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„Jetzt habe ich mich mit dem Gedanken abgefunden", versicherte Buttje und sah sie vergnügt an. Während des Essens begann er mit ihr ein langes Gespräch über ihre Arbeit und verbreitete sich über die rationellsten Entwick lungsmethoden. Plötzlich unterbrach er sich, denn er fühlte, daß Hete ihn ansah. „Fällt Ihnen gar nichts anderes ein, »vorüber Sie mit mir sprechen können?" fragte sie entrüstet, „müssen es denn immer diese langweiligen Fachsimpeleien sein?" „Ich wußte nicht, daß Sie das nicht interessiert", antwortete Buttje betrübt. „Sie mögen ein großer Fachmann sein, Herr Bult mann", sagte sie entschieden, „aber als Tischherr sind Sic schauerlich langweilig. Monatelang lassen Sie sich nicht sehen, und dann erzählen Sie mir Dinge, die ich jeden Tag im Betrieb höre." Sie wandte sich an Hugo, und Herr Buttmann hatte an diesem Mittag wenig Gelegen heit, sich mit Hete Hagenow zu unterhalten. Er war froh, als er wieder in seinem Büro saß und arbeiten konnte. Nicht ganz froh, denn er hörte immer noch Hetes Stimme im Ohr, aber seufzend bezwang er sich und diktierte Else zahllose Seiten über ein neues Theaterprojekt, das er dem Aufsichtsrat zum Erwerb vorgeschlagen hatte. Und dann stürzte er sich in die Vorbereitungen für den neuen Film, in dem zum erstenmal die beiden großen Künstler der Gloria, Isa Behm und Hugo Sydow, gemeinsam auftreten sollten. Es war kein Wunder, daß Else ehrlich müde war, wenn sie aus Buttjes Zimmer kam und zum Essen ging. Dafür hatte sie eine Stunde länger Tischzeit, die ihr Buttje geradezu aufgezwungen hatte. „Ich weiß ja auch nicht, ob Sie pünktlich gehen können, Schumann. Und da ist es gut, wenn Sie ein bißchen ausgeruht sind." Ge wöhnlich saß Friedl schon in der Kantine und wartete aus sie. Sie hatten sich sehr aneinander gewöhnt und lauschten ihre kleinen Sorgen und Hoffnungen aus. Es war ein durchaus geschwisterliches Verhältnis, und weder Stups noch Georg hatten das leiseste dagegen einzu wenden. Georg war im stillen froh, daß Else beschäftigt war, denn er hatte eine neue große Passion, die ihn viel Zeit kostete. Und er war so unvorsichtig in seiner- blinden Verliebtheit, daß Else eines Tages davon Kennt nis nehmen mußte, ob sie wollte oder nicht. Als Stups und Friedl in die Kantine kamen, saß Georg verdrossen da, und Else hatte verweinte Augen. Sie gaben beide keine Antwort, und das Essen stand unberührt vor ihnen. „Wenn ihr jetzt nicht antwortet, gehen wir hin über ins Kasino", erklärte Friedl. „Geht doch!" rief Georg böse. „Und wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, nehmt die Heulliese gleich mit." Er wandte sich wütend ab, als Else schnell ihr Taschentuch vor die Augen hielt und schluchzend aufstand. Friedl stieß Georg in die Seite. „Benimm dich doch", flüsterte er ihm vorwurfsvoll zu, „was sollen die Kameraden denken!" „Mir ist alles gleich", schrie Georg und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Teller klirrten, „ich lasse mir das Nachspionieren nicht mxhr gefallen." „Georg, Georg", schluchzte Else und hob ihre Hände, „fei doch nur still!" Allmählich waren die Gäste auf merksam geworden und sahen der Gruppe interessiert zu. Georg war rot im Gesicht und ballte die Fäuste. „Ich habe genug", brüllte er und stieß den Teller von sich, daß sich die Suppe auf den Tisch ergoß. Und als Else ihm zitternd die Hand auf den Arm legte, stieß er sie roh von sich. „Stopp", klang es ganz plötzlich ruhig von Friedls Lippen, und er fühlte, daß er blaß wurde, „jetzt ist es genug, Georg." „Was geht das dich an?" schrie Georg. „Ich habe Wohl gesehen, wie ihr die Köpfe zusammensteckt. Aber damit jst jetzt Schluß, sage ich dir. Von mir aus könnt ihr euch alle zum Teufel scheren." „Mach, daß du fortkommst!" sagte Friedl ruhig und hielt Else zurück, die zu Georg hin wollte. „Was sagst du zu mir?" brüllte Georg. „Du, ich bin nicht Kreisler. Mit mir kannst du das nicht machen. Da, das ist eine Kostprobe von einem Schmied." Er hielt ihm feinen sehnigen, muskulösen Arm vor das Gesicht. Ein Blick Friedls beruhigte die aufgeregten Mädchen, dann packte er Georgs Arni Und bog ihn wortlös herunter. In seinen Augen glomm ein dunkles Feuer, und der Druck seiner Hand war wie Eisen. Georg stieß einen unterdrückten Schrei aus und riß sich los. Einen Augen blick stand er mit geballten Fäusten vor ihm, dann stieß er ein höhnisches Lachen aus, und ohne sich nmzusehen, verließ er die Kantine. Sein Arm schmerzte von Friedls harten» Griff. „So ein Kerl", ereiferte sich Stups, „das Genick hättest du ihm brechen müssen." „Bitte schweig!" sagte Friedl ruhig und ergriff die Hand Elses, die stumm vor sich hinsah und mit den Tränen kämpfte. Stups zuckte ärgerlich die Achseln und ging hinaus. Sie verstand die ganze Aufregung nicht. Else sollte doch froh-fein, wenn sie den Burschen los war. So einen bekam sie noch alle Tage. Aber Else wurde stiller und stiller, und Friedl mußte sie vom Büro abholen, dainit sie überhaupt zum Essen kam. Für Stups wurden diese Mittage unerträglich. Friedl war vollkommen damit beschäftigt, Else über die schwere Zeit hinwegzuhelfen, und Else lächelte ihn mit verschleierten Augen an und gab kurze und nichtssagende Antworten. Stups saß stumm daneben und wußte nicht, was sie sage»» sollte. Es war eine wirkliche Erholung, wenn ihr Schulte über den Weg lief — und merk würdigerweise wiederholten sich diese Zufälle sehr häufig. „Haben Sie Lust, ain Sonntag mit inir einen Auto ausflug zu machen?" fragte er eines Tages unvermittelt. „Habe»» Sie dem» ein Auto?" „Ich habe der .Gloria' eine»» kleinen Wagen ab gekauft. Sieht reizend aus, läuft wie eine Biene." „Wo wollen Sie denn hinfahren?" „Wohin Sie befehlen", rief er strahlend. Sie schüttelte den Kopf. „Nichts zu machen, mein Lieber. Da müssen Sie schon init einer anderen fahren. Mit mir geht's jedenfalls nicht." „Sie machen mich ganz traurig. Denken Sie mal, wie schön das wäre! Am Vormittag sährt man los, iß» irgendwo draußen, geht ein Stück iin Wald spazieren, und abends besucht man irgendein Theater. Schade, ewig schade." Sie kämpfte sichtbar mit sich. „Ausgeschlossen", er klärte sie endlich. „Ich kann wirklich nicht. — Sollte sich irgend etwas ändern, gebe ich Ihnen noch Bescheid, Schulte." Mit einem schnellen Kopfnicken ging sie davon. Er schaute ihr siegesgewiß nach und rieb sich die Hände. Herr Schulte sollte keine Enttäuschung erleben, denn am Sonnabend klagte Stups beweglich, daß ihr Isa jetzt gar keine freie Zeit mehr ließe. Sogar am Sonntag müßte sie zu Hause bleiben: „Sydow und Beyer kommen. Es ist wegen des Films, weißt du. Nächste Woche spielen die beiden zum erstenmal zusammen." Friedl war auf richtig betrübt. „Wie schade", klagte er, „ich habe schon dainit gerechnet, daß wir ein bißchen hinausfahren können. Wie schön könntest du mich dabei abhören." Stups stimmte in sein Bedauern init ein und dankte Gott, daß diese Last von ihr genommen war. Isa und Hugo waren wirklich unzertrennlich. Sie arbeiteten ihre Rollen gemeinsam durch und verständigten sich über Einzelheiten. Oft war Ernst Beyer dabei, und es gab heftige Mei nungsverschiedenheiten über „Auffassungen", und ge legentlich sah es so aus, als ob der Film niemals zur Aufnahme kommen würde. Aber dann fanden sie sich in der gemeinsamen Begeisterung für die Sache, und die beiden Schauspieler warteten erregt auf den Augenblick, wo sie gemeinsam vor dein Objektiv stehen würden. Endlich war der große Tag gekommen. Beyer wat- sichtlich aufgeregt, soviel Mühe er sich auch gab, gelassen zu erscheinen. Isa sah in dem Weißen Abendkleid, das ihre schlanke Gestalt wirkungsvoll hervorhob, hinreißend aus, und Sydow war in dem selten getragenen Frack ein Urbild männlicher Kraft. Die Probe ging vorüber, Beyer sah mit vorgestrecktem Kopf und geballten Fäusten zu und wandte sich zweifelnd an Buttje, der hinter ihm stand. Aber Buttje machte nur eine stumme Bewegung, und sein begeistertes Gesicht sprach Bände. (Fortsetzung folgt.) Oer Schwätzer von Brescia Von Erna Büsing (Nachdruck verboten.) ! Drei Kinder waren ihnen während einer bösen Seuche « in einer Woche gestorben, daher war es kein Wunder, daß I sie ihren Sohn, der jetzt ihr einziges Kind war, mit be- . sonderer Liebe umhegten. Die Eltern waren stolz aus ! ihren Jungen, und sie waren nicht recht damit einver- ! standen, daß der Lehrer ihn eine»» Träumer nannte. „Er s vermißt seine Geschwister", sagte die Mutter und seufzte. ; „Er denkt recht tief nach", sagte der Vater und war froh ! darüber, durch seine Worte diesem schweigenden Vorsich- I Hinstarren des Sohnes einen Inhalt gegeben zu haben. Den Vater erfüllte das zurückhaltende Wesen seines ! Sohnes mit tiefem Ernst, und er meinte einst, »nit Stau- ! nen in der Stimme: „Es ist sonderbar, zu dem Knaben j sprechen die Gebäude. Ich sah »nit ihm La Rotonda, und I seitdem er mich dorthin führte, lebt für mich die alte ! Domkirche. Die vielen Figuren, die uns nur verwirren, die kennt er mit Namen, er weiß, was sie bedeuten und ' auch, wer sie schuf. Und voi» unserm Weißen Marmor- ; dom sagt er, inan müsse auch demütigen Sinnes sein > vor den» Bauwerk, das ein Großer erstehen ließ. In s meiner eigenen Einfachheit verstehe ich meinen Sohn nicht, ; aber ich fühle, daß er etwas Großes denkt." Der Vater ging mit dein Sohn durch Brescia und sah sich den Uhrturm an und erblickte ihn fortan mit an- ' deren Augen und bemerkte, daß er im Frühlicht ganz ; anders ausschaute als im Abenddämmern. Die Mut- l ter Ueß die beider» durch die Stadt streife»», froh darüber, s daß Vater und Sohn sich verstanden. ! Als der Sohr» hernach in der Schule lernte, Brescia ! habe zur Zeit der Venetianischen Republik 65 Kirchen be- I sessen, wanderte er nimmermüde durch die Stadt und I schrieb das Schicksal dieser 65 Kirchen in ein Aufsatzhest. I Der Lehrer war über diesen Aufsatz baß erstaunt. Der I Aufsatz wurde zuerst vor versammelter Klasse und nach- s her vor der Lehrer- und Schülerschaft der Schule vor- ; gelesen. Der Schreiber bekam für diesen Aufsatz eine t Auszeichnung, wodurch Wohl die erste goldene Uhr mit I Goldkette in seine Familie kam. Sie wurde gebührend > angestaunt von den Eltern, den Verwandten und den > Nachbarn. Die Auszeichnung ereignete sich an einem > schönen Sonunertag, der zur Freude vorbestimmt schien; I daher feierte die ganze Nachbarschaft, und inan tanzte - zuletzt auf der Straße. Ein gelehrter Man»» der Akademie wurde auf den Jungen ausrnerksam und trug ihm auf, Inschriften zu ! sammeln. „Inschriften, ganz gleich, wo du sie findest, ; mei»» Junge. Keine Stadt der Welt ist an Inschriften i reicher als Brescia." Er sammelte Inschriften, und die Bewohner Halfer» ihm und sagten: „Junger Schlaukopf, » sieh »nal nach, ob dieses Gekritzel etwas bedeutet." So ! fand er Inschrift nach Inschrift, die der Gelehrte für ! eine Geschichte der Stadt gebrauchte. Weil der junge Mensch sich so anstellig erwies, be- ; sorgte er ihm einen Freiplatz, damit er studiere. „Unsere » Stadt gebraucht einen Ausgräber. Warum sollen immsk I Fremde kominen und suchen? Das kann einer aus unserer > Mitte genau so gut", war die Ansicht der Präfektur, die ! wacker nachgesprochen wurde. Schließlich kam der Sohu »»ach Rom. Als man den > Vater fragte, was er dort mache, antwortete er ein wenig ; kleinlaut: „Er lernt noch immer". Insgeheim machten » die Elter»» sich Sorge, obwohl der Sohn ihnen jetzt keine ! Lire mehr kostete. „Er muß doch wohl nicht allzu gescheit > sein, weil er noch immer lernen muß", sagte bekümmert ! der Vater. Die Mutter meinte begütigend: „Von wem I sollte er dem» auch wohl große Weisheit haben? Die war noch nie in meiner und auch Wohl noch nicht in deiner s Familie." ; Endlich kau» der Tag, ar» dem der Sohn schrieb, er sei k fertig. Aber er kam nicht nach Brescia, sonder»» fuhr hin- I aus in die weite Welt. Nach einem Jahr stand in den Zeitungen von Ausgrabungen, und man las den Namen j des Sohnes. Dann kau» er nach Hause. Er arbeitete in Brescia, s und viele unlersuchten den Boden und gruben und gruben. ; Bald wurde den Bewohnern mitten in der Stadt ge- ? kündigt. Sie mußten sich andere Wohnungen suchen. Die I Häuser wurden abgerissen, der Schutt ward Hinwegge- > räumt, die Männer gruben und Tempel wurden freigelegt. » Sie wurden znr Sehenswürdigkeit. Die Fremden kamen I vor» nah und fern, und die Stadt baute bald ein Museum, I um die ausgegrabenen Kostbarkeiten würdig unterzu- , bringen. Der Mutter des jungen Gelehrten war es ganz recht, l Sie verstand ja nicht, warum man mit alten Sachen so viel > Umstände »nachte, aber sie hatte eine Wohnung in einer I anderen Stadtgegend bekommen und war für die Ab- ! Wechselung dankbar. Auch hatte der Sohn ihr ein Seiden- i kleid geschenkt, und der Vater, der Zeit seines Lebens > Seide gesponnen hatte, sah nun an seinem Lebensabend s die eigene Frau in einem rauschenden, kostbaren Gewand, l Der Vater brauchte nicht mehr in die Spinnerei zu gehen, s Er durfte sich ausruhen oder durch die Straßen streifen, ; ganz wie es ihm gefiel. Aber es gefiel ihm nichts mehr, ' konnte er sich doch nun mit der Arbeit des Sohnes nicht I mehr befreunden. „Er hat unser Haus zerstört", war das I einzige, was er antwortete, wenn auf den Sohn die Rede » kam. Er sprach nicht mehr mit -ein Sohn, dessen Annähe- ! rungsversuche blieben erfolglos. Der Vater war meistens I in der Nähe des Ausgrabungsplatzes, und wen»» Fremde > kamen, und der Sohn selbst die Führung übernahm, rief ! der Vater: „Er hat unser Haus zerstört!" Die Arbeiter lächelten mitleidig und sagten erklärend: I „Das ist der Schwätzer von Brescia", und keiner der ! Fremden ahnte, daß er Zeuge 'eines großen Menschen- ! leides war. Goldene Worte Im Fleiß kann dich die Biene meistern, ! In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein, Dein Wissen teiltest du mit vorgezogenen Geistern, Die Kunst, o Mensch, hast du allein. Schiller. ! * I Wer allzu eifrig bekräftigt sein Versprechen, Beweiset dir damit den Willen, es zu brechen. FriedrichRückert. I ' ! In der Traurigkeit liegt noch ein gewisser Zauber, I eine Poesie. Die Verdrießlichkeit ist allen Zaubers bar. I E. v. Feuchtersleben. Mittelmäßiger Umgang schadet mehr, als die schönste I Gegend und die geschmackvollste Bildergalerie wieder gut- ! machen könne»». Schiller. I * » Nichts ist weniger verheißend als Frühreife; die junge I Distel steht einem zukünftigen Baume viel ähnlicher als l die junge Eiche. M. v. Ebner - Eschendach. ! * Holdseligkeit bedarf keines äußerlichen Schmucks, sie > ist in ihrer Schmucklosigkeit an» meisten geschmückt. ! Herder l