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^ 180, 5. August 1912. Mchtamtlicher Teil. VSrsenblaU f. ». Dtschn. vuq-anbrl. 9053 machten Ramschpreis. Jeder Verleger oder Direktor einer Zeitung oder Revue, der Mitgliedern des Syndikats Honorare bietet, die unter dem festgesetzten Minimum sind, wird aus den Index gesetzt, und kein Mitglied des Syndikats darf mehr mit ihm geschäftliche Verbindungen unterhalten. Alle Mit glieder sind um des allgemeinen Interesses wegen eingeladen, sich untereinander zu überwachen. Das Denunzieren wird zur Tugend, sobald es sich um einen Akt der Solidarität handelt. (Zur Ehre der Kommission muß hier betont werden, daß der letzte Absatz einmütig zurllckgewiesen wurde, da alle Teilnehmer, außer dem Verfasser des Entwurfs, es mit der Schriststellerehre für unvereinbar halten, ihre Genossen anzu zeigen.) Die nächste Sitzung der Kommission wird im Sep tember stattfmdcn,um über dieweiterenSchritte zu beschließen. Inzwischen dauern die Untersuchungen über das Syndikat der Schriftsteller in der Presse fori. Um die Verleger von vornherein günstig zu stimmen, wird von manchem Schriftsteller beteuert, daß das Syndikat keine Waffe sei, die sich gegen die Verlagshäuser richtet, da man sehr Wohl wisse, daß jeder achtungswerte Verleger wahrheitsgetreu die Ziffer der ge druckten Auslagen angübe. Vielmehr müsse auch der Verleger ein Interesse daran haben, daß die bedeutenden Schriftsteller sich wieder mehr dem Schaffen von Büchern widmen, anstatt dem Schreiben von Theaterstücken. Denn es sei nichts Sel tenes, daß ein Stück trotz der erhöhten Preise der Plätze 10» oder 200 Aufführungen erlebe, während es doch als eine Aus nahme angesehen werden müsse, wenn von einem Buch einmal 100 000 Exemplare verkauft würden, obwohl das Absatzgebiet für französischeLileratur ein so großes ist. Darauf braucht man Wohl nur zu erwidern, daß nicht jeder Romancier not gedrungen auch die Gabe besitzt, Theaterstücke schreiben zu kön nen, und daß dieser schon im eigenen Interesse lieber fort fahren wird, die durch seine Bücher erworbene Gemeinde zu vergrößern, anstatt auf einem ihm oftmals nicht liegenden Gebiete neue Lorbeeren zu suchen. Die alle Jahre sich steigernde Anzahl der schriststellernden Amateure wird ohne Zweifel ein großes Hindernis für die Einführung eines Mindesttarifs sein. Seine Durchführung soll durch literarische Agenten unterstützt werden, die für den Schriftsteller — wie man hofft — eine wertvolle Unterstützung bilden werden. Man ist sich in den interessierten Kreisen jetzt darüber klar ge worden, daß die Nummerierung eines jeden Exemplars außer ordentlich schwierig und auch kostspielig ist, und man legt die sem Verfahren schon nicht mehr die Bedeutung bei wie an fangs. Der »Llorcure <ts franco« war die erste Verlags handlung, die die Nummerierung im Beisein des Autors vor nehmen ließ, jedoch haben sich alle anderen Pariser Verleger von Anfang an dagegen gesträubt, so daß dieser Brauch sich nichl ausgedehnt hat, von zwei oder drei kleineren Ver legern abgesehen. Die jüngeren Schriftsteller -jedoch lassen ein viel gröberes Geschütz gegen die Verleger auffahren. Sie sagen: »Die Verleger haben ihren »Orels <I>: In bädrairie«, wir haben keine Vereinigung, die in ähnlicher Weise unsere Interessen vertritt. Da zudem ein Schriftsteller oft nicht genug Geschäftsmann ist, müssen wir als Vertreter des Syndikats literarische Agenten haben, die unsere Interessen schützen. Denn der Verlagsbuchhandel ist der einzige Beruf heutzutage, in dem der Produzent auf Treu und Glauben dem Verkäufer ausgeliefert ist. Schlimmer ist noch, daß ein Verleger, der seinen Autor durch gefälschte Angaben in den Auslagezifsern schädigt, nicht bestraft werden kann. Dies ist durch verschie dene Prozesse bewiesen, besonders durch den, welchen Leo TaxiI gegen seinenVerleger führte, der ihn um 100 000 Frcs. geschädigt hatte. Der betreffende Verleger ist sogar zweimal sreigesprochen worden.« (Ich kenne die Gründe für diese Recht- sprechung nicht, weiß aber bestimmt, daß vor wenigen Jahren «in großes Pariser Verlagshaus verurteilt wurde, das iiber- Börsmblatt sür den Deutschen Buchhandel. 7S. Jahrgang. sehen hatte, einige Tausend Exemplare einer neuen Auflage auf das Konto eines Autors zu setzen.) Ein Verleger hatte darauf hingewiesen, daß er niemals so schnell die genauen Absatzzifsern aufstellen könne, wie die jungen Autoren es gern möchten, denn oft erhielte er in Kom mission versandte Werke früher aus Amerika zurück, als von den Sortimentern auf den Boulevards. Die Antwort der Schriftsteller lautete: »Wenn im Verlagsbuchhandel eine der artige Anarchie herrscht, so ist es höchste Zeit, daß das Syn dikat darin Wandel schafft«. Das kann jemand an das be rühmte Wort erinnern »von der Begeisterung, die durch Sach kenntnis ungetrübt war«. Da aber bis heute noch alle wirklich berühmten Schriftsteller sich ablehnend gegen das vielum- striitene Projekt Verhalten haben, kann der französische Ver lagsbuchhandel wohl fortfahren, wie bisher die Entwicklung der Dinge in Ruhe abzuwarten. Kürzlich ist M. L o u i s P r u n i ä r e s, der Sekretär des »tlerolo <io tu I-ideairio«, gestorben. Mit ihm ist ein Mann dahingegangen, der sich große Verdienste um die Fortbildung der Lehrlinge und Gehilfen des französischen Buchhandels erworben hat. In den Unterrichtskursen, die in diesem Jahre zum zweitenmal abgehalten wurden, hat er selbst das Thema »Die französische Literatur in ihrer Beziehung zum Buch handel« behandelt. Die Zahl seiner Hörer belief sich auf 50. Unter dem Pseudonym Jean Canora hat M. Pru- nidres seit 10 Jahren eine Reihe von Werken erscheinen lassen, die von hoher philosophischer und moralischer Bedeu tung sind, z. B. Llolidro moraliste (1897), I-'Lvolution sociale et l'^etion pour la Leautä (1908) und den Roman Llaciamo Oevenax, Sionkaitriee (Calmann-Lävy, 1910), sein letztes Werk. Ein Komitee ist von bekannten Künstlem und Schriftstellern gegründet worden, um eine intellektuelle Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizuführen. Die grundlegen den Ideen sollen in einer Broschüre veröffentlicht wer- den, die den Titel führt: »Uour mloux so eon- naitro«. Aus der Reihe der Zustimmenden sind zu nen nen : Massenet, Rosny alno, Verhaeren, Deh- mel, Hauptmann, Maeterlinck, Victor Mar- gue ritte, der Sohn des Generals Margueritte, der 1870 bei Sedan den berühmten Kavallerie-Angriff leitete, und Octabe Mirbeau, der in seinem Werke: »Im 628—L 8« seine Reiseeindrücke in Deutschland schilderte und seinen Landsleuten so viel Gutes von der »anderen Seite des Rheins« erzählte, daß ihm von vielen Nationalisten der Vor wurf gemacht wurde, er habe das französische Empfinden demütigen wollen. Victor Margueritte veröffentlichte zu Anfang dieses Jahres einen Roman »I-es b'routidrss clu 6oour«, der in den Kriegsjahren von 1870/71 spielt. Der Inhalt ist kurz folgender: Eine Französin, die vor dem Kriege einen deut- schenArzt geheiratet hat und mit ihm in glücklicher Ehe lebt, sieht in ihm nach dem unglücklichen Kriege einen Feind ihres Vater landes und verläßt ihn, denn »die Grenzen des Herzens« und die nationalen Empfindungen waren stärker als ihre Liebe. Dies Buch hat einen großen Erfolg gehabt und war der Grund, daß eine illustrierte Frauen-Zeitschrift (»Irmina«) an ihre Leserinnen die Frage richtete: Würden Sie einen Mann heiraten können, der einer Nation angehört, die zu den Erb- feinden Frankreichs zählt, und was hätten Sie getan, wenn Sie z. B. vor 1870 einen Deutschen geheiratet hätten? Die Antworten sind verschieden ausgefallen; diejenigen Frauen, die den Krieg miterlebt haben, teilen den Standpunkt des Vcr- fasfers, während die jüngere Generation fast einstimmig ant wortete: »Ich würde auch einen Deutschen heiraten können und würde trotz eines für mein Vaterland unglücklichen Krieges fortfahren, meinen Mann zu lieben, denn er wäre, 1181