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4124 PAPIER-ZEITUNG Nr. 93 Das Schriftzeichnen Von W. Hertmann, Gr. Lichterfelde. Das Schriftzeichnen ist heute eine Notwendigkeit ge worden, ohne die man in keiner modernen Druckerei mehr auskommen kann. Wenn auch oft von den Schriftgießereien nahestehenden Leuten der Ausspruch fällt: »Nun, solch’ eine ähnliche Schrift hätten wir auch liefern können«, so sind solche Auslassungen meist sehr unbedacht und nur zum Vorteil des Schriftgießers getan. Denn eine einzelne größere Zeile vom Schriftgießer bezogen, ist jedenfalls teurer als eine gezeichnete und geätzte, und um den augen blicklichen Bedarf einer solchen Zeile zu decken, kann sich der Buchdrucker nicht jedesmal ein Minimum zulegen, das er, wenn nicht im Orte erhältlich, von irgendwo andersher im deutschen Reich, England oder gar Amerika beziehen muß. Sein Kunde würde, bis diese Angelegenheit erledigt wäre, wohl nicht mehr sein Kunde sein. Aber abgesehen von dieser Bezugsmöglichkeit, sind die von den Gießereien gelieferten Schriften der ausführenden Druckerei oder dem Besteller nicht zweckentsprechend genug; sie passen ent weder in der Breite oder Höhe nicht, oder sind meisten teils ihrer Natur nach zu steif. Dieses trifft am häufigsten bei Anzeigen zu. Die großen in verschiedenen Blättern ständig anzeige nden Finnen sind schon lange nicht mehr mit den von jenen verschiedenen Blättern ebenso verschieden gut oder schlecht gesetzten Anzeigen zufrieden, sie suchen vielmehr überall einheitliche Wirkung ihrer Veröffentlichungen zu erzielen, die selbstverständlich so auffällig und eigenartig wie mög lich sein soll. Die einen halten recht schwarze, die andern recht lichte Anordnung für das Wirkungsvollste. Oft muß eine recht originelle oder recht kräftige, recht breite, hohe usw. Zeile ausschlaggebend sein. Ein anderes Gebiet des Schriftzeichnens sind fast ständig die Zeitungsköpfe. Es ist wohl unbestritten, daß die nur in Schrift ohne jede Verzierung, aber zweckmäßig und gut angeordneten Köpfe der täglich erscheinenden po litischen Zeitungen die besten bezüglich des Geschmacks und der praktischen Verwendbarkeit sind. Zu der Titel zeile einer Zeitung wird wohl sehr selten, und dann auch nur in Krähwinkel, eine von einer Schriftgießerei gelieferte Zeile Verwendung finden, weil sie entweder in der Breite oder Höhe nicht paßt, oder auch ein zu alltägliches Aus sehen hat. Es sind nicht immer nur neu erscheinende Zeitungen, zu denen die Köpfe gezeichnet werden, sondern auch bei den schon lange Jahre bestehenden wird oft vom Verleger eine dem Zeitgeschmack oder aber irgend einem Wunsche entsprechende Kopfzeile gewünscht; oftmals womöglich ohne Einbuße des Schriftcharakters. Hier ein Beispiel • Bild r Berlinet Jageblatt. alte Form Berliner Eageblatf veränderte Form Die erste Zeile (alte Form) war über 30 Jahre im Ge brauch, als ich den Auftrag erhielt, eine durchaus ähnliche Schrift über die ganze Breite der Zeitung zu zeichnen. Der erste Versuch war zur Zufriedenheit des Bestellers aus gefallen, und ich glaube, daß von den Tausenden von Beziehern des B. T. wohl kaum hundert die Abänderung bemerkt haben, denn aus begreiflichen Gründen ist es nicht recht angängig, einem stark verbreiteten Blatte mit einem Mal einen durchaus anders gearteten Kopf geben zu wollen. Wie hier durch lange Gewohnheit an ein- und das selbe Aussehen der Titelzeile des Kopfes Hunderttausende das Blatt auf den ersten Blick erkennen, so wird ander seits eine eigenartige Kopfzeile, wenn auch nicht zur Ver breitung einer Zeitung, so doch zum leichten Wiederer kennen eines einmal erschienenen lieben Gastesdienen. (Bild2.) Bild 2 Diese beiden Beispiele zeugen schon genügend dafür, daß ein Verleger manchmal auf irgend einen Wunsch be züglich seines Zeitungskopfes oder auf den guten Ge schmack verzichten muß, wenn er eine von einem Schrift- gießer gelieferte Schrift dazu verwenden läßt. Gezeichnete Titelzeilen müßten auch bei den Um schlägen broschierter Werke mehr in Anwendung kommen. Wenn man das Schaufenster eines Buchhändlerladens mustert, erblickt man verhältnismäßig wenig, das sich durch originelles Aussehen von der großen Masse ab hebt; das meiste ist sehr landläufig und einfach gesetzt, und selten fällt irgendein Titel besonders auf. Hier sollten die Verleger mehr auf Originalität sehen. Das eigentliche Feld des Schriftzeichners bleibt aber die Anzeige. Jeder Fachkundige, der die Anzeigenteile größerer deutscher Zeitungen und Zeitschriften durch blättert, . wird in kurzer Zeit hunderte von originellen Schlagzeilen oder ganzen Anzeigen finden, zu denen der Schriftgießer das Material nicht geliefert hat und nicht liefern kann. Hier zeigt der Zeichner oft, daß er es ver steht, auf einfachste Weise eine sich dem Auge und dem Gedächtnis mit einem Schlage einprägende Wirkung zu erzielen. Siehe Bilder 3, 4, 5, 6, 7. Bild 3 Bild 4 Bild 5 KaKao • r • ,‘ e Die vielfach benutzten Diapositiv-Zeilen (weiße Schrift auf schwarzem Grunde) müssen fast ausschließlich gezeich net werden, weil jeder Anzeigenbesteller, der eine derartige Ausstattung wünscht, sie vorher auf ihre Wirkung hin prüfen will. Hier wird sich eine Zeichnung selbst der einfachsten Schrift oftmals billiger stellen, als eine gleich diapositiv geätzte Zeile von einem positiven Abdruck vor handener Schrift. Denn die meisten Anzeigenbesteller ha ben heutzutage ihre eigenen Wünsche, die oft erst auf den Korrekturabzügen in über reichem Maße zum Ausdruck gebracht werden. Auch hier" gilt. wiebei”denZeitungs- kÖplen, daß jeder Besteller durch Eigenart seiner Anzeige sich dem Zeitungsleser "auf den ersten Blick bemerkbar machen will. Bild 6