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3198 ibk 112, 18. Mai 1931. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. d.Dtschn. Buchhandel. Nachstehend veröffentlichen wir einen Ausschnitt aus Zöberlein, Der Glaube an Deutschland Aus dem Kapitel Die rwette LNarrneithlarbt Wie spät ist es denn eigentlich geworden? ir Uhr zo? Ist denn meine Zwiebel verrückt? Stehe ich wirklich schon zweieinhalb Stunden hier und knalle Franzosen ab? Unglaublich, wie die Zeit vergeht, wenn man intensiv arbeitet. Einen Durst habe ich, einen Durst! Und keinen Tropfen mehr in der Flasche. Alles an mir stinkt nach dem faulen Eiergeruch verbrannten Pulvers. Meine Hände sind schwarzblau überhaucht vom Pulverschleim — und mein Gesicht — selbst mein halbblinder Taschenspiegel läßt erkennen, daß ich einem Kaminkehrer Konkurrenz machen könnte. Ausschauen wie der Teufel! Ich glaube, mich haben sie beim Bataillon und bei der Kompanie schon vergessen. Zurückgehen? Ich denke nicht daran. Der Platz, auf dem ich stehe, ist viel günstiger als die alte Stellung dahinten. Außerdem fällt es mir nicht leicht, ihn zu verlassen, jenen Platz, den ich mir allein erobert und gegen Hunderte von Franzosen ver teidigt habe. Der Ort ist günstig. Von hier aus kann ich wie durch eine Gaffe gut i;o m zurückscbauen und zugleich das Kornfeld und die Königswiese im Auge behalten, ohne selbst von vorne gesehen zu werden. Aber setzen darf ich mich nicht, weil ich sonst sofort einsch>afe bei dieser drückenden Bruthitze. Die Verwundeten wimmern in der stechenden Sonne: „lln peu ste l'enu, csmuincke, un peu". Gerne, ich habe selber nichts. „Issix sie l'enu — ne pns". Fern knattert träges Gewehrfeuer, und lässig zieht das Heulen einzelner Granaten hinter die Linie. Der Angriff scheint überall restlos abgeschlagen zu sein. Aber im Hintergrund dieser Wahrnehmungen zittert, schwingt und grollt mit unheimlicher Deutlichkeit immer noch das Trommelfeuer von Soissons bis zur Marne. Hat der Wind umgeschlagen, weil es jetzt lauter zu hören ist als heute früh? Nein, es ist völlig windstill. Oder sollte das Feuer näher ? Unmöglich! Daß dort ein Großangriff im Gange ist, war mir klar, um» daß der Angriff bei uns damit zusammenhing, ebenso einleuchtend. Sie wollten diesen Sack an der Marne mit einer Zange abzwicken. Bei uns hat der eine Backen der Zange versagt, ob aber bei Soissons? So zufrieden wie heute bin ich im ganzen Krieg noch nicht mit mir gewesen. Mehr kann ich wirklich nicht tun für für Deutschland. Wenn mich jetzt eine trifft und mich auslöscht, mir liegt gar nichts dran, wo ich heute so viele ausgelöscht habe. Eigentlich hätte ich sie — verdient. Wenn ich die Patronen nachzähle und nur die Hälfte als Treffer rechne, reichen keine — wer kann es fassen —, keine zweihundert. Und dann kommt erst noch dazu, was ich mit dem M.G. traf. Eine müde Schwäche überkommt mich. Meine Arme sind ganz schlaff und meine Finger krampfen sich immer noch zusammen, als hätten sie den Abzug und den Kolbenhals dazwischen. So gerne möchte ich schlafen, so gerne die brennenden Augen schließen, um das Bild um mich her zu vergessen. Aber ich muß aufpassen, Posten stehen, denn hinter mir ist es still und leer, der linke Flügel des Bataillons ist anscheinend immer noch nicht hergestellt. Ich werde langsam auf- und abgehen, sonst schlafe ich weiß Gott im Stehen noch ein. Heute wird sowieso nichts mehr los sein, und von hinten muß doch endlich auch einmal wer — was war das? Da hat sich doch eben etwas gerührt — da hinter mir gleich? Da muß etwas Unheimliches sein, spüre ich eiskalt, fahre blitzschnell herum und starre in den schwarzen, kleinen Kreis einer Gewehrmündung, hinter der ein aufgeriffenes Auge mich zielend anvisiert — vier — oder höchstens sechs Schritt weg. Dieses Auge — es ist das Fürchterlichste, was ich je sah. Das lasse ich nicht mehr aus den meinen. Oder läßt es mich nicht mehr aus seinem Bann? Ein entsetzliches Brüllen kommt aus meinem Mund, so wie nur ein Mensch in letzter Erkenntnis aufschreien kann an der Schwelle zum Jenseits. Ich weiß nicht wie, ich springe direkt in diese Mün dung hinein, die ich nicht mehr sehe. Nur dieses Auge, neben dem jetzt ein zweites sich aufreißt im Schatten des Gebüsches. „Huunndd!" brüllte ich in ein verschwommen vor mir tanzendes, entsetzte« Gesicht, das Gewehr fällt aus zitternden, sich hebenden Händen. Meine Fäuste krallen sich um einen blaugrauen Kragen, auf dem schwarz die Nummer 4 steht. Mit einem Ruck zerre ich einen baumlangen Franzmann ans Licht und — nun kann ich mich schon wieder grinsend an seinen hilflosen, schreckstarren Augen weiden, die nicht mehr von mir loskommen, „ffu es prisonnler", schreie ich ihn an, und er läßt sich von mir willenlos wie ein Sack auf die Beine stellen. Donnerwetter, der Kerl hört ja gar nicht mehr auf, so lang ist er, anderthalb Kopf größer wie ich. „Lnnckelier parti!" herrsche ich ihn an. „Ihson — non prisonnler!" sagt er trotzig und frech. „Waas?" Da entgleisen schon seine Gesichtszüge vor meiner Faust. Der Kerl denkt wohl noch an Widerstand, der meint wohl, weil er größer ist wie ich? Ich wische ihn zur Vorsicht noch eine von der anderen Seite und reiße ihm das Gehänge ab, das ich in weitem Bogen ins Gebüsch schleudere. Jetzt erst denke ich an meine Pistole und reiße sie aus der Tasche.