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Nr. 98 PAPIER-ZEITUNG ehesten abwälzen können. Die Erhebungsgebühr sei höher als veranlagt; viele zu versteuernde Anzeigen werden nachträglich nicht bezahlt; die Frage der Annoncenexpeditionen sei nicht richtig berücksichtigt usw. Die Steuer werde, wenn eingeführt, schwerlich 1 Jahr überdauern, inzwischen aber gewaltigen Schaden anrichten. An die Berichte schloß sich lebhafte und ausgedehnte Aus sprache, deren Teilnehmer sich ausnahmslos scharf gegen die neuen Steuervorlagen aussprachen. Dann wurde folgende, vom Vorstand vorgelegte, nur unwesentlich abgeänderte Erklärung angenommen, in der es u. a. heißt: »Der Handelsvertragsverein lehnt die Gas- und Elektrizitäts steuer sowie die Anzeigensteuer entschieden ab. Die eine würde den technischen Fortschritt hemmen, die andere Handel und Industrie einseitig belasten und die kleine Presse wie die Fachzeitschriften schwer gefährden. « * * * Der Verband Berliner Spezialgeschäfte hatte Ende November eine Versammlung einberufen, um Stellung zu der geplanten Anzeigensteuer zu nehmen. Vertreten waren führende Firmen aller Geschäftszweige. Den Vorsitz führte das Handelskammer mitglied Guggenheim Als erster Redner kritisierte Schrift steller Bernhard die Regierungsvorlage. Er bezeichnete diese als gesetzwidrig, da nach § 30 des Reichspreßgesetzes die Presse mit keinerlei Sondersteuern belegt werden dürfe. Solle aber die Steuer auf die Anzeigenden abgewälzt werden, so er halte sie den Charakter einer Sondergewerbesteuer, woran auch die Meinung des Staatssekretärs, daß ja kein Zwang zum An zeigen vorliege, nichts ändere. Der Korreferent Jacobi ergänzte die Ausführungen des Vor redners nach verschiedenen Richtungen hin und kam ebenfalls zu dem Schluß, daß die Steuer auf keinen Fall Gesetzeskraft er langen dürfe. In der Aussprache unterwarf Dr. Cohn die Vorlage einer vernichtenden Kritik. Sie sei sinnlos zusammengestellt. Wenn sie einen Normalzeilenpreis von 54 Pf. in Ansatz bringe und dabei eine Einnahme von 33 Mill. M. vorsehe, so zeuge das von oberflächlicher Berechnung. Die Kontrolle von 4440 Zeitungen habe nur einen durchschnittlichen Zeilenpreis von 33 Pf. er geben, was 12 bis 13 Mill. M. Minderertrag bedeute. Auch die Annahme, daß durch diese Steuer besonders die großen An- zeigenbesteller getroffen werden, sei verfehlt, denn statistische Untersuchungen hätten ergeben, daß nur 5 bis 10 v. H. aller Anzeigenden dem Großbetriebe angehörten, während 90 bis 95 v. H. auf die mittleren und kleineren Geschäfte entfielen. Die Versammlung nahm folgende Erklärung an: »Der Ver band Berliner Spezialgeschäfte erblickt in der geplanten An zeigensteuer eine Sondersteuer, gerichtet gegen einen ohnehin bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit mit Abgaben be lasteten Stand. Die Einführung dieser verkehrsfeindlichen Steuer würde nicht nur die Reklameverbraucher auf das schwerste schädigen, sie würde auch der deutschen Presse und der Plakatindustrie einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Der Verband Berliner Spezialgeschäfte erwartet daher vom Deutschen Reichstag, daß er dem übrigens in allen Teilen gänzlich verfehlten Entwurf die Zustimmung versagen werde.« *** Die »Dresdner Neuesten Nachrichten« verbreiten ein plakatförmiges »Merkblatt zur Anzeigensteuer«. Darin wird die Schädlichkeit dieser Steuer in 20 Punkten auf- gezählt. Wir drucken folgende besonders wichtigen Punkte ab: »Die Anzeigensteuer ist eine Steuer auf die Produktions mittel, weil sie die Verleger bezahlen, denn aus dem Inseraten- Umsatz bezahlen die Zeitungen die Gehälter, die Löhne, die Kosten des redaktionellen Teils und die Druckkosten. Eine große Anzahl von Zeitungen muß aus der Inserateneinnahme noch zum großen Teil die Kosten für Papier und sämtliche Materialien bezahlen. Es gibt keine einzige Zeitung in Deutsch land, die aus dem Abonnement die Redaktion und die Druck kosten des redaktionellen Teils bestreiten kann. Die Anzeigensteuer muß demoralisierend wirken. Tages zeitungen mit einer Auflage von weniger als 5000 Exemplaren sollen 2 v. H. zahlen Die Abgabe steigert sich je nach der Auflage bis zu 10 v. H. Ein schlauer Trick! Damit soll Un einigkeit unter die Veileger gebracht werden. Der Kleine soll denken, daß er größer wird, wenn der Große durch die Steuer kleiner wird. Der kleine Verleger wird dadurch verlockt, lieber mehr Steuern zu zahlen, als dem Publikum seine wirk liche Auflage anzugeben. Das ist geradeswegs ein Anreiz zum Auflagenschwindel. Die Durchführung der Steuer berechtigt dfe Steuerbeamten, die Redaktionen und Redakteure ihrer Zensur zu unterwerfen. Der Steuerbeamte wird in der Redaktion erscheinen und inquirieren, ob nicht heute hier, gestern da im Text ein Inserat gestanden hat. Der Entwurf der Regierung setzt diese Defraudations-Möglichkeit ausdrücklich voraus. Die Regierung setzt den Steuer-Kontrolleur in die Redaktion. 38 25 Die Anzeigensteuer wird nicht nur die Zeitungsverleger und Handel und Industrie, deren Absatzmöglichkeiten sie ein schränkt, auf das schwerste schädigen, sondern auch Buch druckereien, Papierfabrikanten, Papierbändler und sämtliche chemigraphischen Gewerbe sowie deren Angestellte und Arbeiter. Die Anzeigensteuer ist technisch undurchführbar, well selbst ein Riesenapparat von Angestellten und Büchern die Buchungen, Rückbuchungen, Aenderungen der Auflagerechnung, Rabatte usw. usw. nicht richtig machen kann. Die Anzeigensteuer soll von dem Verleger bei den Inserenten eingezogen werden, aber der Staatssekretär ver schweigt, daß er ein Heer von neuen Beamten braucht, um die Verleger zu kontrollieren. Die Steindruckerei-Arbeiter Berlins gegen die neuen Steuern Die Lithographen und Steindrucker Berlins nahmen am 27. November in einer stark besuchten Versammlung Stellung gegen die neuen Steuerpläne der Reichsregierung, im besonderen gegen die geplanten Tabak- und Plakatsteuern. Reichstagsabgeordneter Molkenbuhr und der Vorsitzende der Berliner Ortsgruppe des Steindrucker-Verbandes, Herr Haß, hielten darüber Vorträge, in denen alle Einzelheiten beleuchtet wurden. Schon jetzt habe das Steindruckgewerbe unter dem Zolltarif zu leiden, da eine Reihe von Staaten durch die hohen Steuern veranlaßt wurden, selbst zu erzeugen, wodurch die bis herigen Absatzgebiete verschlossen wurden. Diesem Umstand sei es auch mit zuzuschreiben, daß jetzt so viele Berufsgenossen arbeitslos sind. Würden nun die neu geplanten Tabak- und Plakatsteuern Gesetz werden, so bedeute das weitere Brotlos- machung von mindestens 5000 Lithographen und Steindruckern, zu denen noch Tausende anderer graphischer Arbeiter und Arbeiterinnen kämen. Denn die Ausstattungen würden teilweise ganz verschwinden oder mindestens sehr vereinfacht werden. Es wäre darum auch Pflicht der Prinzipale, mit den Gehilfen gemeinsam gegen diese berufsschädigenden Steuern zu pro testieren, wie es vor 2 Jahren bei der geplanten Postkartensteuer gemacht wurde. Die Versammlung spendete beiden Rednern lebhaften Beifall und nahm einstimmig eine scharfe abwehrende Erklärung an, die dem Reichstag übermittelt werden soll. Man erwartet vom Reichstag, daß er diese berufsfeindlichen Regierungsvorlagen ablehnt. Schutz des Zeitungstitels Reichsgerichts-Entscheidung. Nachdruck verboten Die Klägerin ist Eigentümerin der in Berlin im 32. Jahrgang erscheinenden »Berlinischen Wohnungs-Zeitung«. Da der Kauf mann N. zu Berlin ebenfalls ein dem Wohnungs-Nachweis dienendes Blatt herausgibt, das bis Mitte August 1907 den Titel »Wohnungs-Anz.eiger für Berlin W, Charlottenburg, Schöneberg und die westlichen Vororte (Charlottenburger Wohnungs-An zeiger)« führte, dann aber »Wohnungs-Zeitung des Westens, ins besondere Wohnungs-Anzeiger für Berlin W « usw. ge nannt wurde, hatte die Klägerin gegen N. Klage auf Unter lassung des Titels »Wohnungs-Zeitung« erhoben. Die Klägerin behauptete, der Beklagte, der allmählich ohne jeden äußeren Grund das Wort »Wohnungs-Zeitung« in dem Titel seines Blattes vorschiebe und die frühere Bezeichnung »Wohnungs- Anzeiger« nach und nach zurücktreten lasse, verstoße gegen § 8 des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, indem er im geschäftlichen Verkehr die besondere Bezeichnung ihrer Druckschrift, nämlich den Titel »Wohnungs-Zeitung« in einer Weise benutze, die darauf berechnet und geeignet sei, Verwechslungen mit der besonderen Bezeichnung, deren sie sich befugterweise bediene, hervorzurufen; die Bezeichnung »Wohnungs-Zeitung« habe für ihre »Berlinische Wohnungs- Zeitung« einen unterscheidenden und eigentümlichen Charakter erlangt; man verstehe unter »Wohnungs-Zeitung« in Berlin nur ihre Zeitschrift. Der Beklagte bestritt, daß er die besondere Bezeichnung der Druckschrift der Klägerin »Berlinische Wohnungs-Zeitung« benutze, sowie daß er sich einer Be zeichnung der Klägerin in einer zu Verwechslungen geeigneten oder darauf berechneten Weise bediene; er beantragte die Ab weisung der Klage. Das Landgericht I, 19. Kammer für Handelssachen, zu Berlin verurteilte den Beklagten nach dem Klageantrage. Auf die Be rufung des Beklagten erkannte der 6. Zivilsenat des Kammer gerichts zu Berlin durch Urteil vom 23. Januar 1908 abändernd auf Abweisung der Klage. Gegen dieses Urteil hatte die Klägerin Revision beim Reichs gericht eingelegt. Der erkennende II. Zivilsenat des höchsten Gerichtshofs gab der Revision aber nicht statt, sondern erkannte auf Zurückweisung derselben. Aus den reichsgerichtlichen Ent scheidungsgründen hierzu dürfte folgendes von Interesse sein: