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Hohensteiner Tageblatt : 03.04.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189204037
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18920403
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18920403
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohensteiner Tageblatt
-
Jahr
1892
-
Monat
1892-04
- Tag 1892-04-03
-
Monat
1892-04
-
Jahr
1892
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 03.04.1892
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der Redaction der „KrcuzAHtfig^ gestanden hat, hätte eS ihm bestimmt nicht schwer fallen Äonen, mehr Mäßigung in die polemischen Leistungen der „Kreuzzeitung" zu bringen. War endlich die Stellung der covscrvariven Fraction zu dem Gesetz entwurf anbelangt, >o ist er eine ganz bekannte Thatsache, daß hinter der Rede des Herrn v. Buch wohl ein Mehrheitsbeschluß, aber nicht die Meinung der ganzen Fraction stand, daß auch von den conservativen Commissionsmitgliedern eine Anzahl nicht bereit war, den dem Ccntrum besonder« werthvollen Paragraphen zuzustimmen, und daß Herr v. Rauchhaupt dem selben Lager angehört. Dar hohe Maß von Unbefangenheit, mit welchem die „Kreuzzeitung' diese ihr ebenfalls genau be kannten Thatsachen als nicht existirend zu behandeln versucht, wird dem Vernehmen nach zu einer gründlichen Auseinander setzung in der Fraction führen, deren Ergebniß voraussichtlich für die weiteren Schicksale der conservativen Partei, die allem Anschein nach jetzt io den Anfängen der längst erwarteten Scheidungtproccsses steht, von wesentlicher Bedeutung sein wird." Berlin, 31. März. Die Absicht de« AntisklavereiauSschusseS, den Wißmann-Dampfcr auf dem Nyrssasee und eventuell nach den Tanganyika dringen zu lassen, hat, so weit ersichtlich, all gemeine Zustimmung gefunden, zumal am Nyassa jetzt deutsche Missionen thätig sind. Es ist bei diesen Betrachtungen nicht außer Acht zu lassen, daß durch die Errichtung von Posten am Nyassa die Wahehe und Mafiti besser beobachtet werden können. Man darf sich darüber keinen Einbildungen hingcben, daß die durch die Wahche drohende Gefahr nur vertagt ist; die Wahehe haben zwar keine weitere Stoßkraft im vorigen Jahre gezeigt, aber man muß abwarten, wie sich die Sache entwickelt, wenn die Zeit zum Bebauen der Lande« (Juni) vorüber ist. Der Gouverneur hat allerdings von dem Overhäuptliug der Wahehe die Mittheilung erhalten, daß der Ueberiall der Expe dition der Herrn v. Zalewski ohne seinen Willen geschehen sei. Abgesehen davon, daß auf solche Versicherung nicht viel zu geben ist, so würde an eine wirkliche Freundschaft der Ober- häuptlingS zu glauben sein, wenn eS gelungen wäre, die Ge wehre und Kanonen zurückzuerhalten. Dies ist aber nicht der Fall gewesen, vielmehr ist ein Theil der Gewehre unter der Hand in Tabora verkauft worden. Em anderes Moment, welches bedenklich stimmen kann, ist, daß die Dienstzeit fm die Zulu abläult und daß eS bis jetzt nicht gelungen ist, neue anzuwerben; auch auf die Sudanesen ist für die Zukunft nicht zu rechnen. ES sind dies Folgen der Expedition Zalewski, welche sich jetzt noch fühlbarer machen als zuerst. Man kann sitz nicht verhehlen, daß der Widerstand der Eingeborenen in ganz Afrika ein ungleich größerer geworden ist als früher. Auch der Congostaat hat an verschiedenen Punkten mit den Sklavenhändlern harte Kämpfe zu bestehen gehabt. Einmal ist durch die Bestallung des Capitäns Joubert zum Beamten des Congostaates am Tangany ka der Kampf gegen den Sklavenhandel eröffnet; dann aber haben auch ernste Kämpfe in der nordöstlichen Ecke der CongostaateS stattgefunden, um die Verbindung der au« dem Sudan nach Süden vordringen den Araber und der am Congo wohnenden zu verhindern. Der darüber in der „Jadäpendance" veröffentlichte Bericht läßt erkennen, daß die am Uölle wohnenden Sklavenjägcr allerdings eine große Niederlage crimen haben, welche einem Vernichtungsschlage gleichkommr, von dem sie sich so bald nicht wieder erholen werden. In den Zeitungen ist mehrfach von der Gründung einer deutschen Colonialgenossenschaft die Rede gewesen, welche in Westasrika und Südwcstafrika colonisiren will. Wir glauben, daß diese nicht über die ersten Anfänge hinauskommen wird. Es liegt auf Ser Hand, daß kein ernsthafter Colonialpolitikcr die Gründung einer Genossenschaft im Hinterlande v m Kamerun billigen kann, daß allerdings gesünder wie die Küste, aber sich doch keineswegs für den dauernden Aufenthalt von Europäern eignet. Gegenüber solchen Plänen ist die äußerste Vorsicht gevotcn, da bis jetzt noch nicht der Beweis erbracht ist, daß sich in äquatorialen Breiten die germanische Race ohne be ständigen Zuzug von der Heimath dauernd erhalten kann. Der Gedanke der Genossenschaften m Solidarhaflbarkeit auf Grund deS GenossenschaftSgesitz.-s von 1868 in den Colonien ist an und für sich nicht zu verwerfen, und die Engländer haben mehrere solcher Systeme auf Neu-Seeland mit Glück versucht, aber eS ist nicht zu vergessen, daß dort ganz andere klimatische Verhältnisse vorhanden sind. Wenn erst einmal genauere Untersuchungen dazu geführt haben, die Möglichkeit der An siedlung in gewissen Höhenlagen fcstzustcllen, so könnte man sich solcher Systeme gegenüber nicht mehr so ablehnend ver halten. Unter den jetzigen Verhältnissen wäre es indessen un verantwortlich, Leute zur Auswanderung nach Kamerun zu cr- muthigen. Die Unternehmer haben den besten Willen, sind aber leider wenig unterrichtet, wie sich dies auch deutlich bei der „Freiland'-Gründung des Dr. Hertza gezeigt hat, welcher am Kenia ein communistischcS Gemeinwesen gründen will und dafür eine Agitation eingeleitet hat. ES besteht bereits eine Anzahl Ortsgruppen dieses Vereins, aber die Grundlagen sind so romanhaft und phantastisch, daß cs schwer hält, die Vor schläge ernsthaft zu neymcn. Berlin, 1. April. Der Wechsel in dem Amte deS Staats- sccrctärs des Rcichr-Justizamts läßt den Fortgang der Arbeiten der Commission für das bürgerliche Gcsetzvuch völlig unberührt. Die Leitung Ler Arbeiten wird von dem stellvertretenden Vor sitzenden, G>h. Obcr-Justizralh Künzel, fortgcführt, der an der bisherigen Förderung der Arbeiten einen ganz hervorragenden Antheil hat. Die Commission wird nach einer kurzen Oster- Vertagung ihre Arbeiten bis zum Juli sortsetzen und dann erst wie im vorigen Jahre eine größere Pause bis zum Oc tober cintreten lassen. Der Plan, die Gesammtarbeilen inner halb zweier Jahre zum Abschluß zu bringen, wird vollständig durchgefühlt werden können. Das Inkrafttreten der Gewerbe-Oidnungs-Novelle hat den obersten Verwaltungsbehörden Anlag g«geben, die Land- räthe und Polizei-Verwalter au'zufordern, sich in Höherem Maße als bcsycr mit allen Vorgängen auf dem Gebiete der Gewrrbihäligk-ir innerhalb ihrer VerwaltungSkreise vertraut zu machen und sich zu diesem Berufe an den Besichtigungen industrieller Anlagen durch die Gcwerbe-Jnfpectoren zu be- iheiUgcn. Es ist daran die Hoffnung geknüpft, daß auf diese Weise gleichzeitig ein erfolgreicher Meinungsaustausch zwischen den Revisiontbeamten und den Verwaltungsbehörden über die industriellen Verhältnisse deS Bezirkes sich ergeben wird. Mittheilungen über die gesetzliche Regelung der Wcge- Gesetzgebung durch Erlaß von Wegeorduungcn für die einzelnen Provinzen werden als verfrüht bezeichnet. Die Angelegenheit befindet sich noch im Stadium der Eiwägungcn und die Ent scheidung ist noch durchaus Vorbehalten; indessen dürfte sie noch während der jetzigen LandtagSsitzung zu erwarten sein. Von der national-liberalen ReichStagrfraction ist folgen der telegraphischer Glückwunsch an den Fürsten Bismarck über mittelt worden: Seiner Durchlaucht dem Fürsten Bismarck - Fricdrichsruh! Dem großen Staatsmann und Patrioten, welcher zwei Jahrzehnte laug die Geschicke des unter Kaiser und Reich neugeeinigtcn deutsche» Vaterlandes zu dessen Ruhm und Heil leitete, senden zur heutigen Ge burtstagsfeier herzliche Glück- und Segenswünsche in dankbarer Ver- ehrung die nationalliberalen Mitglieder des Reichstages. I. A.: Dr. v. Marquardscn. Berlin, 2. April. Zu den Ersten, welche dem Fürsten BiSmarck ihre Glückwünsche zum Geburtstag darbrachten, ge- hörte der König von Sachsen, die Kaiserin Friedrich und der Prinz-Regent von Boyern. Persönlich brachte General Graf Waldersee, mehrere Hamburger Senatoren und der Bürger meister von Hamburg ihre Gratulation. Berlin, 2. April. Gestern Nacht gegen 2 Uhr hat es nach einer Notiz des „Loc.-Anz." vor der Kaserne des 3, Garde- regimenls zu Fuß in der Wrangclstraße wieder eine blutige Schießaffaire gegeben. Der Militärposten wurde von zwei Männern belästigt und wurde, als er ihnen dies untersagt, mit Thätlichkeiten bedroht. Auf die daraufhin erfolgende VerhaftS- erklärung wandten sich die Männer zur Flucht, die auch auf dreimaligen Anruf des Postens nicht eingestellt wurde. Der selbe feuerte und die Excedemcn brachen schwer verwundet zusammen. Der Eine har einen Schuß in den Unterleib er halten und wurde inS Krankenhaus gebracht, der Andere gleich in der Kaserne verbunden. FriedrichSruh, 1 April. Der dem Fürsten Bismarck zum Geburtstag dargcbrachte Fackelzug ist überaus großartig ver laufen und nahmen etwa 5000 Personen daran Theil; der Zug dauerte 1 Stunde. Während d-ff.lbcn stand der Fürst, Graf Herbert und Prof. Schweningcr — der Fürst behelmt und neben seiner Gattin — und ließ man den Zug an sich vorbei dcfiliren. Auf eine Ansprache Ruterns - Hamburg, welche mit einem Hoch auf den Fürsten endete, antwortete dieser, er schließe aus dieser niemals in solchem Maße ihm dargebrachten Ovation, daß seine Thätigkcit Beifall gefunden habe. „Wenn wir an dem Erreichten sesthalten, sind wir stark genug, uns zu wehren nach rechts und links. Wir hauen sie Alle in die Pianne, aber angreisen würden wir nicht." Das Wohlwollen seiner nachbarlichen Mitbürger, fuhr der Fürst fort, sei ihm werthvoller als alle Orden, die er erhalten. — Es sind ungefähr 5000 Telegramme, 500 eingeschrieben: Briefe und 200 Packete, sowie zahlreiche Briefe eingelaufcn. Oesterreich-Ungarn. Wien, 2. April. Wie die „Neue Fr. Pr." meldet, soll die Verlobung der Schwester des Herzogs Albrecht von Edm- burg, Marie, mit dem Kronprinzen von Rumänien zu Ostern statlfinden. Wien, 2. April. Dem „Extrabl." wird aus Rotterdam gemeldet, daß die große Branntweinbrennerei in Ciderlen voll kommen nlcdcrgebrannt sei. 50 Arbeiter konnten sich nur durch Fenstersprung retten, wobei eine große Zahl Verletzungen ein trat; einer der Arbeiter ist verbrannt. Der Schaden beläuft sich auf Millionen. Prcßburg, 2. April. Das hiesige Schiedsgericht ver- urtheilte den zweiten Rescrveo'ficicr der 9. Batterie wegen grober Mißhandlung seiner Untergebenen zu 4 Monaten Arrest. Schweiz. Turin, 2. April. Die letzten Ucberschwcmmungen haben insgesammt 7 Menschen das Leben gekostet. Das Wasser fällt; die Verbindung mit Mont-CeniS ist wieder hcrgestellt. Italien. Neapel, 2. April. Die gestrige Sitzung des hier statt findenden Anarchistenprocesses mußte wegen anlimonarchlscher Kundgebungen aus dem Zuhörerraum geschlossen werden. Der Sitzungssaal mußte durch die Polizei geräumt werden. AranLreich. Paris, 3l. März. Der Polizeipräfcct ließ heute Morgen den Kellner I'Hecault, der Navachols Aufenthalt angab, und die drei Schutzleute, die den Verbrecher festnahmcn, zu sich kommen und händigte dem erster« 1000, den letztero 500 Franken aus. Sie erhielten außerdem ehrende Anerkennungen. Wäre übrigens Ravachol nicht in der Wirthschast am Boulevard Magenta gefaßt worden, so hätte man ihn später in der Rue des Trors Bornes, im Bureau deS Journal Proletaire, fest- gcnommcn, wohin er sich, wie die Polizei erfahren hatte, vom Boulevard Magenta aus begeben wollte und wo 20 Schutz leute ihn erwarteten. Ravachol sitzt m der Conciergerie, hat aber dem Untersuchungsrichter erklärt, erst morgen Geständnisse machen zu wollen. Er hat bereits zugegeben, den Einsiedler von Chambly ermordet zu haben, behauptet aber, an den Dynamit- Verbrechen nicht bctheiligt zu sein. In St Denis haben in den Wohnungen der Verhafteten Chaumartin und Bealat heute Morgen wieder Haussuchungen stattgesunden. Der Anarchist Delannoy wu'de unter dem Verdacht, den Tyaamitdiebstahl in AveSnes begangen zu haben, verhaktet. Der Proceß gegen Ravachol und Genossen wird in 14 Tagen vor das Schwurge richt kommen. Paris, 2. April. In der gegen Ravachol gc'ührten Untersuchung wurde festgestellt, daß der Angeklagte keinerlei technische Kenntnisse besitze, trotzdem aber Explosivstoffe erfunden hat, die stärker und gefährlicher wirkcen, als alles bisher be kannte. Ravachol verstand sogar Schießbaumwolle zu fabriciren. Paris, 2. April. 500 in der staatlichen Waffenfabrlk zu Tülle beschäftigte Arbeiter sollen zum 1. Mai entlassen werden. Die Kündigung ist bereits erfolgt. Spanien. Madrid, 2. April. Die Regierung ordnete die Aus weisung sämmtticher ausländischen Anarchisten an und wurden infolgedessen im Laufe des heutigen Tages 12 französische, 2 deutsche, 2 östcrreichlsche und 5 italienische Anarchisten an die Grenze gebracht. San Sebastian, 2 April. Gestern hat in Nordspanicn heftiges Schnecwettcr stattgefuodcn. Es war unmöglich, die regelrechte Verbindung der Bahnzüge aufrecht zu erhalten. Rutzlanv. Petersburg, 1. April. Hier waren Gerüchte verbreitet, daß Minister v. Giers gestorben sei; diese Gerüchte sind nach zuverlässiger Auskunft unbegründet. Man nimmt vielmehr an, daß der Zustand des Ministers zu keinen weiteren Besorg nissen Anlaß gebe. Die Kräfte des Patienten haben zuge nommen, das Allgemeinbefinden hat sich erheblich gebessert. Vermischtes Der soeben eingetroffene North China Herald vom 19. Februar schildert in einem packenden Bericht, wie es den fast übermenschlichen Anstrengungen deS 2. Steuermannes deS deut ¬ schen Dampfers „Alwine Scyd", Herrn Hertzog, gelang, unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen und im Kampf« mit der Wuth der Elemente einer großen Anzahl gefährdeter Menschen das Leben zu retten. Der auf Tschefn vom 11. Fe bruar datirte Bericht geht zunächst auf den Untergang deS Dampfers „Marie" und auf die verschiedenen Versuche, ihn wieder flott zu machen, ein und fährt dann fori: „Am Sonn tag (7. d.) begab sich der erste Maschinist der „Marie", Frei tag, begleitet von 14 chinesischen Arbeitern an Bord des bei niedrigem Wafferstand aus den Fluthen hervorragenden Wrackes, um die Arbeit an den Pumpen fortzusetzen. Die „Alwine Scyd" lag nur einige Kabellängen w.'iter östlich vor Anker. In den späteren Nachmittagsstunden wurde der Wind immer stärker und die See stieg so bedeutend, daß daS Pampen ein gestellt werden und die Arbeiter sich vor den schweren Sturz wellen in die Takelage flüchten mußten. Die gefährliche Lage wurde aui der „Alwine Scyd" bald wahrgcnommen und ein Rettungsboot, bemannt von dem zweiten Steuermann Hertzog, dem ersten Maschinisten und drei Chinesen stieß ab, um den auf dem Wrack der „Marie" befindlichen Personen Hilfe zu bringen. Nachdem sie eine kurze Strecke vorwärts gekommen, versagte den Chinisen die Kcafi, und sie zogen die Ruder ein. Dec Wind, zu dem sich ein blendendes Schneetreiben gesellt halte, war inzwischen zum Ockan angewachfen und trieb mit dem Boot und all' seinen Insassen sein Spiel. Die Kälte wurde immer grimmiger und die S:e immer höher und wilder, dazu rückte die Nacht immer näher, als das Boot in einem unglücklichen Augenblick kenterte und seine ganze Besatzung sich plötzlich in den eisigen Fluthen befand. Der Schreck raubte lndcß den beiden Europäern nicht ihre Be sinnung. Unterpützt von dem ersten Maschinisten R'ppe,. unternahm Hertzog den Versuch, die Chinesen zu retten. Sie fcbwammen mu zweien — der dritte hatte bereits ein nasses Grab gefunden — bis nach dem Bug des umgeschlagcnen Bootes, welches ihnen einen Halt gewährte. Nach unendlicher Mühe gelang es ihnen, das Boot wieder flott zu machen und darin Platz zu nehmen. Wind und Wellen trieben es bis nahe an die Küste, wo es jedoch in der Brandung aufs neue umschlug. Und jetzt war die Gelegenheit gekommen, wo der Heldenmuih und dce Selbstverleugnung Hertzogs sich glänzend- bewährten. Obwohl kein starker Mann, lud er Rippe, der allzusehr erschöpft war, um noch einen Schritt gehen zu kön nen, aus seine Schulter und trug denselben inmitten deS' blendenden Schneesturms an den Strand und noch weiter, bis er schließlich eine kleine chinesische Wirlhschakt erreichte und seine Last daselbst nicdcrlegte. Von zehn Männern in seiner Lage würden jetzt neun ihre Kameraden ihrem Schick sale überlassen und Gott kniefällig gedankt Haven, daß er sie so wunderbar gerettet. Nch: so Hertzog. Em kleines Kerlchen, welches die eiste Reise auf seinem Schiffe machte, besaß derselbe doch das Herz des heiligen Christophorus. Ec ging in die Brandung zurück und trug nach einander auch die beiden Chinesen, welche mehr todt als lebendig waren, auf seinem Rücken in das WmhShaus, wo derselbe em Feuer entzündete, die erfrorenen Körper entkleidete und durch heftiges Frottiren ins Leben zurückrief. Nachdem ihm dies gelungen, kam ihm der Gednnke an die bedrohten Meu chen auf der „Maric" und trieb ihn, so erfroren und erschöpft :r selbst war, aufs Neue in die Nacht und den Sturm hinaus, um auf unbekannten Pfaden nach Tschefu zu eilen und von. dort den gefährdeten Personen auf der „Marie" Rettung zu bringen. Nachdem er mehrere Meilen gewandert, versagte aber auch ihm die Kraft. Er fiel in den Schnee und blieb- dort mehrere Stunden bewußtlos liegen, bis am Morgen ein barmherziger chinesischer Samariter des Weges kam, ihn aus seinen Maulesel setzte und nach Tschesu brachie, wo er am Montag Nachmittag »m 2 Uhr eintraf. Sein Hcldenmuth war nicht vergebens gewesen. Eine Stunde fpätcr ging ein ZollameSboot nach dem Wrack der „Maric" in See, wo seiner ein gräßlicher Anblick wartete. In der Takelage befanden sich scstgebundene 8 Chinesen, deren Körper vollständig von einer Eisschicht bedeckt waren. Kein Laut wurde vernommen, und schon glaubte die Bemannung deS Rettungsbootes zu spät ge kommen zu sein, als der erste Maschinist der „Marie", Frei tag, und 6 chinesische Arbeiter aus einem kleinem Verschlage, in dem sie Zuflucht gesucht, halbtodt an Deck erschienen. Mir Hilfe warmer Decken und einiger Flaschen Brandy gelang eS, ihre schwachen Lebensgeister wieder aufzufrischen. Am Lande nahmen sich ihrer später der deutsche Consul in Tschefu, vr. Schramcicr, und Ov. v. Tungelmann aus das beste an. Paris, 31. März Pans schwimmt in Freude: Ravachol, nicht kein salscher, wie Spötter zuerst meinten, sondern der wirkliche und wahrhaftige, sitzt in festem Gewahrsam. Er, den, seine Kameraden als sehr schweigsam und mißtrauisch schildern, ist nicht der Polizei in die Schlinge gegangen, sondern hat sich durch seine Zunge selbst die Grube gegraben. Sonntag Morgen gegen 10 Uhr kam ein ganz schwarz gekleideter Mann in ein Restaurant des Boulevard Magenta und ließ sich ein Frühstück geben. Während er aß, fing der Kellner, Jules Lheraull, ein Schwager des Wirths, von seinen Dienstjahrcn im 4. Zuavcn Regimente zu erzählen an, von den yartcn Märschen bei der Hitze und der eisernen DiSciplin. Der Gast hörte eine Weile zu und erklärte dann, das seien alles Spuren einer alten Barbarei, die durch andere Revolutionen, als wie die Bourgeoisie sie bisher fertig brachten, weggefegt werden müßten. Aus den rauchenden Trümmern, die wir schaffen werden, wird dann eine bessere, schönere und gerechtere Gesell schaft erstehen. Eben ist wieder ein Haus in die Lust ge sprungen," sctzte der Unbekannte hinzu. Um jene Stunde wußte im Viertel der Place de la Republique noch N e- mand, waS sich in der Rue de Clichy zugetragen hatte. Der Gast konnte aber olle Emz lheitcn erzählen und erwähnte mit sichtlicher Genugthuung, daß ei» StaatSanwalts-Substitut in dem Hause wohnte. Auf die Frage, ob er denn selbst ein Anarchist sei, bekannte er sich laut und stolz dazu und suchte sogleich den Kellner sür seine Umsturzidecn zu gewinnen. Er fragte diesen auch, ob er ganz allein in dem Restaurant schlafe, erhielt aber nur ausweichenden Bescheid. Beim Zahlen seiner Zeche gab er nicht dos übliche Trinkgeld. „Wir sink nicht reich in unserer Partei", sagte er entschuldigend, und bat dann, daß man ihm einen umfangreichen Fahrplan der französischen Eisenbahnen aushebe, bis er wiedeikomme. Gestern, kurz nach 11 Uhr, kam er wieder, sehr gut gekleidet und diesmal mit einem Cylinderhut, der manchen Bourgeois beschämt hätte. Er war mehr in sich gekehrt als am Sonntag, und setzte sich, nachdem er sich ein Frühstück bestellt hatte, zum Lesen hin. Er nahm zwei Zeitungen durch und schien sich in einer für das Signale ment Ravachol'S außerordentlich zu interessireo. AuchLhörault und sein Schwager Vecy, der Wirth, hatten es genau studirt und sahen sich nun den lesenden Gast aufmerksam an. Der lange Fuß und die langen Arme paßten, die stechend schwarzen
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