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Am Nachmittag, als Lore vor der Tür spielte, redete Friedl mit der Mutter ein ernstes Manneswort. „Mit dem Waschen ist es nun aus, das laß andere Leute machen. Wenn du soust was tun willst — das kannst du halten, wie du willst. Ich kann dir gern soviel schicken, daß du mit der Lore leben kannst." Und trotz ihres ängstlichen Widerspruchs mußte sie ihm heilig versprechen, nicht mehr waschen zu gehen. Dann saßen sie über einem alten, mit Fettslecken reich versehenen Spiel, das Gänse und Totenköpfe und mannig fache bunte Bilder zeigte, und würfelten. Lore sah inter essiert zu und klatschte in die Hände, wenn einer von vorn anfangen mußte. Und heimlich lutschte sie einen Bonbon nach dem andern. Aber allmählich hörten die beiden auf 'zu Würfeln und sahen schweigend durch das kleine, von Blumentöpfen verstellte Fenster. „Ich danke dir, mein Junge", sagte die Mutter plötzlich und suchte nach seiner Hand. Er machte ein ärgerliches Gesicht. „Laß doch den Unsinn, Mutter! Außerdem muß ich jetzt gehen." „Jetzt schon?" rief sie erschrocken. „Du hast ja noch gar nicht zu Abend gegessen!" „Das werde ich schon noch besorgen", lachte Friedl. „Aber ich will noch an der Waldschänke vorübergehen und mich bei Herrn Basedow bedanken. Er war sehr gut zu mir." „Das tu nur, Friedl!" sagte sie eifrig. „Das Essen ist gleich soweit." Dann lief sie schnell in die Küche, während Friedl ein ganz erwachsenes Gespräch mit Lore begann und ihr zehn Pfennige in die kleine, dicke Hand drückte. Beim Abschied wollte die Mutter ein bißchen weinen, aber Friedl war sehr geräuschvoll und lustig. „Was ist denn los?" rief er mit übertriebenem Vorwurf in der Stimme. „Ich geh' doch nicht nach Amerika. Was glaubst du, wie bald ich wieder hier bin!" Er umarmte die Mutter und küßte Lore ab, dann öffnete er schnell die Tür und lief hinaus. Aber als er ein paar Schritte gegangen war, blieb er stehen und winkte fröhlich den beiden zu, die auf der Chaussee standen und ihm nachsahen. Wie ein Märchenschloß glänzten über dem See die er leuchteten Fenster der Waldschänke. Ein Kranz bunter Glühbirnen schlang sich um den Garten und schimmerte magisch in der Dunkelheit. Friedl beschleunigte seine Schritte, um Herrn Buttmann ja noch anzutreffen. Aber Buttje hatte längst vergessen, er hatte über haupt alles vergessen und saß stumm am Abendbrottisch und ließ den alten Refius sprechen. Ab und zu sah er Hete verstohlen an, die völlig mit dem Essen beschäftigt schien. Aber er mußte immer wieder an ihre Spaziergänge denken; sie waren zusammen geschwommen, und es war nun endgültig, daß sie ihn Buttje nannte. Er war sehr glücklich darüber, aber Hete hatte doch einen bitteren Tropfen in die Freude fallen lassen und ihm lächelnd ge sagt: „Gut, ich finde, daß Buttje sehr hübsch für Sie paßt. Aber glauben Sie um Gottes willen nicht, daß ich nun etwa mein Herz an Sie verloren habe, Buttje! Sie sind wirklich ein netter Kerl, aber wenn ich mich überhaupt für einen Männertyp interessiere, so ist er das gerade Gegenteil von Ihnen." Eigentlich hatte Buttje antworten wollen, daß alle Mädchen von einem Männertyp schwärmen und den ent gegengesetzten heiraten. Aber das schien ihm zu weit zu gehen, und er schluckte die Pille tapfer hinunter. Der Professor war schon in Gedanken in Berlin. „Es hat mich sehr gefreut, lieber Buttmanu, daß Frau Behm die große Freundlichkeit gehabt hat, sich nach mir zu er kundigen. Grützen Sie sie doch bitte recht herzlich von mir! Sie ist eine überaus verständige Dame, muß ich sagen." „Sie haben sie mit Ihrer Ziffer vier ganz bezaubert, Professor. Und Isa hat mir anvertraut, daß ihre Mutter wahr und wahrhaftig abgenommen hat." „Kann Sie das Wundern, mein Freund?" fragte der Professor erstaunt und sah ihn mit ernstem Vorwurf an. „Ziffer vier ist eine ungewöhnlich wirksame Zusammen setzung." „Aber sind es nicht einfach Wald- und Wiesenkräuter?" fragte Buttje neugierig. „Sie können es nennen, wie Sie wollen. Ich mache aus den einzelnen Ingredienzien ja kein Geheimnis. Es ist Schafgarbe, Pfriemkraut, Lindenblüte, Pfefferminze» Feldthymian, Baldrianwurzel, Nesselkraut..." „Nm Gottes willen, Professor hören Sie auf! Ich bin doch kein Botaniker. Könnten Sre das alles auswendig behalten, Fräulein Hete?" „Warum nicht?" fragte sie trocken. „Ich mutz mir doch manche Formel merken, die viel komplizierter ist als eine Handvoll Küchenkräuter." „Küchenkräuter, Küchenkräuter!" wiederholte Refius empört. Aber Buttje unterbrach ihn plötzlich mit einer lebhaften Bewegung. „Ich wollte Sie noch etwas fragen, Fräulein Hete", sagte er eifrig. „Na, und? Bitte sehr." „Haben Sie schon eine Stellung gefunden?" Sie lachte herzlich und legte die Gabel aus der Hand. „Lieber Buttje, was denken Sie sich eigentlich? Glauben Sie, die Welt hat nichts anderes zu tun, als Hete Hagenow nach Grünwald eine freundliche Einladung zu schicken, nun endlich einmal eine glänzend bezahlte Stellung als Laborantin anzutreten? Nein, lieber Freund so einfach ist das nicht. Ich habe ein paar Briefe geschrieven, aber eine Antwort habe ich noch nicht bekommen." „Ich wüßte vielleicht etwas für Sie", meinte Buttje zögernd und rieb sich die Nase. „Hätten Sie Lust, in die Filmbranche zu gehen?" „Brauchen Sie einen Star, ein Meter achtundsiebenzig groß, blond, leider mit zu großen Händen und Füßen?" fragte sie ironisch. „Nein, ernsthaft. Die Gloria hat doch eine eigene Kopieranstalt, die eine Menge Leute beschäftigt. Ich meine, ein Laboratorium, wo die Filme entwickelt und kopiert werden, wissen Sie?" „Davon verstehe ich nichts", sagte Hete kopfschüttelnd. „Aber Sie sind doch Laborantin. Mir hat der Direktor Neidhard erzählt, daß er bereits drei solcher Damen hat — aber er könnte vielleicht noch eine vierte gebrauchen." „Und Sie meinen, er würde ausgerechnet mich engagieren? Ein völlig unbekanntes Mädchen aus Weimar, das keinerlei Empfehlungen hat? Das glauben Sie doch selbst nicht, Buttje." Er hätte ihr nun allerdings sagen können, daß ein Telephongespräch von ihm ausreichen würde, um ihr den Weg in die Kopieranstalt zu bahnen. Aber er hütete sich wohl, es zu tun. Ich kenne den Direktor ganz gut", meinte er und be mühte sich, ein schlaues Gesicht zu machen. „Ich glaube, er würde Sie engagieren." „Wie können Sie so etwas sagen, Buttje!" antwortete sie streng. „Sie kennen ja nicht einmal meine Zeugnisse und wissen nicht, ob ich überhaupt etwas kann. Ich erkläre Ihnen, der Direktor empfängt mich nicht einmal." „Aber Sie könnten es doch probieren!" „Probieren könntest du es wirklich, Hedwig", sagte Refius und sah Buttje prüfend an. „Auf diese Weise bliebest du in Berlin, und das schiene mir denn doch recht zweckmäßig. Herr Buttmann hat vielleicht doch einige Be ziehungen, die wir nicht so genau kennen." „Ich kann den Mann ja aufsuchen", erklärte Hete skeptisch. „Aber ich sage euch, macht euch nicht soviel Hoff nung! Ich jedenfalls glaube nicht daran!" setzte sie ent schieden hinzu. „Guten Abend, Herr Buttmann!" sagte eine be scheidene Stimme an der Tür. Sie blickten überrascht auf und sahen Friedl, der sie freundlich anlachte. „Hast du deine Mutter besucht, Friedl?" fragte Buttje und reichte ihm die Hand. „ Komm nur heran, Fräulein Hagenow und Professor Refius hast du ja schon kennen- gelernt." „Haben Sie wirklich Stellung in der Gloria ge- funden?" fragte Hete. „Dann gratuliere ich Ihnen herzlich, Friedl." „Das hat Herr Buttmann gemacht", antwortete Friedl dankbar, „sonst wäre ich ja auch niemals an- gekommen." Hete warf Buttje einen nachdenklichen Blick zu, den er leider nicht zur Kenntnis nehmen konnte, da er auf das angelegentlichste mit einem Schinkenbrot be schäftigt war. (Fortsetzung solgt.) iS p st sr s S ILa» V SStiS-*>sr. st st. W s Blühender Mohn Von Franz Hat lauf. (Nachdruck verboten.) Peter Martis nahm den schwarzen Flor vom Tür rahmen. Elisa half ihm. Martis und Elisa hatten dabei ihre eigenen Gedanken. Diese Gedanken gingen aber auf eins hinaus. Gut gelebt hatte Peter Martis mit seiner Frau nie. Hader und Streit waren das tägliche Brot. Jetzt liegt sie draußen und ist stumm geworden. Ihr plötzlicher Tod breitete Versöhnung über das Haus und die ausgedehnte Gartenbetriebsamkeit. Stilles Gedenken auch bet jenen, die sie zu ihren Lebzeiten nicht mochten. Und das waren fast alle — die im Haus und die in den Kulturen Be schäftigten. Seltsam kam diese Stille allen vor. Um so lauter ging es vorher zu. Die Herrenleute verstehen sie nicht, sagten die im Haus und die in den Kulturen. Und kein Kind, das zwischen den Ehegatten hätte vermitteln können, sagte die Frau des Vorgärtners. Verwandte und Nachbarsleute versuchten es — umsonst. Martis verstand nicht und Frau Martis wollte nicht ver stehen. Das Personal wechselte wie die Jahreszeiten. Bis Elisa kam. Elisa blieb. Sie ließ Frau Martis Stürme und Gewitterausbrüche über sich ergehen. Sie stand wie ein tapferer Steuermann bei hochgehender See. Hatte Frau Martis außer Hause zu tun, standen Peter und Elisa oft lange beieinander. Es war dem jungen Blumenzüchter ein Bedürfnis, sich auszusprechen, einem Menschen in die Augen sehen zu können — ohne feind seligen Hinterhalt! Oft faßte Peter Elisas Hand. Oft legte er den Arm um ihre Mitte. Oft wollte er sie an sich pressen -- ein unsagbares Einsamkeitsgefühl, eine seelische Leete trieb ihn dazu; eine Sehnsucht nach einem warmen liebwürdigen Fleisch, nach einem nahen Hauch Mund vor Mund wurde fast zur Gier. Aber Elisa wehrte ab. Auch dann, wenn sie selber eine unwiderstehliche Lust ansprang, sich zwischen den star ken Armen Peter Martis zu bergen. „Weshalb, Elisa — weshalb -?" „Sie sind verheiratet, Peter Martis." Peter schaute sie dann verständnislos an. Und eines Tages fragte er sie: „Warum bleibst du in diesem Fege feuer überhaupt?". „Sie haben ein schweres Joch aufgeladen. Ich will's Ihnen tragen helfen. Sie müssen mich's aber in Ehren tun lassen — anders könnt' ich's nicht." So war's ge blieben, und Martis wußte, daß Elisa ihn liebe. Mancher Mann aus der Nachbarschaft hätte sich mit der schönen Elisa ein Heim bereiten wollen. Unter den fünf Gärtner gehilfen waren zwei, die sie für ihr Leben gerne gehabt hätten. Und der jüngere blickte ihr oft lange nach und vergaß auf's Arbeiten: „Sieht sie nicht aus wie blühender Mohn?". Der andere lächelte schwer und dachte an Martis. Und eines Tages, als Elisa wieder einmal durch die Kulturen ging, hielt er sie auf und sagte: „Ob eine eigene Ehe nicht gescheiter wäre, als eine fremde in den Schlaf zu lullen". Elisa aber hielt bei ihrem Herrn aus. In Ehren hielt sie aus, obwohl auch ihre Liebe zu ihm immer größer wurde . . . Und was Elisa nie zuwege gebracht hätte — diese ungleiche Ehe hatte der Tod für immer eingelullt. Nun liegt Frieden über Peter Martis Betriebsamkeit. Kein Mißton stört mehr. Von den Beeten her und aus den Glashäusern hört man wieder Lachen und Singen. Peter Martis war in der ersten Zeit verwirrt; es kam ihm so ungeheuerlich und fremd vor. Aber dann war er mitten im lachenden Leben. Mancher Heiratslustige hatte jetzt in der Gärtnerei zu tun und konnte die nettesten Augen machen. Peter Marits merkte es und lachte. Er dachte nicht mehr ans Heiraten. Redselige Mäuler wußten von langen Nächten zu erzählen, von heimlichen Liebschaften zwischen wohlbestellten Handelsgärtnern und schönen Haushelferinnen. Peter Martis lachte. Er lachte über alles, über neben sächliche und wichtige Dinge. So schwer und vollsaftig könnte ein Mohn nicht sein, daß er ihn einzulullen im stande wäre. Aber hinter jedem Tratsch steckt ein Körn lein Wahrheit. Ein Wintertag hatte Martis Lachen plötz lich Schweigen geboten. Elisa meinte, dem Gerede müsse ein Ende gemacht werden. Es ließe sich auch nicht mehr lange verbergen — ein Kind sei am Wege. Des Klatsches Ende könne doch nur eine Heirat sein. Peter Martis dachte nicht ans Heiraten. Elisa schwieg als Martis ihr das sagte. Still, wie sie alles Schlimme und Gute erduldete und hinnahm, packte sie heimlich ihre Habseligkeiten und schlich aus dem Haus wie ein Dieb in der Nacht. Darüber lachte Peter Martis nicht. Er lachte über haupt nicht mehr. Er war noch verwirrter als nach dem Tod seiner Frau. „Jetzt hat sie ihn doch eingelullt", sagte der junge Gehilfe. „Ich glaub's nicht", sagte der ältere. Er hatte recht. Martis blieb oft ganze Tage dem Betrieb fern. Er suchte Elisa. Er suchte sie in der Riesen stadt und fand sie nicht. Immer wieder erschien er am Hauptmeldeamt. Elisa war noch immer nicht gemeldet. Es war doch unmöglich, daß eine Mutter mit ihrem Kind spurlos verschwinden könne. Er machte sich auf eine andere Führte. Diese Fährte war richtig. Eines Tags stand er in einer einfachen Stube vor einem Büblein, vollfleischig und rotwangig. Das Blut begann rascher durch seine Adern zu rinnen. „Wo ist Elisa?" fragte er die Pflegemutter des Kindes. Die wollte nicht recht mit dem Aufenthalt — weil Elisa in Eberswalde Küchenmagd sei. Ihr Büblein sollte nie davon erfahren. Elisa werde mit der Zeit schon eine andere Stelle finden. In der Rebenstube des Gasthofs „Zur Post" ließ Peter Martis sich ein Glas Wein geben und begehrte Elisa zu sprechen. Elisa kam. Wortlos reichten sie sich die Hände. „Elisa — ich bin gekommen, dich wiederzuholen." Er spürte ihre Hand leicht zittern in der seinen. „Ich bleibe, Peter. Unsereins braucht Wohl zu allem mehr Zeit als andere. Ich stecke noch mitten im Ueber- winden und du noch mitten im Entscheiden. Lassen wir uns Zeit. Als Gärtner weißt du selbst, daß eine Frucht erst ausreifen muß." Sie löste die Hand und ging an ihre Arbeit. Lange starrte Peter Martis auf sein volles Glas. Plötzlich schien er mit sich im reinen. Er schickte Elisa einen Zettel in die Küche, fuhr zur Stadt zurück mrd lan dete mit einer seltsamen Fracht in der Gärtneret. Ehe noch die Pflanzen in Müten standen, kam zu Peters Kind eine Mutter, die bald darauf Frau Martis wurde. Goldene Worte Mein jugendliches Hoffen, O Birke, gleicht es dir? Du grünst so früh, so Helle Und neigst doch deine Zier. U h l a n d. * Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten; denn der Mensch ist das Wesen, welches will. Schiller.