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Tütenfabrikation und Heimarbeit A.uf der im Frühjahr 1906 in Berlin veranstalteten Heim arbeits-Ausstellung war auch die Heimarbeit im Tütenfach ver treten, aber man bekam da verhältnismäßig wenig zu sehen: auf einem kleinen Ecktisch hatten Tütenkleberei und Papierwaren überhaupt Platz gefunden. Die Klebelöhne, die ich dort für die ausgestellten Arbeiten verzeichnet fand, waren durchaus nicht die niedrigsten. Ich habe Betriebe kennen gelernt, wo die Klebepreise um ein Drittel niedriger waren. Jeder, ob Unter nehmer oder Angestellter, muß zugeben, daß die Akkordlöhne in der Handkleberei erschreckend tief stehen. An diesen un glaublich niedrigen Preisen und an der immer mehr zunehmen den Heimarbeit kann man die Geschäftslage unseres Faches be urteilen. Das Tütenfach liegt im argen. Die neuesten Bestrebungen zur Gründung von Verbänden beweisen dies. Wohl nirgends ist die Verschiedenartigkeit und die Zerfahrenheit in der Preis stellung und nirgends das Angebot im Vergleich zum Verbrauch größer als in Tüten. Weil die Erzeugung verhältnismäßig einfach ist, werfen sich viele auf diesen Erwerbszweig, die über einige 1000 M. baren Geldes verfügen und irgendwo einmal Gelegenheit hatten, Ein blick in die Herstellung zu erhalten. Das ist auch eine Ursache des Niederganges. Diese kleinen Grändungen müssen über lang oder kurz eingehen. Nur durch rücksichtsloseste Anspannung der eigenen Kraft und durch Zuhilfenahme der Heimarbeit ist es ihnen möglich, sich einige Jahre zu halten. Aber weichen müssen sie alle dem Großbetrieb, der durch Ausnutzung bester Maschinen, durch den Besitz bedeutender Mittel und durch un- "ermüdliche Reklame den Markt erobert. Als Reisender einer kleinen Papierwarenfabrik besuchte ich einen Verbraucher, der grau Speltbeutel in größerer Menge kaufen wollte. Ich stellte den niedrigen Preis von 20 M. die 100 kg bei größerer Abnahme. Von Gewinn kann bei dieser Preisstellung kaum die Rede sein, denn das Papier kostete uns 15 M. 50 Pf. Dazu kommen die Kosten für Maschinenarbeit, Klebstoff, Verpackung, den Vertrieb usw. Da zeigte mir der Kunde das Angebot einer großen rheinischen Firma, da stand schwarz auf weiß: »grau Schrenzbeutel die 100 kg 17 M. franko mit 2 v. H. Skonto«. Dieser Fall steht durchaus nicht vereinzelt da. Ist wohl diese niedrige Preisstellung die Frucht günstiger Verbindungen, oder ist das Schmutzkonkurrenz? Ich glaube eher das letztere. Denn eine anständige Firma wird stets bemüht sein, den Preis zu halten und zu heben. Ein Heil für das Tüten fach wäre nach meiner Ansicht nur in der Bildung von Ver bänden zu suchen. Aber diese Aufgabe ist viel schwieriger als man auf den ersten Blick annimmt. Wird diese Verbindung nicht daran scheitern, daß ein Teil der Verarbeiter nicht mit macht? Dies ließe sich vielleicht durch geeignete Abmachungen mit den Papierfabriken vermeiden. Aber auch die Verschieden artigkeit in der Herstellungsweise, in den örtlichen Verhältnissen, in den Arbeitskräften und noch vieles andere werden einen wirksamen Ausweg noch lange hinausschieben. So z. B. die Akkordklebepreise. In kleineren, abgelegenen Orten zahlt man für das Kleben von 1000 gefütterten .Kaffeebeuteln 1 M. 10 Pf., in anderen Orten dagegen bis zu 2 M. 25 Pf. Ebenso ver schiedenartig sind die Klebepreise für Tüten, Bodenbeutel und Seitenfalzbeutel. Es kommt hier auf die örtlichen Verhältnisse an Auch die Löhne der Hilfskräfte (Zuschneider und Stanzer) sind verschieden. Während man in abgelegenen Orten un gelernte Arbeiter dazu heranzieht, muß man in der Großstadt gelernte Leute haben, die entsprechend höher bezahlt werden. Es scheint, als müßte man die meisten Schäden des Tütenfaches nicht in der Großstadt suchen. Hier arbeitet man mit den neuesten Maschinen und läßt sich selten auf kleine, nicht lohnende Auflagen ein, denn die Löhne und die hohen Betriebs kosten verbieten das. Anders in kleinen Orten. Da sind längere Arbeitszeit und niedrige Akkordpreise die Hauptvorteile gegen über den Großfirmen. Da ist auch meistens die Heimarbeit zu finden. Ein weiteres Uebel ist der immer zunehmende Wettbewerb der Strafanstalten und Irrenhäuser. Wohl keine Industrie wird in diesen Anstalten so stark betrieben wie die Papierverärbeitung. Man findet fast in jeder Strafanstalt und in jeder Pflegeanstalt eine Tütenkleberei. Es wäre an der Zeit, daß man diesem un berechtigten Wettbewerb auf gesetzlichem Wege Einhalt geböte. Ich bin nicht Nationalökonom genug, um zu beweisen, daß diese Art Strafanstaltsarbeit überflüssig und unberechtigt ist. Muß man aber nicht bei der immer zunehmenden Leuteflucht aus den landwirtschaftlichen Gegenden an einen Ersatz denken? Und würde die landwirtschaftliche Beschäftigung für einen im Sumpf der Großstadt Verirrten nicht zur natürlichen Besserung führen? Aber schlimmer als die Arbeit in den Strafanstalten ist die Heimarbeit. Furchtbar niedrig sind die Preise, die hier bezahlt werden. Die Schäden der Heimarbeit bedrohen nicht nur die Ge sundheit und Ernährung der Arbeiter, sondern sie sind eine Hauptursache der Preisunterbietung und Schmutzkonkurrenz. In vielen großen Betrieben ist man schon von der Heimarbeit ab gekommen, und diese Betriebe sind dadurch nicht zurück gegangen. Es ist unserem Fach zu wünschen, daß durch Zu sammenschluß solche Preishebung herbeigeführt wird, welche die Strafanstalts- und Heimarbeit allmählich überflüssig macht. Sch., Neumünster Allgemeine Ausstellung für Photographie in Berlin Wie schon berichtet, wurde am 15. Juli in den zwischen der Leipziger- und der Prinz Albrechtstraße belegenen Räumen des preußischen Abgeordnetenhauses eine unter dem Protektorate der Kronprinzessin Cäcilie stehende Aus stellung aus dem Gebiete der Photographie eröffnet, die bis Mitte Oktober dauern wird. Seit dem Jahre 1896, wo eine ähnliche Ausstellung in den Räumen des Reichstagsgebäudes in Berlin stattfand, hat das Anwendungsgebiet der Photographie mannigfache Erweiterungen und einzelne Zweige bedeutende Vervoll kommnung erfahren. Die jetzige Ausstellung gibt denn auch ein recht vollkommenes Bild von all den Errungen schaften der letzten Zeit und dem jetzigen Stande dieser Kunstindustrie. Der in handlichem Format herausgegebene, 172 Text- und 52 Anzeigenseiten umfassende Ausstellungskatalog teilt die Ausstellungsgegenstände, die in den Räumen des 3., 2. und 1. Stockwerkes, sowie im Erdgeschoß des geräumigen Hauses untergebracht sind, und zu deren Studium die auf 10 bis 6 Uhr festgesetzte Besuchszeit eines Tages knapp ausreicht, in zehn Gruppen: Gruppe I umfaßt in 188 Nummern das Gebiet der wissenschaftlichen Photographie. Davon entfallen gegen 65 Nummern auf die Kollektivausstellung der Royal Photo graphie Society in London, die übrigen Aussteller ent stammen fast ausschließlich dem deutschen Reiche. Diese Gruppe ist die bedeutendstein der Ausstellung und verdient allseitiges Interesse. Hier finden wir Photographien aus dem Gebiet der Astronomie, Meteorologie, Geologie, Physik, Chemie, Medizin und Kriminalistik, in welchen Abteilungen die Ausstellung hauptsächlich von Behörden, wissenschaft lichen Anstalten und wissenschaftlich gebildeten Einzel personen vertreten wird, während in den übrigen Ab teilungen, wie Länder- und Völkerkunde, Botanik und Zoologie, die ausgestellten Aufnahmen häufig von Dilettanten herrühren. Von Ausstellern der ersteren Art seien u. a. genannt: Das Astrophysikalische Observatorium zu Potsdam, das neben photographischen Aufnahmen auch mehrere für seinen Gebrauch bestimmte physikalische Instrumente aus stellt, das königlich geodätische Institut und das meteoro logisch-magnetische Institut daselbst. Ausstellungsgegen stände des ersteren sind Darstellungen der in den letzten Jahren eingetretenen Erdbeben. Die Hamburger Sternwarte ist mit Aufnahmen der Sonnenfinsternisse usw. vertreten. Von königlichen Instituten in Berlin sind u. a. an der Aus stellung beteiligt: das Kunstgewerbemuseum, das Institut und Museum für Meereskunde. In der Abteilung Kriminalistik sind die Ausstellungen von photographischen Aufnahmen des königlichen Polizeipräsidiums in Berlin und der könig lichen Gendarmerieschule in Wohlau bemerkenswert, die zur Entdeckung von Verbrechen aufgenommen wurden. Ein besonderer Raum ist hier den Ausstellungen des Ge- richtschemikers Dr. Jeserich in Charlottenburg gewidmet. Die ausgestellten Aufnahmen legen dar, wie es mit Hilfe der Photographie möglich ist, Urkundenfälschungen fest zustellen; die Wiedergabe der verdächtigen Schriftzüge erfolgt hier in vergrößertem Maßstabe. Mit Ausstellungen von Aufnahmen aus der Heilkunde ist u. a. der Berliner Spezialarzt für Hautkrankheiten Dr. Lassar vertreten, dessen kolorierte Photographien dem Laien die Kenntnisse der genannten, die des Berliner Medico-mechanischen Instituts mit ihren Röntgendiapositven über die inneren Verletzungen vermitteln. Erwähnenswert ist hier noch die Ausstellung der Stahlfederfabrik von Heintze & Blanckertz in Berlin. Die Ausstellungen dieser Firma bestehen in Reproduktionen von den in ihrem Museum befindlichen Schriften und Schreibgeräten. Für die Wissenschaft bestimmte photo graphische Instrumente und Hilfsapparate stellen aus: Karl Zeiß in Jena (übrigens unter den Ausstellern von Apparaten und dergleichen der bedeutendste, was die Zahl der aus-