Suche löschen...
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-189904205
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-18990420
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-18990420
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-20
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.04.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
die Füße in kaltes Wasser tauchen und mit einem in dasselbe Wasser getauchten Schwamm die Beine bis zu den Knieen hinauf benetzen. Nach flüchtiger Abtrocknung sollen die Beine wieder in das warme Bett zurückgezogen und gründlich aufgewärmt werden. Das zur Benutzung dienende Wasser soll etwa die Temperatur des Zimmers haben, und wird daher am besten Abends vor dem Gebrauch an das Bett ge stellt. Wird diese Praxis jahrelang geübt, so wird auch einem verweichlichten Körper eine verhältniß- mäßig starke Widerstandskraft verliehen. In Glaucha« M nunmehr in nächster Zeit mit dem Bau eines Stadtbades begonnen werden. Al- Platz für den umfangreicben Bau, dessen Pläne jetzt sertiggestellt sind, und welcher sowohl in räumlicher wie in ästhetischer Beziehung den neuzeitlichen An- forderungen genügen wird, ist bekanntlich ein an der Mühlgrabenstraße gelegenes Areal bestimmt. Man will den Bau bereits Anfang nächsten Monats in An griff nehmen. Am Dienstag Vormittag 7 Uhr wurde in Ehemvitz die Feuerwehr nach einem Hause an der Brückenstraße gerufen. In dem im ersten Obergeschoß des Hintergebäudes gelegenen Niederlagsraum für Schmuckfedern hatte eine Benzinexplosion stattgefunden. Beim Reinigen von Schmnckfedern mittelst Benzin hatten sich Gase gebildet, welche sich an der glühenden Asche eines Grudeofens entzündeten und eine Menge Federn in Brand setzten. Durch die Explosion zog sich die Geschäftsinhaberin sehr erhebliche Brandwunden am Gesicht und an den Händen zu, welche von den Samaritern der Feuerwehr verbunden wurden. Ein herbeigerufener Arzt ordnete die Ueberführung nach dem städtischen Krankenhause an. Ein Akt größter Rohheit spielte sich auf der Hauptstraße in Einsiedel ab. Als ein 21jähriger Fabrikarbeiter und ein 22jähriger Schlosser von dort einen dortigen jungen Burschen, welcher ohne jeden Grund von 2 Unbekannten angerempelt und geschlagen wurde, aus den Händen der Raufer befreien wollten, setzten sich letztere zur Gegenwehr, wobei einer der selben ohne weiteres von seinem Taschenmesser Ge brauch machte und dem einen Eingreiferfünf und dem anderen vier Stiche, meist im Gesicht, beibrachte. Einem dieser rohen Burschen gelang es, nach dieser Heidenthal durch Flucht zu entkommen, der Messer held aber, ein 21jähriger Klempnergeselle Namens Uhlig aus Chemnitz, wurde verhaftet und anderen Morgens der Staatsanwaltschaft übergeben. Von den Ladeninhabern in Lichtevsteiu war ein Gesuch an den Rath gelangt, dahingehend, eingeführte und zum Hausiren bestimmte Waaren mit einem Stättegeld zu belegen. Es entspann sich hierüber in der letzten Stadtverordnetensitzung eine lebhafte Debatte, die sich für und wider die Einführung einer Stätte geld-Ordnung richtete und letztere wurde schließlich abgelehnt. In der Nacht zum Montag hat ein frecher Dieb der Todtenhalle in Altendorf einen Besuch ab gestattet. Nachdem er die Fensterscheibe zum Neben- raum der Halle eingedrückt und das Fenster aus- gewrrbelt hat, entwendete er die drei dort befindlichen Stühle. Hoffentlich wird er bald den Lohn für seine unverfrorene That finden.D Der mehrfach erwähnte ungetreue „Haushälter" Ziegelmeister Protze in Lichtenwalde hat, wie ein hellig im Orte zugegeben wird, ein außerordentlich bescheidenes Leben geführt und so gut wie gar kein Taschengeld gebraucht. Lieber hungerte und durstete er, wenn er seiner Acmter wegen in Versammlungen zugegen war, als daß er einige Groschen ausgab. Rach übereinstimmenden Urtheilen hat Protze das ganze Jahr hindurch nicht 5 Mark in den Wirthschaften ver braucht. Wenn er überhaupt nicht amtlich draußen zu thun hatte, blieb er stets daheim. Aus diesen Gründen mußte bei dem Ableben ves genannten Ziegel meisters eine riesenhast verblüffende Situation ent stehen ob des vorliegenden bedeutenden Mankos in den ihm anvertraut gewesenen Kaffen. Roch immer be schäftigen sich die Bewohner von Lichtenwalde und der Umgegend damit, wohin das ansehnliche Sümmchen von ca. 3000 Mark gekommen sein mag. ES wird hoffent lich noch Licht in die fatale Sache gebracht werden. Ein bedauerlicher Unglücksfall ereignete sich am Montag Abend in der elften Stunde auf dem oberen Bahnhofe in Reichenbach i. B. Ein im Dienste ergrauter Beamter, der Weichenwärter Meyer, wurde in Ausübung feines Dienstes von einer Rangirmaschine erfaßt und in da- Geleis geworfen. Es ist ihm hier bei der rechte Fuß oberhalb des Knöchels abgefahren und der linke Fuß zerquetscht worden. Nach Anlegung eines NothverbandeS durch Herrn vr. weck. Schunke wurde der Verletzte ins Krankenstlft zu Zwickau gebracht. Der Verunglückte ist verheirathet, Vater von 6 Kindern und wollte demnächst nach 27jährigem Dienst in den Ruhestand gehen. Meyer ist nach feiner Einlieferung ins Kraukevstift gestorben. Im Holzhofe des Rittergutes Reibersdorf ver- unglückten dieser Tage zwei mit Aufsetzen von frisch geschnittenen Brettern beschäftigte Arbeiter dadurch, daß ein Stoß Bretter umfiel und die zwei Arbeiter zum Theil unter die umgefalleuen Bretter zu liegen kamen. Auf die Hilferufe der Verunglückten eilten Leute herbei und befreiten die Arbeiter aus ihrer gefahrvollen Lage. Der Arbeiter Fiedler hatte schwere Kontusionen an Kopf und Beinen erhalten, während der Arbeiter Riedel mit leichten Kontusionen an den Beinen daoonkam. In der Rächt zum Sonntag gegen 1 Uhr wurde die Einwohnerschaft von Thostfell durch Feuersignale in großen Schrecken versetzt. Es war nämlich ein stacker Feuerschein in der Richtung Gan-grün bemerkt worden. Rach Verlauf von kaum 10 Minuten trat die Pflicht-Feuerwehr, die die Spritze mit sich führte, den Marsch nach dem Brandplatze an. Die Grenzen der Gemeinde Gansgrün waren bereits überschritten, als man bemerkte, daß der Helle Schein am Himmel durch den — unte^gehenden Mond veranlaßt war und nicht von einem Brande herrührte. Unter Scherzen trat man darum schleunigst den Rückweg wieder an. Der Pflichteifer der Leute, die so schnell wie möglich zur Hilfeleistung nach auswärts eilten,, ist auf alle Fälle der Anerkennung Werth. Als eine Merkwürdigkeit ist beim Schmiedemeister Leutert in Helleu-orf ein Zickel zu betrachten, das schon 14 Tage alt ist und dennoch sich in nacktem Zu stande befindet, wie es auf die Welt gekommen ist. In dem Stalle des Herrn Leutert sind derartige sonderbare Geschöpfe schon mehrfach vorgekommen. In einem Lebensmittelgeschäfte auf der Scheffel straße in Dresden verstand es am Sonntag früh eine gut gekleidete Frau, beim Umwechseln einer Doppelkrone sich unrechtmäßiger Weise ein Zehnmark stück anzueignen. Ehe der Verlust bemerkt wurde, war die Frau schon zur Thür hinaus und spurlos verschwunden. Gestern in aller Frühe ist auf dem Schlesischen Bahnhof in Dresden-Reustadt der Stationsaspirant B., welcher im Telegraphenbureau auf dem Haupt bahnhofe in Dresden-Altstadt angestellt war, von einem Personenzuge überfahren und getödtet worden. Nach den begleitenden Umständen zu urtheilen, dürfte ein Selbstmord nicht ausgeschlossen erscheinen. Eine „Schreckensthat" wird aus Plauen bei Dresden gemeldet. Ein alleinstehender Herr hatte ein Faß Rothwein geschenkt bekommen, das er, da er von Podagra geplagt auf dem Sopha festgebannt war, von einem Küfer abziehen ließ. Es ward Abend, aber der Weinabzieher kam nicht aus dem Keller, die Haushälterin rief — keine Antwort. Endlich sah der alte Herr selbst nach und fand zu seinem furchtbaren Schrecken den Mann ausgestreckt auf dem Rücken liegen, um ihn eine mächtige Blutlache. Sofort wurde die Ueberführung des Unglücklichen veranlaßt, und die eingeleitete Untersuchung klärte den mysteriösen Vor gang auf. Der Weinabzieher ist wieder zum Leben erwacht, nachdem die ärztliche Untersuchung einen Mordsversuch constatirte und Gegenmittel angewendet wurden. Die Blutlache war das edle Rebenblut, das vollständig aus dem Fasse ausgelaufen war. Montag früh >/,5 Uhr ertönten plötzlich die Sturmglocken und Feuersignale der freiwilligen Feuer wehr in Crimmitschau. Es brannte in der der Firma Gebrüder Wagner gehörigen, am Mühlgraben gelegenen Vigognespinnerei. Die Fabrik, die zu den älteren Fabriken der Stadt zu zählen ist, brannte vollständig nieder. Am Freitag verunglückte im Kalkwerke Lengefeld der Arbeiter Sch. aus Lauterbach. Durch Aufschlagen auf das Gestein erlitt derselbe mehrfache Schädelbrüche, welche den sofortigen Tod herbeiführten. Sch. ist ver heirathet und hinterläßt Frau und drei Kinder. Am Sonnabend Abend wurde in Johann georgenstadt das 6 Jahre alte Söhnchen des Hand schuhmachers Zimmer, das zu Ostern in die Schule gekommen war, vermißt. Der Knabe hatte mit anderen Kindern im Nachbarhofe gespielt, er war hier bei in die Jauchengrube gefallen und darin ertrunken. Nahezu ein halbes Jahrhundert ein und dem selben Meister gedient zu haben, darf sich der Schuh- machergehilfe Pflugbeil in Berthelsdorf rühmen. Der jetzt 62 Jahre alte, noch fehr rüstige Mann trat im Jahre 1854 bei Herrn Schuhmachermeister T. F. Mücke daselbst als Lehrling ein und verblieb bei diesem nach beendeter Lehrzeit bis zur Gegenwack als Geselle. Freud und Leid theilte er in der langen Reihe von Jahren mit seinem Meister und nur ein mal erkrankte er ernstlich während dieser Zeit. Die Hingebung und Treue, mit der Pflugbeil seinem Arbeitgeber gedient, wurde von feiten der Behörden wiederholt ehrend anerkannt. Meister und Geselle trennten sich kürzlich nach 45jährigem treuen Zusammen wirken. Sie legten beide das Handwerkszeug beiseite, um sich einen ruhigen Lebensabend zu gönnen. Durch Fleiß und Sparsamkeit ist es ihnen möglich, sorgen frei in die Zukunft blicken zu können. In unserer Zeit der socialen Gegensätze ist dieser Fall gewiß be sonders erwähnensweckh. Die letzte Gruppe der Meuselwitzer Raufbolde, welche gemeinsam den Gastwirth „Zur Weintraube" in Meuselwitz thätlich angegriffen und ihn nebst den jenigen, welche ihm zu Hilfe eilten, zum Theil gefähr- 'ich verletzt hatte, wurde vom Altenburger Landgericht abgeurtheilt. Wie die Namen besagen, sind es lauter Polen. Ihrem Berufe nach Grubenarbeiter. Bobowski aus Zawori erhielt ein Jahr drei Monate Gefängniß, Bogdanowitz aus Ligowska ein Jahr einen Monat, Stachowiak aus Sulkowo ein Jahr, Zintek aus Lutogeniowo neun Monate drei Tage Gefängniß und drei Wochen Haft. Hoffentlich lassen sich andere Raufbolde diese Strafen zur Warnung dienen! km Montag um die 3. Stunde des Nachmittag«, zog ein Gewitter von Westen über Reinsberg her, begleitet von einigen Blitzschlägen, von denen einer den dortigen Kirchthurm traf und zündete. Die Kirche ist mit vom Feuer ergriffen. Gestern Vormittag hat sich auf dem Bayerischen Bahnhose in Leipzig ein schwerer Unglücksfall zuge tragen. Ein in Leipzig wohnhafter 35jähriger Geschirr- sührer, der auf dem Kohlenbahnhofe Kohlen abholen wollte, ging unbefugter Weise über die Gleise und kroch schließlich, ohne daß es bemerkt wurde, zwischen den Wagen eines zusammengestellten Kohlenzuges hin durch, der sich in demselben Augenblicke in Bewegung setzte. Der Geschirrführer wurde sofort getödtet. An billigen Logis herrscht in Leipzig noch immer Mangel. Ein Möbelhändler vermicthet die Wohnungen in seinem Hause, wie er durch Inserate bekannt giebt, nur an Brautleute billig, die noch keine Möbel haben, die von ihm aber die Möbel beziehen müssen! Das ist doch der Gipfel der Unverfrorenheit! In der Handelswelt und unter den Gewerbe treibenden Leipzigs macht sich eine immer stärker werdende Bewegung gegen die Rabattgejellschasten be merkbar. Sowohl der „Schutzverband für Handel und Gewerbe" als auch der „Verein Leipziger Kaufleute und Fabrikanten zur Wahrung berechtigter Interessen" haben Resolutionen gefaßt, die da- Publikum und die Verkäufer eindringlichst vor der kürzlich in Leipzig ge gründeten „Waaren-Rabattgesellfchaft Merkur" warnen. Sie verartheilen aus'- Schärfste derartige Geschäfts einrichtungen, von denen sie schweren Schaden für den Handels- und Gewerbestand wie für dar Publikum befürchten. In der Resolution des Schutzverbandes heißt eS: „Da-Publikum ist darüber aufzuklären, daß d-S Rabattwesen eine Taschenspielerei ist, bei der dem Käufer vorher zu viel Geld abgenommen und hinterher nur ein Theil davon wieder zurückveraütet wird. Am verwerflichsten sind die Rabattzwischengeschäfte oder Rabattgesellschaften, denn sie wollen ernten, ohne zu säen, sie nehmen ihren Rutzen von den Kaufleuten und vom Publikum, sie hängen dem Publikum auch Trödel- waareu zu hohen Preisen auf." ES soll versucht wer den, auf Grund des Gesetzes wider den unlautere» Wettbewerb die Auflösung der mit der Gesellschaft ge schlossenen Kontrakt zu ermöglichen. Ja Oeltzscha« bei Mühlberg a. d. Elbe wurde vorgestern bei einem heftigen Gewitter der Schornstein der RittergutSbrennerec vom Blitz zertrümmert und der Schäfer Born, der sich in der Nähe de- Schorn stein- befand, vom Blitz erschlagen, während ein Ar beiter durch die niederstürzenden Steinmaffen erhebliche Verletzungen davontrug. In Mühlberg schlug der Blitz auf drei Stellen ein, ohne indessen erheblichen Schaden anzurichteu. Am Sonntag feierten in Oybin der ehemalige Bauerguts- und Zwistereibesitzer Herr Johann Gott lieb Augustin, 82 Jahre alt, und seine Frau Johanne Friederike geb. Hänsch, 81 Jahre alt, das diamantene Ehejubiläum. Die Einsegnung des Jubelpaares fand in der Wohnung statt, da der Jubelbräutigam schon seit 26 Jahren völlig erblindet und die Jubelbraut, vom Alter gebeugt, die Kirche nicht mehr besuchen können. Eine kaum glaubliche, aber wahre Thatfache hat sich am Montag in einem Dorfe unweit Meißens zugetragen. Ein Brautpaar, welche- sich ehelichen wollte, hatte eine stattliche Anzahl Verwandte und Be kannte zu dem Hochzeitsseste eingeladen. Alles war in schönster Ordnung und der Brautzug bewegte sich in ernster Stimmung nach dem Standesamte. Dort an gekommen, wurde das Brautpaar von ein paar jungen Schreibern empfangen, mit der üblichen Herablassung und mit dem Bemerken beschieden, einen Augenblick zu warten. Die Anwesenden warteten in angeborener Ehrerbietung geduldig eine halbe Stunde und dreiviertel Stunde, ohne daß aber der die Ehe voll ziehende Standesbeamte erscheint. In der Kirche wartet ebenso der Pfarrer Mit den Chorknaben, die Lauter schauen erwartungsvoll durch die Schalllöcher, aber kein Brautzug wird sichtbar. Endlich, nach Ver lauf einer Stunde, faßt der Bräutigam Muth und fragt den unruhig gewordenen Herrn Schreiber nach der Ursache der Verzögerung. Da wird ihm dann folgende sonderbare Mittheilung: „Der Herr Standes beamte ist auf drei Tage verreist und hat keinen Stell vertreter bestellt, die Trauung wird wohl unterbleiben müssen." Auf die Anwesenden wirkte diese Offenbarung wie ein Donnerschlag, und es wäre nun zu einer deut lichen Auseinandersetzung gekommen, wenn nicht Jemand den glücklichen Gedanken gehabt hätte, den Stellver treter des Standesbeamten herbeizuholen. Dieser war jedoch auf dem Felde beschäftigt und so verrann noch eine weitere halbe Stunde, bis endlich die Trauung vollzogen werden konnte. Eine Verhaftung mit Hindernissen wurde am Montag Mittag von der Polizei auf der sogenannten Hosstadt in Zittau vollzogen. Dort wohnt, wie das Amtsblatt berichtet, eine wegen ihres lüderlichen Lebenswandels bei der Polizei anrüchige Frauens person, welche einem bei ihr dienstlich vorsprechenden Schutzmann den Einlaß verweigerte und sich einge- fchlossen hielt. Nachdem der Beamte anderthalb Stunden gewartet, erschien ein zweiter Schutzmann, worauf eine Leiter angelehnt und der Eingang durch neun Advokaten, un „Dummen Snack," murmelte Ave, „ich Iweiß kein Sterbenswort von Kompani, iS ja all' nich wahr." Hatten sie ihn zum Besten? er wollte gar nicht mehr an den Kram erinnert werden; ihm brannte der Kopf gewaltig, und die Angst war auch wieder da. Er war eigentlich gar nicht vorwärts gekommen durch den Besuch bei Wiese, zudem hatte er noch Spott und Gelächter hinter sich. Gegen neun Uhr wollte er zum Advokaten gehen und seine Rechnung begleichen. Nebenbei wollte er dann bemerken, daß er es auf einen Proceß ankommen lasse. Als er die eine Seite der Straße hinuntcrging, kam Wiese die andere herauf. Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, und er schielte so von der Seite, ob jener einen Schritt ihm entgegen machen würde. Aber das that der nicht! „Soll ich zuerst guten Tag sagen, oho! hab' ihm ja gestern die Hand ge- boten, Heu? kann er kommen, ich hab's noch lange nich uöthig, vor seinem Geldsack zusammenzuknickeu." Prachtkerl, na nimm nix übel, allens soll vergeben nnd vergessen sein." „Ja — mien guter Wies', mienen ollen gauden Wies' . . ." Spät trennten sie sich. Jochen, der Hausknecht, mußte Peter Ave hinuntergeleiten. Den nächsten Morgen grüßte Barbier Albrecht schon aus weiter Ferne. „Gratuliere, Herr Ave, es ist entschieden das beste. Der Klügere giebt nach. Brav, daß Du Dich versöhnt hast mit dem da oben, Zerr Ave. Ja, ja, ich weiß es schon. Ist es aber wirklich wegen der Steuergeschichte?" „Wat — wat — ne, was sagst Du, Albrecht, wer hat Dir das gesagt?" „Bei Schleuß hab' ich's gehört . . Du weißt ja, da ist die reine „Börse"." „Na, das iS denn doch zu doll — so 'n Klatsch, nest! Albrecht, ich will nich „halbiert" werden." Er drehte sich um, ließ den lächelnden Barbier tehen. „Schad' nicht, Herr Ave, morgen komme ich vieder, wenn der Kater abmarschieck ist." „Holla, 'n Morn auch, Peter Ave, na, gestern gieg's ja höllisch hoch her bei Wiese, da sollt Ihr ja die Kompani unt sechs Buttel Wein begossen haben?" fragte Ackerbürger Tardel, der eben aufs Feld hinausfuhr. Ter da unten und der da ave« Skizze von Hedwig Wigger. (Nachdruck verboten.) Schlutz. Anfangs verstimmte es sie doch, als sie über das Resultat der bisher vorgenommenen Schritte sicb aussprachen. Wieses Advokat Hane ebenfalls erklärt, die Steuern müssen nachgeliefeck und — die Strafe, wenn er nüchtern is, kann einer 'n vernünftig Wort mit ihm sprechen. Schad', daß er so säuft ... ja hei süvpt tau dull." Dann trösteten sie sich einigermaßen mit dem i Gedanken, daß der Staat ja doch der Genarcke sei, da sie viel mehr verkauft und verschänkt und ja auch noch ein paar Hypotheken auf Nachbargrundstücken hätten . . das war ja noch gar nicht herausgebracht. Sie waren stolz darauf, einen so glänzenden Hinweis auf den Gang ihres Geschäfts geben zu können. Bäckerei mit Gastwirthschaft ist immer noch nicht das Schlimmste. Wie sie sich anblinzelten mit den kleinen schlauen Angen! Bier und Rum brachten sie in eine Stimmung, an der die Pfeile der schwersten Sorgen ohnmächtig abprallen mußten. Als in der Dämmerung noch andere Gäste kamen, gingen sie ins „Honoratiorenzimmer", ließen Wein auffahren, tauschten Vertraulichkeiten aus und fingen an zu singen: „Kleine Blumen, kleine Blätter . ." das war des Glückes höchster Gipfel! Dann flossen die Thränen. Thränen des Leides über die jahrelange Trennung, Thränen der Freude über die wiederge wonnene Kameradschaft. Es war ein Schwelgen in seligen Gefühlen. die das Gericht über ihn verhängen werde, ebenfalls beglichen werden. Ohne Widerspruch. Aber sie ent schlossen sich, morgen mit Dix zu sprechen, dem früheren Registrator, der immer gute Rathschläge zu geben wifse. „Dix is klüger als „Wies', Du bist der Beste, der liebste mir in ganz Schönberg. Wie war das nur möglich, daß wir beide in Streit kommen konnten. Wir beide, Wies' — ne — ne." „Ich versteh's auch nicht, Aven. Du bist so 'n Wiese hatte ihn natürlich bemerkt. „Was fällt dem ein? waS glaubt der? kuckt mich an und denkt «Mi End', ich soll zuerst grüßen. Ne, is nich, mein Lieber, is nich! Mein früherer Geselle verlangt, daß ick zuerst grüße. Na, so was!" Einen Augenblick sahen sie sich an. Doch dann wendeten sie sich entrüstet ab und gingen weiter. Selbstsucht und Dummheit waren Sieger geblieben. Ave ging nun direkt aufs Rathhaus. Er war sehr erregt. „Was Herr Sekretär, ich soll fünfhundert Mark Steuern nachzählen, un Wiese man blos neun hundert, wo er doch das Doppelte, ne das Dreifache mehr hat als ich. Er hat mir's ja gestern gesagt, a datt hett hei bahn." Der Stadtsekretär lächelte. „Seien Sie unbe sorgt, Herr Ave, Gerechtigkeit wird und muß geübt werden. Ein Unrecht soll Ihnen nicht geschehen." In der Thür begegnete Peter sein „wiederge wonnener Kamerad". Sie stießen sich unwirsch mit den Ellenbogen und sahen sich gar nicht an. „Was, Herr Sekretär, Ave hat nur fünfhundert — und ich habe neunhundert zu bezahlen? Das brauch' ich mir nicht gefallen zu lassen; ich verlange eine Revision. Er hat mir gestern Abend mit „wahrhaftig" versichert, daß er dreimal so viel hätte, als die Herren auf dem Rathhaus dächten." Der Stadtsekretär lächelte wieder. „Der Ge schichte soll auf den Grund gegangen werden, lieber Herr Wiese, verlassen Sie sich darauf. Jeder von Ihnen soll befriedigt werden." Vierzehn Tage später erschien eine Steuer- kommission bei Ave sowohl, als auch bei Wiese. Sie machte nicht viel Aufhebens, aber wanderte vom Keller zum Boden, vom Stall zur Scheune und guckte auch in die Bücher. Nachher blieb eine Weile alles still. Beide glaubten, es sei niedergeschlagen worden. Peter Ave rauchte wieder mit Behagen seine Cigarre und trank einen echten Arrak. Warum sollte er sich's nicht leisten? Da schnüffelte eines Morgens Barbier Albrecht wieder im Laden herum. „Wissen Sie schon, Frau Ave, wissen Sie schon, Wiese muß achtzehnhundeck Mark Steuern nachzahlen!" „Was sagen Sie! Ist das wahr?" „Wahrhaftig. Er schimpft und flucht; doch da ¬ gegen ist gar nichts zu machen, gar nichts, wie Dix mir sagte, er hat sich die Suppe selbst eingebrockt." „Sagen Sie man -ichts meinen Mann, Herr Albrecht, er hat sich eben ein bischen beruhigt. Hier, nehmen Sie den Kindern ein paar Kringel mit." Sie steckte ihm eine große Düte zu. Albrecht ging, ohne Ave gesehen zu haben AIS Mine ihrem Mann das zweite Frühstück bringen wollte, fand sie ihn gebückt und gedrückt in der Fensterecke, er sah sehr blaß aus. „Ich esf nix, Mining." „WaS iS denn loS?" „Donner un Doria — da guck doch!" Er reichte ihr einen großen Brief, gestempelt mit dem Büffelskopf, „Nu, les' vor." Mine las. „An den Bäckermeister und Gastwirth Herrn Peter Ave, Die Untersuchung hat ergeben, daß die erste Abschätzung in der That nicht in allen Punkten stimmte. Nach der zweiten sorgfältigen Schätzung der vereidigten Kommission haben Sie die Summe von 1172 — in Buchstaben — eintausendeinhundert- zweiundsiebzig Mark auf hiesigem Rathhaus binnen Monatsfrist zu erlegen. (Datum und Siegel.) Bürgermeister und Rath. „Herrjeh, Ptter!" „Ich weiß nich — ich weiß nich, wie das werden soll — das schöne Geld! Das kommt von 'ner Freundschaft, keinem Menschen soll man trauen!" Beide starrten auf den großen Aktenbogen, lasen noch 'mal, was da geschrieben stand. Er guckte wieder ins Leere. Mine aber war klug, sie wollte ihn nicht so traurig sehen. „Weißt was? Bezahlt muß werden, und wir haben doch einen Trotz: der da oben muß neunzehn hundert geben — da rech' 'mal aus, wie viel mehr das ist!" „Neunzehnhundert? neunzehn . Wie ein kleines schadenfrohes Lächeln zuckte eS um seinen Mund. „Na, ich geh' aber nich wieder 'rauf, nu kann Wies' hierherkommen, wenn er Rath will." „Wenn er! Aber eins sag' ich: getrunken wird nix, den Willkomm bring' ich und damit isto "
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)