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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 26.03.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-189903267
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-18990326
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-18990326
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-03
- Tag 1899-03-26
-
Monat
1899-03
-
Jahr
1899
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 26.03.1899
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MenSm-EMNer WeM Amtsütatt. Nr. 71. Sonntag, den 26. März 1899. Beilage. Am Tage der Confirmation. (Valme«-So««tag.) Nun komm', mein Kind, reich mir die Hände Und schau mir offen in's Gesicht; Wahr' es gleich einem Testamente, Was jetzt dein Vater zu dir sprichc. Nur wenig Worte will ich sagen Zu dir, mein heißgeliebtes Kind, Mög'st du sie treu im Herzen tragen. Auch wenn wir längst geschieden sind! Du mußt nuu von der Schule scheiden Und von der Spielgenossen Schaar; Die theure Stätte wirst dn meiden, Die deine Welt im kleinen war. Du trittst hinaus jetzt in das Leben, Zu Ende ist das Kinderspiel; Nun gilt es einem ernsten Streben: Nur rüst'ges Schaffen führt zum Ziel! Was dir an Glück bisher beschieden, Was du verlierst, du ahnst es kaum! O möge dir der Herzensfrieden Ersetzen deiner Kindheit Traum! Noch liegt dein Ziel in weiter Ferne, Getrost! Du stehst in Gottes Hut! Trau' gläubig deinem guten Sterne, Sei auch in Zukunft brav und gut! Acht' auf die Reinheit deiner Seele Und fliehe der Versuchung List; Sieh' duldsam Andrer Schuld und Fehle, Weil du ja selbst nicht fehllos bist. Naht Armuth dir auf deinen Wegen, Da sei zu helfe« gern bereit, Und wirke du — es bringt dir Segen! — Im Dienst der edlen Menschlichkeit. Sei arbeitsam, und kühn vertraue Dir selbst und reiner eignen Kraft; Nicht auf die Worte Andrer baue, Nur vorwärts kommt, wer selber schafft! Zu hoch hinaus lenk' nicht dein Sinnen Und meide äußern Glanz und Schein; Du wirst an inner'm Werth gewinnen Und mit dir selbst zufrieden sein! — Dies mein Vermächtniß! Wirst du wahren, Was deines VaterS Herz bewegt? Wirst du es halten, wenn nach Jahren Das Herz des Vaters nicht mehr schlägt? Ich bau' auf dich! Du wirst es halten Und ferner bleiben brav gesinnt! Mög' über dir ein Glückstern walten — Gott sei mit dir, mein theures Kind! Palmsonntag. Der Palm'onntag ist das Thor, welches das Allerheiligste der gefammten Christenheit erschließt, das Kreuz mit dem Gekreuzigten auf Golgatha; der Palmsonntag leitet die „große Woche" ein, in die der höchste und dabei stillste christliche Feiertag fällt — der Charfreitag. Welche tiefgehende Gegensätze um schließt diese sogenannte große Woche: des Heilands bleibende Liebe bis zu seinem Tode am Kreuze zu der ganzen sündigen Menschheit und den Wankclmuth und die gräßliche Undankbarkeit des verführten jüdi schen Volkes! Zwar schien es anfangs, als ob das Volk sich zu dem Herrn halten wollte in dankbarer Erinnerung an alle die Wohlthaten, die Er ihnen in Seiner un aussprechlichen Liebe und Barmherzigkeit in Wort und That bewiesen hatte, denn in froher Begeisterung ging es Ihm entgegen, streute Palmen auf den Weg und breitete die Kleider aus, daß Sein Fuß weich gehe und rief Ihm bei Seinem Einzuge in Jerusalem zu: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, ein König von Israel", wie man es bei einziehenden irdischen Königen zu singen pflegte; aber bald ließ sich die urtheilslose Menge durch ge wissenlose Verführer umstimmen, sodaß derselbe Mund, der den Einzug des Herrn segnete, bald das schauer liche „Kreuzige, kreuzige ihn" rief. So ward durch der Feinde Tücke aus dem Freudentage des Palmen tages der Schmerzenstag des Charfreitags! Von altersher ist der Palmsonntag der Einseg nungstag unserer Confirmandcn, an dem sie in unsern evangel. Kirchen vor öffentlicher Gemeinde ihren Glauben bestätigen und ihrem Heiland Treue bis in den Tod schwören. In treuer Nachahmung von Jesu Einzug in Jerusalem ziehen dieselben heute überall unter Glockengeläute mit ihren Lehrern und Seel sorgern von den Schulhäusern in das Jerusalem ihrer heimischen Kirchen, und manches Eltericherz jubelt im Blick auf den Sohn oder auf die Tochter, die sich mit in diesem feierlichen Zuge befinden: Hosianna, gelobt sei Golt, der mich diesen frohen Tag erleben ließ nnd unser Kind bisher so gnädig behütete"; und wohl kein Elternauge bleibt bei dem feierlichen Aki der heiligen Confirmation ganz thränenleer in wahrer Palmsonntagsfreude — aber — auch eiu Wehegefühl des kommenden Charfreitags will sich schon mit ein mischen, in banger Sorge meldet sich die Frage: wird unser Liebling auch ferner uns noch Freude oder Kummer oder sich selbst ein Charfreilagsleben voll Herzeleid und Elend durch eigene Schuld bereiten und wohl gar der Nagel zu unserem Sarge werden? — Heute sind unsre evangel. Kirchen voll; gebe Gott, daß Sein heiliges Wort auch aller derer Herzeu wieder treffe, die es vergessen haben, was der Palmsonntag ihnen zur Lebenspflicht gemacht hat, die ehemals am Tage ihrer Confirmation in jugendlicher Begeisterung das Wort von Treu und Glauben zu und an den Heiland schwuren, doch baldigst ihr Versprechen im wirren Weltgetriebe vergaßen und statt ihrer eigenen Lüste und Begierden den Heiland kreuzigten in ihrem eitlen sündigen Lebenswandel! Würden doch unter den Christen immer weniger von denen, die im Palmsonntagskleide in ihren Ge meinden umhergehen mit einem Hosianna auf den Lippen und doch dem „Kreuzige, kreuzige ihn" im Herzen, märe vielmehr allen Christen Ivie diesmal, so immer der Palmsonntag das Thor, welches die Herzen derselben erschließe, damit das Kreuz mit dem Ge kreuzigten darin seinen Ehrenplatz wieder erhalte, wie es die fromme Elisabeth von Thüringen meinte, als sie den Klosterfrauen zur Antwort gab auf ihre Frage, wie ihr das berühmte Crucifix, das Bild des Ge kreuzigten, welches an der inneren Klosterwand hing, gefiele: „Das Bild gehört ins Herz, sonst ist's an der Wand verlorene Arbeit!" Sächsisches. Hohenstein-Ernstthal, 25. März 1899. lMittheilungen von allgemeinem Interesse werden dankbar ent gegengenommen und eventl honorirt. Das Kaiferpanorama im Gesellschaftssaal zur „Altdeutschen Trinkstube" bietel in dieser Woche eine hervorragende Zusammenstellung landschaftlicher wie architektonisch w Schönheiten der alten und neuen Welt aller Zeiten Neben Ausgrabungen in Pompeji ehen wir Nizza umgeben vom Blüthenschmuck der )errlichen Natur, neben den Ruinen Geroldsteins Hollands und Belgiens prächtige Küstenpunkte. Wir ehen Konstantinopel und Athen mit der berühmten Akropolis, ebenso Berlin, die schönen Landschaften des chottischen Hochgebirges, den Kreml in Moskau wie )ie Wasserfälle in Biskra (Algier). Dem Besucher iietet sich daher reichlich Gelegenheit, für wenig Geld interessante Gegenden der Erde kennen zu lernen. lieber die Gruvpirung der sächsficken Armeecorps «ach der Militärvorlage will die Berliner „Post" Folgendes wissen: Die beiden neuen Corpsbezirke oes künftigen XII. und neuen XIX. Armeecorps werden durch eine im Allgemeinen von Norden nach Süden gehende Linie geschieden. Die Linie setzt östlich Riesa ein, geht zwischen Meißen und Döbeln durch, läßt Freiberg östlich, Chemnitz westlich und endet im Süden zwischen Marienberg und Annaberg. Der östliche Theil gehört dem XIl. Armeecorps; Generalcommando und beide Divisionen, 23. und 32., in Dresden. Die 23. behält die 45. und 46. Infanterie- und 23. Cavalleric- brigade, die 32. nimmt zur 64. Jnianteriebriqade nock die 88. aus, behält die 32. Cavallericbrigade. Zam XIX. Armcecorps, welches den westlichen Theil des Landes eininmmt, Generalcommando Leipzig, kommt die dort bereits stehende "'4. Division unter Abgabe des Jmantcrie-Regiments Nr. 179. Neugebildet wird die 46. Division in Leipzig und die 63. Jnianterie- brigade in Chemnitz mit 1 Regiment in Zwickau und aus der neuen 89. Jnianteriebrigadc in Leipzig mit dem Regiment Nr. 179 und dem neuen Regiment Nr. 181, gebildet aus dem umzuwandelnden Jäger- Bataillon Nr 15 und einem neuen Bataillon, dies Regiment kommt nach Cyemnitz. Die neue Division erhält an Cavallerie eine Jäger-Escadron in Leipzig; das neue Armeecorps hat sein Pionier-Bataillon Nr. 22 in Riesa, sein Train-Bataillon Nr. 18 in Leipzig. Das XII. Armeecorps hat feine beiden Feldartill"rie- Brigaden 23 und 32 in Dresden, die erstere mit beiden Regimentern Nr. 12 und 48 in Dresden, die letztere m>t beiden Regimentern Nr. 28 und 64 in Pirna. Di'' reitende Abtheilung hohen Etats ist beim Regiment Nr. 12 in Königsbrück. Das XIX. Armeecorps hat beide Feldartillerie-Brigaden 24 und 40 in Leipzig, erstere Vie beiden Regimenter Nr. 32 und 68 m Riesa, letztere das Regiment Nr. 77 in Leipzig, 78 in Wurzen. Die Telegraphen-Compagnie kommt zum XIl. Corps in Dresden. Haltung der Postverwaltung iür Beriehen ihrer Beamten. Der Stoatssecretär des Reichs-Postamts hat dun Präsidenten des „Deutschen HanoelstigS" a.:' seine Eingabe vom 22. Octobcr 1897 am 8 März er widert: „Dem dortseitigen Wunsche gemäß habe ch Frage, ob die ReichsPostverwaliung beim Abschluß von Abkommen wegen Prüiu.g der Empian^r- berechtigung der Abholer von Postsendungen die H <>t- pflicht für Versehen ihrer Beamten übernehmen könne, eingehend erwogen. Bei aller Bereitwilligkeit, dem Publikum, insbesondere dem HandOLstanve, entgegen zukommen, muß aber die Reichs-Postvcrwaltung mit Rücksicht aus das Ergcbniß der statlgcsundenen Er örterungen die Ersatzverbindlichkeit auch seiner ablehnend Wie vom evangelisch-lutherischen Landeskonsistonum in der soeben zur Ausgabe gelangten Nummer 2 seines Verordnungsblattes bekannt gemacht wird, betrug das Lcrmözm der Neuen Gesangbuchskasse am Ende des JahreS 1898 1052206 Mark 53 Pig. Unerhörte Zustände in der amerikanischen Fleisch - kontrolle werden, nach der neuesten Mittheilung der „Allgem. Fleischerzeitung", jetzt in Amerika bekannt. Bekanntlich hat die Lieferung fauligen und ungenieß baren Büchsenfleisches an die amerikanische Armee und Flotte in Amerika wie in der ganzen civilisirten Welt die größte Entrüstung hervorgerufen. Eine zur Untersuchung der Sache eingesetzte Commission bereist gegenwärtig die Schlachthäuser, aus denen das Fleisch lezogen wird, zahlreiche Zeugen werden vernommen, viele von ihnen bekunden, daß das Fleisch, das den ür das Vaterland kämpfenden Soldaten geliefert vurde, ungenießbar gewesen sei. Das größte Aus- ehen aber erregt das jetzt in die Oeffentlichkeit -ringende Zeugniß eines langjährigen Werkmeisters des bekannten Armourschen Schlachthofes in Chicago, Thomas Dolan, der unter seinem Eide ausgesagt hat, )aß während seiner zehnjährigen Thäligkeit bei Armour die amtliche Vieh- und Fleischbeschau nur eine Komödie gewesen sei, daß kranke Rinder zu Tausenden ge- chlachtet wurden und ihr Fleisch in den Verkehr gebracht worden sei. Und der ehemalige Gouverneur von Illinois, Jahn P. Altgeld muß bestätigen, daß zu der Zeit, als er Gouverneur war, die Vieh- und Fleischbeschau in Chicago umgangen wurde, krankes Vieh ohne Schwierigkeit in tve Scklachlhö'e gelangte und selbst Fleisch von wlchem Bceh, das von den Be- sHauern nur als zur Herstellung von Sei-e, Leim und Dung tauglich gekennzeichnet war, zum Genuß iür Menschen in irgend einer Form am den Markt ge bracht wurde. — Mit Recht schreibt die „Allgem. Flcijcher-Ztg." d..zu: Welches Vertrauen verdienen die anderen amerikanischen Schlächtereien undWurstiabriken, wenn die so renommirte Firma Armour in dieser Weise der Fleischbeschau, dem Gesetz, dem Gewissen Hohn pricht! Diese Nachricht trifft gerade in dem Augen blick ein, in welchem dem deutschen Reichstage ein Flcischbeichau-Gejehentwun vorlicgt, der die bisherige Controlle der nach Deutschland cingeiührten ameri kanischen Fleischwaaren abzuschwächen sucht. Unter diesen Umständen wird cs die Pflicht der ReichSrcgie- rung sein, die Mittheilung von den oben erwähnten kandalösen Zuständen in der Handhabung der imeri- änischen ^leischbelchau aui das Sorgfältigste zu prü en uid falls sich dieselben bestätigen, die entsprechenden Maßregeln zu treffen Der ReichS.ommissar iür die Weltausstellung in Varis 1900, Herr Geheimer Oberregierungsrath Dr. Richter in Berlin, hat der Handels- und Gewerbe- lammer Chemnitz den Wunsch zu erkennen gegeben, mit den Aufftellung interessenten auf dem Gebiete der Textilindustrie der Chemnitzer Bezirks in persönliche- Einvernehmen za treten. Bonder Handels- und Gewerbe kammer Chemnitz weiden infolge dessen die Interessenten der g, dachten Branche zu der vom Herrn Geh. Ober- rcgicrungSralh vr. Richter gewünschten Besprechung auf Dienstag, 28. März, vorminazs 11 Uhr im Saale des Neubaues des Carola-Hotels (am Centralbahnhok) in Chemnitz tingeladen. Einen Geiellschaftsausflug nach Kiautschau ver- anstaltct Hugo Stangcn's Reisebureau in Berlin, Holet de Rome, von Shanghai aus in Verbindung mit einer Reise um die Welt. Zweifelsohne wird sich für diese Reise eine größere Anzahl Interessenten finden, denen neben dem vielen Sehenswertyen, welches eine Weltreise an sich schon bietet, Gelegenheit gegeben ist, die in letzter Zeit so viel genannte neue deutsche Besitzung in China kennen zu lernen. Radfahrer-Frühling. Im Frühling erwacht der Radsahrsporl von seinem schattenhaften Winterdasein. Das ist doch noch etwas, das der Rede werth ist. Folgende Zeilen aus der „Köln. Ztg." mögen daher hier einen Platz finden: Die frohesten Kinder des Frühlings sind heutzutage nicht die Liebenden, sondern die Radfahrer, liebende Radfahrer natürlich einbegriffen. Frühling und Radfahren — schon der Klang der Worte muß glücklich und heiter machen, der Gedanke beseligt, und in der That, Radfahren im Frühling ist Die Pfändung. Eine Palmsonntagge,chtchte von Anna Seyffert. (Hochdruck verbalen.) „Seht!" sagten die frommen Kirchgänger, welche in dichten Schaaren dem freundlichen Kirchlein zustrebten, „seht, der Martin Huber hat seinen bösen Tag heute, da geht's der „armen Lotte" schlecht!" Sie blinzelten einander verständnißvoll zu und sahen dem stattlichen Burschen nach, welcher mit langen Schritten und allen Zeichen einer zornigen Erregung eine Frau einzuholen suchte, die, ein etwa fünfjähriges Mädchen an der Hand führend, gemächlich auf dem sonnigen Pfade dahinschritt. ES konnte nicht leicht eine ausgeglichenere Er scheinung geben, als die Lotte Wegners. Sie mochte den Dreißigern nahe sein. In ihre kühne, prächtige Stirn hatte harte Arbeit bereits zwei tiefe Querfatten gegraben, aber sie thaten der frischen Schönheit des Gesichtes keinen Abbruch. Weiß und roth leuchtete die Haut, gesunde Zähne zierten den Mund, und dickes, blondes Haar quoll unter dem Kopftuch hervor. Sowohl in der kernigen Gestalt, wie in den festen charakteristischen Zügen, und auch in den tiefblauen Augen dieses Weibes lag unverkennbar eine ungewöhn liche Willenskraft! Wenn sie sich aber zu dem dunklen Krausköpfchen an ihrer Seite niederbeugte, verrieth eine sanfte Freundlichkeit, daß die Stärke einem weichen, gütigen Herzen entsprang. ,.Bin ich Dein Liebchen?" fragte das Kind. „Ja, das bist Du, Gretelein!" Rede und Gegenrede, die eine unendliche Fülle Don Liebe auSstrvmten, vernahm der Bursche, welcher Lotte jetzt eingeholt hatte. Sein trotziges Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Aber er mußte doch einen Augenblick Athem schöpfen, ehe er den beabsichtigten Angriff wagte. Endlich trat er, sich laut räuspernd, hart an Lottes Seite heran. Es mußre schon ein Menschenkenner sein, der das leise, fast unmerkliche Lächeln zu deuten verstand, das Lottes Mundwinkel um;pielte. Ihre blauen Augen ruhten nach wie vor auf den grünen Bergen vor ihnen, auf den braunen, glatt geeggten Feldern, über die der Frühlingswind vergnügt pfeifend dahinstrich. Marlin überragte das Mädchen noch um Kopfes länge, und so bildeten die beiden, wenn sie neben einander dahinschritten, ein gar stattliches Paar. Das änderte freilich nichts an der Kluft, die zwischen ihnen gähnte — Martin zählte zu den reichsten Bewohnern des Dorfes, und Lotte zu den allerärmsten. Sie verdiente ihren Unterhalt durch Nähen, durch Aushilfe bei einem Festschmaus, wenn es sein mußte, durch schwere Feldarbeit. Brot, Kartoffeln und Milch bildeten ihre und ihres Töchterchens einzige Nahrung, und doch umschwebte der Sonnenglanz einer tief in neren Zufriedenheit Mutter und Kind. Und dieses arme Weib verfolgte Martin von früher Jugend an mit seinem Haffe. Auch jetzt nahm des Burschen Gesicht einen recht hochmüthigen, drohen den Ausdruck an, als er Lotte zuherrschte: „Du bringst weder eine Abzahlung noch Zinsen! Aber einen neuen Sonntagstaat hast Du geschafft, wie ich sehe!" „Ich brauche daS Kleid nothwendig, Martin! Im Juli bekommst Du zehn Mark, darauf kannst Du Dich verlaffen!" „Daß ich ein solcher Tropf wäre! Entweder Du bringst am Donnerstag den rückständigen Zins, oder Du hältst als Magd Deinen Einzug in meinen Hof." Sie blieb stehen und schaute ihn voll aus ihren ernsten, leuchtenden Augen an. „Gieb deinen Wunsch, mich als Magd in Deinem Hause zu sehen, auf, Martin, ich komme nie zu Dir!" „Ick werde Deinen Trotz zu brechen wissen! Stehst Du am Donnerstag nicht als meine Dienstmagd vor mir, so lasse ich am nächsten Sonnabend bei Dir pfänden! Deine ganze Habe gehört mir!" „Sie gehört Dir, Martin! Aber Du wirst mich doch zum Palmsonnrag nicht pfänden lassen, so schlecht bist Du nicht!" sagte Lotte ruhig. „Schlecht!" brauste er auf, „schlecht bin ich noch lange nicht, und wenn ich Dir hier auf offener Straße Tuch und Mantel abnehme! Wer hätte Dir hundert Mark geliehen? Keiner außer mir würde eine solche Dummheit begangen haben!" „Es galt ein Menschenleben zu retten, ich bat für mein krankes Kind!" Lottes Hand glitt kosend an dem krausen Scheitel der Kleinen nieder, „Du bist steinreich, Marlin, und es war Deine Pflicht, zu helfen! DaS sagte ich Dir schon damals, und es leuchtete Dir ein." „Aber es leuchtet mir nimmer ein, daß Du arm selige Person, die kaum für sich selber satt zu essen hat, Dir die Last eines fremden KindeS aufbürdest." „Glaubst Du, daß es mich einst nichts anging, Martin? O, ich danke Dir! Du bist der einzige weit und breit, der an meiner Ehre nicht zweifelt! . . . Mein Leben war so leer, so inhaltlos, und ich sehnte mich unbeschreiblich nach ein wenig Liebe! Seit dem ich mein Kind besitze, bin ich reich und glücklich!" Er wollte von neuem zornig auf sie einfahren, sie aber kam ihm zuvor: „Gelobt sei Jesu- Christus," sagte sie leise und fest, denn sie waren beim Gotteshause angelangt. Martin trat finster zur Seite. Martin durchlebte eine schreckliche Woche. Alles in ihm empörte sich gegen die Grausamkeit, durch die er Lotte Schmerz zu bereiten gedachte, und doch hatte er Befehl gegeben, daß am Sonnabend bei ihr ge pfändet werde. Wenn er allein war, bot er einen unbeschreib lichen Anblick, es war, als treibe er dem Wahnsinn entgegen. „Was ist's mit mir und jenem Mädchen?" preßte er oft zwischen den Zähnen hervor, „warum kann ich nicht lassen von ihr? Wenn sie weniger hochmüthig wäre, könnte alles gut sein! Weshalb will sie mir nicht als Magd dienen? Weshalb nicht?" Er grübelte, ohne zur Klarheit zu gelangen.^Jm Gegentheil, seine Sinne verwirrten sich immer mehr! Gehaßt hatte er dieses Mädchen immer, aber nie zu vor war ein solcher Aufruhr in seiner Brust gewesen. „Sie soll fort aus dem Dorfe!" entschied er end lich hart und kalt, „ich will sie nicht mehr sehen! Wohl, so ist's am besten, ich will sorgen, daß ihr der Aufenthalt hier zur Hölle wird!" Er empfand Befriedigung und Erleichterung bei diesem Beschluß, und nach einigen Minuten raufte er sein Haar und ein brennender Schmerz wühlte in seiner Brust. Am Spätnachmittag der Sonnabend ertrug Mar tin es nicht länger. Die Vorstellung, daß Lotte in Verzweiflung die Hände ringe, trieb ihn hinaus. Und doch war er entschlossen, keiner Bitte um Gnade Ge hör zu geben. Auf Umwegen erreichte er Lottes Hütte. Sie lag am Rande des Forstes, und vor den kleinen, ge öffneten Fenstern standen im Schmuck der zarten, jungen Blätter Hollunder, die eine Art Laube bildeten. ! , > L ! ß ! ?
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