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Toni erblickte drüben neben der Kirche ein idyllisches Bild. Es war wie eine BUHnenszenerie, in die man heim lich hineinschaute: die schwachbeleuchtete Terrasse eines Hauses. Ein Tisch mit einer Petroleumlampe. Daran ein weißhaariger, glattrasierter alter Mann. Er rauchte «ine lange Pfeife und las eine Zeitung. Neben ihm, sanft schlummernd in einem Sessel, eine verhutzelte alte Frau mit einem Häubchen. Der Alte, der doch eigentlich das Kommen des Autos hätte hören müssen, rührte sich nicht. Toni musterte Hollmann von der Seite. Er erschien ihr seltsam verwandelt. Er war in den Sitz zurückgesun ken, seine Auaen hatten einen weichen, warmen Glanz, auch der Mund hatte seine Härte verloren. Es war, als ob plötzlich ein anderer Mensch zutage trat. Ein Mann von großer Einfachheit und Güte. Sie atmete tief auf. So war also dieser Hollmann in Wirklichkeit! Der alte Mann schüttelte jetzt den Kopf über seiner Zeitung. „Er begreift nicht, was heute vor sich geht", sagte Hollmann leise. „Er lebt hier auf dem Mond. Er kann eS nicht fassen, wie die Menschen sich zerfleischen." „Es wird besser, Herr Hollmann", antwortete Toni demütig, „die Menschen kommen wieder zur Besinnung." Plötzlich sprach sie mit verhaltener Leidenschaft — „denn auch im geringsten Menschen ist das Gute, und es kommt immer wieder hervor." Jetzt sah sie, daß er die Augen zusammenkniff, und daß Bitterkeit um seinen Mund zuckte. „Sie sind eine tüchtige Schülerin von Jo Swentikow geworden." Sie zuckte zusammen. „Sie kennen ihn?" „Und ob ich ihn kenne! Es ist allerdings schon einige Jahre her, daß wir beisammen waren." „Weitz er schon, datz Sie hier sind?" „Ich glaube nicht. Er hätte mich sonst Wohl auf gesucht. Aber jetzt müssen wir weiter, an die See heran." Plötzlich öffnete sich der Wald, und die See lag wieder vor ihnen. Er fuhr sehr langsam am Ufer entlang. Plötzlich zuckte ein langer, gelber Blitz über die schwärzliche Masse des Himmels. Kurz darauf grollte lang anhaltender Donner. Hollmanns Körper straffte sich, er ließ den Wagen Vorwärtsschietzen. Nach wenigen Minuten fuhren sie durch einen Badeort. Im Garten eines Hotels tanzten hell- gekleidete Menschen. Vorüber. Dann kam wieder Wald. Von Zeit zu Zeit fuhren Blitze über den Himmel, und der Donner ver stärkte sich. In einem wahnwitzigen Tempo schoß der Wagen da hin. Es kamen Getreidefelder. Toni fühlte, wie die Er regung in Hollmann wuchs. „Wir müssen das Verdeck hochmachen", rief sie ihm zu. „Richtig, das hätte ich bald vergessen." Dann saßen sie im Wagen wie in einer Höhle. Plötz lich war die weißsilberne Helle so grell, daß Toni die Augen schließen mußte. Eine Sekunde später krachte es über ihnen zusammen. „Jetzt geht's los", jubelte er. Sie waren mitten im Aufruhr. Der Sturm tobte durch die Luft. Die See unter ihnen warf eine schwere, brüllende Brandung über den Strand. Der Donner wollte nicht enden. Doch von Regen keine Spur. „Es ist über der See", sagte Toni und legte die Hand an das klopfende Herz. „Kommen Sie", sagte er, öffnete den Schlag, sprang heraus, nahm ihre Hand und zog sie vom Sitz hoch. Er führte sie an den Rand des Steilufers. Es war ein kurzer Weg. Dort setzte er sich in das Dünengras, zog die Beine an den Leib und schlang die Hände über die Knie. Sie setzte sich in der gleichen Haltung neben ihn. So starrten sie in den Aufruhr. Jetzt erst merkte sie, daß sie ohne Hut war. Der Sturm zerzauste ihr Haar. Sie hielt es mit den Händen am Kopf fest. Er beobachtete es. Seine Augen bekamen einen dunklen Glanz. „Lassen Sie es fliegen", schrie er ihr zu, „es ist herr lich, wenn es so fliegt! Sie haben wunderschönes Haar." Da glitten ihre Hände gehorsam herunter. Ihr Wille versank. Sie gab sich ganz dem Aufruhr der Natur hin. Plötzlich trat Windstille ein. Die Gewalt des Ge« j Witters über der See verstärkte sich. Es war ein grelles, » gleißendes Flammenmeer, die Blitze griffen ineinander, ' und der Donner dröhnte unermüdlich. ; Nun fühlte sie seine Hand an ihrem Arm. Rasch und j bebend erhob sich ihr Widerstand, sank aber sofort wieder » zusammen. „Kampf, Kampf", jubelte er hinein in den Aufruhr. > In diesem Augenblick begann der Sturm von neuem i loszutoben. Fast glaubte sie, daß er sie mitrisse, über den » Steilabhang hinab. Und sie klammerte sich mit den Hän- ' den an das Dünengras. Dann hörte sie, wie Hollmann I einen Schrei ausstieß, einen Schrei unbändigster Lust. Schon sprang er auf und riß sie hoch. Seine Hände » packten ihre Arme. „Der Sturm muß durch uns hindurch- ' gehen", schrie er ihr zu. Ihr Mund verzerrte sich: sie fühlte, es gab kein Ent- rinnen. Ihre Sinne waren im wildesten Aufruhr. Sie > verschmolz mit allem, was um sie war, mit dem Element, ' das sie umfing und durch sie hindurchging, mit den sil- I bernen Blitzen, die ihre Augen blendeten, und mit diesem j Manne, der in diesen Sekunden so ganz mit der Natur , verwachsen war. ! Sie standen Leib an Leib. Sie starrte zu ihm empor, l und die Seligkeit wuchs zu einer ungeheuren Flamme, j Er zog sie an sich, ein ohnmächtiges Zittern lief durch « ihren Körper. Dann verschmolz sie mit seinem glühenden ! Mund. i * . * Toni jagte über das Gras. Der Sturm hatte aus« ! getobt, und die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Atem- ! los erreichte sie den Wagen. Hollmann folgte ihr auf dem I Fuße. I Dann saß sie im Wagen zurückgesunken mit geschlos- ! senen Augen, und das große, unfaßbare Glück flutete über i sie hin. ! Er fuhr ein unbändiges Tempo. Sie hörte ihn leise I vor sich hinsingen, ein Lied ohne Worte, eine kleine, nich- ! tige Melodie. Ruhig und aufmerksam blickte er durch die ' Scheibe, über die gleichmäßig der Wischer fuhr. Doch der Regen war nur von kurzer Dauer, das ' Trommeln auf dem Dach hörte bald auf. Nur hin und ! wieder hallte der Donner durch das leise Singen des I Motors. ! Sie durchrasten den Badeort, durch den sie schon vor- I hin gekommen waren. Im Strandhotel wurde immer ! noch getanzt, aber nicht mehr im Garten. Man sah die I Paare durch die weit offen stehenden Fenster, sie glichen I seltsamen Marionetten. Ein kurzer Schauer schüttelte sie. Dann riß sie sich ! zusammen. Was war geschehen? Sie hatten sich geküßt. ! Im wilden Aufruhr einer entfesselten Natur hatten sich ! ihre Lippen für kurze Sekunden verschmolzen. Um gleich > wieder voneinander zu lassen ... ! Unfaßbar! Kannte sie diesen Mann? Nein, sie kannte ! ihn nicht, sie wußte nichts von ihm. Er hatte ihren Namen I genannt, und das war die Verlockung gewesen. Später I hatte er auch noch Jos Namen genannt. Ihre Gedanken ! wirbelten fieberhaft durcheinander. Plötzlich empfand sie ! es so: er hatte alles herbeigeführt, um sie zu demütigen. I Ein hinterlistiges Spiel hatte er mit ihr getrieben, ihr I eigenes Ich erschlagen. Sekundenlang fühlte sie Haß. Sie ! hätte ihn ins Gesicht schlagen mögen. Dann sank die I Scham über sie hin, die bittere, peinvolle Scham. Sie I warf die Hände vors Gesicht. Er sah es und hielt mitten auf der Waldchaussee. ! „Um Gottes willen, was haben Sie, Toni?" Ihr Kopf sank nach vorn. Er strich ihr behutsam über I das Haar. Sie stieß ihn zurück. „Toni", sagte er sehr weich, „ich glaube fast, Sie ! wollen diese kleine Geschichte komplizieren." Da blickte sie rasch auf. Zorn und Verzweiflung rissen I sie fort. „Das wagen Sie mir zu sagen?!" Er lächelte ein wenig erstaunt und schüttelte den Kopf. ! „Sind Sie mir denn wirklich böse?" „Ja, es war gemein von Ihnen!" „Aber nicht doch — es war doch weder gut noch böse." I „Doch, es war böse." ! (Fortsetzunp solgt.) Herr Schnurreck geht zu Fuß Von R u t h K r i st e k a 1. I «Nachdruck verboten!) I Willi Schnurreck ging jetzt jeden Morgen den Weg zur I Stadt zu Fuß. Von seiner Villa bis zum Büro hatte er ! ein gutes Stück Weg zurückzulegen, und er atmete schwer, I wenn er den Fahrstuhl bestieg, müde von der Anstrengung I des weiten Ganges. Doch der Arzt hatte ihm dringend i Bewegung geraten. So machte er nun täglich seinen ' Gang, er, der sonst nur das Autofahren gewöhnt war. I Hierbei fiel es ihm auf, daß viele Menschen den Weg zu I Fuß gingen, gewiß viele darunter, die sich nicht einmal ; das Fahren mit der elektrischen Bahn gestatten konnten. ! Wenn Willi Schnurreck dann vor seinem Schreibtisch I saß, mußte er manchmal über sein Leben nachdenken. Er I hatte allen Grund mit seinen Erfolgen zufrieden zu sein, ! denn das kleine Geschäft des Vaters war unter seiner Lei- k tung zu einer bekannten Firma herangewachsen, dennoch I stieg in Schnurreck zuweilen das Gefühl einer Leere auf. Da, eines Morgens, kam es, daß Willi Schnurreck auf- , gerüttelt wurde, und seine Gedankenwelt eine neue Rich- ! tung erhielt. Er ging wie gewöhnlich den Weg durch tue I breite Villenstraße. Es war ein stiller Morgen, Wolken i verhängten den Himmel. Er fror und schlug sich den Kra- , gen seines Mantels hoch. Von weitem sah er eine Gestalt ! auf sich zukommen, die in sicherem Gang vorwärtsschritt. I Er erkannte einen Mann in ernfacher Arbeitskleidung und I wußte nicht, warum es ihn auf einmal seltsam durchzog, » als sich dieser Mann näherte. Aber er wußte doch, daß er I diesen Mann kannte: Da trat auch schon das Gesicht auf I ihn zu, das Gesicht des einstigen, lang vergessenen Schul- » kameraden. Es war Neumann. Das Verschüttete stieg auf, ! die Zeit der Jugend. Damals hatte die Welt noch anders ! ausgesehen. Aber lebte man nicht auch heute ganz gut? I Ja, Schnurreck war einer von denen, die die Bitternis < der Armut nicht kennengelernt haben, Herr Schnurreck ge- ' hörte zu jenen, die im Wechsel der Zeit immer gewußt ! hatten, nicht Schaden zu nehmen an den Krisen, sie die I Welt erschütterten, die Heimat bedrohten. Aber da stand nun das Gesicht dieses Menschen vor » ihm, das Gesicht eines Arbeiters. Ein versorgtes Gesicht. ! War es nicht eine Täuschung, war es überhaupt Neumann, I der Schulkamerad? Schnurreck wandte sich ab von dem Mann, der fremd ; und bitter in sich hineinhustend an ihm vorübereilte. Er , wandte sich ab. Da ging der Mann den Weg, da ging der I Hungernde, der Geschlagene, der im Leid gewachsene ' Mensch. ; Wie kam es, daß Willi Schnurreck immer wieder an i dieses Gesicht denken mußte, dem er ausgewichen war im I entscheidenden Augenblick? Aber konnte er überhaupt aus- ! weichen? War nicht das Gesicht dieses Mannes seines icht, seines in Not stehenden, ringenden Volkes? cht das Antlitz seiner Nation? n der Nacht bedrängte ihn das Gesicht des I Arbeiters Neumann. ! Am nächsten Morgen zögerte er, als er aus seinem I Hause trat, und er hielt sich eine Weile am Türpfosten I fest. Aber dann ging er doch wieder den breiten Weg ent- . lang. Als er das Ende der Straße erreichte, atmete er ! auf, diesem Menschen nicht begegnet zu sein, da bog er > plötzlich um die Ecke, der Arbeiter mit dem geneigten Kopf. I Der Arbeiter blickte auf. Schnurreck zuckte erschreckt zu- . sammen. Er stammelte: „Neumann?" ? „Ja", nickte der Arbeiter, „der bin ich." § „Wie geht es, was macht die Familie?" j „Oh?" fragte der Arbeiter erstaunt, „wollen Sie das . wissen?" ! „Aber, Neumann, natürlich will ich das wissen, das I besorgt mich. Geht's zur Arbeit?" „Rein, nicht zur Arbeit. Da draußen... der Bau... - wo ich doch im Sommer gearbeitet habe, der liegt still... ! jetzt im Frost, da ist keine Arbeit. Aber was soll ich im > Haus. Der Frau bin ich im Weg. Da geh ich raus und t seh mir den Bau an und denk, der müßte weiterwachscn, » damit wir leben können. Doch der wächst nicht weiter im ! Winter. Aber ansehen muß ich mir den Bau. Ein schöner I Bau. Ein Wohnhaus soll es werden. „So, so", nickte Schnurreck, „ja, es hat jeder sein Pack- i chen zu tragen." » „Das schon, Herr, aber wir haben ein bißchen viel zu » tragen. Nun schon den zweiten Winter mit dieser Not, I Herr. Das ist nicht so l^cht." j Der Arbeiter nickte kurz und ging weiter — ließ Willi ! Schnurreck stehen, der mit verwirrtem Gesicht den Hut zog ' — ging hinaus zum Bau, der kein Brot brachte, der nich« I weiterwachsen konnte, well es Winter war. Da ging der i Arbeiter, ging den Weg entlang, einsamen Schrittes, und ! ging doch mit vielen anderen: einer seines Volkes. ' Noch am gleichen Tage sandte Herr Schnurreck eine I Geldüberweisung an den Bauarbeiter Neumann, der mit > seiner Frau und fünf Kindern in einem der hohen grauen - Häuser des Arbeiterviertels wohnte. Vielleicht wäre Willi ! Schnurreck niemals darauf gekommen, sein Teil abzugeben, I denn es war hier noch kein Opfer, nur ein Teil seiner ; Pflicht dem Volk gegenüber, wenn er nicht gefürchtet hätte, » Tag für Tag dem Gesicht Neumanns zu begegnen. I Nach einiger Zeit erhielt Willi Schnurreck einen I Brief, den er mit Verwundern las: Sehr geehrter Herr, ! ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen, mir das Geld zu ; übersenden und die Stellung zu vermitteln. Jedenfalls i sage ich Ihnen — auch im Namen meiner Familie — I meinen herzlichen Dank. Wenn Sie der Herr sind, der : mich letztens auf der Straße angesprochen hat, so mutz ich I annehmen, daß Sie sich in mir getäuscht haben, denn ich i habe Sie niemals gekannt. Albert Neumann." j Willi Schnurreck wußte nun, daß er einem Irrtum » unterlegen war. Aber war es nicht ein segensreicher Irr- , tum geworden? Er hatte dem Unbekannten gegeben, dem I Volke. j Schnurreck ist eines Tages hinausgegangen, um sich ; das Wohnhaus anzusehen. Es waren nur kahle Mauern, ' die in die Bläue des Himmels starrten. Da wußte I Schnurreck, daß im Sommer alle Bauten weiterwachsen I müßten. ; Aber vorher hieß es, den Winter zu überdauern. Atmung wir- gemessen Die Mehrzahl der Großstädter liebt den Baum- I schmuck ihrer Straßen. In einem Krankenhaus treffen ; wir reichlich grüne Blattpflanzen an. In beiden Fällen ' bedient man sich der Pflanzen als Luftverbesserer, denn I diese beseitigen die „verbrauchte Luft", das Kohlenoxyd, I indem sie daraus ihre Kraftstoffe, vor allem den Zucker, ; bilden. Wie beim Tier, spielt auch bei der Pflanze der > Gasaustausch eine große Rolle, und erst wenn man diesen I genau verfolgt, kann man einen Einblick in die inneren I Vorgänge gewinnen, die sich äußerlich als das Leben kund- ; tun. Bisher sind Messungen auf diesen Gebieten mit » großen Schwierigkeiten und Mängeln verbunden. Außer- I ordentlich wichtig ist darum eine wissenschaftliche Nach- I richt aus Washington, nach der der berühmte Pflanzen- ; Physiologe Dr. Alister eine neue Methode erfunden hat. » Mit dieser sind bereits Differenzen von einem Millionstel > im Gasaustausch eindeutig zu erkennen; sie arbeitet mit I Hilfe infraroter Strahlen, die bei Durchtritt durch Gase be- ' stimmte Veränderungen erleiden. Für jedes Gas wird » eine charakteristische Wellenlänge der Strahlung zurückge- I halten; der Grad der Strahlung ist ein Maß der vorhan- I denen Gasmenge. So kann man Kohlenoxyd, Wasser- » dampf und viele andere Gase nebeneinander schon in , kleinsten Mengen messen. Diese an Pflanzen erfundene I und erprobte Methode ist aber minder wichtig für Tiere ß und Menschen. Schon lange verfolgen die Aerzte den Stoff- > wechsel kranker Menschen vor allem bei Fettsucht und Base« » dow durch Messung und Bestimmung der Atmungsluft. I Dazu waren bisher kompliziert gebaute Apparate nötig, , die eine chemische Bestimmung der Gase erlaubten. Bei » Ausarbeitung der neuen Methode werden wir erheblich . genauere Messungen und schnellere Ergebnisse erhalten I können. Vor allem wird sie uns aber einen tieferen Ein- blick in die einzelnen Krankheitsgeschehen gestatten, da sie » viel mehr gasförmige Stoffe zugleich erfaßt, alS dies ! bisher möglich war. I ; Volkes Ge > War es n Und