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Zur Reform der Arbeiter-Versicherung Von Dr. Wagner Fortsetzung zu Nr. 75. Die Arbeitgeberverbände haben bisher der Erörterung über die künftige Vereinheitlichung der Arbeiterversicherung sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nur gelegentlich kann man in einigen Fachzeitschriften kurze Notizen hier über lesen, die aber weiter nichts sind, als die Wiedergabe von Aeußerungen anderer. Eine Ausnahme macht der Mittelrheifiische Fabrikantenverein, welcher sich vor einigen Monaten in einer Versammlung sehr eingehend über die Frage der Reform der sozialen Versicherung an Hand der seitherigen Erfahrungen und der bisher hervorgetretenen Reformvorschläge ausgesprochen hat. An dieser Besprechung beteiligten sich hervorragende Autoritäten auf diesem Ge biete. Der Vereinssekretär Meesmann in Mainz, Geschäfts führer der Papiermacher-Berufsgenossenschaft, hat die Er gebnisse der Aussprache in einer Broschüre, die vor kurzem erschienen ist, zusammengefaßt. Nach dieser Broschüre hat man sich in der erwähnten Versammlung über folgende Gesichtspunkte geeinigt. Die bestehende Versicherungsgesetzgebung hat sich im all gemeinen durchaus bewährt und für die versicherten Personen als segensreich erwiesen. Gewisse Begleiterscheinungen, wie namentlich der Anreiz zur Simulation, sind sehr zu beklagen, können aber durch eine scharfe Kontrolle auf ein geringes Maß reduziert werden. Bedauerlich ist, daß die den deutschen Unter nehmern große Opfer auferlegende Versicherung immer noch im Auslande nur geringe Nachfolge findet, wodurch die Kon kurrenzfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt nachteilig beeinflußt wird. Bei den Bestrebungen auf Erweiterung der Versicherungsleistungen muß diesem Gesichtspunkt jeden falls Beachtung geschenkt werden. Wesentliche Entlastung haben die Versicherungsgesetze der Armenpflege gebracht. Hierdurch und durch die sonstigen Vor teile der Versicherung für das Gemeinwohl rechtfertigt es sich, daß, wie dies nach der geltenden Gesetzgebung der Fall ist, 'gewisse Leistungen bei der Versicherung der Allgemeinheit auf erlegt sind. Nicht zu leugnen ist es, daß die geschaffenen Einrichtungen eine Reihe von Mängeln gezeigt haben, auf deren Abhilfe Be dacht genommen werden muß. Diese Mängel liegen einmal darin, daß die Organe der drei Versicherungszweige öfterhin in ihrer Zuständigkeit zusammenstoßen und in Streitigkeiten unter einander verwickelt werden, ferner in den Verhältnissen der einzelnen Versicherungszweige. So ist bei der Krankenver sicherung eine bedenklich große Zahl kleiner und wenig leistungs fähiger Kassen vorhanden, und das Verhältnis zwischen Aerzten und Krankenkassen hat vielfach zu Unzuträglichkeiten geführt. Bei der Unfallversicherung sind Schwierigkeiten entstanden in folge der Ausdehnung der Versicherung auf handwerksmäßige Betriebe und die Einbeziehung von handwerksmäßigen Betrieben in die ursprünglich für das Großgewerbe errichteten Berufs genossenschaften. Ferner entzieht die allzustarke Ansammlung von Reservefonds der produktiven Gewerbefähigkeit unnötiger Weise erhebliche Kapitalien. Bei der Invalidenversicherung endlich sind gewisse Mißstände durch allzu schematische Be handlung der Rentenanträge und durch die Einrichtung des Markenklebens hervorgetreten. Eine Abhilfe gegenüber den bestehenden Mängeln kann aber nicht erblickt werden in einer Vereinheitlichung der Organisation oder auch in der Schaffung eines sogenannten gemeinsamen Unterbaues. Hierdurch würde lediglich bewirkt, daß die Selbst verwaltung aufhört oder nur noch dem Namen nach fortbesteht, und in allen Versicherungszweigen ein Schematismus Platz greift. Dieser wäre besonders vom Uebel bei der Unfallver sicherung, deren Durchführung und gedeihliche Wirksamkeit von der Mitarbeit der im praktischen Leben stehenden Berufs genossen abhängt. Vereinheitlichung würde auch den ver schiedenen rechtlichen und praktischen Grundlagen der einzelnen Versicherungszweige widersprechen und zu einer Verbilligung der Verwaltung nicht führen. Den Mängeln der Gesetzgebung dürfte daher unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der be stehenden Organisation der Versicherung und unter Aufrecht erhaltung des jetzigen Anteilverhältnisses an der Verwaltung und an den Lasten der Versicherung am besten durch zweck entsprechende Aenderung und Ausgestaltung der einzelnen Ver sicherungsgesetze abzuhelfen sein, und hierbei dürften folgende Anregungen Beachtung verdienen: Aenderung und schärfere Fassung der Vorschriften über die Zuständigkeit der einzelnen Versicherungsträger und ihre Ersatz verbindlichkeit untereinander. Förderung der Zentralisation der Krankenkassen, wobei jedoch die Existenz kleiner aber leistungsfähiger Kassen, insbesondere der Betriebskrankenkassen, nicht gefährdet werden darf. Gesetzliche Reglung des Verhältnisses der Aerzte zu den Krankenkassen. Ausscheidung der handwerksmäßigen Betriebe aus den über wiegend großindustriellen Berufsgenossenschaften, Errichtung besonderer Handwerker-Berufsgenossenschaften für bestimmte Bezirke unter Anwendung des Begriffes »Handwerk« im Sinne der Gewerbeordnung. Beseitigung der jetzigen Vorschriften des Gewerbe-Unfall versicherungsgesetzes über die Zuschläge zu den Reservefonds unter Wiederherstellung der früheren Bestimmungen. Scharfe Kontrolle über die Behandlung der Rentenanträge bei der Invalidenversicherung eventl. unter Heranziehung der Gemeinden. Vereinfachung der Beitragsentrichtung für die Invaliden versicherung etwa durch allgemeine Uebertragung der Beitrags einziehung auf die Krankenkassen. Was die geplante Hinterbliebenenversicherung betrifft, so weist ihr versicherungsrechtlicher Zusammenhang mit der In validenversicherung darauf hin, sie auf die Organe dieser zu übertragen. (Fortsetzung folgt.) Techniker oder Kaufleute als Fabrikleiter? Dem Herrn Einsender des Aufsatzes mit obigem Titel in Nr. 73 gebührt das Verdienst, ein ebenso wichtiges wie ! anregendes Thema angeschnitten zu haben, aber seinen Schlußfolgerungen kann ich nicht beipflichten. Der Kauf mann ist durchaus nicht nebensächlich, sondern das Wohl und Wehe einer Fabrik hängt in erster Linie von der kaufmännischen Leitung ab. Die vom Einsender angeführten großen, von Nichttechnikern geleiteten Fabriken liefern den besten Beweis dafür. Wenn diese Fabriken gut gehen und anscheinend unter besonderen Verhältnissen arbeiten, so ist das eben keine Zufälligkeit, sondern das Verdienst der zielbewußten kaufmännischen Leitung. Die Verdienste des technischen Leiters seien an dieser Stelle ausdrücklich anerkannt, und kein einsichtiger Kauf mann wird sie unterschätzen oder gar bevormunden wollen. Die Leitung des Betriebes gebührt dem Techniker, die jenige des gesamten Geschäftes aber dem Kaufmann. Auch das Fabrikgeschäft ist ein Handelsgeschäft, und die Fabrikation bildet einen Zweig desselben. Uebrigens wird auch derTechniker auf einschneidende Betriebsverbesserungen meist von außen, von Erfindern, von Maschinenfabriken, von der Fachpresse aufmerksam gemacht, und es handelt sich dann darum, zu versuchen und zu verwerten. Der Vergleich der Fabrik mit der Armee ist sehr treffend, und die Armee des Staates gleicht darin voll kommen der maschinellen Einrichtung des Fabrikgeschäfts, daß beide Mittel zum Zweck sind. Aber nicht der beste Schütze und Kenner des Kriegsmaterials, sondern Stratege und Diplomat sind berufen, die Geschicke des Staates zu lenken. Napoleon I. war ein schlechter Schütze, und was nützte auf der andern Seite den Büren ihre Kriegstüchtigkeit, deren Erfolge sie nicht auszunutzen ver standen! Tritt an den erfahrenen Techniker die Aufgabe heran, auch die kaufmännische Oberleitung zu übernehmen, so ergibt es sich meist, daß er dieser Aufgabe nicht genügend gewachsen ist. Das bestätigen die ganzen weiteren Aus führungen des ersten Herrn Einsenders. Die Tätigkeit des Kaufmannes ist doch nicht damit erschöpft, das fest zustellen, was gegeben ist, sondern er hat die Aufgabe, alles in richtige und günstige Bahnen zu leiten. Der Schreiber des Aufsatzes in Nr. 73 setzt voraus, daß die Nachfrage durchaus günstig sein wird. Und wenn das nicht zuträfe, wäre er dann mit seiner Kunst zu Ende? Ich möchte die Fabrik kennen lernen, die von sich behaupten könnte, stets in so glücklicher Lage gewesen zu sein. Daß technische Geschicklichkeit nicht allein die Nachfrage regelt, bedarf wohl keiner Erörterung. Die Auswahl an Buchhaltern und Korrespondenten ist allerdings sehr groß, aber an Kauf leuten, welche die Lücke in Fabriken, denen die kauf männische Leitung fehlt, auszufüllen imstande sind, sehr klein. In der von dem ersten Einsender angestrebten Weise wird eine geeignete Kraft wohl niemals gewonnen werden. Mir sind Fabrikgeschäfte bekannt, die seit Jahren daran krankten, daß ihnen die geeignete kaufmännische Leitung fehlte, die das auszunutzen verstand, was der Be trieb in vollendeter Weise leistete, und die darüber zu grunde gegangen sind. Die Fabrik ohne unabhängigen technischen Direktor ist jedenfalls nicht übler daran, als diejenige ohne selbständigen, zielbewußten, kaufmännischen Leiter, der Fachmann genug sein muß, um nicht immer