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Timm, dein Haus steht ja immer noch nicht da oben? Wenn Timm dann schweigt, wird Trose meist laut und grob: Du wirst doch bald da oben bauen, nicht wahr? Dann nickt Timm: Jawohl, da oben werde ich bauen und wenn sich alles auf den Kopf stellt ... So herüber, da oben am Waldrand., nach der Höhe zn, wird dann das Haus stehen. Einstöckig, mit Veranda versteht sich. Stall für Hühner und eine Ziege. Blick hier herunter: Kein Zug würde ihm da entgehen. Jeden Lokomotivführer und jeden Heizer würde er kennen, und jedesmal auf der Uhr vergleichen, ob sie auch pünktlich fahren. Nein, heute fragt Trose nicht. Trose denkt nicht an den Bauplatz. Seine Gedanken sind irgendwo anders, er starrt ein Loch in die Luft. Draußen gleitet die Wiese vorbei. Der Wald rückt wieder dicht heran. Diesen Wald liebt Timm über alles . . . Und einmal wird er auf der Wiese oben am Hang ein Haus bauen. Der Zug rauscht und klirrt jetzt in eine scharfe Kurve. Rechts rücken kahle, schieferbesäte Anhänge dicht heran. Die Sonne glüht über den Steinen. Die Maschine gibt einen warnenden Pfiff. Pechschwarz fällt gleich darauf die Dunkelheit aus einem Tunnel. Kühl und stickig feucht weht die Luft aus dem Berg hinaus. Da vorn glüht ein grünes Auge, und dann ist schon wieder die gleißende Sonnenhelllgkeit auf einem Hügel, über einer saftiggrünen Wiese und über den Dächern eines winzigen Dörfchens. Zweites Kapitel. Frau Marta Gröber, verwitwete Hansemann, war mit den Jahren etwas korpulent geworden. Sie nannte es mit Seufzen und Augenaufschlag: vollschlank. Nicht, daß sie zu der Art Frauen gehörte, die schrill aufschrien, wenn man ihnen ihr wirkliches Alter sagt, Frau Marta Gröber wurde mit Haltung und Würde alle zwölf Monate ein Jahr älter. Leider aber auch zwei bis drei Pfund ge wichtiger, und das war ihre ununterbrochene Sorge. Sie aß wenig, trank dafür aber einmal in der Woche bei einem Kränzchen Kaffee und aß wunderschönen, lockeren Kuchem Eine Freude muß sich der Mensch in diesem Leben gönnen. Der eine raucht, trinkt, spielt Karten, lärmt oder schwadro niert. Mancher spricht gern und hört gern andere sprechen. Nichts sonst tat Frau Gröber lieber als gern sprechen und andere sprechen hören. So eine kleine Stadt ist eng, auch wenn sie viele Straßen hat und schöne Häuser und an einem sanften Berg mit Gärten und uralten Blumen träumerisch blin zelnd lacht und schläft. Auch wenn sie sechs Kirchen, zwei Lichtspieltheater, einen Wochenmarkt und eine Kaserne hat. Auch wenn sie eine Universität mit großen Gelehrten und dreitausend Studenten hat, sie ist eng, und man weiß oft tagelang nicht, wovon man reden soll. Dann muß man über Wünsche und Vermutungen, über Möglichkeiten und Ansichten reden, und der Faden zieht sich dann vom alten Schloß durch alle Straßen und Gäßchen, den blinkenden Fluß entlang bis vor das letzte Häuschen am Stadtende. Frau Gröber hatte eine winzige Pension als Beam tenwitwe, und deshalb vermietete sie Zimmer und besserte damit Einkommen und Lebenshaltung zu einer erträg lichen Höhe auf. Das eine Zimmer nach der Straße zu bewohnte seit vier Semestern der Student Hermann Polk. Er studierte Jura. Das schöne große Zimmer mit dem Blick nach dem Wald hin bewohnte der Lokomotivführer Timm. Jedes Jahr wurde auch dieser Mann älter, aber er ging den Frauen aus dem Wege. Alles hätte Frau Gröber gern mit ihm besprochen, welches Mädchen als Braut in Frage käme, wie man heiratete, sich einrichten könnte, alles, alles hätte sie ihm beratend mitgetcilt. Aber dieser Wunsch würde nicht in Erfüllung gehen. Später würde Herr Timm ja sein Verhalten bereuen, das wußte Frau Gröber schon jetzt. Inzwischen hielt sie sein Zimmer in Ordnung, sorgte für die Wäsche, das Essen und hielt in den Mietpreis einbegriffen ein gutes Ge spräch, einen Blumenstrauß dann und wann, und vormit tags den Blick zur Strecke, bis der Zug vorbei war, den ihr Mieter fuhr. Gott, was konnte der Mann für eine schöne Partie machen, wenn er nur wollte! Wo nur Herr Timm heute blieb? Sogar in der Zei tung hatte die Sache gestanden. Zwei Menschen durch seine Umsicht und Entschlußkraft vor dem sicheren Tode gerettet, schrieb die Zeitung, und Frau Gröber hatte es zitternd vor Stolz und Freude gleich allen Menschen mitgeteilt, daß ihr Herr Timm, ihr Lokomotivführer Herr Timm damit gemeint war. So ein Mann war das. Im Zimmer stand ein Strauß hellblauer Glocken blumen mit roten und rosigen Wicken dazwischen. Ein duftender und leuchtender Strauß, den hatte Timm be stimmt heute verdient. Und zum Kaffee gab es Waffeln. Das Backeisen stand schon auf dem Herd bereit. Endlich kam dann auch Herr Timm. Erst wehrte er sich gegen die Lobessprüche seiner Wirtin, aber dann freute er sich doch über die Blumen und den Empfang. Er aß sein Mittagbrot, und Frau Gröber wich nicht einen Augen blick von seiner Schwelle. Jede Einzelheit der atemlos aufregenden Geschichte mußte sie ganz genau wissen, sie hielt die Hand auf das Herz gepreßt und starrte so entsetzt ins Leere, als sähe sie Lokomotive, Schranke, das Auto und vor allen Dingen die Menschen da dicht vor sich. All mächtiger und guter Gott, was mußten die armen Men schen ausgestanden haben. Wie sie ausgesehen und was für Kleider sie getragen hätten? Frau Gröber fragte hastig und wartete manchmal die Antworten gar nicht erst ab. Timm konnte auch längst nicht alle Fragen beant worten. Was für Kleider und was für Gesichter? Konnte man denn Frau Gröber klarmachen, wie blau der Himmel war/wenn er in zwei leuchtenden Punkten ruhte. „Und was dachten Sie denn", fragte Frau Gröber mit einem abgerundeten Seufzer, „als die beiden Mädchen so vor Ihnen standen?" Timm lehnte sich hilfesuchend gegen die Stuhllehne: „Nichts", sagte er mit einiger Festigkeit. Frau Gröber mußte daraus schließen, daß er die Unterhaltung zu be enden wünschte. „Ja doch! Ich gehe ja schon!".nickte sie bekümmert. „Aber Sie müssen doch irgend etwas gedacht haben, als die Mädchen vor Ihnen standen." Timm machte ein äußerst finsteres Gesicht und über legte, schließlich zuckte er mit der Schulter und schwieg. Frau Gröber lief rasch in die Küche und hantierte mit dem Geschirr herum. Timm saß eine Weile ganz still und mit geschlossenen Augen. Das war doch immer der schönste Moment nach dem Disnst, nach dem Zischen und Poltern der Maschine, nach dem wirbelnden Tanz der Signale, Zeichen, nach den hastenden, rufenden Menschen. Die Ruhe war gut und wie eine Wand, hinter der man sich verbergen konnte. Man brauchte nur stillzuhalten, und dann ebbte jedes Geräusch ab und die Erinnerung versank. Nebenan klapperte und klirrte Frau Gröber aus der anderen Welt mit ihrem Backeisen. Der milde Geruch von frischen Waffeln drang durch die Tür. Die Uhr an der Wand machte knack, knack. Von der Straße her tropften Stimmen von Vorübergehenden. Die Stille wurde immer noch größer. Später saß Timm über seine Papiere gebückt. Zeich nungen, angefangene, vollendete, durchgestrichcne, falsche und andere, die auch nicht stimmten, lagen in einem wirren Haufen. Aber einmal mußten die Berechnungen ja fertig werden. Timm kaute überlegend an der Feder, aber die Gedanken waren auch nur wie der wirre Haufen von Zeichnungen. Ein schmales Bett, zwei Stühle und ein Schrank, ein Tisch mit Zeichnungen und drei Bilder an der Wand: das war die Einrichtung des Zimmers. Ein gestickter Spruch über dem Bett in Weiß und verblichenem Rot: Morgen stunde hat Gold im Munde. Vor der verschlossenen, tape tenüberklebten Verbindungstür kniete das kleine Bücher regal. Kleines Lexikon für jedermann, Geschichte des deut schen Eisenbahnwesens, und dann noch drei Dutzend an dere Bücher in Reih und Glied mit blauen, gelben, schwar zen Einbänden. Timm marschierte vom Fenster zur Tür, hin und zurück, hin und zurück. Es war sehr warm im Zimmer, aber als er das Fenster öffnete, kamen die Stimmen der Vorübergehenden schrill herein, so daß er das Fenster rasch wieder schloß. Man konnte jetzt vielleicht einen kleinen Spaziergang machen, irgend etwas einkaufen oder einen Schoppen trinken. Die Stille hier drin stieß heute mst spitzen Fingern um sich. (Fortsetzung folgt.) Lunger Mann mit Einfällen Bon Ralph Urban. (Nachdruck verboten.) Mr. Eran blickte nachdenklich aus dem Fenster seines Arbeitszimmers auf die Feuermauer des gegen überliegenden Wolkenkratzers, wo eben ein riesiges Plakat aufgezogen wurde. Es stellte einen schönen Mädchenkopf dar, zwischen dessen lachenden Lippen zwei Dutzend Perlen zähne auf Hochglanz poliert erstrahlten. Darunter stand in mächtigen Lettern geschrieben: „So sehen die aus, die Flake-Creme für die Zahnpflege benützen!" Mr. Cran schüttelte mehrmals mißbilligend das Haupt über die Zeitkäufe und über die widerliche Regsamkeit seiner Konkurrenz. Er war nämlich der Chef der Cran- Werke, die bis vor kurzem hinsichtlich Creme sozusagen die amerikanischen Zähne beherrscht hatten. Mr. Cran hob den Hörer seines Tischtelephons ab, drückte auf einen Knopf und sprach: „Der Reklamechef und die Zeichner zu mir!" Gleich darauf betraten vier Herren das Zimmer. „Da!" knurrte Mr. Cran und deutete mit dem Daumen durch das Fenster nach dem neuen Plakat. „Was sagen Sie dazu, he?" Der Reklamechef kratzte sich hinter dem Ohr, zwei der Zeichner sagten auch nichts, der dritte hingegen sprach: „Nicht schlecht, nicht schlecht! Das Modell hat Klasse!" „Was, Klasse?" explodierte Mr. Cran. „Die dumme Gans dort auf dem Plakat ist die Tochter meines Kon kurrenten Flake Und jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, Sie vorlauter junger Mann. Entweder Sie liefern mir bis heute abend eine brauchbare Skizze für eine originelle Idee, oder Sie fliegen hinaus." „Ha, ha", lacht» der junge Mann. „Was haben Sie noch zu wiehern?" brüllte der Chef und lief blau an. „Mir kam nur ein glänzender Einfall", meinte be scheiden der junge Mann, „ganz New Aork würde lachen." Am Abend meldete sich der junge Mann bei Mr. Evan und legte ihm eine Zeichnung auf den Schreibtisch. Sie stellte ein Männergesicht dar, das die Zähne bleckte. „Zum Teufel", rief der Chef, „das bin ich ja selbst! Was soll das heißen? Glauben Sie, ich laste mein Gesicht plakatieren, wo mich jedes Kind in New York kennt?" „Schade!" meinte der Zeichner. „Sie haben nämlich einen Charakterkopf!" „Die Schmeicheleien ziehen bei mir nicht, junger Freund. Gehen Sie Teller wascken, von Reklame haben Sie keine blasse Ahnung. Sie sind entlassen!" „Schade, schade. Kaufen Sie mir wenigstens noch die Zeichnung ab. Billig. Tausend Dollars!" Der Chef öffnete den Mund und sah einen Augenblick einer Dogge ähnlich, wenn sie jemanden beißen will. Dann aber machte er nur eine kurze Kopfbewegung nach der Tür wie der Stürmer, der einen Eckball mit dem Schädel ins feindliche Netz lenkt. Der junge Mann seufzte, rollte seine Zeichnung zusammen und ging zum Ausgang. Dort blieb er nochmals stehen und sagte: „Eintausendfünfhundert Dollars, letztes Angebot!" Und da er flink war, traf die Löschwiege nur die Tür. Zwei Tage später saß Mr. Cran schlechtgelaunt an seinem Schreibtisch, als das Telephon klingelte. Er hob den Hörer ab und knurrte hinein. „Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich nun bei der Konkurrenz angestellt bin und wahrscheinlich die Tochter des Mr. Flake heiraten werde", ertönte eine Stimme. „Recht geschieht Ihnen", seufzte Mr. Cran gelangweilt. „Wer sind Sie, und warum öden Sie mich an?" „Schauen Sie aus dem Fenster, dann werden Sie alles Nähere erfahren!" Aus. Mr. Cran blickte wirklich hinaus. Neben dem Plakat mit dem Mädchenkopf hing ein anderes, das seine Züge wug. Darunter stand: „Und so dämlich kann nur der aus sehen, der Flake-Creme noch immer nicht benutzt!" „Gehen Sie hinunter", sagte eine Minute später Mr. I Cran zu dem verwunderten Sekretär, „und kaufen Sie mir ; eine Tube Flake-Creme. Ich bin geschlagen. Und dann ; rufen Sie Mr. Flake an, und sagen Sie dem alten Gauner, » daß ich nun bereit bin, mich mit ihm zu fusionieren und I seine Tochter zu heiraten. Aber nur unter der einen Be- ; dingung: daß er den jungen Zeichner, den er gestern ein- ; gestellt hat, augenblicklich hinausschmeißt!" I »Ja, ja", seufzte am nächsten Tag der junge Mann I beim Tellerspülen, „gegen das Kapital kommt unsereiner ; nicht auf!" ; Tü-es, einer von uns (Nachdruck verboten.) ! Im Grunde ist er ein unbeschriebenes Blatt und wird I allgemein Tüdel genannt, was unbestreitbar das Beste ; von ihm ist. Seine Beharrlichkeit, sein Gesicht, auf dem l Pfiffigkeit und Sommersprossen durcheinandergemtscht sind, I seine dröge Art, jemanden auf die Schippe zu nehmen, ; bringen ihm den Ruf eines Kerls ein, mit dem man ' Pferde stehlen gehen könnte. Wenn er lacht oder einen I guten Witz gemacht hat, verzieht sich sein Gesicht vor I Seligkeit rind sieht aus wie eine frischbackene Semmel, ; die der Bäcker gerade aus dem Ofen gezogen hat. Dann » sieht man zwei Striche, und seine Augen sind futsch. ! Vorn auf seinem rotborstigen Kugelkopf hat er sich > so viel Haare stehen lassen, um sich einen strammen, exakten - Scheitel ziehen zu können. Meistens, und oft dann, wenn ! es nicht sein soll, haben sie aber den unwiderstehlichen I Trieb, sich widerspenstig hochzustellen, weshalb er sie deS > öfteren — natürlich unter uns gesagt — mit Fett oder, « wenn sein großer Bruder auf Montage ist, mit wohl- I riechender Pomade einbalsamiert. Um auch von seinen » Ohren zu sprechen, so starren sie ihm vom Kopfe ab wie » Suppenteller, und bei einem Witz versteht er es, damit auf , eine freundliche Art zu wedeln. Wenn Tüdel im Grase I liegt, muß man wirklich annehmen, er könne damit das I Gras wachsen hören. ' Aber am schönsten sieht Tüdel aus, wenn er in Wut ; gerät. Seine strammen Haare sträuben sich in Büscheln, i oie Sommersprossen treten wie kleine Teerspritzer aus I seinem weißen Gesicht hervor, die Nasenflügel seiner hoff- ! nungsfreudigen Himmelfahrtsnase blähen sich, und aus ; seinem Mund ertönt ein geradezu unheimliche- Fauchen, i Und obgleich er auf den ersten Blick nur aus einer I speckigen Fahrtenbuxe, ein paar Bottichen, worin Füße ; stecken, und einer windschiefen Physiognomie besteht, ist » Tüdel einer von denen, deren Zwanzig ein Dutzend auS- I machen. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß er zäh ß wie sieben Pfund Karrengaulfleisch ist, kann ihm auch ; sonst keiner. - Und Tüdel kann alles und macht auch alles am I besten: Gepäckmarsch, 800-Meter-Fahrtenschwimmen, Kugel- I stoßen, DiskuS, Speer, Hochsprung, Segeln, Boxen, alles ; kann er. Telemark, Christiania und Temposchwung — wir » haben vielleicht die Augen aufgerissen, als uns Trüdel I auf der letzten Skifahrt in diese tiefsten Geheimnisse des I Skilaufens einweihte. Ueberflüssig zu erwähnen, daß er ; auch als erster im Jungzug das DJ.-Letstungsabzeichen » erworben hatte. Sogar zweistimmig pfeifen, mit der I Gurgel knarren, mit den Ohren Wedeln, echt seemännisch 1 spucken, wenn es sein muß, die Haare sträuben und noch ; eine ganze Menge Eigenschaften mehr zeichnen unsern « Tüdel aus. Bloß singen kann er nicht, dafür kann er aber I auf Fahrt schnarchen, daß sich mit jedem Atemzug die I Zeltbahnen heben und senken. Und ganz so schlimm mit ; dem Singen ist es nun auch nicht, gewiß, wenn er singt: - „Die Trommeln dröhnen durch das Land", dann dröhnen I die Trommeln auch, und es hört sich nicht etwa so windel- z weich und zuckersüß an — es gibt ja bekanntlich zwischen ; Singen und Singen Unterschiede. Na also. Uno wenn « Singen kommandiert wird, dann singt er halt, schön ist es I ja gerade nicht, aber er singt. ! Alles in allem ist Tüdel eine Haut, die zu uns paßt ; wie der Deckel zum Kochpott. k Frajof. I