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Berliner Luxuspapiere Die Pforten der Lehranstalten schließen sich, Reichs und Landtag gehen in die Ferien, nur die Industrie rastet nicht. Der Mensch, ob auf Reisen oder in der Häuslichkeit, verlangt Befriedigung seiner Bedürfnisse und hält die Kräfte, welche derselben dienen, in steter Bewegung. Er verlangt diese Befriedigung in einer Form, die seinem Schönheits- gefübl Genüge leistet. Je höher die ästhetische Bildung eines Menschen, desto größer das Verlangen nach künst lerischem Ausdruck. Kunst und Industrie arbeiten daran, diese Forderung zu erfüllen und Schönes mit Nützlichem zu verbinden. Kein Zweig der Industrie entwickelt eine rastlosere Tätigkeit, keiner ist redlicher und erfolgreicher in seinem Bemühen als die Papier-Industrie. Der Wirkungskreis, den sie sich geschaffen, in dem das geistige und körperliche Leben des Menschen zum Ausdruck kommt, erweitert sich immer mehr. Die Forderung des Publikums, die Ge brauchsgegenstände möglichst billig zu erhalten, veranlaßt sie, die Herstellung auch solcher Gegenstände in ihren Be reich zu ziehen, die bisher anderen Industriezweigen zu geteilt waren; und auch hier strebt sie nach künstlerischem Ausdruck. Wenn wir uns eine gedeckte Tafel ansehen, so ist es, als ob Frühling und Sommer ihre schönsten Blüten dar über gestreut hätten. Anstatt des kühl wirkenden Leinens, dessen Vorzüge, Glanz und Glätte, unmalerisch wirken, zieht ein Streifen Seidenpapier über die Tafel. Die zarten Schatten des leicht gekreppten Papiers geben einen duftigen Hintergrund für anmutige Blumenmuster. Die zierlichen Ranken und Streublümchen, die bisher beliebt waren, werden neuerdings verdrängt durch Girlanden mit Blumen und Blättern von fast natürlicher Größe. Wilder Wein, dessen satte Herbstfarben samtartig erscheinen, streitet mit ihnen um den Preis der Schönheit. Empire- und Bieder meierstil mischen sich in den Wettkampf mit neuen Mustern. Die Bogen eines Blumengewindes treffen sich innerhalb eines Kranzes und schließen einen Blütenkolben nach oben und unten. Ein größerer Kranz von länglicher Form wechselt mit dem kleinen Blütenrand und umschließt einen zierlichen Blumenkorb, Bandschmuck oben und unten. Der Biedermeierstil bietet uns ein Doppelbildnis in Silhouettenform, von einem Kranz umgeben, den Orangen bäume in die Mitte nehmen. Girlanden ziehen von einem Baum zum andern und legen einen Gold- oder Blütenstreifen über den oberen Rand des Kübels. Goldschmuck verwenden beide Stilarten. Von eleganter Wirkung sind grünes Laub mit lila Blüten, oder gelb und grün. Die Servietten wieder holen das Muster in einfacherer Form. Man stellt sogar ganze Tischdecken aus gekrepptem Seidenpapier her. Teller-, Gläser- und Eisdecken vervoll ständigen die Tafelausstattung und zeigen die verschieden sten Formen; viereckig, sechseckig, rund, länglich, glatt, randig oder mit Bogenrand; manche haben die Gestalt einer großen Blüte usw. Die wechselnde Mode bringt auch das Leinen wieder zur Geltung — als Papiernachahmung. Ein Läufer, von Spitzen eingefaßt und von Spitzeneinsatz durchzogen, trägt auf dem Mittelstreifen Kinderfiguren in blauen Umrißlinien, wie sie mit Vorliebe durch Handstickerei hergestellt werden. Deckchen von etwas größerem Format, sogenannte Milieus (oder gut deutsch: Mittelstücke), ahmen besonders die Weiß stickerei nach. Der Stoff zeigt die feinen Streifen des Pique, Blätter und Blüten die einzelnen Stiche und Fäden der Stickerei. Am wirkungsvollsten ist die Nachbildung der Hohlsaumstickerei, und von allen Deckchen dieser Art entzückt am meisten ein kleines glattiandiges Viereck mit täuschend dargestellten, kunstvollen Hohlsäumen. Körbchen decken mit Point-lace-Kante scheinen aus gelbem Seiden- moir gefertigt. Läufer und Servietten aus Seidenpapier und all die be sprochenen Decken und Deckchen werden hauptsächlich bei Nebenmahlzeiten verwendet: sie dienen der Frühstücks tafel, dem Tee und Kaffee; bei Mittag- und Abendmahl zeiten behauptet das Leinen seine Herrschaft, aber auch hier hört die Wirksamkeit der Papier-Industrie nicht auf; die Spitzenpapiere bieten ihre Dienste an. Die Firma Pommernell, Inhaber H. Menzel in der Moritzstraße, zeigt uns eine reiche Auswahl von Spitzenpapieren, die ebenso wie die andern Papiere viele neue Muster bringen. Wenn man die Auslagen der Papierspitzen-Industrie betrachtet, so weiß man nicht, was mehr zu bewundern ist, ob die fleißigen Hände der Spitzenarbeiterinnen oder die Maschinen der Spitzenpapierfabriken, die Staunenswertes in der Nachbildung leisten. Torten- und Tellerpapiere mit tief gezackten Rändern zeigen Sterne, Blätter, Ranken und Arabesken, ja der architektonische Schmuck des klassischen Altertums, der Renaissance, Rosetten gotischer Dome prangen in kunstvoller Kleinarbeit. Wir glauben kostbare Schätze alter Kirchenspitzen zu sehen. Die Klöppelspitzen unserer deutschen Gebirgsländer, die feinsten französischen und flandrischen Spitzen, Häkeleien, Stickereien und Frivolitäten werden auf das zierlichste nachgeahmt. Eine Abwechslung bieten französische Muster mit Durchbruch. Die ovalen Papiere haben gleiche, auch verschiedene Muster und können in beliebigen Größen angefertigt werden. Die Quadratpapiere bieten ähnliche Auswahl. Die Auflagen aus Seidenpapier verdienen besondere Bewunderung. Die reich ausgestattete Preisliste der Firma stellt sie auf schwarzem Grunde dar, sodaß wir die entzückenden Muster eingehend prüfen können. Unter den Kartonnagenstreifen tritt be sonders ein Muster hervor, welches die Weißstickerei auf das vollkommenste nachahmt. Als Bratendekorationen dienen häufig Manschetten, meistens in Form von Fruchtkolben oder Blüten, unter denen die Chrysanthemen am gefälligsten erscheinen. Ein fliegender Adler mit doppelseitigem Kaiserbild in Silber rahmen kündet ein patriotisches Festessen; eine Lyra, aus Myrtenblüten aufsteigend, verschönt ein Hochzeitsmahl. Ragoutkapseln aus weißem Karton werden mit Hilfe farbigen Seidenpapierschmuckes zu Konfektkörbchen verarbeitet. Efeublätter, Begonien-, Wein- und Eichenblätter liefern die Formen zu schrägen Bukettüten. Mannigfach sind die Topfhüllen aus gekrepptem Seidenpapier. Die bekannten Hüllen mit vier Zipfeln legen zur Abwechslung außen ein oder zwei dunkler gefärbte Papiere ein, wodurch reichere Wirkung erzielt wird. Andere mit angefärbten Spitzen bilden eine Blüte, deren Schönheit durch eine helle aus gefranste Einlage noch erhöht wird; ein Gummizug hält die Form zusammen. Besonders gefällig ist olivenfarbige Außenseite mit hellgrüner oder roter Einlage. Topfhüllen aus wasserdichtem Kreppapier bieten eine ähnliche An ordnung. L. Neue Graphitfunde. In Natal (Südafrika) hat man Graphit sehr feiner Qualität gefunden, und zwar im Impetyne-Wald am Fuße der Ingeli-Gebirgskette in einer Entfernung von 23 engi. Meilen von Harding und etwa 84 engl. Meilen von Port Shepstone. Große Lager vorzüglichen Graphits sind ferner bei Kokotau gefunden worden. Dieser Ort liegt in Rußland im Distrikt Okpatinsk (Semipalatinsk) in einer Entfernung von 50 Werst von Sergiopol. K. Unzüchtige Postkarten hatte eine noch unbescholtene jugend liche Ladeninhaberin in der Kaiserstraße in Frankfurt a. M. vor rätig gehalten und feilgeboten. Sie wurde wegen Vergehens gegen § 184 des Strafgesetzbuches zu 500 M. Geldstrafe ver urteilt. CI.