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Geschäfts-Anzeiger für Hohenstein-Ernstthal, Oberlungwitz, Gersdorf, Lugau, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken, Langenchursdorf, Meinsdorf, Rutzdorf, Wüstenbrand, Grüna, Mittelbach, Ursprung, Leukersdorf, Seifersdorf, Erlbach, Kirchberg, Pleisza, Reichenbach, Grumbach, Callenberg, Tirschheim, Kuhschnappel, St. Egidien, HütLengrund u. s. w. Beilage. Sonntag, den 9. Oetober 1892. Nr. 236. Pcrwechlcli. Von Alex v o n D e g e n. (1. Fortsetzung und Schluß). Excellenz von Globen bewohnte auf der Potsdamerstraße nicht weit vom Potsdamer Thor die elegante erste Etage eines Hauses, woselbst sic mit ihrem Maune, dem verstorbenen Staats- rath bereits viele Jahre gewohnt hatte. Am heutigen Vormit tage saß die stattliche fast sechszigjährige Dame in dem weiten Lehnsessel am Fenster und blickte mit Ungeduld auf die Straße hinaus. „Arno wird doch mein Billet erhalten haben?" murmelte sie und sah auf die Uhr, „ich hatte ihn gebeten, um ueuu Uhr herzukommen und es ist bereits ein viertel zehn Uhr!" Die Vorsaalklingel ertönte und gleich darauf sah Anua, das niedliche Stubenmädchen, in die Thür. „Excellenz, Herr Hauptmann von Königsdorf wünscht seine Aufwartung zu machen!" „Ich ließe bitten" entgegnete Excellenz und erhob sich, als ihr Neffe Arno in tadellosem schwarzen Gehrock cintrat. „Du warst so liebenswürdig liebe Tante!" begann Arno mit etwas sauersüßer Miene, nachdem er der Aufforderung, Platz zu nehmen, nachgekommen war, „mich für hentc morgen zu dir zu bitten — hier stehe ich zu deiner Verfügung." „Ja mein lieber Neffe! Wie du dich entsinnst, sprach ich schon neulich, als du mir deinen Besuch machtest, mit dir da von, daß ich eine Partie für dich in Aussicht hätte; du sollst uun heute die Gelegenheit haben, die junge Dame kennen zu lernen, sie wird mit ihrem Vater dem Diner beiwohnen. „lind wer ist die für mich Auserwählte, liebe Tante?" „Eillq von Lilienstern, lieber Neveu, ein reizendes, lieb reiches Mädchen, dabei reich, lieber Arno, sehr reich, du hast doch wohl schon von den Kohlengruben des Baron Lilicnstern gehört? Der ist der Vater." ,.Ja wohl, Tante, dann würde meine Zukünftige allerdings eine Million mitbekommen." Excellenz nickte. „Ich wollte dich also bitten, lieber Arno, sei recht aufmerksam gegen Lilienstcrns, sei nicht so still bei der Konversation, wie du es manchmal zu sein pflegst, unter halte dich angelegentlich mit Eilly, wenn ich mit dem Baron mich beschäftige und sei versichert, daß ich mein möglichstes thun werde, daß Eilly die deine wird. Sie vertraut mir sehr, sind doch der Vater und ich noch entfernt verwandt und ihre Mutter war meine beste Freundin. Eilly kommt oft zu mir, ich werde Gelegenheit nehmen, einmal über dich mit ihr zu sprechen. Uebrigens," snhr Excellenz fort, schritt nach ihrem Schreibtisch und nahm von demselben ein Kabinetporträt, das sie Arno reichte, „hier ist meine liebe Eilly!" Arno betrachtete das Bild, wo nur hatte er diese junge Dame von vollendeter Schönheit schon gesehen? Er grübelte und grübelte, indem er das Bild mit den Augen verschlang. „Nicht wahr, meine Eilly gefällt dir?" sagte Excellenz stolz, der der Eindruck nicht entging, den das Bild ans ihren Neffen machte. „In der That ja!" entgegnete dieser halb zerstreut, den» er sann und sann, wo er das stolze, schöne, regelmäßige Ge sicht bereits gesehen hatte. Vergebens, er wußte nicht wo. „Nun dann wären wir ja einig, endlich nach langer Zeit gehst du einmal auf meinen Vorschlag ein," sagte Excellenz sehr hefricdigt, „also ich wiederhole es noch einmal, lieber Arno, sei heute nicht verlegen und sei versichert, ich werde für dich thun, was in meinen Kräften steht." „Ich danke dir tausendmal, liebe Tante!" sagte Arno und küßte der Tante galant die Hand. Excellenz blickte ihm lächelnd nach, als er bald darauf das Haus verließ und sich mit jugend licher Behändigkeit auf einen Pserdebahnwagen schwang, der ihn nach der inneren Stadt zum Frühschoppen führen sollte. Eilly von Lilienstern hatte am heutigen Morgen einige Be sorgungen in der Stadt gemacht. Als sie über den Potsdamer Platz ging, fiel ihr Blick auf die Uhr am Hotel Bellevue. „Zehn Uhr, da ist gerade bei Tantchen Excellenz Frühstücks zeit, gewiß hat sie wieder eine Saison-Delikatesse, ich werde doch gleich mal sehen." Nach wenigen Minuten zog sie die Klingel bei Excellenz auf der Potsdamerstraße. ..Ist Excellenz zu Hause, Anua?" fragte sie das öffnende Mädchen. „Ja wohl, gnädiges Fräulein! Excellenz ist beim Früh stück." Eilly trat in das Frühstückszimmer, woselbst die Taute nm zierlich Hingerichteten Tisch sich einige Austern wohl schmecken ließ. „Wie nett Eilly, du kommst!" rief Excellenz, dem jungen Mädchen die Hand entgegenstreckend, „nimm dir einen Teller und hilf mir etwas bei den Austern, sie sind delikat." Eilly ließ sich nicht nöthigcn. „Vorhin war auch mein Neffe Arno von Königsdorf hier," begann die Tante. „Es war mir eine große Freude ihn mal zu sehen, ein so lieber, netter Officier —" „Ach ja!" rief Eilly. Die Tante macht ein etwas verwundertes Gesicht. „Kennst du Arnold von Königsdorf?" „O nur flüchtig." Eilly war sehr verlegen geworden. .„Ich lernte ihn einmal in einer Gesellschaft kennen!" „Wo war das? „Das weiß ich auch nicht, es war vorige Weihnachten." „Da irrst du, er war vorige Weihnachten gar nicht auf Urlaub hier." Jetzt war die Reihe des Staunens an Eilly. „Aber Tante — er —" „Na das ist ja auch glcichgiltig, du wirst ihn vorigen Herbst getroffen haben. Wie hat er dir denn da gefallen. „Ach ich lernte ihn ja nur flüchtig kennen —" Eilly war sehr roth und verlegen geworden — „aber er hat aus mich einen sehr günstigen Eindruck gemacht, liebe Tante und, und — ach ich mag es dir nicht gestehen —" „Nun Kind, offenbare dich nur, mein höchster Wunsch wäre es, wenn du Arno möchtest und Ihr ein Paar würdet." „Tante, ist das dein Ernst?" jubelte Eilly und umarmte die alte Dame,, sodaß diese eine leckere Auster auf ihr blaues Seidenkleid fallen ließ, vyne weiter daraus zu achten, ,.v, Arno und ich lieben uns grenzenlos, nur fürchtet derselbe, Papa um meine Hand zu bitten, da er kein Vermögen besitzt." „Das ist allerdings schnell gegangen, auf einem Ball kennen gelernt —" „Und dann, Tante, noch am zwei Sommerfesten —" „Aber er war ja doch —" „Und dann gestern Abend im Ansstellungspark hat er sich erklärt, ach es war himmlisch!" Excellenz machte ein immer erstaunteres Gesicht. „Im Ausstcllungspark, wie kam denn das?" „Ja, Papa wollte mit mir ins Evncert und vor demselben trafen wir Graf Brux, mit dem Papa eine wichtige Besprechung hatte, und Papa sagte, ich sollte nur immer hinein gehen in den Park, er käme bald nach. Aber hat ich mindestens eine Stunde gewartet, er kam nicht. Dann kam aber Herr von Königsdorf, dem theilte ich cs mit, auch daß ich kein Geld hatte, den Kellner zu bezahlen; er machte alles ab und begleitete mich nach Hause und auf dem Wege hat er sich dann erklärt." Der gute Arno! Werdet glücklich, ihr Kinder, ich habe es mir immer gewünscht. Er war nämlich vorher bei mir, hat mir aber nichts verrathcu, dein Bild aber fast verschlungen, liebe Eilly! Ich werde damit wir mit deinem Vater ordentlich reden können, das Diner eine halbe Stunde später bestellen, d. h. dies nur Arno mittheilen, dann wollen wir den Vater schon breitschlagen, verlaß dich darin aus deine Tante Excellenz!" „O wie danke ich dir, liebe, liebe Tante, es war doch gut, daß ich dir meine Liebe zu Arno gestand; ich wußte gar nicht, daß er dein Neffe sei, er hat mir auch nichts von einer Ein ladung zu dir für heute zum Diner gesagt." „Das sieht ihm ähnlich, er ist so ein alter Brummbär!" „Das habe ich noch nicht gemerkt," lachte Eilly. „Nun adieu, beste Tante, ich muß nach Hause, um meinen Haus- fraucn-Pflichtcn nachzukommen, Papa kommt halb zwölf vom Bureau heim." „Dieser Arno, wer hätte das von dem vernünftigen ruhigen Manu geglaubt! Mir auch gar nichts zu sagen! Aber so, ganz meinen Geschmack zu haben! Nun, ich will ihn belohnen falls ich's durchsetzen kann, soll er als Major nach Berlin versetzt werden! Nachdem sie ein paar Zeilen geschrieben, drückte sie auf die Klingel. Johann, der langjährige Diener trat ein. „Dies sofort zu Herrn Arno von Königsdorf. Er wohnt hier gleich in der Nähe. Antwort nicht nöthig!" „Zu Befehl, Excellenz!" Der alte Diener schritt bedächtig die läuferbelcgtc Treppe hinunter die Adresse lesend. „Von Königsdorf? Hm, weiß schon, wohnt dort drüben auf der Königgrätzer Straße nicht weit vom Hotel Holstein." Langsam ging Johann über den Potsdamer Platz, die Königgrätzer Straße hinauf und verglich auf dem Askauischen Platz seine schwere goldene Uhr mit der Uhr des Anhaltischen Bahnhofs. „Hm, hm," murmelte er, „immer geht meine Uhr zehn Minuten zu spät!" Bald hatte er ein großes Haus in der Königgrätzer Straße erreicht. Er betrat den Flur und warf einen Blick auf die Wohnungstafel. „Richtig," meinte er, „hatte mich doch nicht geirrt." In diesem Augenblick kam ein junger Osficiersbursche die Treppe aus dem Souterrain herauf. „Sind Sie der Diener vom Herrn von Königsdorf?" „Ja wohl, wohl eine Einladung?" meinte dieser, Johann, dem er gleich den Diener aus vornehmem Hause ansah, mit Kennerblick betrachtend. Ja so ein Osficiersbursche besitzt Menschenkenntnisse! „Schön, werde es besorgen, mein Herr ist augenblicklich nicht zu Hause." Er begab sich wieder in das Souterrain, um dort seiner angebeteten Auguste, der Köchin des die erste Etage bewohnen den Commercienraths, d-m Hof zu machen. Eine halbe Stunde mochte er dort geweilt haben, als die Hausthür geöffnet wurde und eine laute Stimme rief: „Fritz, wo steckst du wieder?" Gleich darauf trat Fritz in das Parterrezimmer seines Herrn, des Lieutenants Arno von Königsdorf. „Jemand da gewesen, Fritz?" „Ja wohl, Herr Lieutenant, ein Diener hat einen Brief abgegeben, Antwort wäre nicht nothwendig!" „Gut, scheint eine Einladung zu sein!" Schnell öffnete er den wappenverziertcn Umschlag. „Mein lieber Neveu! Theile dir mit, daß das Diuer heute nicht um 6 Uhr, wie aus der erstell Einladungskarte steht, stattsindet, svndern eine halbe Stunde später. Habe guten Muth, ich habe mit Eilly gesprochen, es wird keine Schwierigkeiten machen, ich rede mit dem Papa noch vor Tisch. Deine threue Tante Hedwig von Globen." Der jugendliche bildschöne Lieutenant machte in diesen: Augenblick ein höchst einfältiges Gesicht und drehte mechanisch die Spitzen seines kleinen blonden Bärtchens bald kühn in die Höhe, bald zog er sie trübselig nach den Mundwinkeln herunter. „Tas begreife wer kann!" rief er endlich, „Tante Hedwig von Globen! Im millionenstcn Gliede glaube ich mit ihr verwandt zu sein, meiu Vater sagte mir so etwas. Hm, Eilly sagte allerdings etwas wie werde mich meiner Tante Hedwig offenbaren! Aber wie kommt diese gute Tante daraus, mich gleich so kordial anzuredcu? Gleichviel, alte Damen sind manch mal sonderbar. Sie muß doch das Beste wollen, das sagen deutlich die Worte, habe Muth, wird keine Schwierigkeiten machen! Ich rede mit dem Papa noch vor Tisch'! Die Excellenz, wahrscheinlich die Fran eines alten schneidigen Generals, ist eine resolute Frau, liebt Eilly, weiß die Sache am rechten Fleck anzufassen! So wirds sein, ja so wirds sein, ja so eine alte Excellenz hat zuweilen Hosen an. Ich begebe mich unbedenklich unter die Fittiche dieser mir so unvermuthet oktroyierten Tante!" Er klingelte, Fritz trat ein. „Um fünf Uhr will ich mich znm Tiner anziehcn. Lege die nöthigcn Sachen hin!" „Zn Befehl, Herr Lieutenant!" Die neuesten Zeitungen vermochten das Interesse Arnos nicht zu fesseln, immer wieder betrachtete er diese geheimniß volle Einladung. „Ach was, "gehen wir etwas spazieren! rief er endlich un- muthig, da wird das Blut ruhiger!" „So ganz harmlos kann die Einladung nicht gewesen sein," dachte Fritz, der mit dem Rvhrstock respektwidrig auf dem Hofe die Unaussprechlichen seines Herrn bearbeitete, als er seinen Herrn das Haus verlassen sah, „sonst schläft er stets vor einem guten Souper oder Diner ans!" Soeben schlug es auf der nahen Kirche halb fünf Uhr' Mit zufriedenem Lächeln durchschritt ihre Excellenz ihre wohl durchwärmten, mit etwas Tannendnft leicht durchschwängerten, im Kerzenschein erstrahlenden Wohnräume und warf noch einen langen prüfenden Blick über die Tafel, die mit allen kostbaren Schaustücken des Hauses reich besetzt war. „Sie haben Ihre Sache recht gut gemacht, Johanu!" lobte sic, „ich hoffe, unsere Gäste werden zufrieden sein. Sonderbar, es ist eben erst halb, da scheint schon jemand zu kommen, wenn ich mich nicht irre, klingelt es soeben. Lassen sie die Gäste in den rothcn Salon treten!" Johann beeilte sich, den Gast zu empfangen; Hauptmann von Königsdorf stand vor ihm. „Ich komme wohl etwas zeitig?" fragte er, indem er aus dem Vorsaal mit Hilse Johanns sich des eleganten Hellen Herbstpalctots entledigte. „Bei uns in den kleinen Nestern kommt man immer etwas zeitiger — „Er betrachtete seine elegante Gestalt, die der vorzüglich sitzende Frack — „mein Angstkind das ganze Jahr, es können Motten hineinkvmmen" pflegte er zu sagen — ausgezeichnet kleidete, in dem großen Spiegel. Johann machte ein etwas erstauntes Gesicht. „Aber Herr von Königsdorf wohnen doch in Berlin, ich war vorhin in der Wohnung mit der —" Er unterbrach seine Rede, da der Hauptmann ranh einfiel: „hier auf dem Vorsaal wünsche ich nicht zu antichambrieren." Devot riß Johann die Flügelthür aus zum rvthen Salon, wo Excellenz mit gewinnendem Lächeln den Neveu empfing. „Ich komme wohl etwas zeitig, liebe Tante," begann Arno, nachdem man Platz genommen, „ich bin erst um fünf Uhr ge laden und jetzt ist es erst soeben drciviertel." „Hast du denn meinen Brief nicht bekommen, lieber Neveu, heute Morgen? Ich übergab ihn Johann persönlich und bat dich erst um halb sechs zu kommen." „Nein, o wie mir das leid thut, dich gestört zu haben! Ich will wieder gehen." Er erhob sich. „Nein, nein, lieber Arno, bleibe nur hier; wenn aber der Baron Lilienstern mit seiner Tochter kommt, so sei so gut und gehe in das Nebengemach, in das Zimmer meines seligen Mannes, ich will in deinem Interesse vor dem Essen mit dem Vater Cillys sprechen, nachdem diese mir rückhaltslos ihre Liehe zu dir —„ „Was — zu — mir — Eilly? —" „Schnell, schnell, Arno! Bcgieb dich in das Zimmer und komme nicht eher herein, als bis ich dich benachrichtige oder es dir durch Johann sagen lasse, aber dann tritt in den Salon durch die Flurthür, damit es nicht auffällt. Ich denke, bestimmt bei dem Baron zu reüssieren." Gerade hatte sich die Thür geschlossen hinter Arno, als der Baron von Lilienstern, ein kleiner patenter Herr, mit martialischem weißen Schnurrbart, das volle weiße Haupthaar jugendlich frisiert,