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Verkauf gifthaltiger Farben Aus Stettin Im vorigen Jahre entspann sich über »Giftkonzession für Papier- und Lehrmittelhandlungen« ein reger Meinungsaustausch (Vergl. Nrn. 14, 17, 19 und 25 von 1906, sowie den Bericht über die Hauptversammlung des Deutschen Papier-Vereins in Nürn berg, Nr. 51 von 1906 S. 2130). In Verfolg dieser Angelegenheit richtete ich eine Eingabe an das Reichsamt des Innern, die von etwa 20 hiesigen Händlern unterzeichnet wurde. Den Erfolg dieses Schrittes kann man mit Freude begrüßen, das Nähere geht aus nachstehend abgedrucktem Bescheid hervor. Otto Tinius ♦ * ♦ Der Königliche Polizei-Präsident Stettin, 30. Januar 1907 Journ. 1 Nr. 651/1 Es wird ersucht, das vorstehende Journal- Zeichen bei der Antwort vollständig anzu geben An Herrn Otto Tinius Papier- und Kontorutensilien-Handlung Hier Ihre an das Reichsamt des Innern gerichtete Eingabe vom 28. Mai 1906 ist an den Herrn Regierungs-Präsidenten hier zur Prüfung und Erledigung abgegeben worden. Im Auftrage des Herrn Regierungs-Präsidenten teile ich Ihnen ergebenst mit, daß Ihrem Anträge entsprechend in Zukunft davon abgesehen werden wird, für den Handel mit giftigen Farben, welche in Form von Stiften, Pasten oder Steinen oder in geschlossenen Tuben zum unmittel baren Gebrauch fertig gestellt sind, eine Giftkonzession zu fordern. Es bleibt jedoch die Vorschrift des § 17 der mini steriellen Polizei-Verordnung vom 22. Februar 1906 (Amts blatt Seiten 64/71), betreffend die Bezeichnung dieser Gegen stände mit dem Worte »Gift« beziehungsweise »Vorsicht« und dem Namen der Farbe oder einer das darin enthaltene Gift erkennbar machenden Benennung zu beachten. Ich ersuche, die Mitunterzeichner der Eingabe von diesem Bescheide in Kenntnis zu setzen. Die Anlagen Ihrer Eingabe (1 Schachtel mit Proben, 5 lose Schriftstücke) folgen anbei zurück. I. V.: Koths Firmenschilder (Nachdruck, auch teilweiser, verboten) Ein Firmenschild kann man am besten mit einer Be suchskarte oder einer Geschäftskarte vergleichen. Sie soll einfach gehalten, aber sauber ausgeführt sein, denn sie soll das Geschäft vertreten. Kein Geschäftsmann wird, wenn er geschäftliche Besuche macht, sich so kleiden, als ginge er zu einem Kostümfest, vielmehr wird er sich entweder in seinem Alltagsgewande zeigen, oder wenn dies nicht ange bracht ist, im Gesellschafts- oder Straßenanzug. Sieht man aber, wo man geht oder steht, die ins Auge fallenden Firmenschilder an, so möchte man meinen, die wunder lichsten Schrifizeichen in den wunderlichsten Farben hätten sich Stelldichein zu einem Karneval gegeben. Es wird viel Mißbrauch mit den Schriften getrieben, die von strebsamen Schriftzeichnern und unternehmenden Schriftgießereien herausgebracbt werden. Man mag darüber geteilter Meinung sein, ob diese Neuheiten der Schriftgießereien den Ge schmack im Volke heben, keinesfalls sind die Schriftmaler berechtigt, diese neuen Schriften, die ausnahmslos gesetz lich geschützt sind (durch Eintragung ins Musterschutz- Register), nachzumalen. Sie täten viel besser, die edlen Formen der lateinischen, sogenannten Elzevier-Schriften zu benutzen, die längst Gemeingut und in ihrer einfachen Schönheit wohl unübertroffen sind. In Paris z. B. sind fast alle Firmenschilder, die größten wie die kleinsten, in dieser Schriftart gezeichnet und geben auch der belebtesten Ge schäftsstraße ruhiges Gepräge. Die elegantesten Modeläden in der Rue de la Paix haben ihr Schild in derselben Schrift malen lassen wie der kleine Gastwirt in einer unbedeuten ¬ den Nebenstraße. Die Geschäftsstraßen vieler unserer Städte sehen dagegen in dieser Beziehung bald wie Jahr markt aus, weil jeder Firmenmaler seinen ganz falschen Stolz darin sucht, die neuesten verschnörkelten Schriften nachzuzeichnen. Daher die vielen verzogenen S, die trunken aussehenden O, die M, die man für W lesen könnte, und die P, die sich nicht von dem D unterscheiden. Dann die falschstehenden oder übertriebenen Schlagschatten, die oft unerträgliche Mischung der verschiedensten gar nicht zu einander passenden Schriften von Zeile zu Zeile, die eine Zeile in gerader, die andere in schräger Schrift alles das zeugt von schlechtem Geschmack. Geschäfts inhaber und Maler sollten sich sowohl in ihrem eigenen Interesse, wie in demjenigen unserer Städtebilder diese Ge schmacklosigkeiten abgewöhnen, einfache, lesbare und ge fällige Schriftformen anwenden und gute Farbenwirkung durch geschickte Abstimmung des Untergrundes zu der Schriftfarbe erzielen. Die Schriften sollten, wie in nur einem Schriftcharakter, so auch nur in einer einzigen Farbe gezeichnet sein. Wir geben nachstehend einige Zusammen ¬ stellungen harmonischer Untergrund- und Schriftfarben: Grund blaßgrün, Schrift dunkel-karmesin; blaß creme, bronzegrün, tiefbläulichgrün, tiefschiefergrau, blaßgrau, dunkelbraun; helle Lederfarbe; blaßgrünlich-grau hellgold; tiefschwarz. Sehr gut nehmen sich auch verschiedene Tönungen einer und derselben Farbe neben einander aus, z. B. blaßblau zu tiefblau, blaßbraun zu tiefbraun usw. Im allgemeinen sollte man sich aber auch in bezug auf Farbe Beschränkung auf erlegen, denn ebenso wie ein Reisender besser im ein farbigen Anzug aussieht, als z. B. in gelben oder roten Schuhen, grauen Beinkleidern, Pikee - Weste und blauem Jackett, ebenso wird ein nach demselben Grundsatz an gefertigtes Firmenschild viel besser seinen Zweck erfüllen als andere, die im Jahrmarkts- oder Maskengewande er scheinen. L. K. Unentgeltliche Lernmittel für die Wiener Schul kinder Wie wir in Nr. 7 mitteilten, stellte im Dezember 1906 bei Beratung des Voranschlages der Stadt Wien der sozialdemo kratische Gemeinderat Winarsky den Antrag »Die Einschränkung, daß Lernmittel nur gegen Beibringung des Nachweises der Mittellosigkeit ausgefolgt werden, wird aufgehoben. Die Lern mittel werden allen Kindern unentgeltlich verabfolgt.« Wie die »Papiergewerbe-Zeitung« in Wien schreibt, wurde vor einigen Jahren ein gleicher Antrag von sozialdemokratischer Seite ge stellt. Gegen dessen Annahme und Durchführung nahm die Ge nossenschaft der Wiener Papierhändler Stellung und hatte da mit auch Erfolg. Auch jetzt werde es gelingen, die den Papier händlern drohende Gefahr abzuwenden. Für die allgemeine, unentgeltliche Beistellung der Lern mittel sei die Lehrerschaft eingenommen, denn ihr Amt wird erleichtert, wenn jedes Kind dann mit den Schulsachen voll ständig versehen ist. Auch wollen die Antragsteller die armen Kinder vor Beschämung gegenüber den Kindern der Bemittelten bewahren. Genanntes Blatt fragt: »Stellen wir uns vor, ein derartiger Antrag würde durchgeführt. Werden dann auch die zu Grunde gegangenen Geschäftsleute die Lebenserfordernisse von der Gemeinde Wien unentgeltlich bekommen? Wird späterhin viel leicht auch ein Antrag gestellt werden, daß die Mittelschüler unentgeltlich die Lernmittel erhalten? Und wäre nicht der An trag noch volkstümlicher, daß den Schülern auch Kleidung und Kost von der Stadt Wien unentgeltlich verabfolgt wird? Für- wahr, da gäbe es keine Grenzen der Volkstümlichkeit!« Und doch ist die Gemeinde Wien in der Beteilung armer Schul kinder mit Lernmitteln durchaus nicht zu kleinlich, eher zu frei gebig, denn sie beschenkt auch Kinder bemittelter Eltern. Dies