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3286 PAPIER-ZEITUNG Nr. 75 Kasein Von Dr. Ludwig Reuter, New York. Vom Verfasser genehmigter Abdruck aus Seifensieder-Zeitung und Revue Augsburg 1907 I. Allgemeines In Nr. 45 des »Chemisch-technischen Fabrikanten« 1906 finde ich eine der »Papier-Zeitung« entnommene Notiz, welche der Berichtigung bedarf. Es wird gesagt, daß ein Kasein von Haus aus so gut ist wie das andere, gleichgültig wo es herkommt. Dies ist nicht der Fall; denn Kasein wird auf sehr verschiedene Weise gefällt und — getrocknet und ist ein nichts weniger als gleichmäßiges oder einheitliches Produkt. In den Vereinigten Staaten z. B. wird nicht nur sehr viel Kasein produziert, welches aus saurer Magermilch durch Er wärmen gefällt wird, sondern auch bedeutende Mengen Kaseins, welche durch Schwefelsäure gefällt sind. Bei der stetig vor wärts schreitenden landwirtschaftlichen Entwicklung des Landes treten auch fortwährend neue Molkereibetriebe in die Kasein erzeugung ein, und diese werfen oft große Posten unbrauchbaren Kaseins auf den Markt, da sie nicht genug bekannt sind mit den Einzelheiten, die bei der Herstellung eines so empfindlichen und reaktionsfähigen Produktes, wie es Kasein ist, berücksichtigt werden müssen. Solche Betriebe verwenden auch, weil schlecht beraten, mitunter statt Schwefelsäure oder natürlicher Säuerung, Salzsäure zur Fällung des Kaseins; solches Kasein gibt, wenn es mittels Ammoniaks oder Borax, oder phosphorsauren Natrons gelöst wird, eine Gallerte, welche so dick ist und sich so rasch setzt, daß sie für die Fabrikation von Buntpapier, als Leim in der Kartonnagenherstellung, als Zusatz zu Kaltwasserfarben in der Seifenfabrikation usw. unbrauchbar ist. Ich erinnere mich eines Falles, in welchem eine ganze Wagenladung solches mit Salz säure gefällten Kaseins, das übrigens sehr schönes Aussehen hatte, auf den Markt geworfen wurde; da kaum anzunehmen ist, daß es auf den Misthaufen wanderte, so ist es wohl in der Weise aufgearbeitet worden, daß es gutem, normalem Kasein in kleinen Mengen beigemengt und so nach und nach auf gebraucht wurde. Aber auch bei Verwendung von Schwefelsäure als Fällungs mittel gehen viele Molkereien sehr nachlässig vor; statt die kleinste, zur Fällung gerade nötige Menge Schwefelsäure zu ver wenden, wird sehr häufig entweder ein großer Ueberschuß zu gesetzt, oder die Säure wird vor dem Zusatz nicht gehörig mit Wasser verdünnt; außerdem ist der Arbeiter oft nachlässig beim Erhitzen der Milch, d. h. er macht sie zu heiß; auf diese Weise gefälltes Kasein fällt in dichten, zähen Klumpen aus, welche die überschüssige Schwefelsäure so fest einschließen, daß sie durch Waschen kaum entfernt werden kann. Ich hatte wiederholt Ge legenheit, solches mit zu viel Schwefelsäure ausgefälltes Kasein zu prüfen, und sehr häufig fand ich darin 1—1,5 v. H., ja in einem Falle sogar fast 2 v. H. freie Schwefelsäure. Derartiges Kasein löst sich nicht in 10 v. H seines Gewichtes an Borax; ich habe gefunden, daß Kasein, das rd. 1 v. H. freie Schwefel säure enthält, etwa 15 v. H. Borax zur Erzielung eines gleich mäßigen Leimes erfordert, der dann aber die entsprechende Menge Natriumsulfat enthält, welches ein für manche Zwecke nicht erwünschtes, zu rasches Setzen das Kaseins zur Folge hat. Uebrigens hat die Verwendung von Schwefelsäure zur Fällung von Kasein in den Vereinigten Staaten in Interessentenkreisen viel Staub aufgewirbelt; Papierfabriken hatten von einem Kasein händler Kasein gekauft, welches mit Schwefelsäure gefällt war und rd. 1 v. H. freie Säure enthielt. Die Kaseinfirma, welche Eigentümerin des Ver. St. Patentes 626537 vom 6. Juni 1899 (W. A. Hall, »enameling compound«) ist, das die Herstellung von rd. 1 v. H. freie Säure enthaltendem Kasein beansprucht, ging gerichtlich gegen eine Papierfabrik vor, welche solches Kasein statt von ihr, von jenem Kasein händler gekauft und sich dadurch an der Verletzung ihres Patent rechtes mitschuldig gemacht hatte. Schwierig wurde die An gelegenheit dadurch, daß der Kaseinhändler, welcher in einem Vorverhör aussagte, daß er von der Zusammensetzung des Kaseins nichts wisse, keine Kenntnis von der Anwendung von Schwefelsäure hatte, auch Natriumsulfat nicht anwende, und der sich auf den Standpunkt stellt, daß das erwähnte Patent un praktisch sei, fast zur gleichen Zeit ein Patentgesuch als »Mit entdecker« unterzeichnet hat, welches u. a. die Verwendung einer ziemlich genau 1 v. H. Schwefelsäure entsprechenden Menge rohen Sulfates, das zudem noch freie Schwefelsäure enthält, als Zusatz zu Kasein beansprucht, also den Zusatz desselben Stoffes befürwortet, welcher beim Auflösen von schwefelsäurehaltigem Kasein in Alkalien, Borax usw. gebildet wird. Mit großer Spannung sehen die beteiligten Kreise der gerichtlichen Ent scheidung entgegen. Auch das oben erwähnte, aus saurer Magermilch — also ohne Zusatz von Schwefelsäure — ausgefällte Kasein hat nicht immer gleichmäßige Zusammensetzung infolge der Nachlässig keit oder Unwissenheit der Molkereiarbeiter, welche die Kasein fällung — oft nachts — neben anderer Arbeit zu besorgen haben. Mitunter findet man, daß sich derartiges Kasein zwar gut in Borax löst, der Leim jedoch durchsetzt ist mit kleinen, äußerst feinen weißen Flöckchen, welche die Anwendung solchen Kaseins für die Seifen- oder Buntpapier-Fabrikation unmöglich machen, da nach dem Trocknen der Fabrikate auf der Oberfläche der selben kleine, weiße Tupfen sichtbar sind. Diese sind ge ronnenes Eiweiß, welches gleichzeitig mit dem Kasein aus der Magermilch ausfällt, wenn der Arbeiter die Milch zu hoch er hitzt und dadurch das Milcheiweiß zum Koagulieren bringt. Es ist in den Vereinigten Staaten üblich geworden, nicht auf das Sauerwerden der Magermilch zu warten, sondern die süße Magermilch auf 60—70° C. zu erwärmen und dann das Kasein durch Zusatz saurer Molken, welche man durch Abseihen von Buttermilch erhält, auszufällen. Geschieht nun das Abseihen der zur Kaseinfällung angewandten Molken nicht sehr sorgfältig, so enthalten sie in Borax unlösliche, geronnene Bestandteile der Buttermilch, welche mit dem Kasein zusammen abgeschieden werden. Auch die Reinheit der zur Fällung des Kaseins ver wendeten Schwefelsäure läßt mitunter sehr zu wünschen übrig; wird stark blei- und eisenhaltige rohe Säure verwendet, so gehen Eisen und Blei in das Kasein über und machen es für manche Zwecke unbrauchbar. Man hat auch wiederholt versucht, unlösliches Buttermilch- Kasein dadurch zu verwerten, daß man 5—10 v. H. davon gutem Kasein beimischte. Dieses Vorgehen kann natürlich nur als ab sichtliche Verfälschung bezeichnet werden, ebenso wie der Zu satz von Natriumsulfat oder von rohem Sulfat, welcher nur des halb praktisch geübt wird, weilSulfat 5—6mal billiger ist alsKasein. Für die Seifenfabrikation und für alle anderen Zwecke ist das Buttermilch-Kasein wegen seiner Unlöslichkeit in Alkalien, Borax usw. ebenso unbrauchbar wie Kasein, welches mit Lab gefällt ist. Für Buntpapierfabrikation als-Zusatz zu Kaltwasserfarben, ferner zum Leimen von Kartonnagen, von Faßdeckeln, Möbeln usw. halte ich solches Kasein für besonders geeignet, welches mit der geringsten Menge Schwefelsäure, die möglichst eisen- und bleifrei sein sollte, aus süßer Magermilch bei einer Tempe ratur von 60—70° C. ausgefällt, gut ausgewaschen, gepreßt, durch Walzen getrieben und schließlich in einem gut ventilierten Trockenschrank, am besten in einem durch einen Ventilator er zeugten kontinuierlichen Luftstrom getrocknet ist. Das Trocknen darf nicht auf Hürden stattfinden, welche mit eisernem oder schlecht verzinktem Drahtgeflecht überzogen sind; auch sollten keine eisernen, rostigen Schaufeln Verwendung finden, sondern ausschließlich Holzschaufeln. Bei dem sauren Charakter des Kaseins wird davon leicht viel Eisen teils mechanisch, tei5 chemisch aufgenommen. Ich prüfte Kaseinsorten, die, obwohl sonst gut, doch so viel Eisen enthielten, daß sie weder von einem Seifen- noch von einem Papierfabrikanten gekaut worden wären, wenn diesen der Eisengehalt bekannt gewesen wäre. Während, wie ausgeführt, für Papierfabrikation das mit Schweielsäure gefällte Kasein vorzuziehen ist, eignet sich das durch natürliche Säuerung, d. h. durch milchsaure Molken aus süßer Magermilch gefällte Kasein, besser für Seifenfabrikation da es im höchs'ten Falle Spuren organischer Säuren enthäl während durch Schwefelsäure gefälltes Kasein, besonders wenn es unzulässig viel freie Schwefelsäure enthält, zersetzend au die Seife einwirken kann unter Abscheidung freier Fettsäuren die baldiges Ranzigwerden der Seife zur Folge haben. Gutes Kasein sollte nicht mehr als 0,2—0,3 v. H. freie Säure enthalten; 100 T. solchen Kaseins sollten mit rd. 400 T. Wasse und 10 T. Borax einen gleichmäßigen Leim geben, der bei® Streichen auf eine Glasplatte glatte Oberfläche zeigt; rauhe Oberfläche läßt immer auf nachlässige Fabrikation oder auf a) sichtliche Verfälschung durch Buttermilch- oder Lab-Kasei schließen. Zum Auflösen von Kasein kann außer basisch borsaure Magnesia, welche etwa in den siebziger Jahren von Dr. J. Ho meier in Kroisbach bei Graz angewandt wurde, auch Ammonia oder Borax oder phosphorsaures Natron verwendet werden: Ammoniak wird zum Auflösen von Kasein schon lange an ' gewandt und wurde Robert Th. Pattison patentiert im Engn lischen Patent 12316 vom 2. November 1848, in welchem Pattison die Fällung von Kasein durch Säuren, insbesondere Oxalsätr! eingehend beschreibt und für den gefällten Quark die Bezeict nung »Lactarin« einführt. Obwohl seit nahezu 60 Jahren Kasein im Handel auch unte dem Namen »Lactarin« bekannt ist, schrieb das Schatzamt 1 Washington an das Zollamt in New York unter dem 12. Februm. 1906 (T. Decision 27 104), durch »kompetente Sachverständigein Aussage« könne der Nachweis erbracht werden, daß ‘KasGas kommerziell nicht identisch sei mit Lactarin« und daß da» letztere deshalb nicht, wie das Kasein, zollfrei eingeführt werdin könne. Jedenfalls handelt es sich hier um argentinisches Kasel > das unter dem Namen Lactarin eingeführt worden war, undiner »kompetente Zeugenaussage« wird wahrscheinlich von.enen amerikanischen Kaseinfirma, welche die Einfuhr argentinissein. Kaseins verhindern will, gut bezahlt worden sein. Die Hin führer von argentinischem Kasein werden ihre Ware künftig“ einfach Kasein nennen, und dann zollfrei einführen, wenn geg diese Ware nicht neue Intriguen eingefädelt werden.