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Hohensteiner Tageblatt : 08.11.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189211082
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18921108
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18921108
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohensteiner Tageblatt
-
Jahr
1892
-
Monat
1892-11
- Tag 1892-11-08
-
Monat
1892-11
-
Jahr
1892
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 08.11.1892
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die von einem „Deutschen Katholikentage" sprach. Dagegen ist, wie die „Germania" jetzt bestätigt, allerdings daran gedacht worden, auch im Königreich Sachsen eine Katholikenversamm lung abzuhalten, wie sie in Breslau, Neiße, Neustadt, Neurode, Berlin, Brandenburg und Magdeburg im Laufe des Sommers veranstaltet wurden. Auch so würde es nicht zu billigen sein, wenn der Versuch gemacht worden wäre, die Abhaltung einer Katholikenversammlung in Leipzig durch Saalverweigerüng zu hintertreiben. Vor der propagandistischen Kraft der Reden, mit denen der Ultramontanismus haustren geht, braucht man wirklich keine Besorgniß zu haben, selbst wenn er in Leipzig noch durch das anmuthige Rednertalent des Grafen Ballestrem unterstützt worden wäre. Wenn freilich die ..Germania" bei dieser Gelegenheit .an unsere protestantischen Mitbürger allent halben" die Frage richten zu dürfen glaubt, welche Conse quenzen cs in katholischen Orten und Gegenden haben müßte, wenn in protestantischen Städten den Katholiken für durchaus in offensive Versammlungen zur Besprechung ihrer öffentlichen Interessen die für solche Versammlungen sonst bereiten und geeigneten Locale verweigert und abgetrieben würden, so hätte sie diese Frage sich selbst beantworten können. Es gicbt leider Orte in Deutschland, wo es Protestanten schwer fallen dürfte, für „inoffensive Versammlungen", wie sie das Ccntrum in diesem Sommer aller Orten abgchalten, die gleiche Duldsam keit zu finden, wie sie ihm zu Theil wurde. Man brauchte nicht einmal gleich an die Wemdinger Gegend zu denken. Italien. Der Papst empfing am Sonnabend den Großfürsten Sergius in halbstündiger Audienz. Der Großfürst stattete hierauf dem Kardinal-Staatssecretär Rampolla einen Besuch ab, welchen derselbe später erwiderte. England. London, 5. November. Heute Nachmittag fand die erste Versammlung auf Trafalgar-Square nach Aufhebung des früheren Verbots statt. Etwa 600 beschäftigungslose Arbeiter, durch den Socialistcnbund vrganisirt, trafen im Zuge, Musik an der Spitze, mit rothen Fahnen und die Marseillaise singend, auf dem Square ein. Eine große Menge von Neugierigen, viel zahlreicher, als die Manifestanten, wohnte der Versamm lung bei; alle Fenster und Balcvne, die auf den Square hin ausgehen, waren dicht besetzt. Die Reden waren im Allge meinen maßvoll; es wurde eine Resolution angenommen, in welcher die Regierung ersucht wird, die localen Behörden zu ermächtigen, den Beschäftigungslosen Arbeit zu geben. Die Menge zerstreute sich darauf; irgend welche Ordnungsstörung fand dabei nicht statt. Die Polizeiverwaltung hatte alle Maß regeln zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffen. Der schon Mitte October als beabsichtigt angckündigte große Ausstand der Baumwollen - Industrie - Arbeiter von Lancashire hat am Sonnabend seinen Anfang genommen; es sind nahezu 50,000 Arbeiter welche die Arbeit nicdcrlegen. Vermischtes. Hamburg, 4. November. Nachdem die Cholera bereits zu Beginn des vorigen Monats ihren epidemischen Charakter ver loren hatte, kann sie als gänzlich erloschen betrachtet werden. Noch ist freilich das große erlösende Wort der Seuchcnfrei-Er- klärung nicht gesprochen, doch dürfte es für die allernächsten Tage zu erwarten sein; schon zu Anfang dieser Woche hat der Hamburgische Senat den Antrag beim deutschen Reichskanzler gestellt. Es sind im Ganzen 7600 Personen dem furchtbaren Würgengel zum Opfer gefallen; die Zahl der Erkrankungen betrug 17,973. Die genaue Uebersicht der Krankheits- und Todesfälle gestaltet sich folgendermaßen: es erkrankten bis zum 20. August 85, gestorben find bis dahin 36 Personen; in der Woche vom 21. bis zum 27. August: 3688 und 1281; vom 28. August bis zum 3. September 6378 und 3013; vom 4. bis zum 10. September 3362 und 1548; vom 11. bis zum 17. September 2393 und 923; vom 18. bis zum 24. September 1327 und 547; vom 25. September bis zum 1. October 472 und 180; vom 2. bis zum 8. October 170 und 46; vom 9. bis zum 15. October 71 und 25; vom 16. bis zum 22. Octobcr 24 und 7, und vom 23. bis zum 29. October 2 und 4 Personen. Der letzte Erkrankungsfall ereignete sich am 23. October. Seit dem ist nur noch ein einziger Todesfall (am 2. November) vorgekommen, doch war die Erkrankung 14 Tage vorher erfolgt. Nunmehr wäre also die furchtbare Zeit überstanden, und Ham burg hat im Großen und Ganzen sein altes geschäftsrühriges, werkthätiges Aussehen wiedererlangt. Nur die Außenwelt ver hält sich leider noch immer zurückhaltend gegen das schon im Uebermaß geschädigte Hamburg. Vielfach herrscht noch über triebene, kindische Furcht, die ein rasches Aufkommen der alten Beziehungen gänzlich unmöglich macht. Es wäre entschieden angezeigt, die gewohnten geschäftlichen und persönlichen Be ziehungen mit Hamburg überall wieder aufzunehmen; dies wäre eine bessere Hilfe für die unglückliche Hansestadt, als alle noch so hoch zu schätzenden Gcldsammlungen. Was hat es z. B. für Sinn, wenn der Bezug von Waaren, wie Kaffee, Thee, Konserven, zubereiteten Getränken u. s. w. noch immer hinaus- geschoben wird? Hier liegt offenbares Unrecht vor. Die Kon serven beispielsweise haben sich durchweg bei der sehr sorgfältig ausgcsührten Zubereitung im gekochten Zustande befunden, und alle Behälter (von Glas oder Metall) sind luftdicht verschlossen; zudem war ihr Genuß auch während der Epidemie ärztlicher seits anempfohlen gewesen. Auch der Fremdenverkehr läßt noch sehr Vieles zu wünschen übrig. Sämmtliche Theater sind längst wieder geöffnet und alle Sehenswürdigkeiten Hamburgs zugänglich. In den Hotels, besonders in den großen und be kannten, werden nach wie vor die peinlichsten Vorsichtsmaß regeln getroffen; im „Hamburger Hof" z.'B. war während der Epidemie die ganze Wasserleitung abgestellt gewesen, und jetzt wird seit längerer Zeit zum Genüsse nur noch bestes Quellwasscr und für den hauswirthschaftlichen Betrieb aus schließlich gekochtes Wasser verwandt. * * * Bremen, 4. November. Es ist oft über die Mißhand lungen geschrieben und geklagt worden, denen Kohlenzieher, Ueberarbeiter rc. auf Seeschiffen ausgesetzt sind. Sehr oft wird aber dabei übcrfehen, daß cs sich in vielen Fällen um widerspenstige, rohe Leute handelte, welche den Vorgesetzten viel zu schaffen machen. In letzter Zeit sind hier häufig vor Ge richt Fälle verhandelt worden, in denen die Unbotmäßigkeit von Seefahrern gegen ihre Vorgesetzten ersteren empfindliche Strafen einbrachte. Und cs sagt gewiß mehr als alle Schil derungen, wenn in der letzten Straskammersitzuug hierselbst der Gcrichtsvorsitzcnde erklärte, daß das Gericht in Zukunft bei der Zunahme der Auflehnung von Seefahrern gegen ihre Vor gesetzten jedenfalls schärfere Strafen als bisher erkennen müsse, nm diesem Treiben einen Damm entgcgenzusetzcn. Im vor liegenden Falle handelte es sich um einen Heizer, der auf dem Lloyddampser Kronprinz Friedrich Wilhelm einem äußerst ruhig handelnden Officier den Gehorsam verweigert und ihn geohrfcigt hatte. Die Strafe lautete auf fünf Wochen Ge- sängniß. * * Bremen, 4. November. Einen schrecklichen Tod fand auf der Heimreise des Lloyddampfers Havel ein aus Dessau ge bürtig gewesener Mann, der, um das Ueberfahrtsgeld zu sparen, sich im Donkeyschornstein versteckte. Als die Maschine ihre Thätigkcit begann, muß der Unglückliche festgeklemmt gewesen sein, als man nach einigen Tagen seine Leiche fand, zeigte es sich, daß er zu Tode geröstet worden war. Jedenfalls wird er bald die Besinnung verloren haben, sodaß er sich nicht bemerk bar machen konnte. * * Aachen, 5. November. Mit dem grausigen Funde in der Straße Botzaris in Paris bringen dortige Blätter das Ver schwinden eines leichtlebigen Mädchens in Verbindung, einer Deutschen, namens Marie Küpper aus Alsdorf. Nach ange stellten Ermittlungen ist diese Person höchst wahrscheinlich die in Alsdorf bei Aachen geborene, 27 Jahre alte Maric Küpper. Diefe trat mit 14 Jahren in Eschweiler in Dienst und begleitete ein Jahr später ihre Herrschaft als Dienstmädchen nach Paris. Im Jahre 1889 kehrte die Küpper nach Alsdorf zurück und nahm kurz darauf ein Stelle als Dienstmädchen bei einer in der Nömerstraße in Aachen wohnenden Familie an. Lange hielt cs die Küpper hier nicht aus, 1890 begab sie sich wieder nach Paris, von wo aus sie an ihre in Alsdorf lebende Mutter nur spärliche Nachrichten gelangen ließ. Auf mehrere von dieser im Laufe dieses Jahres an die Tochter gerichtete Briefe sind keine Antworten erfolgt. * * * Breslau, 5. November. Der Redacteur der socialdemo kratischen Volksmacht, Thiel, ist gestern spät abends auf seiner Redaction verhaftet worden. 4- * * Weimar, 3. November. Viel besprochen wird hier die Art und Weise, wie sich ein Großherzoglichcr Hoflieferant die Jubiläumsfesttage zu Nutzen gemacht hat. Es waren bei ihm aus dem Gefolge der Königinnen der Niederlande drei Officiere als Gäste der Frau Großherzogin einquartiert worden. Die Herren bewohnten je zwei Räume und hatten, da sie natürlich an den Diners im Schlosse theilnahmen, außer dem Frühstück keinerlei Verpflegung im Hause. Trotzdem reichte der Quartier geber für den fünftägigen Aufenthalt der Officiere ein Rech nung ein, die das Sümmchen von 4600 Mk. betrug. Die Hofhauptkasse weigerte sich, die Forderung zu begleichen, und auf Wunsch der Frau Großherzogin wurde eine genaue Spezi- fizirung des Contos verlangt. Auf diese Weise in die Enge getrieben, gab der Hoflieferant nun vor, es seien ihm für 1000 Mk. Möbel ruinirt worden. Er dürste aber auch damit wenig Glück haben, denn die holländischen Officiere haben sich während ihres kurzen Aufenthaltes hier als sehr gebildete Leute gezeigt, denen man einen derartigen Vandalismus, wie ihn seinerzeit das Gefolge des Schah von Persien zum Schrecken der Ber liner Hauswirthe verübt hat, einfach nicht zutrauen kann. Es dürfte gerade über diefen Punkt eine peinliche Untersuchung ein geleitet und der profitliche Hauswirth am Ende veranlaßt werden, an seiner Forderung einige Abstriche vorzunchmen. Auch noch andere Fälle, in denen Zimmervermiether die Fremden während der Festtage, wenn auch nicht in so krasser Form, aber doch recht „anständig" geschnitten haben, bilden das Stadtgespräch. 4- 4c 4- Eine anhaltische Zeitung leistet sich folgende Notiz: Halle, den 12. Sept. In Morler Flur fand ein Arbeiter beim Klce- mähen einen Hasen mit acht Beinen, vier Ohren und zwei Schwänzen. Diese Abnormität kann beim Inspektor Rcuschr daselbst in Augenschein genommen werden. * 4- * Eine riesige Forelle von einem Meter Länge und 11 Kilo Gewicht ist vor 14 Tagen bei Schiffenen im Kanton Freiburg aus der Saane gefischt worden. Wenige Tage vorher wurde daselbst eine solche von 7 Kilo gefangen. Die Fischer behaupten, die Saane beherberge noch eine Menge Forellen von ähnlicher Größe. Da wird sich hoffentlich die Fischerei lohnen! * * O! Mailand, 3. November. Fünfzehn hiesige Unterstützungs- Vereine haben in einer gestern abgehaltenen Sitzung eine Tages ordnung votirt, wonach die Institution des zufolge des Testa ments des reichen Kaufmanns Loria ins Leben zu rufenden großen Arbeitshauses für beschäftigungslose Arbeiter beschleunigt werden soll. In einer für Montag einbcrufencn Sitzung der hiesigen Arbeitskammer soll darüber entschieden werden. Dieses großartige Wohlthütigkeitsinstitut, zu dessen Errichtung der Verstorbene sein ganzes Vermögen, das auf zwanzig Millionen beziffert wird, bestimmt hat, wird aus folgenden Departements bestehen: 1. Büreaux zur Organisation der Arbeitsvertheilung, der Anfragen und Offerten, der Annahme der Aufträge, der Auskunftsertheilung u. s. w.; 2. Industrielle Schule für Waisen kinder, entlassene Sträflinge, Beschäftigungslose jeder Profession; 3. Werkstätten und Brodbäckerei; 4. Ausstellungs- und Ver kaufsräume für die in den Werkstätten hergestclltcn Gegenstände und Verwaltungsbüreaux, in welchen ebenfalls Beschäftigungs lose und Bedürftige Aufnahme finden; 5. Temporäre Woh nungen für Obdachlose, aus Krankenhäusern und Zuchthäusern Entlassene und Volksküche. * * * Paris, 4. November. Man hat gestern eine Entdeckung gemacht, die M't dem Morde der zerstückelten Frau in Ver bindung bebracht wird. In der Rue du ClMeau des Rentiers (eine gute halbe Stunde von der Rue Botzaris entfernt) hat man auf einem Bauplatze, den eine niedrige Mauer von der Straße trennt, ein Bündel gefunden, das anscheinend mensch liche Eingeweide, das Herz, die Lungen, die Nieren, nebst einigen in Fäulniß übergegangencn Fleischstücken enthielt. Diese Ueberreste werden heute einer ärztlichen Prüfung unter worfen werden. Die waren in eine grüne Schürze gehüllt, wie sie die Tischler und andere Arbeiter zu tragen pflegen. Für die Entdeckung des Mörders scheint freilich damit bisher nicht viel gewonnen zu sein. * * * Petersburg, 2. November. Eine fürchterliche Entdeckung hat die Polizei in dem Bezirke Tocyisky (?) in Polen gemacht Während sie das Haus eines Mannes, der als Schmuggl ' verdächtig war, durchsuchten, stieß sie fin Keller auf neunzeh Leichen, Frauen und Männer, sämmtlich bereits stark verwest" Man weiß noch nicht, ob es sich um ein Verbrechen handelt' oder ob der Keller nur als geheimer Begräbnißplatz benutzt worden ist. Unser Herr Dürgermcistcr. Aus dem Leben eines Kleinstädters. Kon Julius Bruck. (1. Fortsetzung und Schluß). Wieder einmal hatte der schlaue Berliner seine spielend erworbenen Groschen eingestrichen nnd war so seelenvergnügt, als ob er die ganze Welt umarmen wollte. Da begann unser Herr Bürgermeister von einer dringend bcuöthigten Reform seines Hausstandes zu reden. „Ich brauche Geld," sagte er; „denn der Tochter eines wohlhabenden Mannes darf ich doch ein hübsch ausgestattetes Heim nicht vorcnthalten. Schade daß mir mein spärliches Einkommen keine größeren Ausgaben ge stattet! " „Nee, Männeken," tröstete ihn der Alte, „dct schad't jar nischt. Im Jegentheil, et schützt vor Ucbermuth. Ooch is et mit det kostspieligste Mobiljar nick) abjcthan. Wat die Haupt sache bleibt, det ls die Liebe, und mit der sind Sie ja reichlichst versehen. Oder sollten Sie meiner Tilly wat nfjebunden haben?" „Das wäre ja abscheulich! Nein Väterchen, für mich ist sie die Beste und Schönste ans der Welt; ohne sie würde ich vor Sehnsucht sterben!" „Det soll'n Sie nich; nee, wahrhaftigen Jotts, det soll'n Sie nich! Sie kriegen det Mädchen! Ick hab' et Ihnen ja versprochen und halte mein Wort. Et is ooch allcns janz jut, und wenn ick mal mit Tode abjeh', denn bleibt noch wat!" „Aber gerade jetzt, Papa —! Jetzt siebt et nischt! So lang' ick Luft schnappe, will ick mir nich blank jeben. Et stört ooch det jutc Einvernehmen, wenn die Kinder schon Allcns verweg haben. Aber ick bin een weechherziger Mensch. Lassen Sie sich Ihre Stuben tapezieren und ufputzen. Ick will Allens berappen, und sollt' ick damit ooch 'n paar hundert Jroschen verläppern. Nu aber drängeln Sie mir nich weiter! " So war die einzige tröstliche Hoffnung unseres Herrn Bürgermeisters mit der Speculation auf den Geldsack seines , Schwiegervaters ins Wasser gefallen. Vor dem Tod des Alten stand kein ncnnenswerther Zuschuß in Aussicht, und daß er ) dieses Ercigniß erleben würde, unterlag einem berechtigten , Zweifel; war doch Papa Weiß, trotz seiner neunundfünfzig r Jahre, ein kerngesunder, riesenstarker Mann. „Ich muß mit Anstand wieder loszukommcn suchen," sagte er sich; aber das x Wie blieb ihm dunkel. g Eines Abends saß er rastend daheim und blätterte in seinem h Album. Da fesselte ihn von neuem das Bild eines in an- muthigster Jugcndfrischc prangenden Mädchens, das ihn schon ) ost an die schönste Zeit seines Lebens erinnert hatte, und wie- H der versetzte es ihn zurück in längstvcrgangcne, sorgenfreie Tage, ß Noch war er der Rathsschrcibcr jener schlesischen Provinzial- stadt, in deren Nähe er später seine Elsbeth kennen lernte, st als cr dort mit einem bicrfrohcn Korpsstudenten zusammen- x-' traf, der aus Breslau zum Besuche seines Onkels hcrübergc- kvmmen war und sich allabendlich in der Gesellschaft des da- g- mals noch .kreuzfidelen Herrn Hottingcr" vergnügte. Als sie wieder einmal dem Spatenbräu tüchtig zugefprochen hatten, kramte der Student seine Habseligkeiten aus, die er sammt und sonders mit sich herumtrug und zu denen auch die Photographien, zweier Mädchen gehörten. Die eine derselben stellte einen etwa vierzehnjährigen Backfisch, die andere eine ß- prächtig entwickelte Ehckandidatin von zwanzig bis zwciund- .Zx zwanzig Jahren dar. „Gieb mir diese Lichtgestalt des Himmels, diese — Madonna!" bat dör entzückteRathsschrcibcr, und der gefällige Kneipbruder gab sie ihn. ^n Lange dachte Hottingcr nicht im cnticrntestcn an einen Mißbrauch des Geschenkes. Erst als Ehchcrr der guten Els- beth, deren einzige Untugend, die leicht erregbare Eifersucht, er nur allzu wohl kannte, brachte cr es ost zum Vorschein, nach- dem cr, um die arme Frau zu kränken, stundenlang von seinen , jst erdichteten Liebschaften gesprochen hatte. x- Dieses bewährte Mittel wollte er nun auch bei der Erst- M geborenen des geizigen Emporkömmlilms versuchen. Was der ^ße Gattin Verdruß bereitete, könnte die Braut abschreckcn, meinte er, und schrieb unter das Bildchen seiner „Madonna" die von innigstcr Herzensneigung zeugenden Worte: „Dein werde ich .sth nie vergeßen!" Dann legte er es in sein Notizbuch und ging zu Tilly. rten Seine seltenen Bräutigamsvisitcn — bisher war cr wie das kalte Fieber nur an jedem zweiten oder dritten Tage ge- lg- kommen — hatten die ihres dcsectcn Liebreizes sich bewußte Dame schon schmerzlich berührt. Demnach mußte sie sich unsag- ^-n- bar elend fühlen, als ihr Verlobter nun auch von seinen früheren . Eroberungen zu reden begann, um, wie cr ausdrücklich betonte, einer Ehrenpflicht zu genügen und nicht besser erscheinen zu wollen, als er in Wahrheit sei. Das trieb er so, bis sic in Thränen ausbrach. Dann küßte cr sie flüchtig, ließ wie zu- fällig sein Notizbuch auf dem Tische liegen und entfernte sich, „Das hätte Papa hören müssen!" jammerte das vor Er- regung zitternde Mädchen. „Er würde diesem gewissenlosen Nun Nkanne ohne weiteres den Laufpaß gegeben haben!" Fünf Minuten später kam der Alte, und unverzüglich be- richtete ihm Tilly, was soeben geschehen war. „Ach wat!" entgegnete er ruhig, „der Kerl is'n Prahlhans!" und in sich hineinbrummcnd fügte er hinzu: „Aber ooch» Schlauberger! kg Ick weeß, wat er will!" Jetzt wurde er des mit Vorbedacht zurückgclasfencn, von j jy, seiner Tochter noch nicht bemerkten Büchleins ansichtig, nahm es auf und öffnete es. Er erblickte das Bild, las mit lauter , „x- Stimmen: Dein werd' ick nie verjcsfcn! und lachte so herzlich, daß ihm die Augen übergingen. Dann legte cr den spaßhaften Fund in Tillys Hände, und auch sie konnte sich, nachdem sie ihr anfängliches Erstaunen überwunden hatte, einer stürmischen hx,, Heiterkeit nicht erwehren. „Das bin ja ich!" sagte sie unter mber. beständigem Kichern zu wiederholten Malen. ahnus Der Vater aber schüttelte den Kopf und erwiderte mit der Mldc ihm eigenen Seelenruhe: „Nee, Kind, dct biste vor zehn Jahren mM: jcwcsen, wie deine Mutter noch lebte und ick dir und Truden wirth- zu ihrem letzten Geburtstage photographircn ließ. Wissen ifahrt, möcht' ick man blos, wie dein Herzallerliebster dazu jekommen Mbst', is. Det soll er uns beichten." Haus- Schon der nächste Besuch, den Hottingcr seiner Verlobten Zuaen abstattete, brachte die Lösung des Räthsels. Mit gespannter
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