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2604 PAPIER-ZEITUNG Nr. 59 Gewerbe-Aufsicht der Papier-Industrie in Preußen 1906 Dem Jahresbericht entnehmen wir nachfolgende Angaben, soweit das Druck- und Papiergewerbe in Betracht kommen: Im polygraphischen Gewerbe wurden in Preußen, soweit sie als Fabriken gelten und den Gewerbe-Inspektoren unterstehen, 389 Betriebe mit 14 730 Arbeitern gezählt, davon waren 8506 er wachsene männliche Arbeiter, 4379 Arbeiterinnen über 16 Jahre, 1819 junge Leute von 14—16 Jahren und 26 Kinder unter 14 Jahren. 235 Betriebe mit 11536 Arbeitern wurden revidiert; in 54 Be trieben wurden Zuwiderhandlungen gegen Schutzgesetze und Verordnungen durch die Beamten festgestellt, 5 Personen wurden deshalb bestraft. Von Buchdruckereien und Schriftgießereien unter standen der Revision 3370 Betriebe mit 73564 Arbeitern (1905: 3244 bezw. 70192); hiervon waren 52419 erwachsene männliche Arbeiter, 13279 Arbeiterinnen über 16 Jahre, 7765 junge Leute von 14—16 Jahren, 101 Kinder unter 14 Jahren. Revidiert wurden 2190 Betriebe mit 57419 Arbeitern. 450 Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Vorschriften wurden zur Anzeige gebracht und 59 Personen bestraft. In der Papier-Industrie (Papier- und Papierstoff-Fabrikation und -Verarbeitung) wurden 1821 Betriebe gezählt mit 81053 Personen (1905: 1731 bezw. 76289): 45239 (42140) erwachsene männliche Arbeiter, 27660 (26336) Arbeite rinnen über 16 Jahre, 7981 (7703) junge Leute von 14—16 Jahren und 83 (110) Kinder unter 14 Jahren. Revidiert wurden 1294 Be triebe mit 71458 darin beschäftigten Arbeitern. Hier wurden 255 Zuwiderhandlungen gegen Schutzgesetze und Verordnungen ermittelt und 38 Personen bestraft. Mehr als n stündige Arbeitszeit für erwachsene Arbeiterinnen wurde in der Papier-Industrie 57 Betrieben, im ganzen Druck gewerbe 30 Betrieben gestattet. Arbeiterinnen. In einer Buchdruckerei wurden versuchsweise zwei Arbeiterinnen als Setzerinnen eingestellt. Da aber Ver billigung der Arbeit nicht eintrat, wurden sie wieder entlassen. Arbeitsseit. Zwei Zellstoffabriken in Tilsit und Memel mit zusammen 222 Arbeiterinnen haben die Arbeitszeit von n auf 10 Stunden herabgesetzt. Sonntagsarbeit. Einer Pappenfabrik, die durch Betriebs störungen, sowie einer Buchdruckerei, die durch Arbeitermangel in ihren Lieferungen zurückgekommen war, wurde gestattet, an einzelnen Sonntagen zu arbeiten. Einer anderen Papierfabrik, die über die Vertragsmenge hinaus unerwartet einen größeren Posten Papier für die Reichsdruckerei herstellen mußte, wurde erlaubt, an vier Sonntagen den Betrieb mit Wechselschichten aufrechtzuerhalten. Ueberarbeit. Eine untere Verwaltungsbehörde hat einer Papier fabrik auf Grund des § 138 a der GO 6 mal die Genehmigung erteilt, je 4 Arbeiterinnen an zusammen 26 Arbeitstagen bei einer Arbeitszeit von 9 Stunden in der Zeit von 81/2 bis 10 Uhr abends zu beschäftigen. Wegen hohen Bedarfs der Reichsschulden verwaltung an Wertpapieren mußten diese Papiere unter Auf sicht von Kontrollbeamten der Reichsdruckerei, der Reichsbank und Reichsschuldenverwaltung zeitweise in der Zeit von 7 Uhr morgens bis 10 Uhr abends hergestellt werden, wobei 4 Ar beiterinnen tätig waren. Die Leitung einer Papierfabrik mußte ihren auf dem Lande wohnenden Arbeiterinnen für die Tage der Kartoffelernte Urlaub bewilligen, obwohl sie die Arbeiterinnen besonders für das Zurichten der Papiersorten nicht entbehren konnte. Sie war genötigt, die fehlenden Arbeiten durch Ueber arbeit nachholen zu lassen, damit der Gesamtbetrieb und die Be schäftigung der übrigen Arbeiter keine empfindliche Stockung erfuhren. Im Regierungsbezirk Erfurt hat die Zahl der ge leisteten Ueberstunden gegen das Vorjahr abgenommen, weil mehrere Druckereien an den Schnellpressen mechanisch wir- kende Selbsteinleger anbringen ließen, welche Verwendung weiblicher Arbeitskräfte erübrigen. Im Regierungsbezirk Hildes heim wurden drei Anträge einer Papierfabrik auf Ueberarbeit wegen erfolgter Bestrafungen auf Grund § 146 der GO abgelehnt. Diese Maßregel erwies sich zur Herbeiführung geordneter Zu stände wirksamer, als die mehrfach verhängten nur niedrigen Geldstrafen. Ausstände. Der Erfolg des Generalstreiks der Lithographen und Steindrucker in ganz Deutschland war, daß vom 1. Juli 1907 ab den Lithographen acht-, den Steindruckern neunstündige tägliche Arbeitsdauer zugebilligt worden ist. Dagegen konnte Festlegung eines Mindestlohns für Lithographen von 21 M. im ersten Gesellenjahr und im übrigen von wöchentlich 25 M. nicht durchgesetzt werden; man mußte sich mit einem Mindestlohn von 18 M. zufrieden geben. Zuividerhandltmgen gegen gesetzliche Vorschrißen. Im Re gierungsbezirk Danzig wurde ein Buchdruckereibesiizer wegen Kürzung der Pausen mit 6 M. Geldstrafe belegt. — Ein Pappen fabrikant erhielt im Sommer 1904 eine Aufforderung zwecks Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, kam ihr aber erst zu Ende des Berichtsjahres nach, nachdem Gewerbeinspektor und Landrat sich wiederholt mit der Angelegenheit befaßt hatten und der Fabrikant auf Grund des § 147 Abs. 1 Ziffer 5 der GO zu 30 M. Geldstrafe verurteilt worden war. — In einer Luxus papierfabrik wurden 10 Arbeiter an 7 Sonntagen in unzulässiger Weise beschäftigt; der Unternehmer erhielt dafür durch amts richterlichen Strafbefehl 140 M. Geldstrafe. Prämien. In der Papierfabrik Erfurt & Sohn in Dahlhausen erhält jeder Arbeiter für je 100 kg Tapeten 25 Pf., die alle 14 Tage ausgezahlt werden und häufig den Betrag von 4—6 M. erreichen Betriebsunfälle. Schwere Folgen hatte das Platzen eines kupfernen Dampfrohrs von 250 mm Durchmesser in einer Papier fabrik, ohne daß dabei der konzessionierte Ueberdruck von 12 Atm. überschritten worden wäre. Zwei Arbeiter wurden ge tötet und drei mehr oder minder schwer verletzt. Das Rohr war schon seit etwa 12 Jahren im Betrieb, hart gelötet, unge schwächt und anscheinend tadellos gearbeitet. Die Wandstärke von 5 mm war jedoch zweifellos zu gering, und die Festigkeit des Materials war durch die nach Einbau eines Ueberhitzers erhöhte Dampftemperatur herabgesetzt worden. Bei so hohem Dampfdruck und großem Rohrdurchmesser ist die Verwendung von Kupfer offenbar bedenklich. Schutzvorrichtungen. Die Papierfabrik Hohenofen hat für ihre Lumpensortiererinnen hohe Sortiertische aufstellen lassen, an denen sie die Arbeit stehend oder auf hohen Böcken mit Fußruhelage sitzend ausführen können. Es wird dadurch dem weiblichen Körper in gleichem Maße nachteiligen andauernden Stehen oder Sitzen vorgebeugt. Für einen stehenden Zellstoffkocher mit unterem Ablaß stutzen war ein Verschluß derart vorgesehen, daß der ihn be dienende Arbeiter unter den Stutzen treten und hineingreifen mußte, sodaß bei unvorsichtigem Nachhelfen von oben durch herabstürzende Zellstoffmassen leicht Unfälle hätten eintreten können. Die liefernde Maschinenfabrik berief sich darauf, daß bereits zahlreiche derartige Verschlüsse im Betriebe seien, ließ sich aber schließlich doch dazu veranlassen, eine Einrichtung zu treffen, die das Bedienen des Verschlusses von der Seite des Stutzens ermöglichte. Eine Lumpensortiererei konnte erst nach längeren Verhand lungen dazu gebracht werden, eine mechanische Abführung des an den Sortiertischen entstehenden Staubes anzubringen. Die bei den Besitzern solcher Anlagen früher hervorgetretene Ab neigung gegen die mechanische Staubabsaugung an Sortier tischen scheint jetzt überwunden zu sein, nachdem das auf diese Weise sortierte Erzeugnis im Handel seiner Staubfreiheit wegen höher bewertet wird; insbesondere ist eine von der Firma Pollrich & Co. in Düsseldorf für eine größere Lumpensortier anstalt eingerichtete Entstaubungsanlage und Heizungsanlage zu erwähnen. (Vergl. Nr. 10 v. 1907 der P.-Z.) Um die Schädlichkeit des Bronzestaubes in kleinen Drucke reien zu vermeiden, für die die Beschaffung von Bronzier maschinen sich nicht lohnt, empfiehlt sich die Verwendung von Bronzierkästen, wie sie dem Werkführer Sprotte in Stendal unter Nr. 286443 als Muster geschützt sind. Ein Glaskasten mit Siebboden und innen angebrachtem Bronzevorratskästchen ist an der Arbeitsseite mit einem Zeugvorhang versehen, der nur zwei enge Löcher zum Durchstecken der Unterarme besitzt. Der beim Betupfen der mit Fett bedruckten Papiere und beim nachfolgenden Abbürsten entstehende feine Staub bleibt im Kasten und wird in einem Schubfach unter dem Siebboden Wieder gewonnen. Wohlfahrtseinrichtungen. Die Zellstoffabriken in Tilsit und Memel haben ausgedehnte und mustergiltige Wasch- und Bade einrichtungen für ihre Arbeiter geschaffen. Die beiden Buchdruckereien von Reyländer und Mauderode in Tilsit gewähren ihren Arbeitern unter Fortzahlung des Lohnes einen jährlichen Urlaub von 3 bis 14 Tagen (je nach der Dauer ihrer Beschäftigung). Die Papierfabrik Sacrau (Reg.-Bez. Breslau) hat weitere 17 Zweifamilienhäuser neu herstellen lassen. Die 15 kleineren Zweifamilienhäuser sind im Innern alle gleich eingerichtet und unterscheiden sich im Aeußern nur durch verschiedenfarbige Bedachung und freiliegendes Holzwerk. Die 30 kleinen Woh nungen sind in jedem Hause völlig abgeschieden, besitzen ge trennten Hauseingang und bestehen aus je einer Stube im Erd oder Obergeschoß, zwei Kammern und dem nötigen Beigelaß. Der jährliche Mietspreis beträgt für eine Wohnung 70 M., also 140 M. für das Haus. Die Baukosten eines jeden solchen Zwei familienhauses belaufen sich ohne Grunderwerbskosten auf 8300 bis 9800 M. Die beiden größeren Zweifamilienhäuser sind im Innern ebenfalls gleich eingerichtet und enthalten je zwei unter sich senkrecht völlig getrennte Wohnungen, bestehend aus drei Stuben, einer Küche, einer Kammer und dem nötigen Bei gelaß. Der jährliche Mietspreis beträgt 100 M. für jede Wohnung, also 200 M. für jedes Haus. Die Baukosten, ausschließlich der Grunderwerbskosten, belaufen sich für diese Häuser auf 14 500 und 15000 M. Die Herstellung der überhaupt zurzeit vor handenen 34 Familienwohnungen der Papierfabrik hat einen Kostenaufwand von rund 165000 M. erfordert. Zu jeder Wohnung wird ein am Hause liegender, mit Obstbäumen bepflanzter Garten von 400 bis 600 qm Größe mit besonderem Eingang gegen eine Jahrespacht von 20 Pf. für 1 qm gegeben. Die Zellstoffabrik Wartha baute ebenfalls hübsche Arbeiter wohnungen.