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Redaktioneller Teil. X- 1l7, I. Juni 1920. Jetzt habe ich abermals das Buch zur Hand genommen und stehe aufs neue im Banne dieser Persönlichkeit, nur daß ich jetzt den ganzen Mann mehr zu würdigen weiß, als früher. Perthes war nicht nur Buchhändler, als Sortimenter und später als Verleger weitblickend, großzügig und erfolgreich; er war auch ein großer, reiner Mensch, von zahuosen bedeutenden Zeiigenosten geschätzt und geliebt, eine sittlich fest in sich ruhende und geschlos sene Persönlichkeit, vorbildlich als Gatte und als Oberhaupt einer zuletzt weitverzweigten Familie; ein furchtloser Patriot, der im Kampfe gegen den Unterdrücker sich selbst opferte, männ lichsten Sinn mit tiefer Frömmigkeit verbindend — kurz: einer der besten Deutschen aller Zeiten. Wer dies nachgerade Wohl etwas selten gewordene Werk sich verschaffen kann und sich darin Trost holen will, daß jener Zeit tiefster Erniedrigung Deutschlands wieder ein Aufstieg ge folgt ist, der möge das ja tun. In Perthes waren alle die sitt lichen Kräfte beisammen, die auch zu unserem Ausstieg unent behrlich sind. Wie ähnlich unsere Zeit der damaligen ist, mögen einige wenige Stellen aus dem Werke dartun. Die Handels-Katastrophe. Am Ende des 18. Jahr hunderts galt Hamburg vermöge seiner auf fester Grundlage gegründete» Bank als sicherster Wechselplatz und übte eine Art Alleinherrschaft über den Handel des Festlandes aus. Große Reichtllmer strömten herbei, und französische und holländische Kaufleute, die in ihrer Heimat sich nicht für sicher hielten, vermehrten, indem sie ihr Geld und ihre Waren nach Hamburg brachten, die Mittel der Stadt. Aber auch gewinnlustige Men schen der verschiedensten Völker und Stände kamen als Frei beuter, die weder Ruf noch Vermögen zu verlieren hatten, von allen Seilen herbei, um in Hamburg schnell zu reichen Handels- Herren zu werden. Die vielen riderkühnen und doch glücklich aus geschlagenen Unternehmungen ließen die Meinung entstehen, es könne und werde nichts mißlingen; leichtfertiges Wagen und die Sucht, alles oder nichts zu haben, trat als Folge ein; zahl lose Unternehmungen wurden gemacht, welche die wirklichen Kräfte der einzelnen weit überstiegen und dem Reichtum der Stadt nicht angemessen waren. . . . Zugleich hatten die hohen Summen, über welche zu verfügen man sich gewöhnte, die größte Geringschätzung gegen Ausgaben jeder Art erzeugt. Es galt als kleinlich und engherzig, sich einer auch noch so hohen Ausgabe wegen irgendeine Annehmlichkeit, irgendeine feinere oder grö bere Schwelgerei zu versagen. Neben der prahlenden und nicht selten geschmacklosen Vergeudung gehörte es zum guten Ton der Neichen, die leichten Sitten, die lockeren Grundsätze und vor nehmen Laster jener vielen Flüchtlinge nachzuahmen, welche sich in Hamburg aufhielten. Die unglaublich wachsende Menge der öffentlichen Lustbarkeiten und lärmenden Freuden, die Sucht der Ärmeren, es in ihrer Weise den Reichen gleich zu iun, ver wischten mehr und mehr den Eindruck der Ehrbarkeit und wohl- häbigen Tüchtigkeit, welche früher den nach Hamburg kommenden Fremden in Erstaunen setzte. Indem das Geld durch die Menge, in welcher es sich borfand, und durch den Leichtsinn, mit welchem es für Nichtigkeiten verschwendet ward, an Wert verlor, mußten notwendig alle Bedürfnisse des Lebens im Preise steigen. Die Woh- nungsmiets eines Arbeitsmannes betrug mehr als das Gehalt eines preußischen Leutnants, der jährliche Aufwand für eine Loge im Theater mehr als das Gehalt eines preußischen Geheimen Rats ... Neben dem massenhaften Reichtum trat daher in früher unbekannter Ausdehnung Rot der Armen und sorgenvolle Pein aller derer hervor, welche, wie z. B. die Beamten, bei dem all gemeinen Umschwung aller Geldverhältnisse ihre Einnahmen nicht erhöhen konnten. — Der Zusammenbruch kam schnell. Seit dem Ausbruch der Revolutionskriege waren die Preise der Wa ren, vor allem der Kolonialwaren, bis 1798 um mehr als das Doppelte gestiegen. Ungeheure, zu diesem Preis erworbene Vor räte lagerten in Hamburg oder in England auf hamburgische Rechnung. Da fielen die Preise, andere ungünstige Umstände traten dazu. Hamburg konnte nicht zahlen, was es zu zahlen hatte. In dem Jahre 1799 fallierten 136 große Handlungs- ödO Häuser und eine Menge kleinerer; manche konnten nur 7—3 Pro zent, andere nichts ihren Gläubigern zahlen. Perthes war dem unmittelbaren Einflüsse dieser Ereignisse freilich vermöge der Natur seines Geschäfts entzogen, aber mittelbar hatte auch er schwer unter der allgemeinen Geldnot zu leiden. Aber vermöge seiner Tüchtigkeit konnte er die Krisis nicht nur überstehen, sondern auch dem Geschäft eine früher kaum gehoffte Ausdehnung geben. Die NapoIeonische Zeit. Das Deutsche Reich war auch der Form nach zusammengedrochen. Da Perthes keine An- hänglichkeit an bestimmte politische Richtungen und Lehren kannte, über deren Sieg er sich selbst dann gefreut haben würde, wenn derselbe von den Feinden unseres Volkes und aus Kosten unseres Volkes erfochten worden wäre, so blieb seinen Politischen Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen alles Allgemeine, Un bestimmte und Theoretische fremd. Mit bitterem Unwillen und tiefem Schmerz sah er die stumpfe Gleichgültigkeit, in welcher Männer, die den Stolz unseres Volkes ausmachten, sich nach dem Lünebiller Frieden und dem Regensburger Hauptschluß ab schlossen gegen das grenzenlose Leiden Deutschlands und gegen den frevelnden übermul der Peiniger. Mit Grimm wurde er erfüllt, als um diese Zeit Goethes Eugenie erschien. «Scham, glühende Scham über die Zerreißung unseres Vaterlandes«, schrieb er 1804 an Jacobi, «sollte und müßte unsere Herzen foltern; aber was tun unsere Edelsten? Statt sich zu waffnen durch Nährung der Scham und sich Kraft, Mut und Zorn zu sammeln, entfliehen sie ihrem eigenen Gefühl und machen Kunststücke .. . Aus Schlechtigkeit, Dummheit und Angst oder fürs Geld reden unsere Journalisten, ich nenne nur Wolt- mann, Archenholz, Votz und Buchholz, dem Tyrannen und der großen Nation das Wort . . . Wer sieht es nicht, daß für Europa eine Wiedergeburt im Staate, in der Kirche, in der Moral notwendig war; wer kennt nicht die Unordnung, den Kleinigkeitssinn, die Erstorbenheit im Deutschen Reiche? Und unter den einzelnen deutschen Staaten gibt es keinen, für den der Untergang nicht eine verdiente Strafe ist, weil in keinem Fürst und Volk für das Ganze leben und opfern wollten . . . Was da war, ist ruiniert; welcher neue Bau sich auf den Trüm mern erheben wird, weiß ich nicht, aber das Entsetzlichste von allem wäre, wenn nach dieser Zeit des Schreckens die alte matte Zeit mit ihren zerbrochenen Formen wiederkehren sollte. Zu einer neuen Ordnung will Gott uns auf praktischen Not- und Angstwegen führen, rückwärts läßt sich das Stück nicht spielen, also vorwärts. Es falle, was nicht stehen kann . .. Allenthalben unter dem Volke ist Wille, Kraft und Entrüstung. Selbst in Bayern bildet sich ein Gemeingeist, der über den bayerischen Nationalgeist siegen wird; wir hier (in Hamburg) denken nur an Nationalehre, und Leipzig, wo in der Messe Menschen aus allen Provinzen und allen Ständen des Reiches Zusammen kommen, gibt die erfreuliche Gewißheit, daß ganz Deutschland nur «ine Stimme Hai: Vaterland, Freiheit, Rache. Ich sprach mit Tausenden und ich war der Vorsichtigere in meinen Äuße rungen. Man kann gar sehr zufrieden sein mit dem Volke; Gott sende nur einen Geist, der die Gemüter binde und entlade. Nein, Deutschland geht nicht unter, und die Deutschen sterben nicht ab als ein tatenloses Volk; ein neues Geschlecht deutscher Art wird entstehen und wird blühen auf Jahrhunderte hinaus ... Je gewaltsamer und brutaler die Maßregeln Napoleons waren, desto geeigneter erschienen sie ihm, den Sturz der Gewaltherr schaft vorzubereiten. Köstlich sind, schrieb er 1806, die Verfügun gen der Franzosen in Frankfurt, Bayern und anderen Ländern. Nur zu! das hilft; der Haß der Deutschen wird gründlicher wer den, als einer sonst«. Den Hatz und die Erbitterung gegen den Unterdrücker durch jedes mögliche Mittel mutiger und entschlossener zu machen, das hielt Perthes für jedes deutschen Mannes Recht und Pflicht. Zunächst und vor allem betrachtete er es als seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß kräftigen und anregenden Worten deutsch gesinnter Männer nach allen Seiten hin ein nachhaltiger Einfluß durch Druck und schnelle Verbreitung gesichert werde. — In Nürnberg verfolgte Palm «in ähnliches Ziel; er wurde am 25. August 1806 erschossen. Sofort stellte Perthes eine Samm-