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H 24 5. 21. Oktober 1909. Nichtamtlicher Teil. Und zwar handelt es sich hierbei um die gefährdete Sittlichkeit. Das Oberlandesgericht führt hierzu nun aus, daß zwar der Inhalt der »Mandragola« — an sich betrachtet — unsittlich sei. Es sei erzielen. Jedoch könne anderseits nicht gesagt werden, daß es der Verfasser auf unsittliche Ziele abgesehen habe, viel mehr ziele alles auf eine Belustigung des Publikums durch die getroffen, daß eine Verletzung oder Gefährdung der Sittlichkeit vorliege, die die Polizei zum Einschreiten zwinge. Zunächst müsse es sich bei dem § 19 des Verhältnisgesetzes um ein unmittelbares Interesse der Gesamtheit handeln. Wenn die Polizei im öffentlichen Interesse einschreite, so könne das wegen Er regung von Ärgernis, wegen Lockerung der gebotenen Anschauungen über die Sittlichkeit und auch wegen Verführung und Anregung zu persönlicher Unsittlichkeit geschehen. Zunächst müsse die Erregung eines öffentlichen Ärgernisses verneint werden. Bei Beurteilung dieser Frage dürften gewisse Erfahrungen des täglichen Lebens, so bedauerlich sie auch seien, nicht außer acht gelassen werden. Das Theaterpublikum sei heute keineswegs so sittenstreng, als daß es nicht auch sittlich anrüchige Stücke in sich aufnehmen könne. Auch sei es jedem freigestellt, solche Stücke nach Be lehrung durch die Tageskritik zu vermeiden. Aus diesen Gründen könne auch nicht angenommen werden, daß das Stück die Sittlich keit gefährde. Was in München, Nürnberg und Wien aufgeführt dargelegt werden, daß sie die Sinnlichkeit erregen, während anderseits durch dezentes Spiel derartiges vermieden werden könne. Uber das Spiel habe die Beklagte aber Einwendungen gelegte Revision hatte keinen Erfolg und wurde vom VI. Zivil senat des höchsten Gerichtshofs zurückgewiesen, da die Be urteilung auf der Auslegung des Verhältnisgesetzes beruhe, das aber vom Reichsgericht nicht nachprüfbar sei. (VI, 348,08.) Mißlack. jllingerS und Greiners Illustrationen zur Leipziger Universitätssestschrift. — Bekanntlich ist die Festschrift, die an läßlich des Leipziger Universitäts-Jubiläums herausgegeben worden und im Verlag von S. Hirzel in Leipzig erschienen ist, von Klingers und Greiners Hand mit Bildern geschmückt. Der edle Wettstreit dieser beiden bedeutendsten modernen Graphiker hat eine Reihe von Zeichnungen entstehen lassen, die zu dem Bedeutendsten zählen, was die neuere Griffel- heit, die Originale in faksimilegetreuen zinkographischen Nach bildungen in der Größe der Originalzeichnungen, auf Japan papier gedruckt, zu sehen. Der Verleger der Jubiläumsschrift hat täten. Greiner beginnt mit der bildlichen Umschreibung der Theologie, indem er neben dem gekreuzigten Heiland einen über das Buch der Bücher Hingesunkenen zeigt, der nicht in erhebender, gläubiger Andacht, sondern Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 76. Jahrgang. von Zweifeln gepeinigt, die gefalteten Hände dem Erlöser ent- gegengcstreckt. Die Medizin versinnlicht der Künstler durch den am Bett eines Kranken weilenden Äskulap, der den schon nahenden Sensenmann hinwegweist; von der andern Seite her reicht das Leben, durch eine schöne Frauengestalt verkörpert, dem Kranken erfrischende Frucht vom Baume des Lebens. Neben den Figuren hat Greiner auch der Landschaft einen hervorragenden Anteil am Eindruck feiner Bilder eingeräumt und beides zu schönstem Einklang zu bringen gewußt. Der zeichnerische Stil und die Technik, sowie die Linienführung sind bewundernswert. Den beiden Sektionen der philosophischen Fakultät ent sprechend, hat Klinger der Philosophie auch zwei Blätter ge widmet. Das eine Blatt nimmt Bezug auf die Naturwissenschaft und zeigt auf einem Vorhang, den — ein echt Klingerscher Gedanke — mehrere Putten vergeblich sich mühen in die Höhe zu heben, die Symbolisierung der Schöpfungsgeschichte. Ab und zu ist es dem einen oder anderen Putto gelungen, den unteren Teil des Vorhanges ein wenig zu lüften, jedoch nichts als undurch dringliches Dunkel ist hinter dem Vorhang sichtbar. Im Gegensatz zu dem feinen Humor dieses Blattes steht das zweite, der Philosophie zugedachte. Auf einsamem Bergesgipfel, hoch über dem Getriebe der Menschheit, gewahrt man einen in tiefes Sinnen versunkenen Forscher, dem als Wolkengebilde die Natur naht, um ihm leise ihre Geheimnisse zuzuraunen. Die Versinnlichung der Juris prudenz veranschaulicht in geistvoller Weise den ersten menschlichen Fall von Schuld und Sühne, indem uns Klinger einen Blick in das Paradies tun läßt, wo Eva im Begriff steht, von der Schlange die verbotene Frucht entgegenzunehmen, während Adam abseits stehend, den Vorgang unbeachtet lassend, im Anblick der schönen Natur versunken ist. Als Vergelter der entstehenden Schuld naht der Engel; aus seinem Schwert züngeln Flammen auf, die bereits die Wurzeln am Baume des Lebens erfaßt haben. Auf kleinem Raum bietet Klinger in diesen gedankenreichen Dar stellungen Bilder von großer Kraft und Schönheit. - Ernst Kiesling. Internationale Knnstansstellung in Rom 1911. — Zu folge Allerhöchster Ermächtigung Seiner Majestät des Kaisers und Königs ist der Präsident der Königlichen Akademie der Künste, Professor Arthur Kampf in Berlin, zum Generalkommissar der deutschen Abteilung auf der Internationalen Kunstausstellung in Rom 19kl bestellt worden. (Deutscher Reichsanzeiger.) Neue Graphik bei Tel Vecchio in Leipzig. — Das graphische Kabinett von Pietro del Vecchio in Leipzig bringt gegenwärtig die Arbeiten zweier jungen, aus der Mün- chener Schule hervorgegangenen Künstler, die hier zum ersten mal vor die Öffentlichkeit treten. Leo Rauth, ein geborener Leipziger, zeigt außer einer farbig getönten Originallithographie »Das behutsame Rendezvous« — ein sich küssendes Liebespaar, dessen Gesichter unter dem mit höchst ansehnlichem Durchmesser bedachten Hut der Dame völlig verschwinden —, eine Anzahl interessanter Radierungen, die neben unmittelbaren Naturmotiven frei erfundene Darstellungen teils figürlichen, teils landschaftlichen Charakters, sowie eine Reihe Exlibris aufweisen. Das phantastische Bild »Der Kampf« gibt zwei auf steilem, am Meere gelegenen Felsen sich be kämpfende Männergestalten wieder, hinter denen in riesiger Größe der Tod aufsteigt. Die höchst lebendig dargestellte Schilderung ist äußerst wirkungsvoll. Weiter seien aus Nauths Arbeiten hervorgehoben eine vor dem Haupt des Johannes kauernde »Salome«, die graziös bewegte weibliche Figur: »Schleier tanz«, der Aufgang zur »Akademie in München«, die reizende Serie »Gratulanten« in liebenswürdigen Kindergestalten, und die chike Frauen-Halbfigur mit dem Muff. Die Darbietungen Rauths zeichnen sich durch sichere, sorgfältige und fein em pfundene Zeichnung, originelle Erfindung und feinen, nie ver letzenden Humor aus. Weist seine Formengebung mitunter noch Anklänge an die seines Meisters Stuck auf, so lassen seine Arbeiten doch erkennen, daß er auf dem besten Wege ist, sich eine durchaus selbständige Ausdrucksweise zu schaffen. Betont Rauth in der Art seiner bildlichen Darstellungen be sonders das Formale, so geht Heinrich Haberl-München haupt sächlich darauf aus, die Tonwerte und den Stimmungsgehalt in den Vordergrund zu rücken, wobei er mit Erfolg sich auch der 1627