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Kürzung der Redactionsgehälter beim „Vorwärts" oder auch nur deren Festsetzung durch den Parteitag abgelehnt wurde. Auch der Bericht über die parlamentarische Thätigkeit der Fraction gab zu neuen Klagen Veranlassung. Ein Stettiner Genosse machte der Partei zum Vorwurf, daß sie die irrige Angabe, die der Abg. Dohrn über die Arbeitsverhältnisse m Stettin gemacht, unerwidert gelassen habe. Noch schärfer lauteten die Anklagen des reichsländischen Genossen Bueb. In Ersurt habe man den Beschluß gefaßt, einen Antrag auf Auf hebung der Ausnahmegesetzgebung in den Reichslanden zu stellen. Aber nicht die Socialdemokraten, sondern ein Reichsparteilcr, Dr. Hoffet, habe einen dahingehenden Antrag gestellt. Als der Redner, der nicht ohne Geschick und sehr frisch sprach, im Laufe seiner Ausführungen erklärte, die Arbeiter in den Reichs landen seien nicht Chauphinisten oder Franzosenköpfe, sondern nur Anhänger der Internationale, sie seien zwar Gegner der Annexion, aber nur, weil sie ohne Befragung der Reichslande vorgenommen, brach lauter wiederholter Beifall in der Ver sammlung aus, die den Widerspruch in diesem Bekenntniß nicht sehen konnte oder wollte. Eine Resolution des Abg. Singer gegen die Militärvorlage und das Militärsystem über haupt, „das nicht im Stande sei, die Sicherheit Deutschlands gegen Ueberfälle zu gewährleisten", sand natürlich allseitigen Anklang. Wir meinen, dieses System hat uns die Sicherheit seit 22 Jahren gewährleistet, besser als die socialdcmokratische Partei im Stande gewesen ist, ihre den Arbeitern gemachten Versprechungen zu erfülle«. Diesem socialistischen System hätte deshalb kein Groschen mehr bewilligt werden sollen. Auch heute waren die Tribünen nur mäßig besucht. Berlin, 16. November. Nach der Pause begann die Sitz ung um 3^ Uhr. In der Fortsetzung der Verhandlung über die Reichstagsfraction regte Bogs-Bromberg den Antrag auf Revision der Arbeitsordnung der Staatswcrkstätten in und um Bromberg an. Schwer-Hamburg wünschte die Verstaatlich ung des Apothekenwesens anzuregen. Knuth-Rostock beklagte sich über die Beschränkung des Versammlungsrcchtes in Mecklen burg und bat die Fraction, eine Revision des Versammlungs rechts im Reiche zu beantragen. Metzner-Berlin verlangte das Eintreten der Fraction für 'Abschaffung des religiösen Eides. Abg. Auer ist der Meinung, daß mit dieser Debatte nur leeres Stroh gedroschen werde. Man könne der Reichstagssraction doch keine Direktive geben für alle Fälle. Bebel ist mit Auer einverstanden und bekämpft die meisten der zehn oder zwölf eingcbrachten Anträge. Da wir noch kein Reichsversammlungs recht haben, können wir auch für Elsaß-Lothringen keine Extra wurst braten. Ich beantrage, sämmtlichc Anträge, die sich mit Vorschlägen über die künftige Haltung der Fraction beziehen, dieser zur Erwägung zu überweisen, um sie entweder zur Be rücksichtigung oder die unausführbaren oder bereits erledigten zu beseitigen. Der Antrag Bebels (Ueberweisung aller An träge zur Erwägung) wird angenommen, ebenso die Resolution Singers: Stellung zum Militarismus (einstimmig). Die von Vogtherr, Börner, Metzner und Täterow (Berlin) cinge- brachte Resolution wird gegen 3 Stimmen angenommen. Sic lautet: „Der Parteitag erklärt sitz mü der bisherigen parlamentarischen Thätigkeit der jocialdemokrattjchen Reich-lagsfraction einverstanden und erwartet von derselben auch ferner eine ihalkrästige Vertretung der pro letarischen Vertretung." Der Antrag Ehrhardts-Ludwigshafen wird ebenfalls an genommen: „Nach jeder Zession des Reicherags einen kurzen Bericht über die parlamentarische Thätigkeit bcrauezuzeben Dieser soll besonders als Handmaterial für die Genossen dienen die sich der Agitation widmen. Namentlich soll ibm ein Nrmensverzeitzniß über wichtige Abstimmungen beigesügt werden." Unter den der Fraction zur Erwägung überwiesenen An trägen befinden sich folgende: Tie obligatorische Einführung des achtstündigen Arbeitstages zu erlangen (Halles; für Be seitigung des religiösen Eides zu wirken; die Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetzgebung und die Annellung weiblicher Gewerbe- inspcctoren zu fordern, l Frauen und Jungfrauen in Mann heim.) Ferner sind der Fraenon zur Erwägung überwiesen die Anträge: Die Fraction möge die Neueinthcilung der Wahl kreise fordern, die Beseitigung des Majestätsbeleidigungs- Paragraphen beantragen, dafür wirken, daß die Arbeiter der Staatswerkstätten nach einer Probezeit unter das Beamten- gcsetz fallen und die Einführung obligatorischer gewerblicher Schiedsgerichte beantragen. Äbgclehm wird der Antrag von Düsseldorf: daß von jetzt ab nur > außer bei wichtigen Abstim mungen > einzelne Abgeordnete rm Parlament vertreten sind und die anderen während der Scfiion in verschiedenen Pro vinzen Versammlungen abhalten, um io dem Volke die Noth wendigkeit des Socialismus vor Augen zu führen. Es folgt Punkt 4 der Tagesordnung: Anträge zur Organisation. Die Genossen von Bernburg, Bielefeld, Duisburg, Mühlheim, Frankfurt a. M„ Liegnitz, des 16. sächnichen und 1. württem- bcrgischen Wahlkreises beantragen: dem ß 7 Abs. 1 des Organisationsstatuts der Partei folgende Fassung zu geben: „Alle zwei Jahre findet ein Parteitag statt, der von der Partei leitung einberufen wird." Abgeordneter Bebel bekämpft energisch diesen Antrag. Vor zwanzig Jahren hätte Niemand einen solchen Antrag eingebracht. Während des Socialistcnge etzes haben wir zum Staunen der Welt unter viel größeren Opfern alle Jahre unsere Parteitage abgehaltcn. Ohne jährliche Aus sprache würde die Partei geradezu zu Grunde gehen. Der Parteitag ist ein Sicherheitsventil. Es ist kein Unglück, wenn wir uns hier gehörig die Köpfe waschen. Für positive Arbeiten sind die Opfer nie zu groß. Der jährliche Parteitag verträgt sich auch ganz gut mit dem internationalen Parteitag. Besser ein jährlicher deutscher als ein häufiger internationaler Partei tag. Ohne den ersteren nimmt die Unzufriedenheit in der Partei, die von den Gegnern immer so hübsch ausgenützt wird, überhand. Ich würde in keinen Parteivorstand cintrcten, der nnr alle zwei Jahre gewählt wird. Die Verantwortung über nehme ich nicht. Es brauchen ja nicht immer 250 Delegirte zu sein. 150 wären auch genug. Ich beklage lebhaft den Antrag, den ich für ein Zeichen zunehmender Behaglich keit in der Partei ansehc und diese halte ich für ein Unglück. Nachdem noch mehrere Redner für und wider gesprochen, entscheidet sich der Parteitag im Sinne Bebels für die Bei behaltung der jährlichen Einberufung Der Parteitag lehnt cs sodann ab, die Diäten der Delcgirtcn aus der Parteikasse zu bezahlen und geht über den Antrag von Rcbs-Weißenfcls zur einfache» Tagesordnung über: „Jeder Parteigenosse, welcher als Vertreter der Svcialdemokratic in ein Parlament gewählt werden soll, hat vorher nachzuweisen, daß er aus der Kirche ausgcschieden ist. ' Der sünfte Punkt der Tagesordnung ist die Maifeier. Der Berichterstatter Metallarbeiter Gerisch-Berlin beantragte folgende Resolution: „Im Anschluß au die aus dem Brüsseler Congreß angenommene Resolution beschließt der Partcitaa der deutschen Socialdemekratie: Als Tag der Feier gilt der I. Mai. An diesem Tage demonstrirt die klassen- bewußte deutsche Arbeiterschaft mit den klassenbcwußten Arbeitern der ganzen Welt für den Achtstundentag und die internationale Regelung der Arbeiterschntzgesetzgebung im Sinne der bekannten Pariser Resolution. Um die Feier zu einer einheitlichen, und dadurch in ihrer Wirkung nach außen zu einer einheitlichen zu gestalten, beschließt der Parteitag, daß, wie im Vorjahre, so auch in Zukunft die Leitung der Feier der politi schen Organisation, der Partei zufällt. Als die würdigste Form der Feier erachtet der Parteitag die Arbeitswoche. Da jedoch weder durch die Beschlüsse des internationalen Congresses in Paris, noch durch die des Congresses in Brüssel die Arbeitswoche zur unbedingten Pflicht gemacht, es vielmehr den einzelnen Nationen überlassen wurde, den gegebenen Umständen gemäß zu handeln, da ferner die Art der Feier durch die jeweilige Geschästsconjunctur in erster Linie mit bestimmt wird, be schließt der Parteitag, eine für alle Zeit gültige Norm nicht zu schaffen, sondern die Bestimmung über die Art der Feier den jährlichen Partei tagen zu überlassen. Mit Rücksicht auf die zur Zeit herrschende wirth- schastlich Misere, die einen geschäftlichen Aufschwung bis zum nächsten Frühjahr als völlig ausgeschlossen erscheinen läßt, hält der Parteitag die Proclamirung der allgemeinen Arbeitsruhe für den I. Mai 1893 als undurchführbar und beschließt daher, die Feier am Abende des t. Mai zu begehen." Auf Wunsch des Localcomites wurde die Sitzung um 6^ Uhr geschloffen, um Zeit für die Vorbereitungen zum Commers zu gewinnen. Berlin, 17. November. Die heutige Vormittagssitzung eröffnete Gottlieb-Bremen um 9'/^ Uhr. Zur Verhandlung stand die Frage der Maifeier, zu der die Resolution des Parteivorstandes und zahlreiche andere Vorlagen, die theils eine noch schwächere, theils eine schärfere Form der Feier wollten, eingegangen waren. Theiß-Hamburg war mit der vorge- schlagencu Art der Feier einverstanden, beantragte aber einen Zusatz, nach dem in Hamburg am ersten Sonntag demonstrirt werden soll. Die Hamburger Genosseu hätten nach ihrem Verhalten in der Cholerazcit bei den Behörden einen Stein im Brett; man werde die Demonstration gestatten. Dr. Adler- Wien sprach energisch gegen die Resolution des Partcivor- standes, da sie vom Beschlusse des Brüsseler Congresses ab- wciche. In Brüssel sei die Arbeitsniederlegung beschlossen worden, und daran müsse man festhalten. Abends könne man auch am 15. November oder sonst wann feiern, das geniere die Geldsäcke nicht. Die österreichischen Arbeiter würden ein Ab gehen vom Brüsseler Beschluß nicht verstehen. Nur Fortschritt, nicht Rückschritt werde die österreichischen Arbeiter an die Seite der deutschen Arbeiter fesseln. Dempwolf - Mannheim erklärte sich gegen die Mehrheit seiner Mandatgcbcr für die Arbeits niederlegung am 1. Mai. Schmidt-Friedberg sprach mit Rück sicht auf die Verhältnisse der kleinen Städte und des Landes für die Resolution des Parteivorstandes. In kleinen Orten werde man sonst nicht eine, große Masse, sondern nur ein kleines Häuflein hinter sich haben, also nur kläglich demon- striren. Vollmar-München wandte sich gegen Adler, der cs allerdings in Brüssel und auch hier wieder verstanden habe, Gefühlsmomente wirksam vorzubringcn. Er sei früher An hänger der Arbeitsniederlegung gewesen. Was dem einen Orte passe, gelte nicht auch sür jeden anderen und das ganze Reich. Die Hamburger Demonstration vom Jahre 1890 sei lehrreich; sic habe mit einer Niederlage geendet nnd nicht blos von den Hamburger Genossen, sondern von der ganzen Partei auf Wochen und Monate Opfer gefordert. Den Gcldsäcken werde eine Arbeitsniederlegung in dieser Zeise der Krise nicht unangenehm sein. Die Lage sei auch durch die Cvntractbruch- paragraphen der Gewerbeordnung verändert. Die Arbeit dürfe nur niedcrgelcgt werden, wenn die große Masse für eine solche Demonstration zu haben sei. Davon könne aber dieses Mal noch viel weniger als im Jahre 1890 die Rede sein; nicht ' iv der Arbeiter würde dem Aufrufe folgen. Man solle nicht blos in diesem Jahre nach dein Vorschläge der Resolution feiern, sondern diese Art der Feier eine Reihe von Jahren fest legen, bis die wirtschaftlichen Verhältnisse sich gebessert hätten. Einen früheren Beschluß fallen zu lassen, sei unter Umständen nicht nur kein Rückschritt, sondern sogar ein Fortschritt. I. Lönig-Witte bat, Rücksicht zu nehmen auf die Bergarbeiter, die am ersten Mai nicht feiern könnten. Abg. Bebel bat, zu berücksichtigen, daß der Beschluß, der gefaßt werde, so lange Bedeutung haben werde, als die schlechten wirthschaftlichen Verhältnisse dauern würden, ferner, daß die Freunde der Socialdemokratie in der ganzen Welt gerade auf diesen Be schluß blicken würden und endlich, daß man sich zweifellos ans dem nächsten internationalen Congreß mit ihm beschäf tigen werden. Die Parteileitung habe sich fast einstimmig für die Resolution erklärt. Hoch-Frankfurt a. M. sprach für die Resolution mit einer weitere Demonstrationen er möglichenden Ergänzung. Wartmann - Friedrichshagen er klärte sich für die fchärffte Form der Feier, die Arbeits einstellung. Zaffke-Hamburg sprach sür die Resolution mit dem Zusatze zu Gunsten einer Demonstration in Hamburg. Die Arbeit eiuzustellcu gehe nicht, da das Unternehmcrthum sehr wohl in der Lage ist, die Etablissements eine Zeit lang zu schließen. Der Berichterstatter Gerisch bat, alle Aenderungsanträge abzulehnen, vielleicht mit Ausnahme des Hamburgers. Es werde ja Allen schwer, nicht weiter gehen zu können, aber die Verhältnisse ließen eben nichts Anderes zu. lieber die Frage, ob die Arbeit am 1. Mai niederzulegen sei, wurde auf Antrag namentliche Abstimmung erforderlich. Die Frage wurde mit 235 gegen 5 Stimmen verneint, während sich zwei der Abstimmung enthielten. Die weitere grundsätz liche Frage, ob am Tage des 1. Mai zu feiern sei, wurde niit 167 Stimmen bejaht; 71 stimmten sür diehFeier am ersten Sonntag nach dem 1. Mai. Nach Entscheidung dieser principiellen Fragen lehnte der Parteitag auf Antrag des Abg. Singer ein Eingehen auf Einzelsragen der Veranstaltungen ab und nahm nahezu einstimmig die vom Parteivorstande vor- geschlagcne Resolution unverändert an. Nach Erledigung einiger geschäftlicher Anträge wurde die Sitzung um 1 V2 Uhr geschloffen. Nachmittags findet keine Sitzung statt. Die Dele- girten sind eingeladcn, die Gräber der Märzgefallenen im Friedrichshain, die Fabrik der Hutmachergenosscnschaft in der Pappel-Allee und das Stiftungsfest des socialdemokraiischen Vereins der Berliner Gastwirthsgchülfen zu besuchen. Berlin, 18. November. Die heutige Sitzung war stärker besucht, als die bisherigen, denn es stand die interessanteste Frage zur Verhandlung: Der Staatssocialismus und die revolutionäre Socialdcmokratie. Der Berichterstatter Abg. Lieb knecht hatte mit einigen Genossen eine Resolution abgefaßt, die dann von ihm und von Vollmar unterschrieben worden ist. Die Resolution lautet: Der Parteitag erklärt: Die Socialdemokratie hat mit dem so genannten Staatssocialismus nichts gemein. Der sogenannte Staats socialismus, in so weit er auf die Verstaatlichung zu fiscalischen Zwecken hinzielt, nnll den Staat an die Stelle der Privatcapitalistcn setzen nnd ihm die Macht geben, dem arbeitenden Volk das Doppeljoch der ökono mischen Ausbeutung und der politischen Sklaverei auizulegen. Der so genannte Staatssocialismus, in so weit er sich mit Socialreform oder Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen beschäftigt, ist ein System von Halbheiten, das seine Entstehung der Furcht vor der Socialdemo- kralie verdankt. Er bezweckt, durch kleine Concessioncn und allerlei Palliativmittel die Arbeiterklasse der Socialdemokratie zu entsremdcn und diese dadurch zu lähmen. Die Socialdemokratie hat nie verschmäht, solche staatliche Maßregeln zu fordern oder — falls von anderer Seite vorgeschlagen — zu billigen, welche eine Hebung der Lage der Arbeiter klasse unter dem gegenwärtigen Wirthschaslssystem herbeisithren könnten. Sie betrachtet solche Maßregeln aber nur als kleine Abschlagszahlungen, die ihr Streben nach der socialistischen Neugestaltung des vlaates und der Gesellschaft in keiner Weise beirren. Die Socialdemokratie ist ihrem Wesen nach revolutionär, der Staatssocialismus konservativ. Social demokratie und Staatssocialismus sind unversöhnliche Gegensätze. W. Liebknecht. Vollmar. Herr Liebknecht schickte voraus, daß er sich, nachdem alle Differenzen beseitigt sind, über die Frage nickt ausführlich zu verbreiten brauche. Den Vorwurf, daß er die Debatte vom Zaun gebrochen, müsse er zurückweisen. Auch habe er das persönliche Moment nicht hineingetragen. Auch den „Vorwärts" treffe kein Vorwurf, er habe nur seine Pflicht gethan. Einen Maulkorb könne er sich nicht vorbinden lassen. Daß die Kritik scharf gewesen, sei bei ihrer Freiheit selbstverständlich. Die Schadensreude der Gegner, die sich gerade darauf gestützt habe, sei aber zu Schanden geworden. Die erhoffte Spaltung sei wieder einmal nicht eingetreten und auch jedes persönliche Moment sei jetzt aus der Debatte ausgeschieden. Daß Klar stellung nöthig gewesen sei, beweisen am besten die Gegner. Hohe Stützen der heutigen Gesellschaft, selbst hohe Militärs machten sich jetzt in Staatssocialismus, erklärten sich bereit, alles Sociale, was die Socialdemokratie erstrebe, zu unter schreiben, nur das Demokratische, die Beseitigung der mo narchischen Staatsform verwürfen sie. Der Gedanke einer Verstaatlichung der Fabriken, ja selbst des Grund und Bodens sei also nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Er be stehe in diefen Kreisen und seine Durchführung sei ja mit dem Tabakmonopol auch schon versucht worden. Aber ein solcher Staatssocialismus unter Bestehenlassen der heutigen Gesell schaftsordnung könne, wie die Lage der Postbeamten z. B. zeige, den Arbeitern nicht wesentlich helfen. Der Versuch, das sociale Königthum über die Klassengegensätze zu stellen, sei eine Utopie, wenn jemals Bismarck ernstlich daran gedacht haben sollte. Das sociale Königthum könne niemals die sociale Frage lösen. Es müßte sich denn auf die Socialdemokratie stützen, und daraus würde sich der socialdemokratische Staat von oben herab ergeben, durch die Kapitulation des socialen Königthums vor der Socialdemokratie. Gerade die Gegnerschaft gegen den Staatssocialismus habe stets die Haltung der Socialdemokratie bestimmt, und das demokratische Element habe ihr die Macht verliehen. Ohne dieses Element wäre der Socialismus dem Despotismus anhcimgefallcn. Alle Maßregeln im Sinne des heutigen Staatssocialismus seien nur geeignet, die bestehende Gesellschaft zu stützen, und der heutige Staat werde den Staats socialismus um so ernster pflegen, je mehr er seinem Unter gänge entgegcngehc. Ter letzte Kampf werde geführt werden unter dem Schlachtrufe: „Hie Staatssocialismus, hie Social- demokratie!" (Beifall.) v. Vollmar erklärte, der jetzt zur Debatte stehende Pnnkt stehe seit einer Reihe von Wochen im Vordergründe des Interesses. Unsere Gegner freuten sich darüber. Namentlich in der auswärtigen Presse hoffte man mir einen großartigen Kampf hier im Parteitage. Die von Liebknecht und mir unterzeichnete Resolution wird gezeigt haben, daß diese Herren nicht ans ihre Rechnung kommen. (Beifalll) Aber sie gicbt auch denen Recht, die von Anbeginn an diese heutige Berathung sür ganz nnnöthig gehalten haben. Man fragt, „wenn Ihr beide so völlig einverstanden seid, warnm ist denn den ganzen Sommer darüber gestritten worden?" Lieb knecht hat gesagt, die Erörterung war nothwcudig und nützlich. Das meine ich nicht. Die ganze Discussion war doch nur ein Wvrtstr.'it, ein Herumfahreu im Nebel. Der Eifer, mit dem gekämpft wurde, steht in keinem Verhältniß zu dem schließlichen Ergebnis; des Kampfes. Das ist aber immer so, wenn eine Discussion über einen Punkt nicht eine frei gewollte, sondern von den Gegnern aufgezwnngen ist. Das Letztere ist aber hier zweifellos der Fall gewesen. Der Brief, den ich an das französische Blatt geschrieben habe, ist bei uns zuerst gar nicht beachtet worden. Erst als die gegnerische Presse sich damit be schäftigte und aus dem Zusammenhang gerissene Stellen ver öffentlichte, ging die Sache los. Genosse Liebknecht, als alter Journalist, müßte doch wissen, daß man sich da, wo kein Documcnt vorliegt, Reserve auflegt. Wenn ich nun auch so gehandelt hätte wie der „Vorwärts"!? Ich sage das Alles für die Zu kunft. Es ist die Pflicht jedes Parteigenossen und jedes Partei organs, den „Vorwärts" hauptsächlich mit eingerechnet, wenn Streitfragen auftanchen, sich erst auf das Genaueste zu verge wissern, ehe man etwas thut. Anhängen kann man leicht et was. Es bleibt dann auch immer etwas sitzen. Die wenig überlegte Art des „Vorwärts" hat den Streit veranlaßt, nicht ich. Nachdem dann einmal die Sache im Gange war, ist cs die altbekannte Unfehlbarkeit des Journalisten — ich bin auch. Journalist —, die es nicht zuläßt, einen Fehltritt einzugc- stehen. (Heiterkeit.) Meine fragliche Aeußerung hat gar keinen Einfluß aus das praktische Handeln der Partei: Es handelte sich nur um eine theoretische Auseinandersetzung, wie Staats socialismus dcfinirt werden kann, nicht wie er definirt werden muß. Bezüglich unseres praktischen Handelns habe ich immer auf dem Standpunkt gestanden, den die Resolution zum Aus druck bringt. Bebel meint, Vollmar habe dnrch seine Acußcr- ung, daß die Situation durch den Abgang des Fürsten Bis marck sich geändert habe und besonders für die Socialdcmo kratie eine andere geworden sei, einige Verwirrung in die Reihen der Parteigenossen getragen. Was die Definition des Wortes Staatssocialismus anlauge, so gäbe es keine präcise Definition des Wortes. Der Staatssocialismus sei preußischen Ursprungs, einzelne Gelehrte, die das Gefährliche der heutigen Gesellschafts ordnung für die heutige Gesellschaft einsahen, kamen ans den Gedanken, der Staat könne hier cingreifen gegen die Social- dcmokratie: So sei der Staatssocialismus, den der verstorbene Oppenheim Kathedersocialismus genannt habe, entstanden. Wie schon gesagt, richte er sich gegen die Svcialdemokratic und sei von ihrem Wesen grundverschieden. DcrNedncr bekämpftdieLiebknecht- schc Aeußerung, als ob Lassalle Staatssocialist gewesen sei; auch die Schlußbemcrkung Liebknechts, zu allerletzt werde die Social- dcmvkratie eine» Kampf mit dem Staatssocialismus auszu kämpfen haben, sei ganz falsch. Zu einer solchen Ausbauung des Staatssocialismus werde es nach den bisherigen beschei denen Anfängen gewißlich nicht kommen. Wenn Vollmar frage, warum man gerade ihn immer angrcife, so wolle er ihm sagen, hätte er nicht im vergangenen Jahre die beiden Münchener Reden gehalten und seine Broschüre geschrieben, wegen seines Artikels in der „Revue bleue" wäre er nicht augegriffen worden. So aber sei gegen ihn ein gewisses Mißtrauen wach geworden, es heiße bei ihm jetzt nicht mehr „was hast Du gesagt," son dern „Du hast es gesagt." Immerhin ist es gut, wenn wir unsere grundsätzliche Stellung zum Staatssocialismus aus sprechen, cs rechnet sich jetzt Krethi und Plcthi zur Social demokratie und in solchen Kreisen entsteht oft Verwirrung über unsere Principien. Die Resolution gefalle ihm namentlich in ihrem zweiten Theile nicht, er stelle aber seine Bedenken zurück und bitte auch die übrigen Redner, das Gleiche zu thnn, da-