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Nr. 93 PAPIER-ZEITUNG Bild 7 ZEISS Zum Zeichnen einer Zeile in irgendeiner landläufigen Schrift gehört kein Genie, sondern nur einfache handwerks mäßige Uebung, und diese ist keine Kunst und erfordert nur einige Geschicklichkeit und großen Fleiß und Aus dauer, bis der Lernende darin einige Uebung erlangt hat. Vor allem ist jeder strebsame Akzidenzsetzer dazu geeignet, denn” er arbeitet tagtäglich mit einer großen Anzahl ver schiedener Schriftbilder und muß diese genau unterscheiden können. Der Anfänger tut deshalb gut, eine der einfachsten Schriftzeilen nacbzubilden (Grotesk). Hierbei wird er jedoch bald gewahr werden, daß er sich als Setzer die einzelnen Buchstaben doch niemals so genau angesehen hat, und seine ersten Gebilde werden.wohl trotz Vorlage verschie dene falsche Auffassungen zeigen, die er aber bei gutem Willen bald selbst sehen und ausbessern wird. Will man} eine Antiqua-Zeile zeichnen, so ist es uner läßlich, sich zuerst vier Linien mit Bleistift zu ziehen. Ibr Zweck ist in folgendem Beispiel klar ersichtlich. Befspiel 8 Mfaye((90j0//eg6(glay4(e Wird eine diapositive Zeile, d. h. weiße Schrift auf schwarzem Grunde, verlangt, so ist es bei größerer Schrift von etwa 4 Cicero an und darüber, angebracht, dieselbe auszusparren, d. h. man ziehe vorerst die Umrisse und fülle dann mit schwarzer Tusche aus. Unebenheiten, die hierbei vielfach vorkommen werden, sind mit Deckweiß auszugleichen. Ebenso auch solche bei positiv gezeichneten Zeilen. Kleinere diapositive Zeilen zeichne man stets mit Deckweiß auf schwarzem Grunde. Den schwarzen Grund stellt man sich durch Aufträgen von schwarzer Auszieh tusche auf Karton her. Hierzu sowie zum Zeichnen mit Deckweiß kann nur der Pinsel verwandt werden. Die mit dem Pinsel gezeichnete Schrift wird dann mit der Zeichen feder und schwarzer Tusche nachgearbeitet, um alle ent standenen Ungleichmäßigkeiten zu entfernen. Bild 10 Peut/ches deim Zum Zeichnen von Fraktur- oder gotischen Zeilen ziehe man sich 6 Linien. Man achte dann darauf, daß die Ab schrägungen der einzelnen Buchstaben, deren Ansätze und Endungen möglichst in einem Winkel zu einander stehen und nehme die beiden inneren Linien, wo es geht, als Maßstab für den Anfang und die Endungen der Ansätze und Ausläufer. Bild 11 Hauptsächlich hat der Zeichnende sein Augenmerk auf das gleichmäßige Verhältnis der einzelnen Buchstaben zu einander und deren Abstand von einander zu richten. Ungleichmäßige Zwischenräume, wie sie beim Setzen nach L P r usw. entstehen, soll der Zeichner möglichst vermeiden, er ist dazu auch besser imstande, als der Schriftgießer, denn er hat größere Bewegungsfreiheit, braucht nicht auf den’Metallkegel zu achten und kann die durch Ueberhänge entstehenden Lücken meist durch den darauffolgenden Buchstaben ausgleichen, oder auch die sonst lückenbil denden Buchstaben derart gestalten, daß die Lücken weniger auffallen, siehe L'bei »Leipzig«. Zum praktischen Gebrauch wird eine zu zeichnende Zeile fast immer auf eine bestimmte Breite verlangt. Die Einteilung der Breite der einzelnen Buchstaben sowie der entsprechenden Zwischenräume ist unter Umständen äußerst schwierig, hauptsächlich, wenn die Schrift sehr schmal werden muß. Hier hilft nichts, als mehrmaliges Probieren durch Vorzeichnen mit Bleistift. Selbstverständ lich wird der geübte Schriftzeichner schneller damit fertig, als der weniger geübte. Aber auch von geübten Händen sieht man oft Zeilen, deren einzelne Zeichen nach dem Ende zu breiter oder schmäler werden. Dieses muß ein sorgsamer Zeichner zu vermeiden suchen. Es ist deshalb nötig, vorerst in dünnen Bleistiftstrichen flüchtig zu skizzieren. Ist die Skizze auf die geforderte Breite ausgefallen, so mache man sich an die genaue Vorzeichnung mit Bleistift und erst nach deren zufriedenstellender Beschaffenheit an die Ausführung mit Ausziehtusche. Zum Aetzen muß jede Linie gut schwarz gedeckt sein. Beispiel 9 Bei größeren Schriften, von etwa 3 Cicero an, wird man gut tun, die gerade herunterlaufenden Linien mit Be nutzung eines Winkelmaßes zu ziehen. latenhausCütk Wenn ich oben das Zeichnen einer landläufigen Schrift als keine Kunst bezeichnet habe, so soll damit nicht ge sagt sein, daß das Schriftzeichnen überhaupt keine Kunst ist. Es haben sich damit mehrere unserer größten Künstler sehr eingehend beschäftigt, und zwar schon in früheren Jahrhunderten — ich erinnere nur an Albrecht Dürer — und wohl mehr noch in neuester Zeit, in welcher Otto Eck manns Ruhm so vielen keine Ruhe ließ. Durch sie sind teilweise höchst künstlerische Schriftgebilde entstanden und vielfach durch die Schriftgießereien den Buchdruckern zu gänglich gemacht. BeimZeichnenvonSchriftzeilenverschmäht der Künstler heutzutage leider zu oft die Regelmäßigkeit der Zeichen, er ahmt die Manier der alten Handschriften nach und sucht in dieser Manier neue Gebilde zu schaffen. Oft heißt bizarr und unregelmäßig »künstlerisch«. Durch das Ungewöhnliche ihres Aussehens fesseln auch sie unbe stritten das Auge und erfüllen eben auf diese Weise ihren Zweck. Bild 12 RESEVERKEI IRSBERo Wie dieses zeitgemäße künstlerische Schaffen einmal von der Kunstgeschichte beurteilt werden wird, wissen wir heute noch nicht, jedenfalls verschieden nach den ver schiedenen Zeitströmungen; denn es ist noch nicht lange her, daß wir alle keine Biedermeier sein wollten und sind es später doch geworden, und sind’s zum Teil noch heute, aber auf wie lange? Abgesehen von dieser Künstlermanie wird jeder streb same Schriftzeichner immer wieder nach neuen Formen suchen, und hauptsächlich zu Anzeigenzwecken bestrebt sein müssen, durch Auffälligkeit zu wirken. Bei einzelnen