Volltext Seite (XML)
für „bessere" Herren kannte, aber sie hatte sich ein bißchen in Friedl verliebt. „Am Sonntag fährt Isa mit der Mutter hinaus", sagte Stups schmelzend zu Friedl, haben Sie Lust, mit mir zusammenzusein?" Das Blut schoß ihm in den Kopf, und seine Augen irrten vor Verlegenheit nach allen Seiten, aber endlich brachte er hervor, daß er am Sonntag nicht könne. „Oh, Sie haben keine Zeit für mich, Herr Friedl", sagte sie spitz. „Dann verzeihen Sie, bitte!" Und damit wendete sie sich ab und ging in das Gelände hinaus. Er lief ihr nach und berührte sie zaghaft am Arm. „Entschuldigen Sie, Fräulein Christine, aber ich wollte gern meine Mutter besuchen. In Grünwald draußen. Ich habe ihr schon geschrieben, und sie würde traurig fein, wenn ich nicht käme." Stups sah ihn forschend an und war entschlossen, kein Wort zu glauben. Aber als sie sein offenes Gesicht und die bittenden blauen Augen sah, war sie von allem überzeugt und »nutzte an sich halten, um den dummen, großen Jungen nicht abzuküssen. Sie brachte ein gnädiges Lächeln hervor und sagte versöhnlich: „Das ist natürlich etwas anderes, lieber Friedl. Das geht selbstverständlich vor. Dann eben ein anderer Sonntag." Sie tätschelte ihm lachend die Wange und eilte davon, daß ihr kurzer, Heller Rock um die schlanken Beine wehte. Mit strahlenden Augen sah ihr Friedl nach. „Ein hübsches Mädel", meckerte eine dünne Alt männerstimme, und von der Bank her lachte ihn ein alter Schauspieler mit einem Fuchsgesicht und dünnem Weißen Haar an, „was sehr Hübsches haben Sie sich da ausgesucht, Herr Friedl." Friedl wurde wieder rot. „Was reden Sie da, Hof rat", sagte er verlegen. „Das ist doch das Fräulein von Isa Behm." „Macht das was aus?" lachte zittrig der Alte. „Darum bleibt sie doch ein hübsches Mädchen. — Eine Zigarette haben Sie wohl nicht übrig, Herr Friedl?" Friedl hielt ihm die Schachtel hin. „Immer los, Hof rat, solange noch was drin ist!" Der Alte verzerrte sein Gesicht, daß sich die Wangen aufplusterten, und spie eine braune Masse aus. „Ich prieme nämlich", sagte er geheimnisvoll, „das ist billiger und fast ebensogut wie rauchen. Aber Zigarette ist Ziga rette, Herr Friedl." Er nahm dankend ein Zündholz und hielt es zitternd an die Zigarette. Da die Mittagspause noch nicht vorüber war, fetzte sich Friedl zu dem Alten. Der „Hofrat" war ein viel beschäftigter Komparse, der früher einmal Schauspieler an einem kleinen Hoftheater war und eine gewisse vornehme Art, sich zu geben, bewahrt hatte. „An welchem Theater waren Sie eigentlich, Hofrat?" fragte Friedl und stieß behaglich den Rauch seiner Ziga rette aus. „An vielen, mein Sohn, an vielen. Einmal war mein Name berühmt — damals, als unsere Klassiker noch die deutsche Bühne beherrschten. Aber heute? Wer fragt noch nach Franz Moor?" Er rollte die Augen und zog eine greuliche Fratze. „Wer kennt Marinelli?" Er setzte ein süßes Lächeln auf und spitzte den Mund. Friedl sah ihn andächtig an. „Ja, das ist das Schönste", gestand er, „Franz Moor! Ach, wenn ich Schau spieler wäre — den Franz Moor möchte ich spielen!" „Gehst du gern ins Theater?" fragte der Alte. „Ich möchte gern Schauspieler werden", antwortete Friedl ehrlich. Der Hofrat musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Du bist ein hübscher Junge", sagte er endlich, „aber hast du auch Talent?" Friedl sah ihn mit einem verlegenen Lächeln an und zuckte die Achseln. „Du rnöchtest Schauspieler werden?" fuhr er nach einer Weile in gemäßigtem Ton fort. „Man müßte einmal sehen, was du kannst. Was ist auf deinem Repertoire?" „Wie bitte?" „Auf was bist du studiert?" „Ich kann den Franz Moor auswendig", sagte Friedl verlegen. „Und dann möchte ich den Wurm lernen. Aber um Gottes willen, Hofrat, geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie mit niemand darüber sprechen!" „Mein Ehrenwort", beteuerte der Alte, und sein Ge sicht machte wieder die merkwürdigsten Muskelbewegungen. „Also du schwärmst für Charakterrollen. — Meinst du nicht, daß dir heirere Naturen mehr liegen würden?" fügte er hinzu, indem er das offene, frische Jungengesicht prüfend ansah. „Aber nicht doch!" protestierte Friedl entrüstet. „Wenn ich überhaupt etwas kann, dann ist es der Franz Moor." Und es hätte nicht viel daran gefehlt, dann hätte er auf den Boden gestampft und den großen Monolog herunter gebrüllt. „Du kannst heute abend auf meine Bude kommen, und dann wird sich zeigen, ob der göttliche Funke in dir schlummert." Er schob das Kinn vor und sah ihn be deutungsvoll an. Drittes Kapitel Als Friedl am Abend in das kleine Zimmerchen trat, das der Hofrat in einem Siedlungshause im Norden Berlins bewohnte, durfte er nach Herzenslust toben und schreien. „Organ Haft du, mein Junge", sagte der Hofrat an erkennend. „Und Talent auch. — Nun mach das Fenster wieder aus, denn jetzt bist du ja wohl fertig." Und als Friedl ihn verließ, hatte er einen kostbaren Schatz in der Tasche: eine alte, zerlesene Sprachlehre mit den unvergeß lichen Uebungen, die jeder Schauspieler einmal in seinem Leben gelernt hat. Jetzt verbrachte Friedl viele Abende in seinem Zimmer. Das Fenster war trotz der Hitze geschlossen, und er bemühte sich, seine Stimme zu dämpfen, wenn er „Abra ham a Santa Clara" mit weit offenem Munde vor einem kleinen Spiegel herausbrüllte oder wenn er mit verzerrtem Gesicht „Roland der Niese am Rathaus zu Bremen" her unterrollte. Und manchmal kam es vor, daß er traum verloren in einer Ecke im Atelier stand und seine Lippen lautlos, aber ausdrucksvoll bewegte. Am Sonnabendvormittag kam Buttje zur Aufnahme und hatte für jeden ein liebenswürdiges Wort. Isa er zählte er, wie entzückt er von den neuen Aufnahmen sei, und Beyer gratulierte er zu dem Film; er drückte ver schiedene Hände und sah ein wenig aufgeregt aus. Als ihm Friedl in den Weg lief, klopfte er ihm auf die Schulter. „Gut eingelebt, Friedl? Ist doch noch besser, als sich in Grünwald produzieren, was?" Er hob die Arme, als wenn er eine Balancierstange trüge, und wackelte mit den Schultern. Friedl sah ihn dankbar an. „Das will ich meinen, Herr Buttmann. Ich danke Ihnen auch recht schön für alles. Was wird bloß meine Mutter sagen!" fügte er plötz lich hinzu und strahlte über das ganze Gesicht. Buttje sah ihn lächelnd an. „Die wird sich freuen, Friedl!" „Ich bin morgen draußen, Herr Buttmann. Haben Sie etwas in der Waldschänke zu bestellen?" „Nein, nein!" rief Buttje hastig und schüttelte den runden Kopf. „Auf Wiedersehen, Friedl". Aber dann packte ihn seine Ehrlichkeit, und er wandte sich noch einmal um. „Ich bin nämlich auch draußen in Grünwald, mein Junge." Er sah Friedl forschend an, aber da sich kein Muskel in seinem Gesicht bewegte, machte Buttje mit seinen kurzen Beinen wieder kehrt und ging davon. Ohne sich umzuwenden, lief er an den grüßenden Leuten vorbei und sprang in sein Auto, wo bereits das gelbe Köfferchen auf ihn wartete, mit dem Friedls Aufstieg begann. „Also los, Schwender, zum Mittagessen müssen wir in Grünwald sein." Der Chauffeur grinste, und eine Staubwolke verriet das Tempo, in dem er seine Aufgabe erledigte. Buttjes Sehnsucht nach Wald und Wasser war heute so groß, daß er ganz gegen seine Gewohnheit im Auto nach Grünwald hinausfuhr. Eine Stunde später saß er im Garten der Waldschänke und war in ein leb haftes Gespräch mit dem alten Professor Refius vertieft. Und dann kam Hete von ihrem Spaziergang zurück, Buttje hatte das Gefühl, daß sein Sonntag begann. (Fortsevung folgt.) Zm Turm Von Wilhelm Auffermann (Nachdruck verboten.) ! Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Darf l kochen, rauchen, singen und Mundharmonika spielen, darf s Saltos schlagen und die Miete schuldig bleiben. Kein . Mensch kümmert sich darum. Keine Zimmerfrau tyranni- I siert mich. Ich wohne in einer Ruine. Die Kammer, in der l ich Hause, ist der einzige noch bewohnbare Raum. Sie liegt j zuoberst, dicht unter dem mit Zinnen versehenen Dach, . und diente einst den Rittern zur Aufbewahrung ihrer ! Rüstungen und Waffen. Am besten blieb aber die mächtige > Fahnenstange erhalten. Weiß Gott, wer sie da herauf- f geschleppt hat und warum. Wohl wegen der hohen Feier- . tage und des Städtchens, das unten am Fuße des Berges ! liegt. Jedenfalls leistet sie mir vorzügliche Dienste. Vier I Hemden habe ich zum Trocknen hochgezogen. Lustig flattern j sie im Winde. Unter meinen Füßen befindet sich die ehe- . malige Marterkammer, die „Kammer der peinlichen Be- ! sragung". Dumpf dröhnt jeder Schritt. Nachts bröckelt es I unheimlich im Gemäuer. Eulen und anderes Raubgetier j haben sich vor undenkbaren Zeiten eingenistet und hier , ihre Familien glücklich vor dem Aussterben bewahrt. Auf ! der morschen Holztreppe, die sich außerhalb der einen t Turmseite in die Höhe windet, finde ich allmorgendlich j Taubenfedcrn und sauber genagtes Gebein. Mitleid er- - greift mich, wenn ich aus frischem Tannenreisig einen I Besen binde und die Stufen fege. In der Dunkelheit des I Waldes und der Einsamkeit der Ruine geschieht manch I gräßliche Tat. Neben meinem Bett liegt eine scharf- . geschliffene Hacke. Das nächste menschliche Wesen ist die alte Tann- I hoferin. Ein Kräuterweiblein, das in einer kleinen I Schindelhütte im selben Wald haust, doch gut eine halbe j Stunde weiter dem Tal zu. Noch ein Nachbar ist da, der ! wohnt oben am Berghang, dicht an der Grenze. Unten I im Städtchen munkelt man von manchem Schnippchen, das ! er den Grenzern geschlagen und noch schlägt. Ich habe ihn i stark in Verdacht, daß er auch der Urheber der Wild- ' schlinge ist, in der ich kürzlich ein verendetes Reh fand. Ich ! bin ihm noch nie begegnet, aber ich kenne sein Gesicht. Be- I stimmt ist seine Stirne wirr verfallet, und in seinen ver- I knifsenen Augen leuchtet ein böses Licht. Es ist Abend. Ich schiebe den Tisch in die Mitte der I Kammer, türme den Stuhl obenauf und klettere empor. , So kann ich die Luke an der Decke erreichen und den Deckel j hochklappen. Es ist die einzige Art, aufs Dach zu gelan- i gen, denn die Holztreppe bricht bei meiner Tür jäh ab. I Ich muß aber zu den Zinnen. Zu „leinen vier Hemden. ! Die Flaggenschnur hat sich verklemmt. Sie sind noch nicht j trocken, doch der Himmel ist sternenklar. Trotzdem habe i ich alle gebrauchten Töpfe und Teller mitgenommen. Sollte ! das Wetter umschlagen, werden sie hier oben von selbst ! reingewaschen. Symmetrisch verteile ich sie auf den Zinnen ; und versinke wieder in der Luke. Von meinem Bett sehe j ich durch drei Fenster, die Tag und Nacht weit geöffnet f sind. Die Wipfel der Taimen und Fichten reichen nicht so > hoch, sie wiegen und biegen sich unterhalb des Gesimses I und suseln wehmütige Melodien. In ihrem Geäst Harst I der Bergwind. Er weht nach Sonnenuntergang scharf von den Graten und erfüllt die Luft mit der Frische des < ewigen Schnees. Längst sind die Lieder der Vögel ver- I stummt. Gedämpft klingt aus dem Tal der letzte Schall I einer Glocke, und unzählbare Lichter blinken im Städtchen ; auf. Große und kleine Falter taumeln im Kreis um die > flackernde Laterne an der Wand und schlagen sich am Glas I ihre silbernen Flügel lahm. Lautlos flattert die Fleder- I maus durchs Fenster und verschmaust mit behaglichem ; Schmatzen die Falter. Unten rumoren die Eulen. In den - Mauern knistert's. Der nächtliche Spuk beginnt. „Aehme- I Hähme" ruft mit weinerlicher Stimme das Totenhühnchen I aus dem Wald. Es ist Wohl die Zeit, da mein Nachbar ; auf heimlichem Weg über die Grenze schleicht oder dem > ahnungslosen Wild tückische Fallen legt. Ob ihm nicht I grault vor dem abergläubischen Käuzchen? Ohne Sehnsucht nach Menschenwort lausche ich der Stille und fürchte mich nicht. Ich habe ein gutes Gewissen und die Hacke. Ich fühle mich tief verbunden mit dem Turm, der mir in dieser Stunde seine Seele darbringt, auf daß ich sie ein wenig verjünge. Und vieles, das in mir jahrelang vereinsamt war, gewinnt durch seine Hingabe neues Leben. Es geht durch uns beide ein geheimnisvolles Raunen, springt von den Zinnen in den Wald. Die Bäume lehnen sich an, die Berge rücken zusammen. Von weither kommt der Igel gewandert. Wir beide sind eins geworden, der Turm und ich. Ach, daß doch die ganze Welt so eine Nacht hätte! Aber sie versteht nicht das sehn süchtige Rufen der Stille. Sie hat keinen Turm. Da vernehme ich plötzlich ein Geräusch, das nichts mit dem Tönen der Nacht zu tun hat, und setze mich auf. Spitze aufmerksam die Ohren. Das sind Menschenschritte, die nicht gehört werden wollen, schleichende Tritte auf der Treppe, die ^m Dunkel stolpern und abwartend verharren. Mein Herz bleibt stehen. „Ist wer da?" rufe ich laut. -4^ Keine Antwort. Schweißtropfen treten auf meine Stirn. Nun tappt es vorsichtig wieder nach unten, poltert in fliehender Eile über die knarrende Treppe zurück und ver hallt unter den Bäumen. Mit einem Sprung bin ich aus dem Bett, ergreife die Hacke und reiße die Tür auf. Nachtfeuchter Geruch des Waldes schlägt mir entgegen und Dunkelheit. Ich nehme die Laterne vom Nagel und leuchte. Da fällt ihr Licht schein auf weißes Papier. Ein Brief liegt auf der Treppe, an mich adressiert; er riecht ein wenig nach Bier. „Geehrter Herr!" steht geschrieben: „Muß denn die ganze Stadt wissen, daß Sie Ihre Wäsche gewaschen haben? Die Fahnenstange gehört übrigens dem Turnver ein. Der Verschönerungsverein." Aus dem Prunk des Himmels löst sich ein Stern, zieht über Berg und Tal, über Turm und Städtchen und ver löscht im All. Wild pocht noch mein Herz. Er fiel nicht auf diese profane Erde. Golclene Worte O Wahrheit, deinen edlen Wein Mußt du mit Wasser mischen; Denn willst du ihn rein auftischen, So nimmt er den Kopf den Gästen ein. , Friedr. Rückert. Die Zaunranke und der Klee. Zum Klee die Zaunranke sprach: Nachbar, komme mir doch nach! > Stiegen wir doch zugleich aus den Schollen, Warum hast du nicht mit mir wollen? Lächelnd erwidert der Klee: Darfst auf die stattliche Höh' Ebenso trotzig nicht pochen; i Ich stehe, du bist gekrochen. E.M. Arndt. Alter Zeiten süß Gedächtnis, O wie hab' ich dich so lieb, Als das einzige Vermächtnis, Das dem Armen übrig blieb. ' i ! Zwischen Schmerzen, zwischen Leiden Laßt mich schweigen immerhin; Machen euch doch eure Freuden Nicht so selig, als ich bin. ; Simrock, j Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen, - was sie nicht verstehen. Goethe. I