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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 14.07.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-189907140
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-18990714
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-18990714
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-07
- Tag 1899-07-14
-
Monat
1899-07
-
Jahr
1899
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 14.07.1899
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au der bayerisch-böhmischen Grenze wohnenden GutS- besitzen wurde ans die Anzeige eines Nachbars hin von Grevzbeamtev füns starke Ochsen und Kühe, hinsichtlich deren der Verdacht vorlag, daß die Thiere aus Böhmen herübergeschmuggelt worden waren, mit Beschlag belegt und der wrenzobercontrole zugeführt. In einem kiesigen Gasthofe befindet sich feit ctwa 14 Tagen ebenfalls eine herrenlose Kvh, welche mit einem großen, von der böhmischen Grenze her kommenden Viehtrans- Porte nachts hier durchgetrieben werden sollte, aber nicht mehr laufen wollte. Das Thier wurde hier ein gestellt, und seit dieser Zeit haben sich die Transporteure, welche anscheinend eine falsche Adresse angegeben haben und nicht auffindbar si-d, nicht wieder nach der Kuh umgefehen. — Zwickau, 10. Juli. Für den Wiederaufbau der hiesigen Ostkaserne waren 211,300 M. veranschlagt worden. Die UmiassungS- und Grundmauern sind für diesen Bau von dem Ostflügel der abgebrannten RegimentLkaserne benutzt worden. Dasselbe geschieht beim Bau der Westkaserne mit der Brandruine des Westflügels der ehemaligen RegimentSkaferne. Der gesammte Ersatzbau für die niedcrgebrannte Kaserne ist aus 2,700,000 M. veranschlagt. — Zwickau. (Maurerstreik.) Neuerdings sind von der hiesigen Polizeiverwaltung wegen Streikposten- stehenS noch einige Strafmandate erlasfen worden. Die auf den vorigen Freitag einberufene öffentliche Gewerkschaftsversammlung mit der Tagesordnung: „Der Maurerstreik, die Haltung der Behörden und wie stellen sich die Gewerkschaften dazu", ist polizeilich ver boten worden und zwar auf Grund 88 5 und 12 des Gesetzes, das Vereins- und VerfammlungSrecht bctr. — Crimmitschau, 12. Juli. Amtlich wird heute die Gründung der „Mechanischen Buntweberei und Spinnerei Crimmitschau, Gesellschaft mit befchränkter Haftung", veröffentlicht. Es ist dies bekanntlich ein Consortium hiesiger und auswärtiger Industrieller, welches oie hiesigen Fabriken der ehemaligen Firma H. F. Wagner erworben hat, um in denselben, einen str hier theilweise neuen Industriezweig zu betreiben. Es handelt sich um eine bedeutungsvolle Erweiterung der hiesigen Industrie, indem dies das erste Unter nehmen ist, welches die seit Jahren hier gesponnenen Vigognegarne gleichzeitig am Orte verweben wird. — Fetner wird durch das königliche Amtsgericht die Umwandelung der hiesigen renommirten Dampfkessel fabrik F. Guttsche in eine Aktiengesellschaft bekannt gegeben. — Vertreter der königl. Amtshauptmannschaft Glauchau besichtigten gestern im Beisein der Gemeinde- räthe von Seiferitz und Dennheritz, die Trace, die für die electrische Bahn Crimmitschau-Meerane-Glauchau in Aussicht genommen ist. — Burgstädt. Nachdem verschiedene Ge meinden und landwirthschaftliche Vereine der K. AmtS- hauptmannschaft Rochlitz mit einer Petition um Er richtung einer Königlichen Beschälstation il. der Gegend von Hartmannsdorf bei dem Königlichen Ministerium des Innern vorstellig geworden sinv, soll zunächst Montag, den 17. Juli 1899, vormittags 9 Uhr in Hartmannsdorf am Hotel „Kronprinz" eine Stuten Musterung vom K. Landstallamtc abgehalten werden. — Burkhardtsdorf, 10 Juli. Auch die gestrige Versammlung von Pferdebesitzern, die nicht nur von hier, sondern auch durch Interessenten aus Adorf, Dittersdorf, Eibenberg und Gornsoors besucht war, beschloß einstimmig die Begründung einer Pferdc- versicherungSgenosfenschaft für Burkhardtsdorf und Um gegend und nahm als Satzungen den von dem hiesigen Ausschuß auf Grund einer Vorlage -ns Lobstädt fertiggestellten Entwurf an. Die Hauptbestimmungen der Satzungen dürften folgende fein: Der Versicherungs beitrag wird auf 2>/g Proc. der Versicherungssumme festgesetzt. Der Werth der zur Versicherung kommen den Thiere wird jedes Jahr durch eine besondere Be sichtigung, zu der ein Thierarzt hinzugezogen wird, beschützt. Stirbt ein versichertes Thier, so werden ohne jeden Abzug 80 Proc. des Versicherungsbetrages als Entschädigung gewährt. Die Mehrzahl der Anwesen den trat sofort der jedenfalls sehr nothwendigen und zu ersprießlichem Wirken bestimmten Vereinigung bei. Um aber auch weiteren Kreisen, die vielleicht bisher von der Einrichtung der Kasse noch nicht unterrichtet sind, den Zutritt zu erleicht-rn und eine möglichst hohe Theilnchmerzahl zu erzielen, die ja die beste Gewähr für segensreiches Wüten einer Genossenschaft ist, wi.d auch bis zur gerichtlich-« Eintragung der Genossen chaft, etwa einen Monat lang, kein Eintrittsgeld er hoben. Nach dieser Zeit soll es 1 Proc. betragen Zu jeder Auskunft ist der zum Vorsitzenden gewählte Gutsbesitzer E. Schüppel bereit. Zum Schatzmeister ward Fabrikbesitzer Karl Langer, zum Schriftführer Gutsbesitzer Ernst Nietzold bestimmt. (CH. Tgbl.) — Dresden. Die gesammten Grundstücks schulden Dresdens betragen zwischen 400—500 Mill. Mark. Hierzu hat die Dresdener Sparkasse nur 40 Millionen ausgeliehen, während die anderen Hunderte von Millionen von fremder Hand ausgenommen werden mußten. Ein von dem Stadtverordnetenvorsteher Bau meister Hartwig soeben deshalb ausgegebenes Rund schreiben an die Dresdner Hausbesitzer macht nickt geringes Aussehen. er Genannte hat dasselbe in seiner Eigenschaft als Vorstand des Allgemeinen Dresdener Hausbesitzervereins verfaßt; es gipfelt in der Behauptung, daß die Dresdener Sparkasse nicht auf der Höhe der Zeit stehe, ihre Beleihungsgrenze ,ei so niedrig, daß man von ihr eigentlich gar keine Hypotheken beziehen könne und daß andere sächsische Sparkassen in der Be leihung viel höher gingen. Weiter wird mitgethellt, daß die Dresdener Sparkasse denjenigen, die Kapitalien zu Pr^c. von ihr geliehen hatten, am 1. April d.J. mittheilte, daß sie, wenn sie sich nicht dazu verständen, vom 1. October 1899 an 4 Proc. zu zahlen, sie dies als Kündigung ansehen möchten. Es wurden hiervon betroffen 366 Hypotheken >m Betrage von 14580000 Mark. Bei den zwischen den Stadtverordneten und dem Ratte gepflogenen Verhandlungen trat u. a. zu Tage, daß die Sparkasfenverwaltung schon 1888 bis 1890 der Stadt Pirna ein Darlehen von ca. 1 Mill Mark gewäyrt hatte und zwar zu dem ungemein niedrigen Zinsfüße von nur 3'/g Proc. Die Haus besitzer Dresdens dagegen mußten bis zum Jahre 1885 ihre Hypotheken bei der Sparkasse mit 4^ Proc. ver zinsen (vorher noch höher), welcher Zmsfus bis zum Jahre 1896 festgehalten wurde. Es ist fomit die Stadt Pirna erheblich bevorzugt worden gegenüber den Dresdener Hausbesitzern. Die ziemlich umfangreichen Ausführungen des Rundschreibens betonen weiter, daß man, während die Dresdener Hausbesitzer 4 Proc. Zinsen bezahlen müssen, große Darlehen, die man der Stadtgemeinde Grimma (640000 Mark) und den Kirchengemeinden St. Pauli, Leuben, Trinitatts-, Matthäus- und Marti« Luther-Kirchengemeiade zu 33/i Proc. gewährt hat (1050000 Mark), von der Er höhung des Zinsfußes ausnahm. Für diese eigen - thümliche Bchandlungsweise der Dresdener Bürzer wird vor allen Dingen der frühere Bürgermeister Nake verantwortlich gemocht, der gegen einzelne Bürger habe recht hart fein können, während er gegcn Corporationen und Draußenstehende entgegenkommend und freigebig gewesen sei. — Als bevorzugte Schuldner werden weiter genannt: Die beiden Turnvereine, der Gewerbe verein, der Zoologische Garten, die Hänel-Clauß Stiftung und die vr. Güntz-Stiftung. Die letztere nahm ein Darlehn von 1 Million Mark zu ihrem Neubau an der Breitest-aße zu 3^/^ Proc. am, »nd zwar in einer Zeit, wo den Dresdener Hausbesitzern schon 4 Proc. abgesordert wurden. Schließlich sei noch folgendes bemerkt: Seitdem man den Einlagen zinsfuß von 3'/g Proc. auf 3 Proc. herabgefetzt hat, ist der Zugang von Einlagen bedeutend gesunken. Früher betrug der Ueberschuß der Einlagen über die Zurückzahlungen jährlich durchschnittlich zwei Millionen Mark, jetzt beträgt er jährlich nur noch 1/2 Million Mark. Es ist der beste Beweis für die zurückschrcckendc Wirkung des erniedrigten Einlage-Zinsfußes. Um nun daS Geld für die Ausleihung der Hypotheken zu heben, hat die Sparkasfenverwaltung vor kurzem für 2 Mil.'. Mark Bkrthpapiere verkaufen müssen. (CH. Tgbl) — Dresden, 12. Juli. Der zuletzt im benach barten Löbtau wohnhafte, im Jahre 1875 in Berbisdorf bei Freiberg geborene Contorist Ernst Moritz Bernhard, welcher bekanntlich, um sich Geld zum Lebensunterhalt zu verschaffen, den Briefträger Günzel in Dresden zu ermorden und berauben beabsichtigte, wurde heute vom Schwurgericht zu 2 Jahre» 6 Monaten Zuchthaus, 10 Jahren Ehrenrechtsverlust und zur Stellung unter Po lizeiaufsicht vcrurtheilt. — In einem zur Siemensschen Glasfabrik gehörigen Hause fand gestern eine größere Schlägerei statt, bei welcher sich leider wieder einmal die Brutalität gewißer Menschen im hellsten Lichte zeigte. Ein Hausbewohner machte einer in dem gleichen Hause wohn nden Frau in der Hausflur Vorhalt darüber, daß le sein Kind geschlagen habe. Bald darauf erschien der Lhemann der betreffenden Frau in Gemeinschaft dreier Genossen auf der Bildfläche und diese hieben auf den ahnungslosen Vater, der nur sein Kind in Schutz nehmen wollte, ein, so daß er laute Hilferufe ausstieß. Diese wurden von dem Schwäger des Ueberfallenen vernom men, der sofort herbeieilte, um Hilfe zu leisten. Als die Raufbolde den Mann sahen, fielen sie sofort über denselben her, schleppten ihn dann dreimal die Treppen hinauf und herunter und schlugen und würgten ihn so, daß xr wie ohnmächtig dalag. Bon anwesenden Frauen wurde der Schwerver letzte wieder die Treppe hinaufgetragen, um ihn in seine Wohnung zu bringen. Hierbei versetzte einer der Raufbolde dem wehrlosen Manne noch einen dermaßen gewaltsamen Stoß, daß er wieder 10 Stufen zurück fiel und vollständig besinnungslos liegen blieb. Nach dem es ei.dliq gelungen war, den arg Zugerichteten in seine Wohnung zu bringen, wurde Herr vr. moä. Rehfeld herbeigeholt, welcher die sofortige Uebcrsührung des Schwerverletzten nach dem Dresdner Stadtkranken hause ano dnete. Dort liegt der bedauernswerthe Mann zur Zeit noch besinnungslos darnieder und man glaubt nicht, daß er wieder hergestellt werden wird. Die gemeingefährlichen Thäter befinden sich hinter Schloß und Riegel und sehen unzweifelhaft einer hurten Bestrafung entgegen. — Am Sonntag Nachmittag gingen vor Traut- loff's Restaurant in Schiedel die Pferde des Fuhr werksbesitzers Vogel, welche vor einen Landauer ge spannt waren, durch, als die Insassen des Wagens eben das obengenannte Lokal betreten hatten. Der Kutscher, welchem ein Trunk verabreicht werden sollte, hielt vor dem Haus. Er wurde vom Bock geschleudert und kam mit einigen Verletzungen davon. Auf der wilden Fahrt rissen die unbändigen Thiere ein Kind, das ebenfalls mit leichten Verletzungen davonkam, und einen Einwohner von Schiedel um. Letzterer hat leider sehr schwere Verwundungen am Kopf, auf der Brust und an den Armen davongetragen. Die Thiere rasten durch die überdachte Brücke in Schweinsburg nach der „Krippe", wo sie kurz vor derselben auf einem auf der Straße liegenden Erd haufen zusammenbrachen und von einem hinzuge kommenen Kutscher des Herrn Mummert in einen Stall gebracht wurden. Auch die Pferde haben sich mehrfach beschädigt. Ein Wunder nur ist es, daß bei dem starken Verkehr, wie er am Sonntag in den obengenannten Ortschaften herrschte, nicht mehr Unglück p^ssirt ist. Der Kutschwagen ist mehrfach beschädigt. — Von einem tödtlich verlaufenen Unfall wurde am vergangenen Montag Abend 7 Uhr die Familie des Spinnmeisters Weiß in Kleinhessen heimgesucht, indem das vierjährige Söhnchen derselben in die Pleiße fiel und ertrank. Die Mutter des Kindes bemerkte das Unglück von Weitem, war aber leider nicht im Stande, dasselbe zu verhindern. — In Pulsnitz machte der 33 Jahre alte Guts besitzer Eulitz, Sohn des kürzlich verstorbenen Oeconoure- raiheS Eulitz, feinem L.ben durch Erschießen ein Ende Derselbe war in dornger Gege. d allgemein geachtet und sehr gut situirt. — Leipzig, 12. Juli. In ihrer gestrigen Sitzung genehmigten die Stadtverordneten hier die Ausführung der vom Stadtbaurath für da« Hochbau- wescn, Professor Licht, entworfenen Pläne 'ür das neue Le'pige: Rathhaus Danach wird das umfang reiche Gebäude etwa 6800000 Mark zu bauen kosten. — Wegen schweren Straßenra des wurden vom Schwurgericht in Leipzig die beiden Individuen, welche am 1. April auk offener Landstraße nach Gautzsch den Führer einer Drofcl ke überfielen, um ihn zu be rauben, zu je 10 Jah-.cn Zuchthau- und Stellung unter Poti^eia fsicht vcrurtheilt. Der kurz vor dem Weichbild der Stadt verübte, unglaublich kühne Ueber- faü hatte seiner Zeit berechtigtes Aufsehen erregt. — Zittau. Ein Kassirer, welcher 19000 Mk. seinem Chef unterschlug, wurde in Eichgraben ver haftet. Eine bei ihin angestellte Durchsuchung blieb ergebnißlos. (Ein heimlicher Millionenschatz.) Eine unerwartete Freude ist den Verwandten des dieser Tage in dem bei Schleiz gelegenen Dorfe Lossau im Alter von 86 Jahren verstorbenen Maurermeisters R. wiederfahren. Bei der Regelung des Nachlasses durch das Amts gericht in Schleiz fand man nämlich auf dem Boden und im Keller des bisher von R. bewohnten Hauses unter altem Gerümpel versteckt zwei große Blechkasten, welche Werthpapiere in Höhe von 1700001 Mk. bargen. Niemand, selbst die eigenen Töchttr und Schwiegersöhne nicht, hatten eine Ahnung, daß der Verstorbene ein Millionär war, zumal derselbe äußerst sparsam und zurückgezogen lebte und beispiels weise bei Eisenbahnfahrten principiell nur vierter Klasse fuhr. So unternahm er häufig Reisen nach Leipzig, um bei der Leipziger Bank Geldgeschäfte ab zuwickeln; aber, obwohl sein Heimatsort an der sächsischen Bahn gelegen war, machte er einen drei- stündigen Fußmarsch bis zur preußischen Bahnstation Cölpe zu dem Zwecke, bis Leipzig die vierte Wa gen klasse benutzen zu können, da bekanntlich eine solche bei der sächsischen Staatsbahn nicht existirt. Den Grundstock zu dem fürstlichen Vermögen legte ein Lotteriegewinn von 35000 Mk., der sich nach und nach durch den reichlichen Verdienst des Mannes und durch Zins und Zinseszinsen so rapid vermehrte. Sein Heimatsdorf Lossau freut sich über den Fund nicht minder als die glücklichen Erben; denn außer einer jetzt ständig fließenden reichen Steuerquelle, er hält es noch eine Steuernachzahlung von etwa 50000 Mk., da sich der Verstorbene nie selbst eingeschätzt hatte. Die Geheimnisse der Tenfels- insel. Ueber das Unrecht, das Dreyfus geschehen ist, haben die Revisionsbestrebungen allmählich auch den Mißtrauischsten aufgeklärt. Von den furchtbaren Leiden aber, die der unfchuldig Verurtheilte unter dem Namen der Bestrafung zu erdulden hatte, hat man bisher noch fast nichts gewußt, weil er allein außer seinen Kerkermeistern sie kannte. Die folgenden Einzelheiten, die Georges Clemenceau in der „Aurore" mittheilt, haben, sagt die „Franks. Ztg.", einen fast urkundlichen Werth, weil sie offenbar auf den Angaben der Familie beruhen und somit aus der besten Quelle schöpfen konnten, nämlich aus den Worten des Hauptmanns Dreyfus selber. Das Unrecht, die Vergewaltigung begann schon mit der Eröffnung des Verfahrens gegen ihn, das ihn wegen Hochverraths vor Gericht stellte. Selbst wenn Dreyfus der Verfasser des Bordereaus war, so durfte die Anklage nur auf Spionage lauten, das im höch sten Falle mit 5 Jahren Deportation bestraft wird. Dreyfus hat damals, trotzdem schon aus der Fassung der Anklage sich sonnenklar ergab, daß seine Gegner ihn verderben wollten, seinem Vertheidiger Demange nicht erlaubt, dagegen zu protestiren. Ein rechtlicher Einwand dieser Art wäre seinem empfindlichen Ehr gefühl als ein Anzeichen von Schuldbewußtsein er schienen. Er meinte, man könne vermuthen, es komme ihm darauf an, das Strafmaß zu verkürzen. Darum stellte er sich der juristisch falschen Anklage eines er dichteten Verbrechens, ließ ein Urtheil über sich er gehen, das formell ebenso falsch war wie sachlich, und trat die Strafe an. Und diese Strafe, so furchtbar sie an sich schon war, sie wurde ihm von dem da maligen Colonialminister, dem „Folterer" Lebon, noch fürchterlicher gemacht. Allein das Leben schon in diesem Klima ist eine Hölle. Dieser Sonnengluth, den giftigen Ausdünst ungen des tropischen Bodens erliegt die robusteste Gesundheit. Die französischen Beamten der Colonie, die doch nach allen erreichbaren hygienischen Mitteln sich schützen, müssen alle zwei Jahre auf sechs Monate nach Europa zurückkehren. Und wenn ihre Gesund heit zerrüttet wird, wie sollte dann Dreyfus am Leben bleiben, begraben wie er war in Einsamkeit, unter Wächtern, deren ingrimmigen Haß gegen ihn allein ihr furchtbares Stillschweigen verrieth. Zwei, drei Jahre, nicht länger rechnet man, konnte er bei aller Lebenszähigkeit standhallen. Und da er doch über lang oder kurz sterben mußte, so war man menschen freundlich genug, ihm zur Abkürzung seiner Qual be hilflich zu sein. Wenn die Luft in seiner Hütte dem Gefangenen unerträglich wurde, ging er hinaus, um auf dem engen Raume, den seine Umzäunung ihm ließ, die stickend heiße Atmosphäre einzüathmen. In plötzlicher Ohn macht fiel er oft wie von einem Faustschlag getroffen zu Boden. Dann liefen die Wärter herbei in der Hoffnung, es sei nun endlich einmal aus mit ihm. Aber er enttäuschte sie stets, er wollte nicht sterben. Man packte ihn an Kopf und Füßen und warf ihn auf seine Pritsche. Nach einiger Zeit erholte er sich, und am nächsten Tage passirte das Gleiche. Manch mal phantasirte er, eine tödtliche Starrheit lähmte die Glieder. Man dachte: „Nun ist es aus." Aber es war nicht aus! Eigensinnig hielt das Leben iH in dem mißhandelten Körper, er hielt Stand, während die Gefongenenwärter um ihn zu Grunde gingen; sie verschwanden aus seinen Augen, wohin, wußte er nicht, Fürstin Ratalie. Novelle von L. N. Sataltu. Aus dem Russischen von Eduard Bania. (14. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Brjänski, der auch mit dieser Lösung der schwebenden Frage zufrieden war, unterhielt sich noch mit einigen seiner Bekannten, und als er dann Nata lie ohne Begleiter durch die Pompejanische Gallerte gehen sah, trat er auf sie zu und fragte, ob es ihr angenehm sei, schon jetzt mit ihm den Ball zu ver lassen. Sie legte stumm die schlanke Hand auf den ihr dargereichten Arm, und schon nach wenigen Minuten führte der elegante Landauer das fürstliche Paar zu dem am Englischen Quai gelegenen Palais zurück. Auf die unterwegs und nachher zu Hause an sie gerichteten Fragen antwortete Natalie kurz und zerstreut; es schien, als ob ein einziger Gedanke sie ganz und gar in Anspruch nähme. Vor dem Schlafen gehen erkundigte sich Mißlaff theilnehmend nach ihrem Befinden. Kalt und hart gab sie ihm z:r Antwort: „Ich habe Kopfschmerzen und will mich aus ruhen." — Aus Nataliens Tagebuch. 17. Januar. Eine unsagbare Traurigkeit hat sich meiner be mächtigt und mein Herz ist von Kummer erfüllt. — Der seelische Schmerz, welcher all' mein Denken und Sinnen gefesselt hält, will mich laut auffchreien lassen und doch kann ich mein beschwertes Gemüth nicht durch einen Strom heißer Thränen erleichtern. Eine tiefe Betrübniß, eine innere, unbeschreibliche Unruhe /agen das Blut schneller durch meine Adern, meine Pulse schlagen heftiger, aber meine Augen bleiben trocken und kein erlösender Tropfen vermag mein Weh zu lindern. — Was ist denn nur geschehen, daß ich mich selbst für das unglücklichste Geschöpf im weiten Weltall halte? — Gestern hat der große Hof ball im Winterpalais stattgefunden. Mit größerer Sorgfalt als jemals zuvor hatte ich Toilette gemacht, durch ausgesucht kostbare Geschmeide wollte ich meinem Gatten zu Liebe schön erscheinen; denn ich habe nie mals dergleichen Thorheiten irgendwelchen Werth bei gelegt. Aber ich hegte die allerdings unbestimmte Hoffnung, ich könnte vielleicht durch diesen rein äußer lichen Glanz Mißlaffs Beifall finden und so wenigstens fein Wohlwollen erringen. Fast schien es, als sollte ich mich nicht getäuscht haben, als sollten meine Be mühungen von Erfolg gekrönt sein. Als der Spiegel mir das eigene Ich in der wundervollen dunkeln Robe zeigte, würde ich, wenn ich nur ein wenig eitel wäre, von dem Anblick meiner selbst bezaubert worden sein. So blieb ich dem eigenen Liebreiz gegenüber gleichgültig. Als ich aber merkte, daß Mißlaffs Augen mit Wohlgefallen auf mich gerichtet waren, durchrieselte ein ungeahntes Gefühl beseligender Freude meine Adern. — Ich sehe uns dann wieder, wie wir den Nikolai-Saal betraten und ich in dem Ge wühl von glänzenden Uniformen und buntschillernden Toiletten verschwand. Das übliche Händedrücken be gann. Man stellte Fragen, welche keine Antwort er warten, und knüste jene nichtssagenden, faden und lang weiligen Gespräche an, welche in der guten Gesellschaft als zur Unterhaltung unumgänglich nothwendig gelten. Dieselben sind mir durch ihren Mangel an ernsten Gedanken und Aufrichtigkeit im höchsten Grade un angenehm, um nicht zu sagen verhaßt. Ich stand ini Kreise junger Frauen, in einiger Entfernung von uns hatte eine Gruppe von Kavallerie-Offizieren Posto gefaßt. Nur die tapfersten von ihnen arbeiteten sich vorsichtig durch die von den Damen gebildete Phalanx hindurch, und ein Wagehals war sogar ourch eine List in unsere Mitte, die schlecht geschlossenen Reihen durchbrechend, hineingeschlüpft, und plötzlich tauchte seine Umfvrm in einem Meere von Tüll, Seide, Sammet und Atlas auf. — Endlich erklangen die schmachtend-lockenden Töne eines Walzers: der Ball hatte seinen Anfang genommen. Die zweite Quadrille war vorüber und ich be gab mich in die Rotunde. Auf dem Wege dorthin begegnete mir Margot Turbin. Sie schwebte am Arme des Grafen Staljeroff laut schwatzend und lachend an mir vorüber. Ich konnte mich bei dem Anblick dieser Frau eines Gefühls des Mißbehagens nickt erwehren; das mir gegenüber in meinem eigenen Hause gezeigte Gebühren kehrte mit verdoppelter Deut lichkeit in mein Gedächtniß zurück. Ich wollte sie nicht bemerken und selbst ungesehen bleiben, sie aber rief mir mit ihrer schrillen Stimme einen kurzen, höhnischen Gruß zu, der von einem sonderbaren Aus druck ihrer kalten, grauen Augen begleitet war, eine Blick, der mir nicht nur herausfordernd und boshaft, fondern fast drohend erschien. Ich ging schnell vor über und erwiderte den Gruß durch ein kaum merk liches Neigen des Hauptes. Bei meinem Eintritt in die Rotunde gewahrte ich Falkenburg. Als ich ihn sah, erinnerte ich mich sofort des mit ihm geführten Gespräches und dachte des mir anvertrauten Ge heimnisses. Er unterhält sich lebhaft mit einer jungen Dame und ich richte, in Gedanken versunken, meine Blicke auf daS junge Paar. Plötzlich fühlte ich, wie jemand seine Hand auf meine Schulter legt, ich wende mich hastig um und erblickte neben mir Mißlaff. „Natalie, womit beschäftigen sich eigentlich Deine Gedanken so intensiv? Seit dem Augenblick, wo Du hier eingetreten bist, habe ich Dich fortwährend beo bachtet! — Was für welterschütternde Fragen ent scheidest Du denn auf einem Ball?" „Ich dachte, daß hier auf der Erde, in dieser Welt des Kummers und der Thränen, doch auch glückliche Menschen leben. Mögen sie auch nur auf kurze Zeit die Glückseligkeit des Erdendaseins genießen, sie empfinden dieselbe immerhin auf einen Augenblick, der freilich schnell vorübergeht und niemals wieder kehrt." „Du hast recht, Natalie. Ich glaube fast, daß diejenigen die Wahrheit sagen, welche behaupten: „Nur der Kluge und Tüchtige vermag das Glück dauernd an sich zu fesseln". Aber davon bin ich auch fest über zeugt, daß einmal im Leben jedem Menschen das Schicksal lächelt." „Aber wie soll man den richtigen Augenblick ab- passen? — Auf welche Weise erkennen, daß durch eine bestimmte That und durch keine andere, einem wahre Freude und stetes Glück bescheert wird?" fragte ich ihn. — „Kann man sich denn nicht irren. Flitter gold für echtes halten, um später das ganze Leben hindurch seine Handlungsweise bereuen zu müssen?" Mein Gatte sah mich forschend an; er irrte sich offenbar, wenn er glaubte, ich spräche von mir, während ich doch an Falkenburg dachte. Wir ver standen uns eben wie immer nicht. — Er schwieg einen Moment, und fragte mich dann: „Du wirst die Mazurka mit Falkenburg tanzen?" (Fortsetzung folgt.)
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