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I schimmeln, das zweite mit hageren Brannen bespannt. Das ' ganze Dorf und sämtliche Badegäste liefen zusammen, um ; den „Abzug" der Künstler zu beobachten. Die Sonne brannte heiß aus wolkenlosem Himmel, I das Meer glitzerte und blinkte wie ein riesiger Binnensee, j Jo ging schmunzelnd vor den Gespannen auf und ab und ; gab den Schimmeln hin und wieder eins auf das pralle i Hinterteil. Kai und Nils schleppten die Koffer heran und ! luden sie auf. Elly und Toni saßen schon in der ersten ; Kutsche. Doch als Mutter Krüger erschien, da mußten sie ; wieder heraus, um zum fünftenmal Abschied zu nehmen. Endlich fuhr man, immer an der Küste entlang. Elly ! und die Gebrüder Andersen schliefen fest während der ! Fahrt. Nur Jo und Toni wachten. Sie sprachen nicht mit- ; einander, sondern gaben sich ganz ihren einsamen Ge- i danken hin. Toni erlebte die wenigen, mit Hollmann ver- ! brachten Stunden zum hundertstenmal. Hin und wieder ! fühlte sie, daß Jos Blick auf ihr lag. Dann verstellte sie ; sich und tat so, als ob sie schliefe. Es war eine seltsame i Fahrt durch reife Felder, durch hohe Wälder und saftiges I Wiesenland. Plötzlich kam Leben in die Kutscher, sie knallten mit ; den Peitschen, und die kleine Gesellschaft schrak hoch. Der i Wagen hielt vor dem Rittergut Querstrup. Es dauerte eine ganze Weile, bis ein alter Mann er- , schien und ein riesig kunstvoll geschmiedetes Barockportal ! öffnete: Währenddessen blickten die fünf neugierig über i den weiten, gepflasterten Hof. Friedliche Mittagsstille. Die Kutscher fuhren um das . Schloß herum. Eine prächtige Parklandschaft breitete sich ! vor ihnen aus, weiter, gepflegter Rasen, zierliche Alleen i mit französisch zurechtgestutzten Bäumen, Blumenrondells. I Und alles verlor sich hinten in einen Wald. Die Kutscher fuhren vor der Freitreppe vor und knall- ! ten mit den Peitschen. Doch nichts rührte sich im ver- I schlafenen Hause, die breiten Glastüren auf der Terrasse > blieben verschlossen. Die fünf starrten verzaubert nach . oben. Erst nach einer ganzen Weile öffnete sich eine der I Türen, ein weißhaariger, glattrasierter Diener kam lang- j sam und würdevoll die Treppe herab. Ein Märchen! Der Diener musterte mit gemütvollem Lächeln die fünf ! staubbedeckten Menschen. „Goden Dag ok! Sei sind de I Komedianten ut Seehorst?" Sie stiegen aus, und der Diener führte sie die Treppe ! empor. Es war ihm anscheinend daran gelegen, den I „Komödianten" gleich den richtigen Eindruck von der fürst- I lichen Einrichtung des Hauses zu geben. Sie mußten j einen großen, festlichen Rokokosaal, der ganz in Weiß ge- > halten war, durchschreiten, dann standen sie auf einem ! langen Korridor. Nun hielt der Diener es für nötig, zum Hochdeutschen l überzugehen. Er sagte, daß die Frau Baronin mit ihren > Gästen ausgeritten sei und erst nachmittags heimkomme. ! Er möchte ihnen zuerst ihre Zimmer anweisen. Und in I einer halben Stunde wäre das Mittagessen bereit. Die Räume lagen im zweiten Stock. Es waren neben- > einanderliegende, recht modern eingerichtete Fremden- ! zimmer. Alle mit fließendem Wasser und mit Metallbetten. I Dienstmädchen schleppten die Koffer herauf. Zum Mittagessen führte sie ein Diener in gestreifter > Jacke ins Erdgeschoß hinunter. In einem dunkel ge- ! Haltenen Eßzimmer wurden sie von einer liebenswürdigen I jungen Dame, die sich als Fräulein Lotte und Sekretärin s der Baronin bezeichnete, freundlich empfangen. Sie ent- > schuldigte Frau von Querstrup — „Frau Querstrup — ! „Frau Baronin hätte Sie gern selbst empfangen" — und > dann setzten sie sich zu Tisch. Das Herz ging ihnen auf. Es war ein ausgezeich- ; netes Essen. Geflügelsuppe, Wild, Eis, Käse und Obst. , Die herrlichen Tage von Herzogenlust, sie kehrten zurück. Nach dem Essen zeigte ihnen Fräulein Lotte den s Theatersaal. Es war eine riesengroße Ueberraschung. Wie ; ein kleines fürstliches Hoftheater, so war dieser Barock- « saal, alles in Rot und Gold, hinten eine winzige Galerie, ! rechts und links zierliche, verschnörkelte Logen. Die Bühne s erwies sich als klein, doch mit moderner Beleuchtungs- I anlage und mit geräumigen Garderoben. Man ließ die Requisiten herbeischaffen und begann > mit Feuereifer sich einzurichten. Jo spielte auf seinem Bandoneon die Ouvertüre, um I die Akustik zu erproben; sie erwies sich als ausgezeichnet. ' * * * : Die fünf beschlossen, die Zeit bis zur Ankunft der I Baronin und ihrer Gäste zu verschlafen, sie begaben sich s zur Ruhe. Doch schon um vier Uhr wurden sie von leb- haftem Pferdegetrappel, das vom Hof zu ihnen herauf- ! drang, geweckt. Gleichzeitig gellten Klingeln durch das l Haus, und die Gänge wurden lebendig. Alle fünf, jeder in seinem Zimmer, schlichen sich an > ihr Fenster heran und lugten nach unten. Sie waren alle I neugierig. Unten stieg eine Gesellschaft von acht Menschen, s Damen und Herren, von ihren Pferden, Reitknechte waren « ihnen behilflich. Jo zuckte plötzlich zusammen. Maßloser Schreck fiel I in sein Herz. Träumte er? Eine Vision? War er ver- j rückt geworden?- Ja, er war verrückt geworden. Die da, die junge, zierliche, schlanke mit dem breit- ! randigen Weißen Hut — aber da war sie schon auf der I Treppe — er sah nur noch den Hut. Natürlich hatte er sich geirrt. Seine Hände um- - krampften die Fensterbank. Weiße Reithosen hatte sie ge- ! tragen und ziegelrotes Tuch auf der weißen Bluse, und I blond war sie gewesen, fast weißblond. Rechts und links , zwei junge Kavaliere — und sie lachte — deutlich hatte ; er ihre Zahnreihen gesehen. Unsinn, schrecklicher Unsinn! Wie man sich nur so I etwas einbilden kann! Lächerlich! Er schrak auf. Die Brüder Andersen traten bei ihm ; ein. Sie strahlten. „Jo", sagte Nils begeistert, „ist das nicht wie auf I einem anderen Stern? Gibt es wirklich Leute, die so , leben." Auch Kai war hingerissen. „Die alte Dame", sagte er, » „das ist sicher die Baronin." „Und die beiden jungen", rief Nils aus, „die sind s ganz wunderbar." Er sagte es so, als ob er die Möglichkeit habe, sie in > Kürze zu erobern. Nach einer Weile kamen auch Elly und Toni herüber. I Sie hatten sich schnell zurechtgemacht und umgezogen, ; waren fröhlich und guter Dinge. „Großartig", meinte Elly, „großartig, die ganze Ge- I sellschaft. Aber sollen wir vielleicht vor diesen acht Men- s schen spielen? Glaubst du, Jo, daß sie nett zu uns sind? ; Ich würde es nicht ertragen, wenn sie hochmütig wären > und von oben herab." Jo schüttelte den Kopf. „Nein, sie werden nett sein, s Das habe ich sofort gesehen. Ihr habt also alle am Fenster ; gestanden?" — Da brachen sie in Gelächter aus und » konnten sich gar nicht beruhigen. Diese zertretenen und l zertrampelten Menschen wurden plötzlich wieder frei ... > Schon nach einer Viertelstunde erschien ein Diener: ; die Frau Baronin würde die Herrschaften, falls es ihnen » genehm sei, gleich begrüßen. Sie betraten ein geräumiges, aber etwas dunkles Ar- I beitszimmer. Hinter dem Schreibtisch erhob sich eine zier- ; liche, weißhaarige Dame und kam auf sie zu. Sie trug > einen dunklen Rock und eine Weiße, hochgeschlossene Bluse. ! Sie nahm ihre dunkle Hornbrille herunter und lächelte I liebenswürdig. Jo stellte seine Kameraden vor, sie gab ; allen die Hand und forderte sie auf, an einem kleinen » Tisch Platz zu nehmen. „Fräulein Lotte hat mir erzählt, Sie haben sich unser I Theaterchen schon angesehen. Werden Sie zurechtkommen?" ; Jo verneigte sich. „Das Theater ist wundervoll, Frau ' Baronin, wir sind begeistert." „Schön. Ist es Ihnen recht, wenn wir die erste Vor- I stellung schon für heute abend ansetzen?" ; Jo erklärte sich damit einverstanden. Dann begann er » kurz den Zweck und die Entstehung der Künstlerfahrt zu ! skizzieren. Er hielt es für unbedingt wichtig, die Baronin > damit bekanntzumachen. ; Sie nickte und lächelte, ihre Hände spielten mit einem > Bleistift. „Ich habe schon davon gehört", sagte sie end- I lich, „es hat sich herumgesprochen." In diesem Augenblick ratterte das Telephon auf dem ; Schreibtisch. Die Baronin nahm den Hörer ab. (Fortsetzung folgt.) Ein Ewig wechselnd. Goethe. Schiller. Vom Zum Und Zur Himmel kommt eS, Himmel steigt es, wieder nieder Erde muß es, Vergänglichkeit Die Blätter fallen... die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welken in den Himmeln ferne Gärten: Sie fallen mit verneinender Gebärde. Goldene Worte Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Es ist auf Erd' kein schöner Kleid j Denn Tugend, Ehr' nnd Redlichkeit; Je länger man dasselbe trägt, Je mehr es ziert und mehr ansteht. Wandspruch auf der Wartburg. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andere an: Es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. Reiner Maria Rilke. Das allein veraltet nie! * * Alles wiederholt sich nur im Leben, Ewig jung ist nur die Phantasie; Was sich nie und nirgends hat begeben, Kleiner Lunge im Morgenlicht Von Alice Fliegel (Nachdruck verboten) Der kleine Junge steht auf dem Balkon und wartet ! auf sein Frühstück. Es ist kaum einhalb sieben Uhr, denn ; er hat einen weiten Schulweg. Auf den Blumen in den i schmalen braunen Tonkästen hängen noch die Tautropfen. I In der Sonne sieht es aus, als seien sie aus leuchtendem ! Metall. Doch wenn man mit dem Finger noch so vor- ; sichtig daran tippt, zerspringen sie und werden flüssiges mit andächtigen Augen das Wunder bestaunt, klingt hinter j ihm ein Zwitschern. Der Fink spaziert über den Früh- » stückstisch, der immer noch leer ist. In der Tasche seiner » Jacke findet der Junge noch ein paar Krümel und hält sie I dem Vogel hin. Der pickt sie ihm aus der Hand, piepsend I und flügelschlagend behält der Fink seinen Posten auf dem > Tisch. : Die Mutter kommt mit dem Frühstück. Der Fink I fliegt wieder auf den Rand seines Blumenkastens und i bleibt dort abwartend sitzen. Die Libelle ist nicht mehr da, ; aber eine samtene, braungelbe Hummel versinkt im Rosen- » bett, und ihr Summen ist wie ein Morgenlied für Blumen I und Sonne. In sich überstürzenden Worten erzählt der > kleine Junge seiner Mutter von seinen Erlebnissen. Wie blau seine Augen sind, denkt die Frau, deren ! schwerer Tag schon früh beginnt, wie ein Spiegel dieses l wolkenlosen Himmels... - Mit gutem Appetit trinkt der Junge seine Schokolade ; und löffelt genießerisch den zuckerbestreuten Weißen Eier- i schnee. Während er den Fink mit dem Rest des Kuchens I füttert, hat er die Mutter so viel zu fragen. Können die ; Tautropfen Glasperlen von der Kette der Blumenfee ? sein...? Ist die Libelle vielleicht von einem Teich ge- i kommen, auf dem die Wasserrosen blühen...? Kam sie I aus dem Korallenschloß des Meerkönigs...? Die Mutter kramt in ihrem Märchenschatz und holt ! den Wunderteppich heraus, der über die Dächer und Kirch- I türme fliegt. Da blickt das Kind in den Himmel, der sein j goldenes Licht immer verschwenderischer auf die Erde , schüttet, und sagt leise: „Jetzt fliege ich auch." ! Der kecke Kuckuck läßt seinen Schrei siebenmal ertönen. ! Der Junge umarmt seine Mutter, und sie fühlt sein I kleines Herz klopfen. Es ist, als ob er ihr noch etwas ; sagen wolle — aber er findet die Worte nicht. Nur in » seinen Augen sieht sie die Freude und den Dank für vieles, l Dann stürmt er fort, und sie hört das polternde Echo > seiner lauten Schritte auf den hölzernen Treppenstufen. ; Als die Mutter in der Küche steht und den Tagesplan ! macht, fällt ihr plötzlich ein, daß sie ihrem. Jungen nicht I wie sonst noch einmal zugewinkt hat. Sie empfindet den » Gedanken, daß er schon um die Ecke gegangen sein wird, ! fast wie einen Schmerz. Schnell eilt sie auf den Balkon. ! Da steht ihr kleiner Junge noch unten. Er hat den Kopf I zurückgebeugt und blickt zu ihr herauf mit gespanntem > Ausdruck und einer leisen Enttäuschung, weil sie nicht da ! war. Als er die Mutter sieht, geht ein Strahlen über sein ! Gesicht. Er winkt ihren Gruß zurück und eilt im Lauf- I schritt um die Ecke, um die versäumten Minuten ein- l zuholen. I Kleiner Junge im Morgenlicht... denkt die Mutter ! zärtlich und nimmt sein Helles Bild mit in die großen i und kleinen Sorgen ihres arbeitsreichen Tages. ; Sonntag für uns aufgehoben hat..." Der Fink zwitschert ein paarmal hell und scharf, als I hätte er die Worte verstanden und wartet geduldiger . zwischen den bunten Petunien. Der kleine Junge liebt diese frühe Morgenstunde, in I der er den Balkon, die Blumen und die Vögel ganz für j sich allein hat. Schon im Erwachen freut er sich darauf, ; auch weil dann die Mutter nur für ihn da ist. Er kann , sie fragen, soviel er will, bis der Kuckuck aus der alten Uhr s herausspringt und siebenmal seinen mahnenden Ruf er- s tönen läßt. ; Der kleine Junge steckt die Hände in die Taschen der ? blauen Leinenhose, die noch so unwahrscheinlich glatt und ! sauber ist, und geht auf dem Balkon hin und her — ein I König in seinem Reich. In der Ecke an der schützenden ; Ziegelwand blüht den ganzen Sommer ein Rosenstock. » Die Mutter bekam ihn geschenkt und pflanzte ihn gemein- I sam mit ihrem Jungen ein, als die ersten Sterne leuch- I teten. Es war Mutters Geburtstag, und er durfte länger ; aufbleiben als sonst. Jetzt schimmern zwischen den welk werdenden und ab- I fallenden Blättern ein paar letzte Rosen. Diese Nachzügler ! haben die rosa Farbe nicht mehr. Sie sind weiß mit ! einem grünen Ton und kaum von den Blättern zu unter- : scheiden. Eine Libelle schwebt mit durchsichtigen Flügeln I darüber hin und läßt sich dann auf den blassen Blüten I nieder. Ueber ihren im Licht des Morgens silbernen Leib i geht ein Zittern, das die Rosenblätter in eine feine, ' schwingende Bewegung setzt. Es ist, als tanzten sie mit I der Libelle und den Sonnenstrahlen. Als der kleine Junge i Gold, durch das wie ein buntes Licht das Rot und Blau I der Blütenblätter schimmert. In dieser Frühe ist alles ' anders als am Tage. Die Blumen duften stärker. In ; ihrem Leuchten badet sich gerade ein Marienkäfer. Der i kleine Junge setzt ihn auf die Fläche seiner Hand. ! paarmal dreht sich der Käfer wie im Tanz. Die Weißen ! Punkte aus seinem lackroten Leib werden ein Stern. Dann j breitet er die Flügel aus und steigt in das silberne Licht, i in dem er bald nicht mehr zu sehen ist. Ohne Scheu setzt I sich ein bunter Fink aus den Rand des Blumenkastens. ; Seine lustigen beerenrunden Augen prüfen erwartungs- ; voll den Frühstückstisch. Der kleine Junge schnuppert mit i krauser Nase. Es duftet aus der Küche nach Schokolade. I Er tröstet den hungrigen Vogel. „Heute bekommen wir ! was ganz Gutes. Ein Stück Kuchen, den Mutter vom