geschäftsvertrag ge schlossen bezüglich einer »stillen Gesellschaft«, deren Inhaber mein Schwager B, deren stiller Teilhaber mein Schwiegervater A ist. Auszug des Vertrages über wichtige Punkte gebe ich nach stehend. Mein Schwiegervater A ist am 26. August gestorben, und mein Schwager B will von dem ihm nach § 7 des Vertrages zustehenden Recht Gebrauch machen. In der Nachlaßaufstellung führt er die Höbe der Forderung an ihn für den Geschäftsanteil seines Vaters nur mit etwa 14000 M. statt 20000 M. auf. Auf diese Summe kommt er dadurch, daß er von den 20003 M. den Verlust der letzten zwei Jahre von insgesamt etwa 9000 M. meinem Schwiegervater mit etwa 6000 M., d. h. 2/a, zur Last schreibt und abzieht. 1. Darf mein Schwager den Verlust meinem Schwieger vater mit 2/3 anrechnen, oder nur gemäß § 722 BGB 1/2 ansetzen? Mein Schwager bestreitet dies, da er sagt, daß er darum mit 1/2 am Gewinn beteiligt sei (also mehr als entsprechend seiner Einlage 1/3), weil er ein verhältnismäßig kleines Gehalt bezogen hätte. 2. Ist mein Schwager berechtigt, den Verlust der letzten zwei Jahre an der Verkaufssumme abzuziehen? Meines Er achtens ist diese mit voll (20000 M ) anzunehmen, da ich den Vertrag so auffasse, als handle es sich um eine festgesetzte Abfindungssumme und auch bestimmt glaube, daß dies der Absicht meines Schwiegervaters entspricht. Sollte mein Schwager berechtigt sein, davon etwaige Verluste abzuziehen, so hätte es m. E. in dem Vertrage heißen müssen: es soll meinem Sohne freistehen, meinen Anteil zum »Bilanzwerte« zu übernehmen. 3. Verstößt es nicht gegen die guten Sitten, wenn es im Vertrage heißt: »Die Verkaufssumme soll als 4 un kündbare Hypothek zugunsten der Erben eingetragen werden; denn dadurch wird doch dem Schuldner vollständig freie Hand bezüglich der Erfüllung seiner Verpflichtung gelassen. Auszug aus dem Vertrag, der nur »privatim«, also nicht notariell getätigt ist. § 1: Herr A verkauft an seinen Sohn B ein Drittel der nachfolgend angeführten Grundstücke und Rechte: ... § 2: Herr B zahlt für die Dritteile der unter § 1 an geführten Grundstücke und Rechte zusammen 10000 M. an A mit der Bestimmung, daß diese 10000 M. zu den Aktiven und Passiven des Geschäftes gehören. § 5: Von dem Reingewinn erhält jeder die Hälfte, solange B das Geschäft allein führt. (Ueber den Verlust besteht keine Abmachung.) § 7: Für den Fall des Ablebens des A soll B das Recht haben, die 2/3 seines Vaters A für 20000 M. zu er werben. Das Kapital wird in diesem Falle als seitens der Erben unkündbare 4prozentige Hypothek auf den ge samten Grundbesitz des Geschäftes eingetragen. Antwort: 1. Schwager B hatte die Hälfte des Gewinns zu erhalten und muß auch, da er selbst das Geschäft führte, die Hälfte des Verlustes tragen. 2. Der Besitz besteht zum Teil und, wie wir vermuten, zum größeren Teil aus Grundstücken, der Verlust ist aber nur in dem mitverkauften Geschäft entstanden. Nach dem Vertrag muß B für die Erben 20 000 M. eintragen lassen, wenn er die % seines Vaters erwerben will. Die 20000 M. sind unkündbar seitens der Erben, solange 4 v. H. Zinsen dafür regelmäßig bezahlt werden, können aber durch Klage verlangt und die Grundstücke zur Subhastation gebracht werden, wenn dies nicht geschieht. Nachteilige Veränderung der Grundstücke, welche die Sicherheit mindert, kann auch Anlaß zur Forderung des Kapitals geben. Lumpenhandel 9012. Frage: Können Sie mir Näheres über die Lage des Handels mit Hadern und Lumpen für die Papierfabrikation mit teilen ? Insbesondere wie er betrieben wird, ob er lohnend und welchen Mißhelligkeiten er ausgesetzt ist? Antwort: Der Lumpenhandel ist wie jedes andere Ge schäft lohnend, wenn er von erfahrenen tüchtigen Leuten betrieben wird. Die nötige Erfahrung muß durch eigene Arbeit erworben und kann nicht durch Erkundigung bei anderen erlangt werden. Da der Lumpenhändler beim Ein kauf des Rohstoffes mit Lumpensammlern zu tun hat, welche im allgemeinen den minder gebildeten Volks schichten angehören, so dürfte der Lumpenhandel mit mehr Unannehmlichkeiten verknüpft sein als viele andere Gewerbe. Verantwortlicher Schriftleiter Siegmund Ferencei, Friedenau. Zuschrijten nur an Papier-Zeitung, Berlin SW 11 erbeten Druck von A. W. Hayn’s Erben, Berlin SW 68, Zimmerstraße 29