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4440 PAPIER-ZEITUNG Nr. 100 Behrens wie König den Strich der Kielfeder, denn Schrift kommt nicht von Malen, sondern von Schreiben. Um seiner Antiqua gleichfalls deutschen Charakter zu ver leihen, waren ihm die Verhältnisse, Höhen und Breiten der gotischen Buchstaben maßgebend. Man sehe sich daraufhin das gebogene E und geschlossne G an! Die »Behrens« ist in künstlerischer und technischer Beziehung wohl die be- deutendste Leistung modernerTypographie. Die künstlerische Eigenart Peter Behrens’, die sich in seinen ornamentalen Schöpfungen durch kräftige, fast geometrisch einfache Linien äußert, ist in der Schrift deutlich zum Ausdruck gekommen. Die klare Betonung der Horizontalen und der knappe Anschluß der abwärts gerichteten Schriftzüge geben der Schrift energischen Charakter, der indes durch ver schiedene, organisch durch An- und Abstrich sich ergebende Ausbuchtungen gemildert ist. Die Initialien passen aufs beste zu dem straffen, kräftigen Charakter der Schrift, was man von den durch Linienwerk nach unten verlängerten Initialen nicht immer sagen kann. Wohl ist z. B. das D und H gelungen, aber das W ist schon von allzu metallnem Klange und nicht typo graphischer Reliefierung. Die ausgestellten Druck sachen sind sowohl die beste Probe auf die Vor züglichkeit der Type als auch Lehrstücke für den modernen Akzidenzsetzer: die Geschäftspapiere in ihrer eindringlichen Wirkung meist zweifarbig auf dem leuchtenden, saugenden Papier, die Kataloge, Pläne usw. in ihrer vollendeten Uebersichtlichkeit und die Textseiten, die Brotschrift in der wohltuenden har monischen Helligkeit und wortbildmäßigen Deutlich keit. Aber Lenaus Gedichte in »Behrens« wollen uns nicht munden, das sind zu ver schiedenartige Elemente. Und so sehen wir Behrens jetzt an der Arbeit, auch dieses lyrische Gebiet typographisch zu erobern. Seine neue Kursiv ist das Resultat mehrjähriger, intensiver Arbeit, und wir haben darum die Pflicht, nicht auf den ersten Blick diese Schrift, abzutun, weil sie vorhandenen modernen Kursiven ähnlich sieht. Wir müssen hier vielleicht z. B. an die bekannte Wyienck’scbe Trianon denken. Gewiß das langgestrecktes, das P und K sieht den korrespondierenden Trianonbuch staben ähnlich. Aber wir tun gut, uns einer Kritik über diese erste gute Kursiv zu erinnern, die etwa folgendes aussprach: Jeder, der späterhin einmal eine Kursiv schaffen will, wird sich in irgend einer Weise mit der W.’schen Trianon auseinandersetzen und abfinden müssen — d. h. die Trianon war notwendig entstanden aus Material (Guß type), Mittel (Kielfeder) und Schreibabsicht. Die Behrens- Kursiv war in ihrer Form also zu einem großen Teil vor herbestimmt. Aber in Anbetracht dieser Einschränkung ist sie doch vollkommen eigenartig. Otto Hupps Liturgisch ist trotz aller historischen An lehnung eine moderne Schrift. Die Akzidenzen: kirchliche bebr.lilingspor- Uffenbat •I Schriftgiefie rei • alvanoplastisihe nstalt un Dhotochemigraphie • fachsthreinerei: 0 er se llung non ©ru (ter ei geraten jeder Art Drucksachen, sind angetan, diesesHarg vernachlässigte Ge biet unter altem Gewände, doch im modernen Sinne zu reformieren. Zu erwähnen hätte ich auch die vorzüglichen Ehmke- schen Gildenzeichen; sie sind von wohl tuender Flächigkeit und streben eine strenge typographische Reform dieser wiedererwachenden sozialen Gewerkbewegung an. Sehr gelungen sind da z. B. das Schuhmacher- und Schneider wappen. Der sentimentale, zart- linige Vogelerschmuck /N, steht auf den einzelnen / f ) Blättern mit der Breit- Aq, (, kopf-Fraktur in guter, -98228 AVmdk gleichmäßiger Heilig- P F40)v 8 / ‘ keit. Die abgebildeten 11 * • N leicht beweglichen “ H ) Schmuckstücke sind t— N ) von vielseitiger An- Wendungsmöglichkeit bei Gedichten, Wün schen jeder Art, Tanzkarten, Verlobungsanzeigen usw.; bei aller Intimität der Zeichnung sind sie von wohltuender, materialgerechter, typographischer Flächigkeit. 1 Bemerkenswert sind auch noch die sehr erziehlichen guten und schlechten Gegenbeispiele in Drucksachen: Zeitungs köpfe, Billets, Formulare, Speisekarten, Neujahrswünsche usw. Da ist u. a. ein Briefkopf von Schallert aus dem Jahre 1907, der in seiner grünlicb-»gräulichen« Verschwommenheit das non plus ultra des Sinn- und Geschmacklosen bietet. Wie klar, rhytmisch wirkt dagegen das neugeschaifene Formular. Für den modernen Akzidenzsetzer und den Druck warenfabrikanten ist diese Ausstellung von hohem in struktivem Werte. Ueber die Drucktypenentstehung (durch Hammer oder Galvano) belehren uns die im Mittelkasten ausgestellten Gegenstände; auch die photomechanischen Verfahren (Netz- und Strichätzung) sind verständlich zur Anschauung ge bracht. Reiche Arbeit und abgeklärter Geschmack hat diese vorzügliche Ausstellung zusammengebracht. Möchten diese Leistungen durch Wort und Tat reichlich anerkannt werden! F. Meyer-Schönbrunn * * * Unsere Schriftgießereien sollten den Mut und die Kraft haben, erste Kunstkräfte für ihre besten Arbeiten zu ge winnen, die im engsten Einvernehmen mit der Buchdruck technik Neues schaffen. Wenn so oft geklagt „wird, daß solcher Anfang sich nicht lohne, weil die Nachahmung und die Ausbeutung zu gewissenlos bei der Hand seien, so müßten wir alle dahin arbeiten, daß jeder seine Ehre in der künstlerischen Selbständigkeit suche, und daß auch die durch das Gesetz etwa nicht zu packende »Anlehnung« als das gelte, was sie ist, als unlauterer Eingriff in das geistige Eigentum des Nachbarn, als Diebstahl auf künstlerischem Gebiet. Dr. Peter Jessen Darin liegt gerade das Befreiende der neuen Kunst, daß jeder nach Maßgabe seines Könnens zur neuen Formen welt beizusteuern vermag. Aber man muß ehrlich arbeiten. Das Stehlen muß aufhören und eigenem Erdenken Raum geben. Wohin es führt, wenn man Formen der neuen Kunst ebenso gedankenlos ausschlachten will, wie man es mit den Kunstformen früherer Epochen getan hat, zeigen die abscheulichen Mißgeburten, die uns von in dustriellen Raubrittern als »modern« geboten werden. Solche Produkte haben weder mit der neuen noch über haupt mit Kunst etwas zu tun. Prof. Otto Eckmann