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Speisekarten Fest reiht sich an Fest und gibt der Papierindustrie Gelegenheit, ihre reichen Tischausstattungen zu zeigen. Wintergrün und Weihnachtsfiguren, Kleeblatt und Sylvester spuk haben ihre Schuldigkeit getan, Ball-und Familienfeste, Zweckessen und patriotische Festmahle werden mit andern Schmuckformen und bildlichen Darstellungen bedacht. Kaisers Geburtstag setzt alle graphischen Künste in Be wegung. Die Neuheiten-Vertriebs-Gesellschaft »Novitas« in Berlin liefert Kaiserbilder in verschiedener Ausführung. Ein feiner Stahlstich auf einfacher, weißer Karte stellt den Kaiser in Marineuniform dar. Die Verkündigung des Fest essens erfolgt in Mediaevalversalien unter dem Bilde. Das Ganze ist von einfacher, vornehmer Wirkung. Das Bild des Kaisers wiederholt sich in Bromsilber und zierlicher Medaillonform innerhalb eines fein geprägten Goldrahmens mit grünem Eichen- und Lorbeerschmuck und der goldenen Krone darüber. Eine gelbgetönte Karte mit Facetten prägung stellt das Medaillon links oben in der Ecke, die goldenen Lettern des »Menu« zur Seite, einen zierlich ge prägten schwarzen Adler darunter auf blindgeprägtem Linienschmuck, Das weiße Reliefbild des Kaisers erscheint inmitten eines goldenen Lorbeerkranzes und Eichengewindes oder wird von den ausgebreiteten Flügeln des preußischen Adlers in die Mitte genommen. Ein Medaillonbild hat Silberrahmen mit grünen geprägten Lorbeer- und Eichen zweigen, links die Kaiserstandarte, rechts die Marinefahne. Kinderfiguren und -Szenen aus dem gleichen Verlag sind für Kinderfeste bestimmt. Ein oder zwei Figürchen sitzen vor gedecktem Tisch, von einem kreisrunden Rahmen umschlossen; der Hintergrund ist gelb oder rot getönt; farbige Doppellinien führen zum Rande, der ebenfalls mit einer farbigen Linie geziert ist. Die Originale stammen vom Maler Gigy. Andere Karten tragen eine Kopfleiste als Nachahmung von Wandfriesen für Kinderzimmer. Maler Arivandino stellt auf Goldgrund Kinderszenen aus der Biedermeierzeit dar; ein Blumengehänge fällt über die weiße Fläche. Der Biedermeierstil treibt immer buntere Blüten. Ein dicker Kranz wird über die oberen Ecken ge hängt. Ein Blumenkorb, gestanzt, steht frei auf dem oberen Rande und wird durch Gehänge mit einem Eckornament verbunden, Bäume, kugelrund, langgestreckt oder pyrami denförmig, schmücken die obere oder die untere Seite. Zwei zierliche Bäumchen sind durch eine bogenförmige goldene Linie verbunden, diese trägt ein Schild mit »Speisenfolge« in goldenen Lettern. Die Tischkarten zeigen den Schmuck in vereinfachter Form. Folgende Kartensind gestanzt und stehen frei auf dem oberen Rande: Aller liebste Kinderfiguren nach Irma Prescher, goldhaarig, blau äugig, umfassen ein Bäumchen, sitzen auf dem Kübel oder ergehen sich im Spiel. Männliche und weibliche Figuren im Phantasie-Kostüm halten ein Banner mit einem Kranz anstatt der Fahne, die weiße Füllung dient als Tischkarte. Die Entwürfe sind vom Kunstmaler Ringel aus München. Ilanteiförmige Karten haben kolorierte Federzeichnungen; sie stellen ein Liebesspiel dar zwischen Frosch und Schmetterling. Weibliche Handarbeiten bieten ihre Schmuck formen der weißen Kartenfläche und liefern Muster von schlichter Vornehmheit und Anmut. Nachgeahmte gehäkelte Einsätze, von einfarbigem, schattiertem Bändchen oder Seidenfaden durchzogen, dienen als Kopf- oder Rand leisten oder nehmen als Doppelstreifen das goldene »Menu« in die Mitte. Meißner & Buch in Leipzig überschütten uns mit einem wahren Blumenregen. Die Blumenformen der Tischkarten sind gestanzt und werden durch eine Blüte oder Beere, durch Stengel oder Ornamente an das Glas gehängt. Eine große, voll erschlossene Blüte scheint aus dem Glase zu steigen, das Blatt, auf dem sie ruht, dient als Tischkarte. Zwei Schneeglöckchen lassen ihre Blüten seitlich auf den Kartenrand fallen, die Stengel krümmen sich henkelartig und schließen sich unterhalb zusammen. Rosen, Margueriten oder Veilchen fügen sich zu halbkreisförmigen Gewinden, die eine grüngerahmte Karte tragen. Sträuße und Band schmuck halten eine längliche, anmutig gebogene Kartusche oder eine halbmondförmige Karte. Figürliches verbindet sich mit Blumenschmuck. Das große tellerartige Blatt einer Wasserlilie deckt das Glas, ein Elf ruht in der Blüte, ein anderer schaukelt sich auf dem Rand eines Blumenkörbchens. Ein Schwan wiegt sich auf dunklem Weiher, der das Glas zu füllen scheint, verschlungene Linien schmücken den weißen Uferrand, der den Namen des Tischgastes tragen soll. Eine Täubchenfamilie scheint im Glase zu nisten; je ein Täubchen sitzt auf der henkelartigen Verzierung, welche durch federartige Blätter gebildet wird. Obstkörbchen werden an das Glas gehängt; ein reiches Fruchtgewinde hängt von der Seitenwand einer Karte und rahmt Glas und Karte zugleich. — Die Speisekarten tragen Bild- oder Blumenschmuck, der ebenfalls gestanzt ist, auf dem oberen Rand der Karte. Der Rand ist rechteckig, hat farbige Linienverzierung und eine Blüte in den unteren Ecken. Oder die Seitenlinien laufen schräg nach dem unteren Rande in ein Halbrund aus, die Ecken bilden fußartige Verzierungen; das Ganze gleicht einem Stehspiegel aus der guten Stube der Biedermeierzeit. Die folgenden Karten schlagen einen ruhigeren Ton an. Die einfache Buchform bedingt schon eine ruhigere Dar stellung. Die Blumen sammeln sich zu einem Strauß, einzelne Blüten liegen umher und ragen über den Rand. Ein kleineres Format dient als Tanzkarte; die Tischkarten sind länglich und nehmen den Strauß in die linke Ecke. Ein Rosenzweig, von C. Klein entworfen, nimmt die ganze Seite einer Tanzkarte ein; hier werden keine Hilfsmittel wie Stanzen und Prägen angewendet. — Der Biedermeier stil bevorzugt hier die figürliche Darstellung. Einige weib liche Figürchen singen, tanzen oder streiten sich um den Besitz einer Bretzel. Der Rahmen der Speisekarte gleicht einer riesigen Ehrenpforte. Die Farben sind gut gewählt, sie sind trotz ihrer Lebhaftigkeit von gedämpfter Wirkung. Große, freistehende Mädchenfiguren tragen den Namenszug auf dem weißen Volant des Kleides. Die besprochenen Karten zeichnen sich aus durch Mannigfaltigkeit der Formen und Sorgfalt der Ausführung. Ganz anders wirken die nun folgenden Karten nach Entwürfen von Berliner Künstlerinnen. Der Karton ist schlicht, ohne Glanz. Die Form ist immer dieselbe, ein längliches Viereck oder ein Quadrat mit einfachem, glattem Rand; und innerhalb dieses schlichten Rahmens reiz volle Pflanzengebilde, figürliche und landschaftliche Dar stellungen. Elise Schellbach verwendet Blumen und Früchte zu gleich. Die Karten haben größeres Format und sind von gelblicher Tönung. Schwarzes Ranken- und Astwerk bildet einen kräftigen Rahmen, auf dem sich Blätter und Blüten anmutig gruppieren. Die Gruppen sind symmetrisch ge ordnet, die Farben haben nur einen einzigen Ton, die Formen sind oft stilisiert, und doch bildet die Darstellung ein lebensvolles Ganzes, ein Stück Schöpfung, von der Hand des Künstlers in Linien und Farben übersetzt, die dem Auge wohltun. Weiße Blüten werden durch grüne Umrißlinien und gelbe Staubgefäße hervorgehoben. Die knorrigen Aeste eines Kirschbaums fügen sich zu einem Rahmen, der in der Mitte der oberen Längsseite einen Blütenstrauß trägt; drei langstielige rote Kirschen fallen von dem Seitenrahmen nach der unteren Mitte, die durch ein schöngeformtes Blatt betont wird. Blätter, Blüten und Früchte der Erdbeere füllen die untere Hälfte einer anderen Karte, die obere wird durch zwei verschlungene Linien geschlossen. Der Rahmen fügt sich zu immer neuen phantastischen Gebilden. Drei Hasel nüsse hängen von oben herab, die gelb schraffierten Früchte leuchten zwischen grünen Blättern; zwei gelbe Blütentrauben fallen aus den oberen Ecken nach unten, wo die Aeste sich in züngelnde Linien auflösen. Drei andere Karten stellen die Schmalseite nach oben. Auch hier treibt die Phantasie