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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 26.01.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-189901268
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-18990126
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-18990126
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-01
- Tag 1899-01-26
-
Monat
1899-01
-
Jahr
1899
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 26.01.1899
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Spiegels. Sem Kops wurde buchstäblich zerrissen uud Gehirutheile wurden im Zimmer umhergeschleudert. Der frühere Redacteur der Sächsischen Arbeiter zeitung in Dresden, der Russe vr. Helphant, hielt sich seit mehreren Wochen in Gera auf und war Mit arbeiter der „Reußischen Tribüne-. Nachdem die Polizei in Erfahrung gebracht hatte, daß Helphant einer Anarchiften-Vereinigung angehört, verfügte das Fürstliche Ministerium dessen Ausweisung aus dem Fürstenthum. Vorgestern wurde der erste Spatenstich zu den vereinigten Reustädter BahnhosSbauten in. Dre-den gethan. Mau begann mit dem Ausschachten von Erd massen für das Empfangsgebäude an der südöstlichen Seite der BetriebSgleise. Bei der am Sonntag in PoHchappel ab- gehalteneu Bezirks-Vorturnerstunde erklärten sich die aus den zugehörigen 19 Turnvereinen versammelten Vorturner gegen die Rationaftestspiele auf dem Riederwald. Aus der Lößnitz. Die milde Witterung, mit der uns der sonst so grimmige Januar in diesem Jahr überrascht, hat denn auch hier seine Wirkung auf die Entwickelung der Vegetation nicht verfehlt. Die Schnee glöckchen sind bereits hervorgekommen. Auch Tulpen, Crocos und sogar das schüchterne Veilchen wagen sich im Verein mit anderen lieblichen Blumenkindern her vor. Flieder und andere Ziersträucher unserer Gärten verkünden durch ihre im Aufspringen begriffenen Knospen das neu erwachende Leben der Natur. Die kleineren Vögel, die sonst unter harter Noth zu leiden hatten, probiren bereits ihre Stimmchen, und auch die Amsel hat die ersten Gesangsstudien ausgenommen. Durch die warme Witterung der jetzigen Tage werden auch viele der niederen Thiere unserer heimischen Fauna an das Tageslicht gelockt. Abgesehen von dem massen haften Auftreten von Maulwürfen und Regenwürmern allerorten, dürste das Vorkommen der als Wassernixen oder Springbücke bekannten langbeinigen Jnsecten, die sich jetzt schon auf manchen stillstehenden Wässern zeigen, als große Seltenheit zu betrachten sein. Das Auftreten großer Mückenschwärme macht sich an vielen Orten bemerkbar. Von ersteren sagt nun eine uralte Bauernregel allerdings nur für den Februar: „Wenn zur Hornung die Mücken schwärmen, muß man im Mai die Ohren wärmen." Demnach stünde noch ein harter Nachwinter bevor. Im Leipziger Polizeigefängniß sprang ein da selbst inhaftirter 23 Jahre alter Commis über die Galene der Gefängnißhalle und fiel durch ein starkes Glasfenster in die Wohnung des JnsvectorS. Dee Flüchtling hatte dabei verschiedene Verwundungen und eine Gehirnerschütterung erlitten, in deren Folge man ihn nach dem Krankenhaus St. Jacob bringen mußte. Vor kurzem ist ein etwa 12- bis 13jähriges Mädchen aus der Ferne nach Weida (Großherzogthur.. Weimar) zurückgekehrt, das durch Elternschuld in die Fremde hinausgestoßen worden ist. Das im Weidaer Armenhause wohnhafte Carl'sche Ehepaar hat das Kind am letzten Vogelschießen um 10 Mark an eine Cirkusgesellschaft verschachert; diesen Erlös hat das saubere Ehepaar wahrscheinlich verjubelt. Die Spieler- gesellschast nahm das Kind mit, leitete es zum Betteln und vielleicht auch zum Stehlen an und mißhandelte es, wenn es nicht genug brachte. Mitleidige Herzen in einenl Dorfe bei Heidelberg nahmen sich des Kindes an und übergaben es der Polizei, die es nun in seine Heimath Weida zurückbringen ließ. Am Abend des 11. December v. I. wurde der Bierfahrer Metzschker auf dem Bahnübergänge der Halle - Hettstedter Eisenbahn, unweit der „Grünen Tanne" bei Nietleben, schwer verletzt und in den tetzt-n Zügen liegend ausgefunden. Die Untersuchung ergab die Gewißheit, daß der Verstorbene verunglückt war. Jetzt ist nun der Nachfolger des Meschker, der Bierfahrer Meinhardt, der von derselben Brauerei mit denselben Pferden nach Dolan rc. gesandt war, fmt genau an derselben Stelle tod^ aufgefunden worden, und zwar ist auch diesmal mit Sicherheit anzanehmen, daß Meinhardt verunglückt ist. Allem Anscheine nach sind die Pferde durchgegangen. Wahrscheinlich hat dann bei einer tollen Fahrt der Wagen geschleudert, so daß die Deichsrl abbrach. Run ist es jedenfalls in rasendem Laufe ohne Deichsel vorwärts gegangen bis an den Bahnübergang, wo ein Rad an den Schienen derart schleifte, daß jedenfalls der Wagen einen heftigen Stoß erhielt. Bei dem Anpralle ist Meinhardt auS der Schoßkelle geschlendert worden, er hat sich aber an dem Wagen so zu halten vermocht, daß er hängend eine ganze Strecke noch weiter fuhr, wobei fein Rock schleifte. Da ist plötzlich ein Rad losgegangen und zerbrochen. Infolge desfen stürzte der Wagen natur gemäß auf dieser Seite nieder und der unglückliche Mann wurde derart getroffen, daß ihm die Spitze der abgesplitterten Achse in das Auge und weiter in dar Gehirn drang. An dieser schrecklichen Verletzung ist Meinhardt Wwrt verstorben. Das von ihm verein nahmte Geld hatte er vollzählig bei sich, auch sind sonst keinerlei Spuren vorhanden, aus denen auf ein Verbrechen zu schließen wäre. Meinhardt war ein sehr ordentlicher Mann, er hinterläßt eine Frau und zwei Kinder, von denen das älteste 4 Jahre alt ist. Aus dem Gerichtssaale. Chemnitz 23. Januar. Strafkammer I. Die am 18. Dezember 1862 in Wüstenbrand geborene, wegen Diebstahls bereits 3 Mal bestrafte Spulerin Minna Auguste verw. Gottlebe geb. Leuschel in Chemnitz stahl 1. im August 1898 dem Bäckermeister R. in Limbach eine Scheere im Werthe von 80 Pfennigen und 2. am 24. Dezember ihrer Logiswirthin, der vereh l. Geschirr- führer B. in Chemnitz, 1 kattunen Oberrock und eine Taille im Gesammtwerthe von 3 Mk. 50 Pf. Sie kam, da ihr mildernde Umstände zugebilligt wurden, noch einmal mit Gefängnißstrafe davon, die ihr in der Dauer von 6 Monaten zuerkannt wurde. Chemnitz, 24. Januar. Strafkammer l. Als am Abend des 25. September 1898 der auf der Linie Stollberg-Altchemnitz verkehrende, 5 Uhr 38 Minuten Stollberg verlassende Zug Nr. 1807 durch Verlassen der Station Harthau sich dem zwischen dieser und der Station Niederharthau gelegenen Kreuzungspunkte der Bahn mit der Schulstraße näherte, nahm der Zugführer CH. gewahr, daß ein zweispänniges Geschirr, anscheinend um die Geleise noch vor dem Zuge zu passiren, in schnellster Gangart nach der Kceuzungs- stelle zu gefahren kam, so daß sich der Zugführer zum sofortigen Bremsen veranlaßt sah. Es glückte ihm jedoch nicht, den Zug nocy vor dem Uebergange zum Halten zu bringen, Lokomotive und Gepäckwagen fuhren vielmehr noch über den Kreuzungspunkt hinaus und es wurde das Handpferd des Geschirrs, dessen Führer gerade noch Zeit gehabt hatte, die Pferde, damit sie nicht überfahren wurden, nach links herum zurücken, hierbei von der Lokomotive gestreift. Außer dieser Beschädigung und dem Zerbrechen der Wagen deichsel trat ein weiterer Schaden nicht ein. Der wegen fahrlässiger Gefährdung eines Eisenbahntrans portes unter Anklage gestellte Führer des Geschirrs, der am 16. Februar 1880 in Reichenhain geborene und daselbst beim Gutsbesitzer D. bedienstete Otto Hermann Fischer, will die Lokomotive nicht so recht zeitig, daß er noch vor dem Uebergange habe halten können, bemerkt haben und macht überdies geltend, daß der Zugführer nicht geläutet und dadurch auf den nahenden Zug aufmerksam gemacht habe. Dem gegen über hat als erwiesen zu gelten, daß der Zugführer bereits von der Station Harthau aus ununterbrochen das Läutewerk in Bewegung gefetzt gehabt hat. Nach den Ergebnissen der heutigen Beweisaufnahme erfolgte die Freisprechung des Angeklagten. Bautzen, 24. Januar. Bor der Strafkammer sand die Hauptverhandlung gegen den Kirchschullehrer und Cantor Johann Suschke aus Klnnbautzen wegen gc- 'ährlichcr Körperverletzung statt. Der Angeklagte war von de'' dortigen Strafkammer wegen des gleiche: De licteS zu 5 Monaten Gefängniß verurtheilt worden. Gegen dieses Urtheil hatte der AngeNagte Revision beim Reichsgericht eingelegt, welches die Sache zur nochmaligen Hauptverbavdlung -n das Landgericht zu- rückwieS- Zu den in dem früheren Proceß festgestellten Mißhandlungen zweier Schulkinder kamen jetzt noch sechs weitere Fälle hinzu. Wie aus der Beweisauf nahme hervorgiuq, hat der Angeklagte die ihm anver- trauteu Schulkinder in einer Weise gestraft, die jedem Menschlichkeitsgefühl Hohn spricht. Der Staatsanwalt wies besonders darauf hin, daß der Angeklagte, ein im Dienste ergrauter Schulmann, solche Mißhandlungen seit Jahren auSgcübt hat. Er bedauerte lebhaft, daß zwei schwere Fälle wegen Verjährung nicht unter An klage gestellt werden konnten und beantragt eine harte Freiheitsstrafe. Der Bertheidiger plaidirte für Frei sprechung! Rach fast einstündiger Berathung verur- theilte der Gerichtshof den Angeklagten unter Weg- stelluug des ersten UrtheilS inSgesammt <u 6 Monaten Gefängniß. Deutscher Reichstag. Berlin, 24. Januar. Der Reichstag setzt die zweite Berathung des ReichsamtS des Innern fort. Der wildconservative Abg. Stöcker hielt den kaiserlichen Februarerlaß für noch nicht erfüll« und beklagte, daß die Socialreform, die früher von einem großen, einem christlichen Geist beherrscht gewesen sei, einen schleppenden Gang an genommen habe. Die Coalitionsfreibeit der Arbeiter wollte er nicht allein unangetastet, sondern in vollem Maße gewährleistet sehen. Man spreche von der Un dankbarkeit der Socialdemokratie. Es sei doS aber ein Erfolg, daß die Socialdemokratie in Stuttgart den Revolutionsplunder bei Seite geworfen habe. Dieser Fortschritt verdiene Anerkennung. DaS Gesetz zum Schutz der Arbeitswilligen werde dasselbe Schicksal baden, wie es die Umsturzvorlage gehabt habe. Die Organisation der Arbeiter sei eine Nothwenoigkeit und ein Mittel, die Socialreform auf die Höhe zu bringen. Der Abg. Müller-Meiningen (dfr.) sprach über die Union zum Schutze gewerblichen Eigenthums, und drückte den Wunsch aus, daß auch das Ausland nach dem Vorgang der deutschen Gesetzgebung schärfere Mag- ahmen gegen den unlauteren Wettbewerb treffe. Der antifemifche Abg. Boeckel regte die Errichtung einer deutschen Rationalbibliothek, de- nationalliberale Ab geordnete Hasse eine Expedition zur Erforschung des Südpols an. Der StaatSsecretär Graf PosadowSky theilte bezüglich der Union zum Schutze des gewerb lichen Eigenthums die Auffassung des Abgeordneten Müller und erkannte die wissenschaftliche Bedeutung einer Südpolarexpedition an, konnte aber über die finanzielle Unterstützung des Unternehmens eine bindende E klärung n och nicht abgeben. Die socialdemokratischen Abgg. Horn-Sachsen Hoch-Hanau und Albrecht er- örterten Mißstände in den Glas- und Porzellavfabriken b zw. im Bauhandwerke und in der Confectionsindustrie. Der StaatSsecretär Graf PosadowSky wies darauf hin, daß nach der einstimmigen Ansicht der verbündeten Regierungen die Bauaufsicht wegen der Verschiedenheit -er Verhältnisse den Localbehörden zu überlassen sei. Sache der Einzellandtage sei es deshalb, die Angelegen heit weiter zu verfolgen; die bayrische Regierung habe auf Anregung des Reichsamts ocs Innern eine Ver- iüqung erlassen, wonach auch Arbeiter zur Aussicht beim Baubetrieb herangezogen werden sollen. Das Gchalt ves Staatssekretärs wurde hierauf bewilligt. Mittwoch werden Anträge aus dem Hause berathen. Tagesgeschichte. Die Novelle zum Jvvalidenversicheruvgs- gesetz. Die Novelle zum Jnvalidenversicherungsgesetz, wie nunmehr der Titel des Gesetzes lauten soll, hat bei den Berathungen des Bundesraths in verschiedenen Beziehungen Abänderungen erfahren, die im Allge meinen als Verbesserungen zu betrachten sind. Die wesentlichste dieser Abänderungen betrifft die Einrichtung der örtlichen Rentenstellen, die nach dem im Reichs amt des Innern fertiggestellten Entwürfe mit selbst ständigen Befugnissen, namentlich mit der Fortsetzung der Renten, betraut werden sollten. Im BundeSrathe hat diese Neuerung wenig Anklang gefunden, denn nach dem jetzigen Entwürfe ist das Verfahren bei der Feststellung der Renten beibehalten worden, den ört lichen Rentenstellen ist nur die Vorbereitung und Be gutachtung der Anträge auf Rentenbewilligung über tragen und nur in Ausnahmefällen kann die Landes centralbehörde diese Befugniß im Sinne der vom Reichsamt des Innern gemachten Vorschläge erweitern. Wir halten diese Einrichtung für eine glückliche Ver besserung des gegenwärtigen Rechtszustandes, denn unzweifelhaft wird es das Vertrauen der Arbeiter zur socialen Gesetzgebung verstärken, wenn bei diesen ört lichen Rentenstellen zur Begutachtung von Fällen, in denen die Rente nicht sogleich nach dem Anträge be willigt werden kann, auch Vertreter der Arbeitnehmer mitwirken sollen. Sicher wird dadurch das jetzt herrschende bureaukrattsche Verfahren nach den so häufig geäußerten Wünschen der Arbeiter eine Be schleunigung und Erleichterung erfahren. Nicht so einfach liegt die Sache bei der Vereinigung des Ver mögens der verschiedenen Versicherungsanstalten; hier wirv der entschiedenste Widerspruch im Reichstage zu erwarten sein. Deutsch»» Reich- Berlin, 24. Januar. Die Proklamation des Kaisers in Hannover zerreißt um einem Schlage da« Gewirr von Combinationen und Gerüchten, mit denen der heutige Besuch des Kaisers in Hannover bereits umwoben war. Sie ist keine Kundgebung für, sondern gegen das Welfeuthum. Indem der Kai.er die Tradi tionen der alten hannoverschen Regimenter für die neuen deS preußischen zehnten Armeecorps in Anspruch nimmt, hat er klar vor aller Welt zu erkennen gegeben, daß Hannover für immer mit Preußen verbunden bleibt. Ob ein Brief des Prinzen Georg von Cumber land existirt, in dem die durch das Jahr 1866 ge schaffenen Zustänoe anerkannt werden, muß dahinge stellt bleiben. Die Situation würde jedenfalls dadurch niht verändert werden. Preußen kann es nicht zu geben, daß in Braunschweig sich ein Nest wölfischer Agitation bildet. Die Socialdemokraten haben rm Reichstage den Antrag eingebracht, den 8 316 des Srrafg-setzbuches dahin zu ergänzen, daß bn der Gefährdung von Eisen bahntransporten auch auf Geldstrafe bis zu 500 Mk. erkannt werden kann. Rach der beigegebencn Be gründung bezweckt der Antrag hauptsächlich bei Zu sammenstößen mit Dampfbahnen, electrischen Bahnen usw. eine mildere Straffestsetzung. Dem Bundesrath ist nunmehr der angekündigte Gesetzentwurf betr. die Schlachtvieh- und Fleischbeschau zugegangen. Danach unterliegen Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde, deren Fleisch zum Genuß von Menschen verwendet werden soll, vor und nach dec Schlachtung einer amtlichen Untersuchung. Bei Nothschlachtungen darf die Untersuchung vor der Schlachtung unterbleiben. Vor und nach der Schlachtung darf unterbleiben die Untersuchung von Schafen und Ziegen, sowie von noch nicht drei Monate alten Kälbern und Schweinen, wenn die Thiere keine Merkmale einer Krankheit zeigen und das Fleisch ausschließlich im eigenen Haushalt des Besitzers des Thieres ver wendet werden soll. Zur Vornahme der Untersuchungen werden „Beschaubezirke" gebildet und für jeden Bezirk mindestens ein Beschauer und ein Stellvertreter — thunlichst approbirte Thierärzte — angestellt. Ohne ertheilte Genehmigung darf kein Thier geschlachtet werden. Nach der Schlachtung untauglich befundenes Fleisch ist von der Polizeibehörde in unschädlicher Weise zu beseitigen, soweit nicht seine Verwendung zu anderen Zwecken polizeilich zugelassen ist. Bedingt tauglich befundenes Fleisch kann unter vorgeschriebenen Sicherungsmaßregeln zum Genüsse für Menschen brauch bar gemacht werden, der Vertrieb solchen Fleisches ist Der Lehnserve Roman von Karl Veuzmcr. (Nachdruck verboten.) 14. Fortsetzung. „Du kommst doch mit zur Station, Kind?" fragte der Baron, „um eine Stunde fahren wir, mach Dich fertig!" „Nein, Vater," lehnte Lina schüchtern ab, und «ine Blutwelle flog ihr bei der Nothlüge ins Gesicht. „Laß mich meinen Schatz zu Haus im stillen Kreise begrüßen, weißt Du, ohne Kosen wirds nicht abgehen, und mich macht's erröthen, wenn uns hundert Augen dabei anbrennen." „Ich pflichte Lina bei, Heinz," sprach die Gattin sanft, die wahre Liebe will sich neidlos sättigen und finvet ihr Genügen in sich selbst. Komm, wir wollen uns unsern Jungen allein holen und ihm seine Braut in die Arme legen." Im Vogelfluge jagte das Ehepaar mit den vier Goldfüchsen zur Bahnstation. Der Diener, den Hans, dem Baron unbewußt, vor Jahresfrist vom Wagen in den Sand geschleudert, saß in feinster Livree neben dem Kutscher. Keinen Schimmer hatte der Kerl von der erhabenen Stellung gehabt, die der Vorderknecht des «Schulzen im Schloß einnehmen würde, — ja sonst! Man langte auf der Station an, und als sich der lange Wagenzug vor dem Bahnsteig auslief, flammten zwei glühende Augensterne, vergebens suchend, aus einem Coupee erster Klasse über die Köpfe der Menschen hin. Als der Zug hielt, flog die Thür wett auf, und jubelnd eilte der Sohn in die Arme der Eltern. Wie sie ihn von sich schoben und seine Recken gestalt ins Auge faßten, wußten sie ihrer Verwunde rung kein Ziel, denn ^entlemänlike vom Scheitel bis zur Fußspitze stand Hans vor ihnen, seine Gestalt umwob der Nimbus der Vornehmheit und edlen Ge sinnung. Suchend flog sein Auge im Kreise umher, Enttäuschung prägte sich auf leinen mannhaft schönen Züg"n aus. Die Mutter sah es und sprach tröstend: „Sie wartet Deiner im Schloß, mein Sohn, vor all den Menschen war ihr das Begegnen mit Dir zur peinlich." Hans mußte sich drein ergeben. „Wie ähnelt er meinem Heinz," flüsterte sie beglückt vor sich hin, „und was wird Lina für Augen machen!" Dann wurde der Mutter der Jnstructor, Doctor Holling, vorgestellt. Der Diener zog verschämt den Hut, und bat ihn um Verzeihung, die gern gewährt wurde. Man bestieg den Wagen und fv'-t ging's im raschen Trabe gen Knorrendorf. Wie griffen die Pferde aus, kaum berührten ihre Füße die Erde. Schon bald lag Wangelin in ihrem Gesichtskreise und da — der Bullsche Roggenschlag! Welche Re miniszenz für Hans, dem das Herz zum Zerspringen voll war! Die Mutter sah's mit voller Befriedigung, ihr ging das Bewußtsein auf, daß sich ihr Sohn ein dankbares Herz für den Kreis gewahrt hatte, der einst sein Tummelplatz gewesen. Endlich fing der Wagen auf dem Wangeliner Steindamm an zu rasseln und — es war Sonntag, im Sonntagsstaat saß Alt und Jung vor der Thür — ein freudiges Willkommen tönte den Insassen des Coupees von allen Seiten entgegen. Hans winkte und nickte unablässig, und die andern thaten's mit. Was sahen sie aber jetzt? Vor dem Schulzenhaus hielt Linas Wagen mit den Juckern, und auf dem Anger unter der großen Linde stand sie selbst, in rosafarbenem Kleide schön wie der Morgen, an ihrer Seite Jochim und Rike Bull in feinstem Putz!" Mit einem Schlage ward's denen im Fond klar, warum das schelmische Mädchen die Mitfahrt zur Station abgelehnt. Blitzschnell sprang Hans heraus, und wortlos lag Lina in seinem Arme, ihre Lippen fanden sich zu einem langen Kuß. „Hier an der Pflanzstätte unseres Glücks wollte ich Dich zuerst begrüßen, Geliebter," flüsterte sie mit thränenfeuchtem Auge, indem sie sich aus seiner Um schlingung löste. „Und nun finde Dich mit den lieben Alten ab, die so herzlich an Dir theilnehmen." Das that Hans mit seines Herzens vollem Schlage. Dann ging er auf den menschengefüllten Anger von Hand zu Hand, denn alle wollten ihn begrüßen, der einst in ihrer Mitte gewirkt und sich nach seiner Er- heoung nicht zu gut hielt, ihnen ein freundliches Will kommen zu bieten. Mit wortlosem Erstaunen sahen die Eltern auf die liebliche Gruppe hinab, nahmen sie doch so innig theil an dem Glück der Kinder. Entblößten Hauptes standen die Diener unfern von denen, auf die sie einst übermüthig hinabgeblickt. Neidisch hafteten ihre Blicke auf jenen Glücklichen, die, zwar kleinem Kreise ent stammend, ihrer neuen Lebensstellung so würdig waren, alS wären sie darin geboren. Leise schob Lina ihren Arm durch den des Geliebten und zog ihn über die Straße zu dem hübschen Häuschen neben der Pfarre, wo ihr Mütterchen wohnte. War dar ein Wiedersehen! AlS sie wieder zur Stelle waren, sprang die kleine Braut leichtfüßig auf ihren Wagen und nahm dem Groom die Leine ab, als sie aber eben anfahren wollte, saß Hans mit einem Sprung neben seinem Liebchen. Dann flogen beide Gefährte davon, und von allen Seiten ging den Insassen ein inniges Lebewohl nach, von den Lippen des Schulzenpaares ein brünstiges Gebet. Bald kamen über die Feldscheide, HanS stockte vor Freude der A., u, als sie durch die reich bestan denen Felder von Knorrendorf hinjagten. „Morgen wird unser Roggen angemäht, Schatz, weißt Du noch in Wangelin?" fragte ihn Lina schel misch, bevor sie auf den Schloßhof fuhren. „Ob ich cL weiß, Du Racker? Wie bitter hast Du mir damals ein dunmeS Wort nachgetragen!" entgegnete der Junker und schlang den Arm um ihre Wespentaille. „Ach, gern möcht ich morgen auch mitthun, Hans, in allen Fingern juckt eS mir danach!" ,.Mir auch, Liebling, aber untere Hände sind zur Arbeit schon etwas weich geworden, und nimmer würd's Papa gestatten, es geht doch nicht," gab Hans be stimmt zurück. „Wie jammerschade! Prrrrr —!" Sie stoppte die Jucker mit geübter Hand vor dem Schloßportal, Hans hob sein Mädchen vom Wagen, um heranrollenden Coups des Vaters Platz zu umchen. Daun traten sie gemeinsam in das Boudoir der Baronin und in vergnügtem Beisammen sein verlief der erste Tag freudigen Wiedersehens. * * * Am nächsten Morgen wagte sich Lina nicht zu den Breitenburqern in die Koppel, denn sie hat^e einen Plan im S ne, der einer gewissen Vorbereitung be ¬ durfte. Nachdem sie schon früh zu dem Zwecke alles zurechtgelegt, zog sie ihr leichtes, weißes Morgenkleid an, das ihr besonders gut stand. Heute verwandte sie besondere Sorgfalt auf ihre Tollette, und als sie vor den Spiegel trat, umspielte ein zufriedenes Lächeln ihre Lippen, dann vertiefte sie sich in Nachdenken. In ihrem Herzen fand sie kaum Platz für die Fülle des Glückes, das in eines Jahres Verlauf über sie gekommen. Farbenprächtig lag die Zukunft vor ihr, ihrer wartete ein glanzvolles Loos, wodurch hatte sie all das Glück verdient? Der Schall der Schloßglocke, die sechs schlug, weckte sie aus ihrem Traumleben. Noch ein Blick in den Spiegel, dann flog sie die breite Marmortreppe hinab, um der gewohnten Pflicht nachzugehen. Mit emsiger Hand machte sie den Kaffee, und kaum hatte sie ihn fertig, als die Thür in den Angeln ging, und Hans ihr in die offenen Arme flog. Kuß um Kuß trank er von Linas rosig frischen Lippen. Sanft schob sie ihn dann von sich und kredenzte ihm eine Tasse. Wohlgefällig ließ sich Lina an seiner Seite nieder, und beide labten sich, wobei ihr der kleine Mund wie ein Mühlrad ging, alles kramte sie aus, was sie in der Zeit erlebt hatte. Und wie korrekt und ausgelernt verstand sie schon zu sprechen! Sie hatte gute Fort schritte gemacht, der Junker mußte sich, wenn an ihn oie Reihe kam, in acht nehmen, um seiner kleinen Braut die Stange zu halten. Eben wollte auch Hans anfangen, seine Erleb nisse zu erzählen, als die Eltern ins Zimmer traten. Ein herzlicher Morgengruß, dann nahmen sie gemein sam den Kaffee ein. Als auch Doktor Holling hinzu kam, entspann sich am Kaffeetisch eine interessante Unterhaltung. Auf des Schloßherrn Rath sollte die heutige Tagesordnung mit einer Fahrt in das Feld anfangen, da die Ernte am Morgen begonnen war. Einstimmig wurde der Vorschlag angenommen, und Lina bat wieder kleinlaut um die Entbindung von der Mitfahrt, versprach aber nachzukommen, was Hans nicht recht war. Er wollte absolut warten, um mit ihr zusammen zu fahren, sie hatte Mühe, ihm den Entschluß auszureden. (Fortsetzung folgt.)
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