Volltext Seite (XML)
s L s Dtt«r * Der D»Zug 5370 passierte am Sonnabend minuten- pünktlich das Blockhaus Hohlfenn. Schmidt nickte zur Maschine. Timm sah nicht herüber. Recht so. Wir fan gen ihn noch. Aufgepaßt, Timm. Der Postwagen, der erste, zweite, dritte Wagen, der Speisewagen, rot und vornehm. Ja, ihr feinen Leute, da sitzt ihr nun und keiner denkt daran, daß wir nachts nicht Ein trockener Zweig knackte, das Geräusch prasselte , wie ein Schuß in die Stille. Schmidt hielt auf der Stelle i und bog den Kopf nach vorn. Da, da war ein Mensch. I Die Rehe kamen um diese Zeit noch nicht, nnd dann tra- I ten sie auch nur drüben über ihren bestimmten Wechsel. ! Menschen verirrten sich selten hier herauf und dann auch I >mr den Weg vor der Schonung. Er lauschte gierig ge- I spannt. Wer das tat, mußte ausgewischt werden, zuckte I es in ihm hoch. Noch drei Minuten, dann läutete der ! Apparat, dann rief die andere Pflicht. Schmidt zitterte I vor Erwartung. Der leise huschende Wind hielt in dieser i klirrenden Spannung den Atem an. Der Specht trom- I melte nicht mehr. Jetzt hörte Schmidt nur noch seinen ! eigenen Mem. Noch zwei Minuten ... ! Irgendwo da vorn zwischen den Stämmen verbarg j sich ein Mensch, ein unheimlicher, lauernder Mensch, ein j Tier, das man auswischen mußte. Schmidt faßte die « Signalsahne fester. Die Fahne konnte Züge zum Halten ! bringen, das war etwas Großes. Aber man konnte sich j mit der Fahne auch wehren. Er wollte sich wehren gegen I das Grauen, das in der Stille aufgestanden war. Da zerriß rückwärts das Läuten des Meldeapparats » das Warten. Schmidt sprang nach vorn, da glitt eine I zerfetzte, schmutzige Gestalt hinter dem Holz heraus und s rannte davon, tiefer in den Wald hinein. Schmidt sah ; nur die Lumpen um die Gestalt. Er lief zur Station. Hier war der Platz, auf dem I er zu stehen hatte. Diesen Platz mutzte er verteidigen. ! Er bediente die Apparate wie jeden Tag: Freie Fahrt! I Jawohl! jawohl! und dachte: Ich sollte anrufen, alle Sta- » tionen verständigen. Das Tier läuft hier in meinem Walde i herum. Fangt es und wischt es aus. Aber: Ehe die Mel- I düng auf der nächsten Station war, tauchte das Tier ; längst irgendwo unter. Viele Stunden dehnte sich der ? Wald, und die Heide dahinter war voll Schluchten und I Hügeln. Wer da hineingeriet, verschwand und konnte sich ! verstecken. ! Nicht straff und geradezu wie sonst sah Schmidt heute ! dem D-Zug 5370 entgegen. Eher zärtlich und besorgt und I mit einem leisen Lächeln. Natürlich konnte man das I Lächeln nicht sehen, aber man kon.nte doch vielleicht hören, ! was Schmidt sagte: „So ein Tier" und „Ich wache." k „Fahrt man ruhig zu. Der alte Schmidt ist ja nicht zur I Erholung hier oben. Schön blank ist die Maschine wie- I der. Der Timm natürlich. Das ist ein fixer Mann. Der ! patzt auf, und wenn der nicht nickt, dann steht er nur die ! Strecke. Recht so, Timm, nicht hierher sehen, immer die l Strecke im Auge. Wir werden so ein Tier fangen und I auswischen..." I 1 KZ mehr die Augen zumachen können, Weik der Teufel in I unserer Nähe ist. Schmidt hörte den Schlag, der aus einer furchtbaren ! Höhe kam, nein, es war nicht möglich, es konnte doch I nicht wahr sein. Die Augen offen, daß sie ihm fast aus I den Höhlen quollen. Die Augen waren ja so gut, nichts . konnte ihnen entgehen. Die zersplitterte Scheibe wuchs ; ins Riesengroße. Da war der Verbrecher also ganz nahe. I Da hinter der Biegung hatte er vielleicht gehockt und nach I dem Zug geworfen. Ja, Timm, das geht gegen dich. , Wehr dich! ! Das rote Licht blinzelte. Die Räder rummelten schon I ferner. Das Schweigen kehrte zurück. Schmidt wischte l mit der Hand über die Stirn, aber das Bild blieb, wuchs , ins Grenzenlose. Mit müden, steifen Beinen tappte er I in das Haus. Ja, ja, nickte er, nun konnte die ganze Welt > einstürzen, es war Wirklichkeit geworden: jetzt warf das j Tier mit. Steinen nach dem Zug, und nun war alles zu . Ende. ! „Mann, so reden Sie doch vernünftig", quälte die I Stimme in den Apparat. „Schmidt redet vernünftig", sagte dieser. „Ja doch, ja doch, der Zug oder Sie, nach wem ist ! denn in Kuckucks Namen geworfen worden?" „Es ist nach dem Zug geworfen worden. Die Scheibe , ist kaputt. Total kaputt. Da ist doch alles andere gleich- , gültig. Ausgewischt gehört der ..." ! Der Mann im Apparat fragte weiter und gab zwi- > schendurch Befehle. Der Lärm rasselte durch den Apparat I bis in das Blockhaus Hohlfenn. Der D-Zug sprang an den Weichen vorbei in die ! Station hinein. Bahnschutzbeamte und Polizeioffiziere I liefen am Zug entlang. Timm wußte von nichts. Trose s hatte die Schaufel in der Hand. Nein, niemand hatte » etwas gesehen. Doch, der Zugführer kam mit einem Rei- ! senden. Ja, plötzlich habe die Scheibe geklirrt, ein faust- l dicker Stein — hier ist er — prallte gegen das Gepäck- s netz. Der Herr berichtete ruhig und sachlich. Zum Glück - sei er allein im Abteil gewesen. Auf der vorigen Station I sei die Dame ausgestiegen, auf deren Platz der Stein I gefallen sei. : Trose fluchte eine Viertelstunde lang. Aber Timm » schwieg. Nein, Timm konnte nicht reden. Eine Scheibe im I Zug eingeworsen. Der Wurf galt ihm oder Trose, und I vielleicht gelang es einmal. Zweihundert oder dreihun- « dert Menschen kamen in Gefahr, und es gab kein Ducken ! und Ausweichen vor so viel Haß und Wahnsinn. DaS I Leben lief in geraden Geleisen einen um den anderen Tag, I aber plötzlich war alles verändert. Irgendwo lauerte der » Tod und fletschte die Zähne. Fünftes Kapitel. Frau Gröber schlich bleich und verfallen durch die ; Zimmer. Sie konnte das Haus nicht mehr verlassen und » erwartete das Furchtbare, dem sie unentrinnbar ausge- l liefert war. Niemand brauchte sie, es konnte ja nicht an- I ders sein. Ihr Haus war nicht mehr ehrlich. Noch ; Schlimmeres war geschehen. Zeigten die Menschen nicht » mit Fingern.auf ihre Fenster? Nun hatte das ganze Leben keinen Zweck mehr. Herr ! Polk war ausgezogen, aber Herr Timm wohnte immer ; noch. Wollte er denn bleiben? Er sah doch, was in die- ? sem Hause vor sich ging. Frau Gröber schüttelte sich unter Tränen, als Timm ! eintrat. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zu erheben I und zu flüchten. Sie konnte -och niemand mehr in die ' Augen sehen, aber sie konnte auch nicht aufstehen. Das l Brot lag seit vier Tagen vertrocknet im Kasten. Es gab i nichts mehr zu essen. Sie sah nicht mehr nach dem Mit- I tagszug. Das Haus konnte sie nicht mehr verlassen. Sicher ' kam Herr Timm jetzt, um ihr zu sagen, daß er ausziehen ! würde. Das war ja nur selbstverständlich. „Essen müssen Sie, essen", sagte Timm. „Sie müs- ! sen jetzt wieder vernünftig werden. Essen Sie und küm- ' mern Sie sich nicht um die Menschen. Es ist gewiß alles I schwer für Sie, aber Sie können doch nichts dafür." I Timm sprach leise und beruhigend. ! (Fortsetzung folgt.) * Auch am vierten und fünften Tage fingen sie das Dier nicht. Sein unheimlicher Atem wehte die Strecke ent lang. Der Wahnsinn war ausgelöst und sprang wie ein Irrlicht hierher und dorthin. Immer wieder tackten die Telegramme in den Stationen: höchste Wachsamkeit. Jede Wahrnehmung sofort melden. Bahnschutz und Polizei streiften Tag und Nacht in den Wäldern und an der Strecke entlang. Nachts fuhr ein Güterzug gegen eiserne Schwellen. Die Maschine sprang aus den Gleisen, aber sonst geschah nichts. Züge wurden mit Steinen beworfen, und wenn be rittene Polizei oder ein Auto mit Beamten an die Stelle raste, fanden sie nur den unendlichen, schweigenden Wald. Den Wahnsinnigen sah niemand. Aber kaum began nen die Lokführer und Heizer, die Stationswärter und Streckenläufer aufzuatmen, da entdeckte eine Streife, daß an einem Schienenstück eine Lasche gelockert war. Eine Viertelstunde später wäre ein furchtbares Unglück geschehen. Eine Belohnung wurde auf die Gefangennahme des Tä ters ausgesetzt: fünfhundert Mark, dann taufend ... zwei tausend ... Weh und Thaddäus läßt Sattheit sich mit die Wer Wer Friedrich Rückert. Mann muß nur Ein kluger An seinen Herd sich wählen ein wackres, gutes Weib oder lieber keins. Euripides. * zwingen will die Zeit, den wird sie selber zwingen; sie gewähren läßt, dem wird sie Rosen bringen. Goldene Worte Zwischen Können und Tun liegt ein Meer und auf seinem Grunde die gescheiterte Willenskraft. v. Ebner-Eschenbach. * Nichts ist weniger verheißend als Frühreife; die junge Distel sieht einem zukünftigen Baume viel ähnlicher als junge Eiche. v. Ebner-Eschenbach. der Hund. Ob er wiederkommen Wird, sein Herrchen? s Gewiß wird er schon wiederkommen! Gleich. Nachher. » Aber er wird schon wiederkommen, sicherlich wird er auch I einen der vielen fetten Bissen mitbringen, die er stets mit- I brachte, wenn er etwas länger als gewöhnlich fort von s ihm weilte. Aber der Mann kam nicht. In einer Stunde nicht und » am Abend auch nicht. j So bummelte er ein bißchen kreuz und quer durch die I Straßen. Die Kälte der heranbrechenden Nacht war ebenso ! fühlbar wie der unbändige Hunger. Er lief zu jenem ! Hause zurück. Aber die Tür blieb verschlossen, und von t seinem Herrn war nichts zu sehen. Er sprang gegen die ff Tür, kratzte, heulte und bellte wie irrsinnig das Gebäude ! an. Lief auf die Straße. Lief auf und ab. Immer auf und ab. Manchmal verharrte er auch schon einmal bang und freudig, wenn eine Gestalt, die in Aussehen und der Figur nach seinem Herrn glich, ihm entgegenkam. Aber es war nichts. Wieder nichts! Der Hund dachte: es ist zwecklos. Vergebens. Morgen kommt er. Morgen früh. Und deshalb tribbelte er gemächlich mit schrägem Hinterteil wieder dem Park zu, um sich nach seinem Knochen und einem Platz zum Schlafen umzusehen. Aber der I Knochen war weg, und die Nacht kam mit bitterer Kälte. ; Man muß einen Unterschlupf suchen, dachte sich der , Hund und trabte zurück durch das lärmende Gewirr der > Großstadtstraßen. An eiuer Ecke zögerte er. Ein alter I Hundekamerad hatte ihm zugerufen: He, du! Er bemerkte > sofort die alte Gaunerweisheit in dessen Augen und ! knurrte, daß er Hunger hätte. Und kalt wäre es auch! Ja, ja, meinte der andere, der gewohnt war, auf I eigenen Füßen zu stehen, und führte ihn in einen Hinter- ; Hof: So, da kannst du schon mal schlafen! Und nun müßten - sie einmal sehen, wie sich das mit einem anständigen i Fressen verhielte. s Kopfhängerisch trabte er nun neben seinem Sunde- I kameraden her. Eine große Müdigkeit überkam ihn. Er ' sackte ein bißchen in sich zusammen. Nein, es war nicht. I mehr viel mit ihm los. Es war nichts mehr. — Doch I dann besann er sich wieder auf seinen Herrn. Morgen früh, ; dachte er, morgen früh kommt er wieder. So rannte er wieder los. Ein Auto streifte ihn mit I dem Kotflügel. Er drehte sich flüchtig herum und bellte > gleichmütig in den Lärm. Wenn doch jetzt nur sein Herr- ! chen da wäre! Dabei leckte er sich mit der Zunge über ! die Nase. In diesem Augenblick geschah es, daß das Schicksal ' sich auch des Hundes erinnerte. Ein großes, schweres Last- ; auto ging über den kleinen Hund hinweg... F. I. * Die Liebe hat kein Maß der Zeit; sie keimt und blüht und reift in einer schönen Stunde. Körner. Die Dinge liegen nun so, daß sie im Stadtgarten s sitzen, auf einer Bank. Thaddäus läßt Sattheit sich mit - Behagen paaren und kaut zufrieden an dem abgenagten ! Stiel seiner Pfeife. Der Köter für seine Person krkatscht Sin Hun- verliert feinen Herrn (Nachdruck Perboten.) Jahre hindurch schusselte der halbwüchsige Köter mit dem alten struppigen Mann von Dorf zu Dorf. Als man ihm zum erstenmal in Stadt begegnete, I geschah es in einer Stunde der Behaglichkeit und der i fetten Bissen unter dem Präsidium seines Herrn, des I Korbflechters. Dieser saß mit einem selbstgefälligen Grie- . nen in seinem grasnarbigen Gesicht auf einer Bank im ; Stadtgarten und hatte in seinen tellergroßen Händen ein i zeitungsumwickeltes Paket. Es drehte sich offensichtlich um I die Reste einer gutbürge^lichen Mahlzeit. Thaddäus, so hieß der Korbflechter — und das war ! das Beste an ihm — Thaddäus klaubte sorgsam ein paar > Knochen und Fleischreste aus dem Papier; die Knochen s warf er dem Köter hin, er selbst schlang hastig das Fleisch . hinunter und nahm einen Zug aus der Doppelkornflasche. I Ohne den geht es nicht, Gott mag wissen, warum er so l beharrlich durch die Tage säuft; aber es ist auch ein dröges s Handwerk, ja, ja. Sie sind beide ein paar unstete Gesellen, > zusammen alt geworden auf gemächlichen Landstraßen. ! Man weiß nicht, woher sie gekommen sind, und sie selber > scheinen es selbst am wenigsten zu wissen. Nun, das gibt s sich so. Man arbeitet ein bißchen, trinkt ein bißchen, fechtet > ein bißchen, und dann geht man weiter. Bald kommt die ! Nacht, und dann muß ein Dach überm Kopf dasein. Aber I am anderen Morgen trifft die Sonne die beiden wieder s auf der großen Straße. So geht das immer weiter. Und . einmal steht der Mond und einmal steht die Sonne über ! ihnen. I alle naselang seine Zähne in den Balg, ein Holzbock und j ein paar Flöhe peinigen ihn. Und wenn der Korbflechter . ihm freundschaftlich mit den Schuhen seinen Pelz schrubbt, ! lacht der Köter. Tatsächlich. Er ist einer der wenigen l Köter, die man lachen sieht. Aber sein musterhaftes gelbes s Gebiß ist eine Drohung, die einem Magenschmerzen ver- « Ursachen kann. Ein rasseloser Aristokrat der Landstraße ist ! er, und beide sind beispiellos in ihrer Weltvcrachtung und I selbstlosen Freundschaft. — Doch das Schicksal, das seit Jahr und Tag unterwegs ; war, sie beim Schopfe zu packen, kam nun über sie, als sie - es am wenigsten erwarteten. Es kam zunächst in Gestalt eines breiten, gewichtigen I Wachtmeisters, der den Korbflechter fragte, woher er sei. » „Vom letzten Dorf", sagte der. ! „Und wohin?" „Zum nächsten Dorf." Warum, sieht Thaddäus etwa I so aus, als ob er keine reinen Papiere habe? Darauf antwortet der Wachtmeister nicht, er besinnt » sich: „Vom letzten Dorf, von Dörenhagen?" „Sicher, gewiß, von Dörenhagen; aber warum, Herr I Wachtmeister?" — „Und der Hund?" fragte der Wacht- » meister weiter, „wem ist der?' „Mir, Herr Wachtmeister, warum?" „Also kommen Sie schon!" Der Wachtmeister nahm s den Korbflechter Thaddäus kurzerhand am Arm und ging ; mit ihm weg. Und was ihn, den Hand, betraf, so sah der > wohl, daß etwas Komisches passiert war, aber er konnte ! es nicht fassen, daß man seinen Herrn so einfach mir I nichts, dir nichts mit- und ihm wegnehmen konnte. Nein, ; so etwas konnte er nicht fassen. Mit schrägem Hinterteil, schnüffelnd die Nase be- I wegend, lief er hinter den beiden her, um einen freund- I lichen Anruf seines Herrn zu erwarten. Es kam aber nicht ; so weit. Vor dem großen Hause mit den vergitterten Fen- » stern blieb der Hund sitzen. Die Verlassenheit raubte ihm ! minutenlang sein ganzes Selbstbewußtsein. Er war allein. Unsicher bewegte er sich dann auf und ab. Immer auf ; und ab. Wieder von Hoffnung erfüllt, rannte er zurück » bis an das Tor, hinter dem sein Herr verschwunden war. ! Er beroch sorgsam die Tür, schnupperte nach der kalten I Spur seines Herrn und wedelte beglückt mit seinem ; Schweif. Ein Fuß schob ihn zur Seite. Ja, so ist das, > wenn man allein ist, wenn man sich nicht zu behaupten I weiß. Also alles in allem ist man überflüssig. So denkt