Volltext Seite (XML)
Nr. 75 C=== 20, September 1906 Bestellscheine Von Dr. jur. W. Brandis, Berlin (Nachdruck verboten) Bestellscheine sind allgemein üblich, wenn Geschäfte durch Vermittlung eines Reisenden abgeschlossen werden. Der Reisende muss eine schriftliche Bestellung in Händen haben, teils der Firma gegenüber, die Sicherheit darüber verlangt, daß das Ge schäft wirklich von dem Reisenden gemacht ist, teils dem Kunden gegenüber, der sich vielleicht nach einigen Tagen anders besinnt oder, wenn er die Ware erhält, der Meinung ist, eine andre Ware oder weniger davon bestellt zu haben. Die gleiche Sicherheit, die der Reisende von dem Kunden verlangt, ver langt nun umgekehrt auch der Kunde von dem Reisenden, da schon mehrfach Reisende größere Bestellungen ihrer Firma mit geteilt haben, als der Kunde wirklich gemacht hat. Deshalb ist es üblich, dem Kunden eine Kopie des Bestellscheines zu hinterlassen. Hiermit scheint nun alle denkbare Vorsicht erschöpft zu sein. Aber dem ist keineswegs so. Denn was steht auf dem Bestell zettel zuweilen alles vorgedruckt! Der Kunde liest das ge wöhnlich gar nicht, da er, weil es gedruckt ist, der Meinung ist, daß es sich um die üblichen, selbstverständlichen Bedingun gen handelt. Das ist oft weit gefehlt. Die Bestellscheine werden seitens der Firma mit Sorgfalt, ja zuweilen mit listiger Be rechnung entworfen. Jedes Wort, welches bei dem Käufer irgendwie Mißtrauen erwecken könnte, wird vermieden oder an scheinend harmlos umschrieben, hingegen Worte, wie »prompte Lieferung, gute Qualität, Ziel einen Monat«, werden fett gedruckt. Lästige oder bedeutungsvolle Bedingungen sind dazwischen ver steckt oder stehen an unauffälliger Stelle, so z. B. »Erfüllungs ort Berlin« (wenn der Verkäufer in Berlin wohnt), oder »Rekla mationen werden nur binnen drei Tagen berücksichtigt«. Das Gesetz gibt dem Käufer hierzu eine Frist von sechs Monaten, verlangt allerdings von ihm, wenn er Kaufmann ist, Untersuchung der Ware, sobald es nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tun lich ist. In manchen Geschäftszweigen hat die Lieferantin so viele Bedingungen über die Art der Lieferung und der dem- nächstigen Bezahlung zu machen, daß es auf der ersten Seite des Bestellscheins nur heisst: »Unterzeichneter bestellt zu den um stehenden Bedingungen«. Auf der andern Seite stehen dann viele kleingedruckte Zeilen, die mit selbstverständlichen Bedin gungen beginnen. So bestellte jemand einen Band eines über hundert Bände umfassenden Sammelwerks. Auf der Rückseite stand die von ihm nicht gelesene Bedingung, daß Teilbände nicht abgegeben werden und jeder Abnehmer eines Bandes sich ver pflichte, das ganze Werk in wöchentlichen Lieferungen zu nehmen. Dasselbe kostete nahezu 1000 M. Ein Annoncenbureau forderte durch ein gedrucktes Zirkular zum Annoncieren in einem Heft zu einem ungewöhnlich billigen Preise auf. Auf der ersten Seite standen die wichtigsten günstigen Bedingungen, auf der Rückseite unter vielen andern auch die, daß die Annonce für sämtliche weiterhin erscheinenden Hefte als aufgegeben gelte. Trotzdem die Unterzeichner den Bestellschein in ihrer Wohnung mit Ruhe hätten lesen können, fielen doch viele, im allgemeinen vorsichtige Menschen darauf hinein. Im ersten Falle hat die Verkäuferin, eine süddeutsche Verlagsfirma, den Prozeß ge wonnen, im zweiten bequemte sich die Dresdener Firma, als der Richter auf das betrugsähnliche Geschäftsgebaren hinwies, zu einem billigen Vergleich. Wenn selbst in Ruhe Bestellscheine ungelesen unterschrieben werden, um wieviel leichter geschieht es, wenn man im Bei sein eines redegewandten Reisenden, der einen vertrauen erweckenden Eindruck macht und mit dem man in langem Ge spräch alle Bedingungen des Geschäfts gründlich erörtert hat, schließlich auf dessen wiederholte Zusicherung, daß man sich der kulantesten Bedienung versichert halten könne, unterschreibt, ohne das Gedruckte genau duchzulesen! Die Anfechtung unterschriebener Bestellscheine ist nun eine schwierige Sache. Es wird vom Gericht regelmäßig vermutet, daß jemand, was er unterschreibt, vorher auch gelesen hat. Durch die Unterschrift stand also fest, daß das Geschäft so, wie es auf dem Bestellschein steht, mit dem Reisenden verabredet ist. Damit ist gewöhnlich gesagt, daß der Bestellschein auch alles enthält, was verabredet ist. Aber es ist zulässig, den Gegenbeweis anzutreten. Ein oberes Gericht sagt wörtlich: »Die Niederschrift eines Vertrags ist die endgiltige Zusammen fassung und Festlegung desjenigen, was die Parteien gewollt, und was sie namentlich auch in ihren mündlichen Beredungen zum Ausdruck gebracht haben. An Stelle des gesprochenen Wortes, das dem Gedächtnis entschwindet und der Mißdeutung unterliegt, ist das geschriebene gesetzt. Wer daher mündliche Vereinbarungen vor und bei Abschluß des schriftlichen Vertrags gegen dessen Inhalt behauptet, kann damit so lange nicht ge hört werden, als er nicht weiter darlegt, daß entgegen der Ver mutung der Vollständigkeit der Schrift auch das mündlich Be sprochene habe gelten sollen, daß also die Schrift unrichtig oder unvollständig sei. Durch den Reisenden kann der Kunde in der Regel nichts beweisen. Wenn er der Firma den Eid zuschiebt, so schwört diese in der Fassung, daß sie nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung — nämlich bei ihrem Reisenden — die Ueber- zeugung erlangt habe, daß das Geschäft nicht so, wie der Kunde behauptet, abgeschlossen sei. Zuweilen war die Ehefrau des Kunden bei der Bestellung zugegen; doch ihr schenkt das Ge richt selten vollen Glauben. Gelingt es dem Kunden, das Zeugnis des Reisenden irgendwie zu erschüttern, vielleicht weil dieser auf Provision angestellt ist und darum an der Größe der Bestellung einen unmittelbaren Vermögensanteil hat, dann hängt es von dem ganzen Eindruck ab, den das Gericht von der Sache bekommt, welche Partei es zum Eid zulassen wird. Auch selbst dann, wenn es sich nicht um eine Abänderung des Be stellscheins handelt, sondern wenn darin etwas steht, wovon bei der mündlichen Besprechung garnicht die Rede gewesen ist, kann der Kunde mit seiner Beteuerung gehört werden, so z. B. wenn die sehr häufige Bedingung, daß der Wohnort der Firma der Erfüllungsort auch für den Kunden sei, sich auf der Rückseite oder sonstwo versteckt befand, sodaß es sehr wohl glaubhaft ist, daß sie übersehen ist. Wird nach Probe verkauft, so behauptet nicht selten später der Kunde, daß die gelieferte Ware nicht probemäßig sei. Es ist deshalb unbedingt geboten, die Proben sich nicht nur zeigen zu lassen, sondern ein Stück der Probe zu behalten, um dem nächst sich selbst und das Gericht überzeugen zu können, ob die Lieferung probemäßig ausgefallen ist oder nicht. Häufiger trifft man die rechtsirrtümliche Meinung, daß jeder Teil, sobald er irgend eine Meinungsverschiedenheit seitens des andern Teils bemerkt, den geschlossenenVertrag einseitig aufheben oder, wie man zu sagen pflegt, annullieren könne. So verfuhr eine amerikanische Firma für Fleischausfuhr. Eine deutsche Firma hatte von ihr einen großen Posten feiner Zervelatwurst gekauft. Schlußscheine waren durch Vermittlung des Reisenden der amerikanischen Firma gegeben und darin stand, daß gute gesunde Ware geliefert werden müsse. Nach Abschluß des Geschäfts schrieb der Käufer nach Amerika, er könne die Ware nur nehmen, wenn sie gut ankomme. Die amerikanische Firma, die keine Lust hatte, sich unter diesen Umständen auf die Lieferung ein zulassen, telegraphierte, sie annulliere das Geschäft. Die deutsche Firma verklagte die amerikanische Firma auf den ihr durch die Nichtlieferung entstandenen Schaden in Höhe von über 2000 M. Das Reichsgericht hatte die Aufhebung des Geschäfts seitens der amerikanischen Firma für unzulässig erklärt, da die deutsche Firma nicht den Rücktritt von dem Kauf erklärt habe, sondern nur nachträglich eine Bedingung gestellt hatte, zu der sie nicht berechtigt gewesen sei. Deshalb blieb die Verkäuferin zur Ver tragserfüllung verpflichtet und hätte, wenn demnächst Streit über die Vertragsmäßigkeit ihrer Leistungen entstand, der richterlichen Entscheidung hierüber entgegenzusehen. Bekanntlich hat der Verkäufer am Sitz seiner geschäftlichen Niederlassung zu erfüllen, also trägt die Gefahr der Beförderung der Käufer, wenn nichts andres ausgemacht ist. Die amerikanische Firma hat deshalb lediglich gute Ware gut verpackt zu verfrachten. Wenn diese Ware infolge irgend welcher äußerer Umstände während der Schiffahrt Übeln Geruch bekommen oder aus sonstigen Gründen ungenießbar geworden sein sollte, so würde dieser Schade dem Käufer zur Last fallen, es sei denn, daß aus dieser Schädigung der Schluß gezogen werden kann, die Ware sei nicht ordnungsmäßig verpackt oder von vornherein nicht von guter Beschaffenheit gewesen. Wenn die Käuferin gewollt hätte, daß die Versandfirma die Gefahr der Beförderung trägt, hätte das in dem Schlußschein klar zum Ausdruck gebracht werden müssen, was aber nicht geschehen war. In den Bestellscheinen, welche die Reisenden einer Firma vorlegen, und welche von der Firma selbst verfaßt sind, über nimmt eine Firma wohl nie die Gefahr der Beförderung, sodaß kraft Gesetzes die Beförderung vom Augenblick der Uebergabe an den Spediteur auf Gefahr des Käufers geht.