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Nr. 67 t 3 23. August 1906 Neue Berliner Spiele Schon im Altertum hat man die Bedeutung der Spiele für die Erziehung der Jugend erkannt. Ernste Beschäf tigungen und Spiele sollten abwechseln, um die Frische der geistigen und körperlichen Kräfte zu erhalten. Das griechische Erziehungsideal geriet im Mittelalter in Ver gessenheit, und mit ihm die Erkenntnis der Wichtigkeit der Spiele. Im sechzehnten Jahrhundert versuchten die Humanisten die alten Erziehungsgrundsätze neu zu beleben, aber erst einer späteren Zeit war es vorbehalten, weitere Kreise für die Bedeutung einer harmonischen Ausbildung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu gewinnen. Erst die Zeit der Pestalozzi und Fröbel sah in dem ver ständig geleiteten Spiel ein Mittel, Schule und Haus zu ge meinsamem Wirken anzuregen. Wir unterscheiden (nach ihrem Vorbilde) Bewegungs- und Ruhespiele; letztere zerfallen wieder in eigentliche Spiele, Gesellschaftsspiele und solche, welche den Ueber- gang vom Spiel zu ernsterer Beschäftigung bilden. Aber auch erstere verbinden häufig mit dem Zweck der Be lustigung den der Belehrung; sie wollen der Schule vor arbeiten oder sie unterstützen durch Uebung des Gedächt nisses, Vermehrung oder Befestigung des Wissens. Andere, die anscheinend nur der Belustigung dienen, gewöhnen an Aufmerksamkeit, Schnelligkeit des Ueberblicks, an schnelles Besinnen und Geistesgegenwart. Sehen wir uns einige solcher Spiele an, wie sie uns der Verlag der königl. Hofsteindruckerei von Engel in Berlin SW, Tempelhofer Berg, bietet. Zum »geographischen Lotto«, das sich noch immer großer Beliebtheit erfreut, gesellt sich das »Hohenzollernspiel«. Auf dem Spielplan prangen die Bilder brandenburgisch-preußischer Regenten in Form von Karten, mit Eichenlaub umrahmt. Die bei gefügten Namen, Zahlen und Angaben wichtiger Tatsachen bilden die Antworten auf die von einem Mitspieler aus gerufenen Fragen. Die Antwort muß innerhalb einer be stimmten Zeit erfolgen. Findet sie der Gefragte weder in seinem Gedächtnis noch mit schnellem Blick auf den Spiel plan, so wird die Fragekarte unter die anderen gemischt und der nächste Mitspieler weiter gefragt. Jeder Spieler erhält eine bestimmte Anzahl von Marken, die er nach und nach auf die beantworteten Fragen setzt. Wer zuerst seine Marken ausgegeben hat, hat gewonnen. »Schnipp-Schnapp« ist eins der lustigsten Gesellschafts spiele für Jung und Alt. Es besteht aus 12 Quartetten und ist in seinem Beginn den andern Quartettspielen wie Dichter-, Komponisten- und Tierquartetten gleich. Doch während man im letzteren mit verdeckten Karten spielt, deckt man hier die oberste Karte auf, nachdem man sich der vorhandenen Quartette entledigt hat. Der Vorspieler ruft zuerst »Schnipp«, dann »Schnapp«, sobald er dieselbe Karte bei einem Mitspieler entdeckt hat, und erhält diese nebst den drei darunter liegenden Karten. Ist der andere ihm mit der Antwort zuvorgekommen, so erhält dieser die Karten von ihm; eine vorschnelle Antwort kostet ebenfalls 4 Karten. Neue Quartette werden gebildet und weggelegt; wer zuerst mit seinen Karten zu Ende ist, hat gewonnen. Ist durch häufige Wiederholung des Spiels der Eifer er kaltet, so läßt sich von den Spielern selbst durch Ein führung neuer Spielregeln, Belohnungen und Strafen immer neue Anregung schaffen. »Auf dem Schulwege« stellt die verschiedenen Hinder nisse dar, welche den Weg zur Schule verzögern. Nachdem jeder 6 Marken Schulgeld eingezahlt hat, wählt man eins der Schulkinder, die sich auf dem ersten Felde versammelt haben und sucht mit diesem möglichst schnell das Schul haus zu erreichen. Der Würfel entscheidet, wieviel Felder jeder weiter rücken darf, Belohnungen oder Strafen wirken fördernd oder hinderlich. Das Spiel »Hopla, Hopla« stellt Anforderungen an die Geschicklichkeit der Mitspielenden, welche Papierhütchen von einem Wurfbrett nach einer durchlochten Platte schleudern. Unterhalb eines jeden Loches auf dem Boden des Kastens stehen Zahlen, die den Wert des Wurfes be stimmen. Der Gewinn richtet sich nach der Zahl der Punkte oder der Treffer. Die Herstellung der genannten Spiele gehört, einige Nebendinge abgerechnet, in das Gebiet der Papier industrie; dasselbe gilt von vielen Beschäftigungsspielen. Die Aus schneidekunst, welche mit Vorliebe in den Fröbel’schen Kindergärten gepflegt wird, soll die Handfertigkeit be fördern, Formen- und Schönheitssinn des Kindes wecken und seine Phantasie zu eigenen Schöpfungen anregen. Sie kann von Knaben und Mädchen geübt werden und liefert allerliebste Muster, die auch praktisch verwertet werden können, wie Netze und Sterne, Ringe und Ketten zum Weihnachtsbaumbehang, Serviettenringe, Lampenteller und Lampenschirme. Die Linien, welche die auszuschneidenden Teile begrenzen, sind vorgedruckt; besondere Vorschriften für schwierigere Muster sind in der gedruckten Einleitung enthalten, die jedem Spiele beigegeben ist. Zu den Ausschneidespielen gehört auch die »Filz- Mosaik-Kunst«. Ein mit Filz überzogener Karton zeigt die Umrißlinien einer Figur. Die einzelnen Teile der Kleidungs stücke sind auf Filzstücken vorgedruckt, werden aus geschnitten und auf der Figur zusammengelegt. Sie bleiben haften, auch wenn man die Tafel aufrecht hinstellt und lassen sich ebenso leicht entfernen. »Hausfleißarbeit« gehört in das Bereich der weiblichen Handfertigkeit. Vorlagen aus weißem Papier werden mit farbiger Wolle oder Seide benäht. Bei farbigen Mustern werden nur die Umrisse durch Stiche angegeben. Moderne Wandsprüche werden mit Hilfe von Kreuzstichen auf Papier angebracht, das nur da durchlocht ist, wo genäht werden soll. Die Flechtarbeiten aus Papier sind durch neue Muster bereichert und ergeben Deckchen verschiedener Art nach Vorlage und nach freier Wahl. Sehr hübsch sind die Krepparbeiten. Eine Mädchenfigur, die auf Karton gedruckt und ausgestanzt ist, soll aus beiliegendem Material, Krepp papier, Besätzen und weißen gestanzten Papierteilen, welche Hutformen und Wäschestücke darstellen, bekleidet werden. »Der Kavalleriestall« ist, wie schon der Name andeutet, für Knaben bestimmt. Die Beschäftigung besteht in dem Zu- sämmenfügen einzelner Teile mittels Knoten, sodaß erstere beweglich bleiben. Gliederteile (und Uniformstücke) für Roß und Reiter, Uniformstücke, Sattelzeug, einzelne Bau stücke zum Aufrichten des Stalles bilden den Inhalt der Schachtel. Eine Konditorei, Theater, Buchbinderladen, Krippe, Schulklassen werden auf dieselbe Weise auf gebaut. Wer Gelegenheit gehabt hat zu beobachten, mit welcher Vorliebe Kinder Schule spielen, wird den Jubel begreifen, mit dem folgendes Geschenk bewillkommnet wird: »Pensionat« lautet die Aufschrift der Schachtel, welche eine vollkommene Schulausstattung enthält. Zierliche Hefte, deren Bestimmung auf dem Etikett angegeben ist, ge druckte Lesebücher, Rechenmaschine, Ranzen usw. Eine große Rute droht den Unaufmerksamen und Faulen. Eine Schachtel mit weiblichen Ankleidefiguren zeigt eine besonders geschmackvolle Ausstattung. Die Beschläge der Truhe, welche kunstvolle Metallarbeit nachahmen, sind in Steindruck angegeben. Mehrere aufeinander gestellte Fächer tragen die Namen der anzukleidenden Puppen, ein Fach ist für Hochzeitsstaat bestimmt. Die Figuren sind farbig lithographiert und gestanzt. »Schwedenschachtel für Kindeshand« nennt sich ein Beschäftigungsspiel, welches, wie es in der gedruckten Ein führung heißt, den Sinn des Kindes darauf hinweisen soll, nichts unbeachtet im Hause wegzuwerfen, ohne zu prüfen, ob es nicht seine Anwendung finden kann. Zündholz-