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Nr. 6g PAPIER-ZEITUNG 2849 Angestellte in kaufmännischen Kontoren Nachdem wir infolge der errungenen staatlichen Einheit in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von 35 Jahren zu einem wohlhabenden Industriestaat herangewachsen sind, dürfen wir auch daran denken, etwas mehr für die Wohlfahrt derjenigen zu tun, welche am Aufschwung der Industrie mitgewirkt haben. Die Fabrikarbeiter und -Arbeiterinnen haben den Vorzug, sich organisieren zu können, und in ihrer Vereinigung als ge wichtiger Faktor auftretend, ist es ihnen schon vielfach gelungen, bessere Arbeitsbedingungen zu erlangen, die sich nachträglich nicht nur als nützlich für die Arbeitnehmer erwiesen, sondern die auch Vorteile zeitigten für die Arbeitgeber, obwohl sich diese meist heftig gegen jede Aenderung in ihren Betrieben wehren, schon allein aus Befürchtung, daß neue Belastungen eintreten könnten. Allerdings haben sich auch kaufmännische Angestellte schon zu Verbänden zusammengeschlossen, um Besserung ihrer Lebens lage herbeizuführen, jedoch zeigen diese Organisationen meist sozialdemokratisches Gepräge, sodaß viele Angestellte diesen Vereinen nicht beitreten, weil sie ihren Geschäftsherren gegen über nicht als »Sozialdemokraten« gekennzeichnet sein wollen. Während nämlich ein Fabrikbesitzer überzeugt ist, daß dreiviertel seiner Arbeiter dieser politischen Partei angehören, würde der selbe Geschäftsherr es sehr übel vermerken, wenn der wesent liche Teil seines Bureaupersonals einem Verein mit sozia listischen Tendenzen angegliedert wäre und sich öffentlich in diesem Sinne betätigte. Diese Tatsache ist umso bedauerlicher, als die unzufriedenen Elemente trotzdem im Geheimen mit der Sozialdemokratie lieb äugeln und somit zur Heuchelei gezwungen werden. Bei unseren deutschen kaufmännischen Angestellten wäre vieles zu bessern. Es kann dem Geschäftsherrn nicht genügen, daß sein Personal nur arbeitet, damit die Arbeit notdürftig er ledigt wird, sondern er muß wünschen, daß seine Angestellten mit Lust und Liebe ihrem Beruf ergeben sind, denn nur dann kann voller Erfolg für das Personal sowie für den Chef und sein Geschäft erzielt werden. Genügende Bezahlung vorausgesetzt, muß der Angestellte seine Arbeit nicht nur als Mittel zum Geld verdienen betrachten können, auch die übrigen Bedingungen für seine Tätigkeit müssen derart sein, daß er in seinem Berufe volle Befriedigung findet. Wichtig dafür sind richtige Arbeits einteilung unter dem wachsamen Auge der Vorgesetzten und zweckmäßige Anordnung der Arbeitszeit in gesunden Arbeits räumen. Viele Geschäftsherren erhalten ihr Personal arbeitsfreudig und leistungsfähig, sei es durch streng eingehaltene 8—9stündige Arbeitszeit, sei es durch regelmäßige Feriengewährung, sei es durch Geldauszeichnungen nach besonders anstrengenden Saison- Arbeitsleistungen, sei es durch Wohltätigkeitseinrichtungen größeren Stils. Leider vergessen aber immer noch viele Geschäftsinhaber bei dem Streben, möglichst viel »Geld zu machen«, daß die guten Erfolge nicht möglich wären, wenn nicht die unter geordneten, mittleren und höheren Angestellten kraftvoll und pflichttreu, jeder in seinem Fache und nach seinen Fähigkeiten, daran mitwirkten. Mir ist eine große Firma bekannt, bei welcher die Geschäfts herren nur wenige Stunden des Tages im Bureau tätig sind; bei deren Einhaltung sind sie jedoch so wenig rücksichtsvoll, daß das Personal meist bis 8 Uhr abends anwesend sein muß, während die Arbeit stets schon um 6 Uhr erledigt ist, sodaß die Post um 7 Uhr versandbereit sein könnte — wenn die Geschäfts herren ihren 5 Uhr-Tee nicht allzusehr ausdehnten. Von einem großen Uebersee-Ausfuhrhaus weiß ich, daß früher das Bureau pünktlich um 7 Uhr geschlossen wurde, weil die Post zu dem kurz nachher abgehenden Expreßzug fertig sein mußte, während jetzt die Arbeitszeit bis 8 Uhr währt, weil der Expreßzug eine Stunde später gelegt ist. Ich kenne eine dritte Firma, bei der viertelstündlich neue Befehle erteilt werden. Der Grund hierzu ist ein stark nervöser Geschäftsherr, der dabei überzeugt ist, die beste Arbeitseinteilung zu haben. Ich könnte noch viele Beispiele dafür anführen, wie sehr die eigene Bequemlichkeit und wie wenig die der Angestellten berücksichtigt wird. Würde sich ein Angestellter in achtungs vollster Weise gegen solche Nichtberücksichtigung seiner Person einen Vorhalt gestatten, so würde dies als anmaßend und un gehörig zurückgewiesen, und er müßte sich noch glücklich schätzen, wenn sein kühnes Unterfangen ohne schlimmere Folgen bliebe. Mancher Geschäftsherr vergißt seine angestellten Mitarbeiter, wird an deren Notwendigkeit oft erst erinnert, wenn sie durch Krankheit am Mitarbeiten verhindert sind. Wie dünkelhaft mancher Geschäftsherr von seinen Angestellten denkt, mag dar tun, daß ein solcher mal gegenüber seinen gleichaltrigen, lang jährigen ersten Angestellten auf eine Bemerkung vom »gedeih lichen Zusammenarbeiten« erwiderte: ^»Zusammen arbeiteich mit meinem Sozius, nicht mit meinen Angestellten!« Wäre es somit als naturgemäß zu betrachten, daß der Ge schäftsherr nicht nur bei Jubelfesten und Festreden vom guten Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Angestellten schwärmt, sondern dies auch in der Praxis durchzuführen bestrebt ist, so würde ein weiterer wesentlicher Punkt zur Hebung der Arbeits freudigkeit der Angestellten darin bestehen, daß die Bureau stunden 8 bis 9 -Stunden nicht übersteigen, daß längere Arbeits zeit nur zur Hauptgeschäftszeit durchgeführt würde, die im Jahre nicht mehr als zwei Monate betragen sollte, und daß an den Sonntagen die Geschäfte vollständig geschlossen bleiben. Ein weiterer Fortschritt für uns Deutsche könnte darin bestehen, daß der Samstag Nachmittag freigegeben würde, wie in England, wo man sich schon seit Jahren hieran gewöhnt hat. Während bei uns häufig am Sonnabend am meisten geleistet werden muß und die übliche Arbeitszeit am wesentlichsten überschritten wird, rasseln in London Samstag Mittag zwischen 1 und 2 Uhr die Rolläden herunter und hasten die Angestellten zu ihren Eisenbahnzügen oder Omnibussen, die sie zu ihren Familien oder ins Freie befördern. Können wir in Deutschland, die wir auf fast allen Gebieten der Industrie konkurrenzfähig sind, nicht auf dem Felde der Bureautätigkeit dasselbe leisten wie die Engländer? Ich habe auch beobachtet, daß in englischen Bureaus ein Ueberfluß an Personal ist, während bei uns die Arbeitskraft jedes Angestellten voll ausgenutzt wird. Weshalb sollen jährlich Hunderttausende übers Weltmeer gehen, wenn wir sie bei uns gut beschäftigen können? In vielen Bureaus wird der freie Nachmittag zu keiner Personalvergrößerung führen, weil der einzelne Angestellte schärfer arbeiten wird, in manchen Geschäften wird nur eine Hilfskraft notwendig erscheinen. Allerdings müßten die Ge schäfte, bei welchen jetzt die regelmäßige Arbeitszeit die Aus nahme und die Ueberstunden die Regel bilden, ihr Gehaltskonto etwas erhöhen. Aber reichlich wird es dem Geschäftsherrn ein gebracht, wenn der Angestellte nicht überbürdet ist, seine Arbeit mit Lust und nicht mißmutig als eine Art Frohndienst leistet. Ich kann diese Verhältnisse umso unparteiischer beleuchten, als in unserem Bureau ein rücksichtsvoller Geschäftsherr waltet, zweckmäßig beschäftigtes Personal arbeitet, entsprechende Be zahlung und regelmäßige Arbeitszeit Gepflogenheit ist, sodaß damit seit Jahren die günstigsten Erfahrungen erzielt werden. Jeder neue Angestellte tritt seine Stellung mit größtem Eifer und besten Absichten an und wird in seiner Pflicht nicht leicht erlahmen, solange seine Leistungen anerkannt werden, und auch er Gelegenheit hat, ins Räderwerk einzugreifen, um das Ganze zu fördern. Arbeitsunlust wird nur durch ungeeignete Einrichtungen oder Gepflogenheiten des Geschäfts veranlaßt, und meist kann der Geschäftsherr oder sein Vertreter durch umsichtiges Vorgehen der Unzufriedenheit vorbeugen. Nach genügender Ruhepause kann der Angestellte täglich und wöchentlich mit neuer Arbeitslust zur Arbeitsstätte kommen und mit erholtem Körper und frischem Geiste das Schaffen von Neuem beginnen. So vorgeschulte Angestellte werden auch später sachgemäß und wohlwollend denkende Geschäftsherren werden und auch ihrerseits zufriedene und arbeitsfreudige An gestellte hcranbilden. IVeltenbesserer Fachliteratur Zeitschrift für Chemie und Industrie der Kolloide. Tech nische und wissenschaftliche Rundschau für alle Industrien, welche mit anorganischen und organischen Kolloiden ar beiten, herausgegeben von Dr. Rudolf Ditmar, Verlag von Steinkopff 6• Springer in Dresden-A. 21, Dornblüthstr. 40. Die Zeitschrift erscheint monatlich und kostet jährlich 12 M. Die Kolloide, d. h. Stoffe, deren kleinste Teilchen formlos sind, im Gegensatz zu den »Kristalloidens, werden in neuerer Zeit von Chemikern erheblich mehr beachtet als vordem. Gründliche Forschungen haben nachgewiesen, daß die kolloidalen Körper eine Reihe gemeinschaftlicher Eigenschaften besitzen, und die Vermutung erscheint berechtigt, daß die Erforschung der Ursachen, welche diese gemeinsamen Erscheinungen hervor bringen, nicht nur unsere Ansicht über die Zusammensetzung der Körper klären, sondern auch von technischem Nutzen sein kann. Eine Reihe hervorragender Forscher beschäftigen sich zurzeit mit diesem noch verhältnismäßig dunklen Gebiet der Chemie. Erst vor kurzem haben Cross & Bevan die Ansicht auf gestellt, vergl. »Researches on Cellulose« in Nr. 65 S. 2675, daß Zellstoff, dieser Grundstoff der Papierindustrie, ein echtes Kolloid ist. Aber auch andere Stoffe, welche in der Papier industrie wichtige Rollen spielen, z. B. Tierleim, Gummi arabicum, Harz, Kasein und Eiweiß gehören zu den Kolloiden. Die oben genannte neue Zeitschrift will in knappen Aus zügen alles bringen, was in den verschiedenen wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen Wichtiges über Kolloide erschien. Das vor uns liegende 2. Heft ist äußerst reichhaltig und gut ausgestattet. S. F.