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Bei der Untersuchung dieser Probleme dürfte es vorteilhaft sein, sich nach denselben Grundsätzen zu richten, die wir schon bei der Analyse der römischen Kaiserzeit in Böhmen und in Mitteleuropa beobachteten. So wie der Numis matiker nicht gut die Entwicklung in den Gebieten außerhalb der Grenzen der Provinzen verstehen kann, ohne die Ereignisse und die Geschichte des Geldes im Imperium 3 ) zu eingehendstem Vergleiche heranzuziehen, so kann sich auch der Frühhistoriker nicht nur auf die Funde im freien Europa beschränken. Ein ständiges Vergleichen mit dem Entwicklungsgang im Imperium und sei nen Provinzen, von dem wir dank der reichen und vielgestaltigen Quellen trefflich unterrichtet sind, führt oftmals zum Ursprung jener Erscheinungen, die wir weitab von Rhein und Donau vorfinden, und gibt uns eine Vorstellung, wie es zu Unterschieden in Richtung und Tempo der Entwicklung in den ein zelnen Gebieten kam. Der engen Beziehungen, des kontinuierlichen Zusammenhanges und in gewis sem Maße der gegenseitigen Abhängigkeit beider benachbarter Welten, der antiken und ihrer Randprovinzen und der sie umgebenden sog. barbarischen, werden wir am Ende der römischen Kaiserzeit und zu Beginn der Völkerwan derung besonders deutlich gewahr. Am Anfang des 3. Jahrhunderts kommt es auf der Insel Seeland und im gesamten europäischen Norden bis zum Weichselmündungsgebiet zu einer plötzlichen Vermehrung des Reichtums, der mit der Verlagerung der römischen Seewege (Bernsteinzufuhr) über Seeland zu erklären ist 4 ). Dies beweisen die reichen Körpergräber, die neben heimischen Erzeugnissen auch mit zahlrei chen wertvollen importierten Gegenständen ausgestattet waren. So fand man Bronze-, Silber- und gemalte Glasgefäße, Silberservice u. a. m., Luxusware also, die in den Werkstätten westlicher Provinzen hergestellt wurde. Das An wachsen des Reichtums auf Seeland, das im 4. Jahrhundert als Umschlageplatz für den Ostseehandel eine Blütezeit erlebte, bewirkte wohl auch die gesell schaftliche Differenzierung der Bevölkerung, wofür Unterschiede in der Grab ausstattung sprechen. J. Werner, der den Verhältnissen auf Seeland in jenem Zeitabschnitt große Aufmerksamkeit widmete, kam trotz ungenügender kon kreter Siedlungsfunde schon im Jahre 1941 auf Grund seiner Studien von Gräbern und Gräberfeldern zu der Erkenntnis, daß damals auf Seeland Herren sitze und große Höfe emporwuchsen, in deren Dienst Edelmetallschmiede ar beiteten, die teils bodenständige Typen herstellten, teils Muster aus den West- 3) Hierzu: St. Bolin, Die Funde römischer und byzantinischer Münzen im freien Germanien, 19. Be richt der Römisch-Germanischen Kommission 1930, S. 87 f. Auf demselben Prinzip beruhten auch Beobachtungen der Beziehungen Böhmens zu den Veränderungen, die im Imperium vor sich gingen: B. Svoboda, Cechy a msk Imperium, Praha 1948 (im weiteren B. Svoboda, Imperium). “) J. Werner, Die Herkunft und Zeitstellung der Hemmoorer Eimer und der Eimer mit gewellten Kannellüren, in: Bonner Jahrbücher 140/141, 1936, S. 406 f., ders., Die beiden Zierscheiben des Thorsberger Moorfundes, Ein Beitrag zur frühgermanischen Kunst- und Religionsgeschichte, Rö misch-Germanische Forschungen 16, Berlin 1941, S. 48 ff., 54.