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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 12.03.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-189903122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-18990312
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-18990312
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-03
- Tag 1899-03-12
-
Monat
1899-03
-
Jahr
1899
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 12.03.1899
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Jahren 1200, nach 10 Jahren 1400 Mk.; beim Landstallamt Moritzburg 1. April Gestütswärter 800 Mk., freie Dienstwohnung rc., Gehalt steigt bis 1080 Mk.; beim Landgericht Dresden 15. April Lohn schreiber, 2 bis 3,50 Mk. täglich; beim Amtsgericht Dresden 1. Juni Dienergebilfe, 1000 Mk., 60 Mk. Bekleidungsgeld, Gehalt steigt bis 1400 Mk.; beim Universitäts-Rentamt Leipzig 1. April Diener, 500 Mk., neben freier Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Be köstigung, auch Hand- und Bettwäfche. Packctc nach Bolivien. Von jetzt ab können Post- packere nach Bolivien auch auf dem Weze über Fra.-.k- reich befördert werden. D.S Franko beträgt bei dieser Leitung 4.40 Mk. bis zum Gewicht von 3 kg. An Zollinhaltserklärungen find 5 Stück in französischer, und 1 Stück in deutscher Sprache beizusügen. Oberlungwitz. Außer der allerorten auftreten den Influenza, herrscht in unserem Orte augenblicklich auch die Diphtheritis in recht besorgnißerregender Weise. Innerhalb weniger Tage fielen dieser Krankheit fünf Kinder zum Opfer. GerSdorfer Steinkohlenbau-Verein, Gersdorf. Die vortheilhaft.- Lage, welche den Kohlenmarlt seit einer R^ihe von Jahren auszeichnet, hat sich auch im abgelaufenen Geschäftsjahre erhalten und befestigt. Die Gesammtbeförderung an Kohlen hat betragen 1761737 dl (-s- 26159 dl), der Verkauf 1657435 KI. Zum Besten der Belegschaft, und zwar zur Ausstattung von Bergmannkindern bei der Confirmation, hat Commercienrath Esche aus Anlaß seiner 25jährigen Wirksamkeit als Vorsitzender des Aussichtsrathes eine Stiftung von 10000 M. errichtet. Rach 115778 M. Abschreibung bleibt ein Reingewinn von 528105 M. Als Dividende werden 67,50 M. auf Pr.-Actieu I, 61,50 M. auf Pr.-Actien II und 31,50 M. auf Stamm- actien vertheilt. Der gegenwärtige'' Winter gestaltete sich für das Geschäft in Hausbrand kohlen ebenso ungünstig wie der verstossene und eS war unter diesen Umständen nicht möglich, eine Er höhung der Preise für Grobsorten in's Auge zu fassen Dagegen machte sich sür Jndustriekohlen fortgesetzt lebhafte Nachfrage geltend, die auch für das laufende Jahr ein weiteres Anziehen der Preise in sichere Aus sicht stellt. Die bisherigen'Ergebnifse des neubegonnenen Geschäftsjahres gestalten sich wesentlich günstiger als im Vorjahre. Steinkohlenbau-Verein „Kaisergrube", Gersdorf. Der Geschäftsgang gestaltete sich in dem verflossenen Jahre wiederum sehr rege, und wenn auch die Ver- werthung der Verkaufsproducte nicht immer gleichen Schritt mit der Zunahme der Selbstkosten, welche durch die ganz erhebliche Steigerung der Arbeitslöhne und aller Materialienpreise verursacht wurde, halten konnte, so können doch die Ergebnisse desselben, Dank des noch weiter fortdauernden günstigen Standes der meisten Kohlen consumirenden Industriezweige, als gut be zeichnet werden. Die Selbstkosten erhöhten sich um 4,^6 Pf., während die erzielte Mehreinnahme sich aus 4,00 Pf. für das Hektoliter bezifferte. Die Kohlen förderung betrug 1836952 KI gegen 1820318 KI im Vorjahre. Zum Verkauf kamen 1711158 KI mit 1645991 M. gegen 1693895 KI im Werthe von 1554158 M. im Vorjahre. Der Rohgewinn beträgt 460589 M. Rach 95387 M Abschreibungen ver bleibt ein Reingewinn von 365 202 M. Die Dividende beträgt auf die Prioritäts-Actien II 20 pCt., auf die Pr.-Actien I 15 pCt., auf die St.-Actien 10 pCt. Die gesawmten Abschreibungen des Vereins seit Bestehen desselben bis mit 1897 stellen sich auf 1619068 M. Steinkohlenbauverein „Gottes Segen" zu Lugau. Generalversammlung Dienstag, den 28. März, nach mittags >/z1 Uhr, Anmeldung von r/,12 Uhr ab, im Schwanenschlößchen in Zwickau. — Tagesordnung: 1) Vortrag des Geschäftsberichts nebst Bilanz auf dos Geschäftsjahr 1898. 2) Antrag auf Entlastung der Verwaltungsorgane. 3) Beschlußfassung über Ver- tyeilung des Reingewinnes. 4) Antrag auf Ueber- weisung von Mk. 15,000, — an den gegründeten Be- amten-Pensionsfond. 5) Wahl von 2 Mitgliedern des Aufsichtsraths an Stelle der statutengemäß aus scheidenden, wieder wählbaren Herre» Kunst- und Handelsgärtner Wilhelm Elgt in Zwickau und Hof rath Dr. Lamprecht in Waldenburg, S. Geschäftsbe richte vom 12. März d. Js. ab an der Kasse, sowie den Zahlstellen des Vereines. Vom Landwirtschaftlichen Kreisverein im Erz gebirge wurde in einer am 10. d. M. in Glauchau abgehaltenen landwirthschaftlichen Bezirksversammlung 10 treuen landwirthschaftlichen Dienstboten, Arbeiter und Arbeiterinnen Auszeichnungen verliehen. Ein Lcprakranker, der vor einigen Wecken ans Brasilien kam und nach Chemnitz, seinem Geburts ort, reiste, wurde von der dortigen Staatsbehörde ab gewiesen un. nach Hamburg zurückbcfördert. Man hofft, einen Dampfer zu finden, der den Aussätzigen nach Brasilien zurückbringt. Ein recht bedauerlicher, leider sehr schwerer Unfall ereignete sich am Donnerstag in Mülse« St. Michela. Ein zweijähriges Kind, das auf der Dorfstraße spielte, geriety vor ein Geschirr, wurde von dem Pferde um gestoßen und derart auf die eine Gesichtshälfte getreten daß Backen, Kiefern und Zähne schwer beschädig wurden. Es mußte sofort in ärztliche Behandlung gegeben werden. In das Dresdner Carolahaus wurde vorgestern ein furchtbar zugerichteter junger Mann Namens Roch eingeliefert. Beim Graben eines Brunnens, in welchen man schon 23 Ellen tief eingedrungen war, explodirte plötzlich eine Pulverpatrone, wobei der Brunnenbauer Herr gräßlich verstümmelt wurde, so daß er sehr bald nach dem Unglück verstarb. Der mit im Brunnen beschäftigte Roch wurde im Gesicht und an den Hän den verletzt, wär aber noch bei Besinnung. Sein alter Vater war kurz zuvor aus dem Brunnen gestiegen, um etwas herbeizuschaffen. Ein allgemeiner Schmiedestreik ist in Dresden ausgebrochen; die Fabrikschmiede sind jedoch nicht betheiligt. Wegen Ablehnung einer ständigen Commission haben fast alle Tischler bei der Fabrik photographischer Apparate vorm. R. Hüttig u. Sohn in Dresden die Arbeit niedergelegt und streiken. Es handelt sich keines wegs um eine Lohnerhöhung oder Kürzung der Arbeitszeit. Auf den Personenzug, der 1 Uhr 45 Minuten nachmittags vom Dresdner Hauptbahnhof nach Dresden-Neustadt-Meißen abgeht, ist am Donnerstag in der Nähe der Güterbahnhofstraße ein Schuß ab gegeben worden. Die Kugel ist durch beide Fenster scheiben eines Personenwagen-Abtheils gegangen, glück licher Weise ohne den einzigen in demselben befindlichen Passagier zu verletzen. Der bei der vorletzten Jagd vom König Albert geschossene Zwölfender ist dem zoologischen Museum in Dresden zum Ausstopsen überwiesen worden. Zu diesem Zwecke war auch ein Conservator dort. Der Hirsch war einer der ältesten des Tharandter Waldes. Voriges Jahr ging er als Scchzehnender und hatte Heuer als Zwölfender zurückgesetzt. Eine beredte Ovation wurde Herrn Geheimen Baurath Professor Dr. Wallot am Mittwoch in der Technischen Hochschule in Dresden bereitet. Als er früh nach 9 Uhr den Hörsaal Nr. 60 betrat, um seine gewohnte Vorlesung zu halten, wurde ihm von der zahlreich erschienenen Studentenschaft, unter der sich auch viele Vertreter anderer Fachabtheilungen befanden, für die Angriffe, denen der Schöpfer des Reichstags gebäudes in einer Reichstagssitzung voriger Woche ausgesetzt gewesen war, eine laute Beifallskundgebung dargebracht. Nachdem das übliche, diesmal minuten lang dauernde studentische Beifallstrampeln verstummt war, erhob sich einer »'er studentischen Vertreter der Hochbauabtheilung und hielt folgende Ansprache: „Hoch geehrter Herr Geheimrath! Commilitonen! Mit un gemein boshaften Worten haben in voriger Woche Mitglieder des Reichstags über hervorragende Männer deutscher Kunst öffentlich sich ausgesprochen, die deutsche Kunst verunglimpft und in den Koth gezogen. Es sind hierbei die Worte gefallen: Man müsse brechen mit der geschichtlichen Dankbarkeit gegenüber dem Bau meister deS Hauses und nunmehr einen neuen künstle rischen Leiter anstellen, der in Berlin wohne." Wie schmerzlich müssen solch' rauhe Worte das Herz eines Mannes treffen, der Jahre seines Lebens gearbeitet hat, um dem deutschen Volke ein solches Werk zu schaffen, das noch nach Jahrhunderten Kunde geben wird von deutscher Intelligenz und der großen wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Begabung seines Erbauers Wir aber, als deutsche Studenten, als die Träger des Idealismus unserer Zeit, wir proteftiren energisch gegen diese Art, die herrlichsten Vertreter deutscher Wissen schaft — Kunst und Technik — in dieser Weise zu behandeln, indem wir aus vollem Herzen einstimmen in den Ruf: Unser hochverehrter Herr Geheimrath Professor Dr. Wallot, der Erbauer des ReichStagS- gebäudes, er lebe hoch!" Nachdem daS Hoch verklungen war, dankte Herr Geheimrat!) Dr. Wallot, der durch diese ganz unerwartete Ovation sichtlich ergriffen war, in bewegten Worten. Nachdem er geendet, beschloß ein wiederum minutenlang währendes Beifallsdröhnen die kleine, aber herzerhebende Feier, welche wohl Allen, die daran theilnahmen, unvergeßlich bleiben wird. Dem Gutsbesitzer Gottlob Schmalfuß in Rode wisch i. B. wurde dadurch beträchtlicher Schaden zu- gefügt, daß ihm von ruchloser Hand der Damm von seinem Karpfenteiche abgegraben und hieraus sämmtliche Karpfen gestohlen wurden. Am Dienstag Nachmittag gegen 3 Uhr exvlodirte unter furchtbarem Krach in der Bleichere: von Schuster L Co. in Rodewisch i. B. ein Dampfkessel, wo durch daS Dach theilweise abgehoben und zertrümmert wurde. Zwei Personen wurden leicht verletzt. In vorgestriger Sitzung lehnte das Stadtverordneten- .collegium zu Rofjwein die Rathvcr.'agc, betr. Ein- sührung einer allgemeinen Biersteuer, ab. Diese m- Ivirecte Steuer sollte zur Deckung von städtischen Aus gaben Verwendung finden. Wenige Schritte von dem Posten seines Vaters, eines Bahnwärters au der Linie Eger-Reichenbach, ließ sich am Donnerstag Nachmittag unweit Pirk i. B der 16jährige Kausmannslehrlinz Albert Weichelt über fahren. Die Räder der Locomotive trennten dem jungen Manne beide Beine ab, und er starb alsbald. Furcht wegen der Folgen verübter Jugendstreiche dürfte Weichelt zum Selbstmord getrieben haben In Pulsnitz wurde der siebente Sohn der WirthschastSbesitzers Hübler zum Militär ausgehoben. Sechs haben bereits gedient oder dienen noch. Die Beamtenschule in Lommatzsch i. Sa. hat bis jetzt der Ungunst der Verhältnisse der letzten Jahre widerstanden, während manche ähnliche Anstalt nach kürzerer oder längerer Zeit wieder eingegangen ist. Sie verdankt dies besonders der sicheren Grundlage, auf der sie errichtet ist, und ihrer in jeder Beziehung anerkannt guten Organisation. Die Zöglinge erhalten in ihr einen pädagogisch richtig geleiteten Unterricht, Kost und Pflege, sowie die nöthige Aufsicht bei ihren Arbeiten; der freien Bewegung ist ein zwar beschränkter, aber durchaus genügender Spielraum gelassen. Seit ihrem Bestehen haben fast 600 junge Leute und Mili täranwärter in derselben ihrs Vorbildung für die ver schiedenen mittleren Beamtenlaufbahnen (Post, Eisen bahn, Expedienten u. s. w.) erhalten und Anstellung gefunden. Ein kostenfrei zugesandter Prospekt giebt jedem Anfragenden die gewünschte weitere Auskunft. Die protestantische Bewegung fängt nun auch im Teplitzer Bezirke an, Boden zu gewinnen. Im Laufe dieser Woche sind in Dux drei Personen und in Teplitz eine Person zur evangelischen Kirche übergetreten, weitere Austritte aus der römisch-katholischen Kirche stehen bevor. Sie sind dem Abgeordneten Schönerer bereits angekündigt worden. In Karbitz macht die evangelische Bewegung ungeahnte Fortschritte. Die Zahl der schon Uebergetretenen beträgt 56, während weitere 40 Personen ihre Uebertrittsanmeldungen schon bei der Behörde abgegeben haben. Es hat sich des halb in Karbitz bereits eine eigene evangelische Ge meinde gebildet. Man beschloß, einen Prediger anzu stellen. In Aussig traten 60 Personen, in Krammel 25 Personen zur evangelischen Kirche über, in Langenau beläuft sich die Zahl der Uebergetretenen ans etwa 400. Besonders stark ist die protestantische Bewegung in Karlsbad, wo kürzlich 80 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten sind. Spielplan des Stadt-Theaters zu Chemnitz. Sonntag, den 12. März: Der Freischütz. Montag, den 13. März: 1., Herbst, 2., Die Zeche, 3., Ehrenhandel, 4., Zum Einsiedler. Dienstag, den 14. März: Rienzi. Mittwoch, den 15. März: Das fünfte Rad. Donnerstag, den 16. März: Die Afrikanerin. Freitag, den 17. März: Das fünfte Rad. Sonnabend, den 18. März: Zar und Zimmermann. Aus dem Gerichtssaale. Chemnitz, 10. März. In der soeben beendeten ersten Sitzungsperiode des hiesigen Schwurgerichts, die unter dem Vorsitz des Herrn Landgerichtsdirectors Gölitz stattfand, wurden 9 Angeklagten insgesammt 5 Jahre, 7 Monate und 3 Wochen Gesängniß- und 12 Jahre und 3 Monaten Zuchthausstrafe, sowie 38 Jahre Ehrenrechtsverlust zuerkannt. In einem Falle erfolgte Freisprechung. Der Gerichtshof hatte sich dreimal mit dem Verbrechen des Meineids und je einmal mit gewinnsüchtiger Urkundenfälschung, be trügerischen Bankerotts, versuchter Kindestödtung, Sittlichkeitsverbrechen und vorsätzlicher Brandstiftung zu beschäftigen. Unlauterer Wettbewerb. In Königsberg war die „A. Z." gegen den „Ostpr. G.-Anz." auf dem Wege der Civilklage vorgegangen, weil der letztere fortgesetzt Inserate aus der „A. Z." nachgedruckt hatte. Der zuständige Gerichtshof hat nunmehr folgendes Erkennt- niß gefüllt: Dem „Ostpr. G.-Anz." wird aufgegeben, den Nachdruck von Inseraten aus dem Arbeits- und Wohnungsnachweis der „K. All. Z." zu unterlassen bei Androhung einer Strafe von je 100 Mark für jeden einzelnen Fall. Gegen Hinterlegung einer Cau- tion von 1600 Mark ist das Urtheil als sofort voll streckbar erklärt worden. In der Begründung des Urtheils wurde darauf hingewiesen, daß solche Hand lungen, wie sie in dem Nachdruck von. Annoncen seitens des „G.-A." vorläqen, eine schwindelhafte Re- clame bedeuteten, die das Gesetz gegen unlauteren Wett bewerb unterdrückt wissen wolle und verboten habe. Dem „Ostpr. G.-A." wurden sämmtliche Kosten des Rechtsstreites auferlegt. Neustadt a. H., 7. März. Ein Riesenprozeß, der vor 11 Jahren seinen Anfang nahm und in dem ver-. schiedene angesehene Familien und fast die ganze Ein wohnerschaft eines Dorfes eine Rolle spielten, hat nun endlich seinen Abschluß gefunden. Dieser Proceß war reich an dramatischen Vorgängen verschiedener Art und stellt in seinen vielen Einzelheiten die üppigste Phantasie eines Romanschriftstellers tief in den Schatten. Der Held dieses eigenartigen, romanhaften Processes war der Bürgermeister und Weingutsbesitzer, bayerischer Landtagsabgeordnete und pfälzische Landrath Müller in Haardt, ein reicher und bis dabin hochgeachteter Mann. Vor etwa einem Jahre hat er sich in Amsterdam durch einen Selbstmord der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Einer seiner Proceßgegner, der protestantische Pfarrer vr. Welsch, mußte in Folge des Processes auf An ordnung des Konsistoriums in Speyer sein Pfarramt niederlegen, ein Gemeindebeamter war geflüchtet, und in dem Dorfe selbst hatten sich in dieser Sache wahre Parteien gebildet, die den Kampf bis tief in die einzelnen Familien hineintrugen. Der Hergang dieses Processes läßt sich wie folgt kurz zusammenfassen: Der oben erwähnte Bürgermeister und Landtogsabgeordnete Müller-Haardt (Haardt ist ein Winzerdorf in der Vorderpfalz) war eine Art Souverän in seiner Ge meinde, von starkem Selbstbewußtsein und großer Leidenschaftlichkeit gegen diejenigen, die seiner Meinung nach seine Interessen kreuzten, sodaß sich sein Rechts bewußtsein zuletzt ganz getrübt hatte und er an Ge- meindeurkunden Fälschungen beging, nur um seinen Willen durchzusetzen. Sein Fanatismus richtete sich gegen den Pfarrer Or. Welsch, mit dem er zuvor jahrelang befreundet war, und gegen seinen Nachbar, den Weingutsbesitzer Fritz Andrä. Im Jahre 1890 erschien im „Pfälz. Cour." in Ludwigshafen a. Rh. ein Artikel, in dem Müller die Fälschung von Ge- meinderathsprotocollen vorgeworfen worden war. Müller klagte und der betreffende Verleger wurde zu einer Geldstrafe von 1200 Mark verurtheilt. Von nun an folgte Proceß auf Proceß durch alle Instanzen, und die berühmtesten Vertheidiger Süddeutschlands erhielten von den Parteien Mandate. Graphologen aus Berlin und von anderen Orten wurden beschäftigt und einzelne Blätter waren mit vielen Spalten von diesen Processen gefüllt. Auch Flugblätter er schienen. Die Kosten dieser Processe gingen in die Tausende und es schien auch zuweilen, als ob ein ganzer Gemeinderath wegen Falscheides vor das Strafgericht citirt werden sollte. Alle diese Processe endeten mit größerer oder geringerer Bestrafung der Proceßgegner Or. Welsch und Fritz Andre, aber mit einem moralisch vernichtenden Verbiet für Muller. Nun wurde im vorigen Jahre in dem ersten Proceß, der die übrigen einleitete, das Verfahren wieder aus genommen und dieses Wiederaufnahmeverfahren endete mit einer Freisprechung der damaligen Verklagten und mit der Anordnung, daß sämmtliche Kosten und Geld strafen an die Verurtheilten zurückgezahlt wurden. Die zu den Acten gebrachten neuen Thatsachen und Beweismittel waren so überzeugender Natur, daß die Strafkammer eine Erneuerung der Hauptverhandlung für ganz überflüssig hielt. In dem Urtheil wurde festgestellt, daß Müller thatsächlich mehrere Gemeinde- rathsprotocolle, die in ihrem Inhalte seinen Wünschen nicht entsprachen, gefälscht hatte. Dieser langjährige Proceß ist wieder ein Beweis dafür, wohin ursprüng lich kleine Ursachen führen können; denn dieser bei nahe 11 Jahre dauernde Riesenproceß ist in seinen Einzelheiten von einer geradezu erschütternden Tragik, und die eigentliche Ursache war? Differenzen mit dem Pfarrer wegen des Glockenläutens im Dörfelt Fürwahr ein Bauerndrama, wie es die Phantasie eines Theaterdichters kaum packender, kaum dramatisch wuchtiger gestalten konnte. Und auch jetzt noch wird der Frieden in der Gemeinde auf lange Zeit hinaus gestört sein. G«te Gedanken. Ein Mensch ohne Religion ist ein Ge.chöpf der Verhält nisse; aber die Religion steht über allen Verhältnissen und er hebt ihn über dieselben. Hare. * i Kein Arbeitsmann schasst gut und schnell zugleich auf Erden; Denn Muße braucht ein Werk, soll es vollkommen werden. Chaucer. * * * Sei dir selber treu, Und daraus folg:, so wie die Nacht dem Tage, Du kannst nicht fulsch sein gegen irgendwen. Shakespeare. Stademan« und Tochter. Erzählung von H. Renö. (Nachdruck verboten.) 15. Fortsetzung. Frieda rümpfte das Näschen. „Wenn Mama Dich hörte, bekäme sie sicher wieder ihre Migräne," meinte sie, während Krause in sich hineinbrummte: „Wenn zwischen diesen beiden ein zärtliches Einver- ständniß besteht, so saufe ich die Oder in emem Zuge aus. Da hat die Landrälhin mal wieder sich etwas in ausschweifender Fantasie geleistet, und ich Rhinozoros muß es auch der Stademann wieder klatschen. Wenn ich an ihre Augen von damals denke, läuft es mir noch heute kalt den Rücken herunter." „Nun, Herrschaften, wo begehen wir die Feier dieses großen Tages am würdigsten durch einen Früh schoppen? Jetzt sind wir schon unserer Sechse, und wenn die beiden einkaufenden Muttels noch dazu kommen, können wir „„so scheene gemietlich"" bei sammen sein," meinte der Landrath, der es liebte, ge legentlich den harmlosen Schlesier zu spielen. „Sie, Herr Regierungsrath, müssen es wissen. Pschorr oder Leisten, wo findet man die beste Gesellschaft?" „Ueberall, wie wohl in jeder Großstadt, giebt es gemilchtes Publikum," sagte Rothe, „doch mich muß ich leider zu entschuldigen bitten. Wir haben heute Sitzung, sehr wichtige Vorlagen, und wenn ich mich nicht verspäten soll, muß ich sHleunigst in die erste beste Droschke springen." „Nun, dann in aller Eile ein festes Programm für den Nachmittag aufgestellr," fuhr der Landrath fort. „Scheitnig, Zoologischer und irgendwo gemein schaftliches Abendbrot, aber der Ort des reucker-vous muß fest bestimmt werden, damit wir uns nicht ver fehlen." Selma berührte leise seine Schulter. „Bitte Papa, möchtest Du es nicht dem Herrn Regierungs rath überlassen, wann und ob er uns überhaupt treffen will. Solche feste Verabredungen sind ein Zwang, den man seinen Bekannten nicht auferlegen sollte." Der Landrath hielt verdutzt im Sprechen inne und Rothe wurde etwas verlegen. „Selbstverständlich sehe ich die Herrschaften noch vor Ihrer Abreise," beeilte er sich zu sagen. „So bald ich ein dienstfreier Mann bin, durchsuche ich die ganze Stadt, schon um dem gnädigen Fräulein zu be weisen, wie sehr sie im Unrecht ist." Selma erröthete leicht, was ihrem blassen, un regelmäßigen Gesichtchen allerliebst stand. „Ein Prachtmäochen!" dachte Rothe, nachdem er sich verabschiedet hatte. „Mit der muß sichs ruhig und sicher durchs Leben wandern!" Ja, wenn mein Herz noch frei wäre! Ach, wie mag es jetzt in Gut wohne aussehen?" Ueber Gutwohne blaute derselbe lachende Früh lingshimmel, Christa steckte die ersten Himmelsschlüssel und Anemonen in den Gürtel ihres schwarzen Kleides. Die Hofkinder hatten sie auf den Wiesen gepflückt und verschämt lächelnd gebracht. Nun stand sie auf den Steinstufen vor der Haus thür und athmete in vollen Zügen den kräftigen Ge ruch des frisch umgebrochenen Erdreichs, der von allen Seiten zu ihr herüberströmte. „Ja, die Heimath- scholle! Das war das Einzige, Letzte, was ihr von alledem, was ihr Herz bisher mit schwärmerischer Innigkeit umsaßt gehalten, geblieben war. „Die lauen Lüfte sind erwacht, Nun muß sich alles, alles wenden!" hatte Elly in jedem Frühling, mit den ersten Lerchen um die Wette, hinausgejubelt. Nun würde die süße, junge Stimme nicht mehr im Haus erschallen, Ar thur's leichter Schritt nie mehr den stillen Hof be leben. Und auch er, der Geliebte, hatte sie nicht ver stehen wollen, sich allzuschnell von anderer Seite süßen Trost geholt. „Bei Landraths sprechen sie garnicht mehr von Verlobung und Hockzeit," erzählte triumphierend Dore, „und wenn sie auch noch so oft nach Breslau runter fahren, schließlich nimmt der Herr Regierungsrath ihr doch nicht, ich hab' es immer prophezeit!" Christa verwies ihr solche Reden, verbat sich jede Neuigkeit. Aber hätte kein Weib, kein liebendes, eifersüchtiges Weib sein müssen, um nicht ihr Herz beunruhigt und hoffnungsvoll wieder schlagen zu fühlen. Die Kinder, die am Brunnen Verstecken und Ringel-Reihe gespielt hatten, liefen nun davon. Nur ein kleines schwarzlockiges Mädchen blieb verschüchtert am Thor stehen. Das war ja des Pietrek Aelteste, die auf dem Hof geboren war, und die der alte Herr noch über d:e Taufe gehalten hatte, wie früher den Vater selbst. Wi: unordentlich, ja verhungert die Kleine aus sah! Christa schnitt es ins Herz. „Annerl, komm mal her zu mir," rief sie. Die Kleine lief auf sie zu, umfaßte ihre Knie und drückte schluchend den Kopf in ihre Kleiderfalten. „Muttel schickt mich her, ich soll Dir etwas sagen, Dir ganz allein, Fräulein," stammelte sie. Christa streichelte die ungepflegten, schwarzen Haare. „Ich weiß," sagte sie, „Dore wird Euch heute wieder etwas bringen, gestern hatte sie keine Zeit.„ „Nein, nein, etwas ganz anders; ich s»ll es Dir leise ins Ohr sagen, damit es niemand hört. Vater ist wieder da, er will Dich totschlagen, Dir den Hof anzünden, ach Gott, ach Gott!,, „Geh nur nach Hause, Annerle, ich fürchte mich nicht. Ihr könnt ganz ruhig sein, Vater wird so etwas nicht thun, das ist ja ganz unmöglich." „Doch, doch", beharrte das Kind. „Er sagt, Du seiest an all unserem Unglück schuld. Und Du bist doch so gut, ohne Dich wären wir alle längst verhungert." (Schluß folgt.)
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