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Berliner Speisekarten Die Papier-Industrie trifft ihre Vorbereitungen für den Herbstmarkt. Die Briefpapiere haben uns ihre neuen Schmuckformen gezeigt, Karten und Kärtchen drängen sich zur Musterung. Und sie sind eine Musterung wert, die zierlichen Verkünder winterlicher Freuden, leckerer Mahl zeiten bei Gläserklang und fröhlichen Reden. Der leuch tende Blumenschmuck, der die Papierauslagen des vorigen Winters in wahre Blumengärten verwandelte, ist beschei denerem Schmuck gewichen: Zierliche Ranken, feine Linienführung, figürliche Darstellungen bilden geschmack volle Muster. Die Kunstanstalt von Ferdinand Stange und die Osnabrücker Papierwarenfabrik stellen uns eine Samm lung solcher Karten zur Verfügung, die sich durch künstlerischen Schmuck, harmonische Farben und Mannig faltigkeit der Formen auszeichnen. Auf weißem Karton, der einem abgerundeten Obelisken gleicht, bilden drei feine goldgeprägte Linien einen Rahmen, welcher sich nach unten öffnet. Das goldene Wort »Menu« versetzt uns aus dem ägyptischen Altertum in die Gegen wart, da der Sieger von Gravelotte mit französischem Wort zu patriotischen Festen ladet! Ein anmutiges Figürchen in griechischem Gewände mit hochgehobener Rosengirlande erinnert an die rosenduftenden Feste der Hellenen. Der weiße Grund gleicht einer Marmorwand, die Figur ist blind geprägt und mit der Hand übermalt, blinde Linienprägung schmückt den Rand. Ein Feld mit feiner Linienführung trägt in den beiden unteren Ecken ein Rosensträußchen, ein einzelnes Röschen schmückt die Mitte oben, das Wort »Speisen« durchzieht die Innenfläche. Myrtenzweige bilden ein ähnliches Muster, müssen aber wieder den Rosen weichen, die mit ihren heitern Farben sich viel eher zur Verherrlichung eines Freudenfestes eignen. Eine Rosen ranke, welche die Ecke rechts oben umzieht, bildet den einzigen Schmuck einer zart getönten Karte. Eine Rosen girlande zieht einen Bogen von links oben nach rechts unten. Grüne Einfassung und grüne stilisierte Ranken über dem unteren Rande mit einer Blüte in der Mitte vollenden den Schmuck. Rosen mit goldener Linienführung scheinen den Eingang zu einem Gartenzimmer zu schmücken, der selbe Schmuck, mit einem Spitzbogen verbunden, läßt die Aehnlichkeit noch mehr hervortreten; eine goldene Arabeske dient zur Aufnahme des Monogramms der Neuvermählten. Doch scheint der Hintergrund etwas zu kräftig für so zartes Gewinde; starke Leinenstruktur auf starkem Karton erinnert an eine Holzwand. Ein Doppelmedaillon, welches das Bild des Brautpaares tragen soll, ist durch eine Rosengirlande verbunden, ein Blindmedaillon in Perlmanier hat zu wählen zwischen der Aufnahme des Monogramms und des Wortes »Menu«. Weibliche Handarbeiten versorgen die Speisekarten mit neuen Mustern. Ein Myrtenzweig rankt sich um die goldenen Lettern des »Menu«, ein Rahmen darüber in Point- lace-Imitation zeigt die verschlungenen Arabesken des Brautschleiers. Karten in Form eines Achtecks nehmen eine Delfter Landschaft in die Mitte. Jagdmenus mit Borken- schnitzung, welche die tiefgefurchte Rinde alter Eichen nachahmt, versetzen uns in das waldige Revier. Eingeklebte Landschaftsbilder mit Hoch- und Flugwild vollenden die Täuschung; 24 verschiedene Darstellungen zeugen von dem Reichtum dieses Motivs. Der Biedermeierstil hält sich bescheiden im Hinter grund und liefert einige einfache, aber geschmackvolle Muster. Ein Blindrondell mit Biedermeiersilhouette ist von einem Myrtenrahmen umgeben und versetzt uns auf Groß mütterchens Hochzeitsfest. Profilbildnisse in Schwarzdruck auf einem Goldrondell mit Perlrahmen erinnern an das Porträt des Finanzministers, das wir jüngst in der Sil houettenausstellung von Werckmeister gesehen haben. Der Garten der guten alten Zeit stellt uns seine rundköpfigen Bäume zur Verfügung, die am Fuße einer Karte Posto ge faßt haben und durch verbindenden Bandschmuck ihre Zu sammengehörigkeit beweisen. Eine kleinere Karte stellt ein Bäumchen rechts oben und unten in die entgegengesetzte Ecke. Die Tischkarten bringen häufig dasselbe Muster in kleiner oder vereinfachter Form; einige bilden selbständige Muster. Ein schmales Kärtchen, das stilisiertes Myrten blattwerk um einen Linienrahmen schlingt, dürfte zu jedem Hochzeitsmenu passen. Neu sind die Tischführkarten. Die Schmuckfläche des Doppelkärtchens soll den Namen des Herrn tragen, der höflich gebeten wird, eine Dame zu Tisch zu führen, deren Name auf dem andern Blatt verzeichnet ist. Das uns vor liegende Muster hat Goldpressung in Heißdruckmanier mit Farbecken. Die Kunstanstalt von Max Krause liefert nur eine Neuheit für den Herbstmarkt, die jedoch wegen ihrer ge schmackvollen Darstellung ehrenvolle Erwähnung verdient. Innerhalb eines geprägten Blumenrahmens ein Biedermeier bild in Schwarzdruck; ein Paar in Festkleidern begiebt sich zu Tisch, die Dame mit flatterndem Kopfband und Schärpe, Strauß und Rockbesatz weiß gemustert. Der Kranz hängt an einem lichtblauen Bande mit Schleife, drei Röschen bilden eine Eckrosette mit Bandenden. Die Tischkarte weist nur Band- und Blumenschmuck auf. Eine reiche Ausstellung von Speise- und Tischkarten eröffnet die Osnabrücker Papierwarenfabrik. Der Karton besteht aus glattem oder Büttenpapier, ist weiß oder getönt, je nach dem Charakter der Darstellung, auch Rand und Rahmen entsprechen der Forderung harmonischer Formen- und Farbenwirkung. Während die Firma F. Stange mit Vorliebe Blumenschmuck und Handarbeitmuster verwendet, gefällt sich die Osnabrücker Papierwarenfabrik hauptsächlich in figürlichen Darstellungen, doch finden auch Blumenmotive geschmackvolle Verwendung. Auf Büttenpapier mit Platte für den Namen des Tischgastes legt sich eine farbig ausgeführte Rosenranke im Empirestil. Bronzerand umzieht eine weiße Karte, und eine bronzefarbene Blütenranke umschließt das Wort »Menu«. Früchte gesellen sich den Blumen zu reizenden Stilleben; die obere größere Platte des Bütten kartons mit grünlicher Tönung nimmt das Bild auf, die untere den Namen. Ein Damenkopf auf Büttenpapier schmückt sich mit einer Fruchtranke in koloriertem Kupfer druck. Ganze Figuren treten auf, einzeln oder zu Paaren. Die Grandezza der guten alten Zeit, Vatermörder, Glocken hut und Zylinder liefern der spottlustigen Gegenwart will kommene Motive. Es sind feine Bilder, mit der Hand kunst voll ausgemalt. Anmutige weibliche Gestalten verkörpern in charakteristischer Darstellung die Reize der Jahres zeiten; die Bilder sind in koloriertem Lichtdruck ausgeführt, auf Elfenbeinkarton mit Fransenrand. Immer kunstvoller werden die Randverzierungen. Eine grün und rosa Krepp leiste mit eingelegten Rosen bildet den Rand einer Elfenbein karte, eine goldene Empireranke rahmt die Reproduktionen französischer Meisterwerke: Landschaften und heitere, lebensvolle Darstellungen inmitten einer anmutigen Natur nach Antoine Watteau, dem Maler der Rokokozeit. Um einen Rokokorahmen schweben Amoretten, Hintergrund elfenbeinfarbener Karton mit Goldecken. Die Jagdmenus eröffnen die Herbstsaison mit einer ge schmackvollen Neuheit: Nachgeahmtes Wildleder überzieht die Fläche und läßt die Mitte für ein Jagdbild frei, das von einem geprägten Geweihrahmen umschlossen wird. Eine Platte unterhalb des Bildes trägt den Namen, ein zweites Blatt die Speisenfolge. Elfenbeinkarten mit Goldecken nehmen Kinderszenen auf in farbiger Ausführung, gelb liches Büttenpapier Holländer, Knaben und Mädchen, frisch und lebhaft dargestellt. Auch der Humor meldet sich zur Teilnahme am Gelage. Nürnberger Spielfiguren in koloriertem Stahlstich treten auf, 2 Biedermeierfiguren erscheinen in ähnlichem Aufzuge; personifizierte Flaschenformen fordern zu heiteren Trink sprüchen heraus. Doch damit ist der Reichtum der Motive noch nicht erschöpft. Wedgewood - Porzellan leiht seine