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X? 96, 2«, April 1930, Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d.Dtschn.Buchhandel. kann nicht an den Büchern von Vierkandt (»Staat und Gesellschaft in der Gegenwart«) oder Max Weber »Politik als Beruf« oder Bergsträssers »Geschichte der politischen Parteien« Vorbeigehen, er möge sich dazu etnstcllen wie er will. Der Volkswirt wird Karl Büchers, Sombarts, Obsts leichteste Werke nicht missen wollen, die Arbeiterfrage vertritt Herkners klassisches Buch — und so fort. Die Büchercharakteristiken sind oft 10 bis 15 Zeilen lang (Preis 2 NM.). — Als zweites Gesamtverzeichnis nenne ich den Literaturführer, den die Volksbücherei-Beratungsstelle für Pommern 1929 unter dem bescheidenen und nichtssagenden Titel »Pommersche Landes wanderbücherei« herausgab (Preis 3 RM., zu beziehen durch die Stadtbücherei Stettin). Ich nenne dieses Verzeichnis wahrlich nicht aus Lokalpatriotismus — kenn ich bin kein Pommer —, auch nicht aus Spezialistentum, sondern, weil in diesem schön gedruckten, dicken Buch von 435 Seiten ein Schatz lebendiger BUcherkenntnis erschlossen ist. Alle Gebiete der Wissenschaft und des Lebens sind darin berücksichtigt: Geopolitik, Wirtschaft, Gesellschaft, Religion, Landeskunde, Psychologie, Menschenkunde, Gartenbau, Volkskunde u. dgl. Der Wert des Literaturführers ließe sich in jeder der hundert und mehr Büchergruppen aufzeigen. Zum Schluß sind, so gar Romane und Erzählungen nach Stoffgruppen aufgefllhrt. Ich wüßte kaum einen Literaturführer zu nennen, der schier alle Wissensgebiete berücksichtigt, ohne durch seine Fülle zu erdrücken. In oer Beschränkung zeigt sich auch für den Buchberater der Meister. Ein neues Weltbild entsteht. Rastlos arbeitet der menschliche Geist an der Umgestaltung der Natur und der Menschenwelt. Der Büchermarkt will dieser größten aller Weltkrisen in allen seinen Zweigen gerecht werden, es sei auf diese oder jene Weise. Doppelte Beschränkung auf das Wesentliche tut not, und wenn es der Bücher markt der Technik ist, der wir diese ganze äußere Umwandlung verdanken. So können wir nicht unterlassen, die technischen Kata loge zu nennen, die die Zentrale für volkstümliches Büchereiwesen für angehende Techniker, Handwerker, Gewerbetreibende heraus gegeben hat unter Mitarbeit von Fachleuten mit der richtigen Leser kenntnis. Der mit erläuternden Bemerkungen versehene Literatur- fllhrer hat den Titel »Technik, Handwerk, Gewerbe« 1920 (Preis 1.30 NM). 1926 ist ein »Nachtrag« erschienen (Preis 65 Pfg.). An neueren technischen Verzeichnissen wären u. a. zu nennen: »Bücherverzeichnis Technik« der Stadt bücherei Zwickau i. Sa. (1928, 152 Seiten) und vor allem das ganz vortreffliche, ausführlich besprechende Verzeichnis »Technische Literatur für Volksbüchereien und Berufsschulbüchereien« (Ver lag »Bücherei und Bildungspslege«, Stettin 1930, 93 Seiten). — Nicht so leicht veraltet die Literatur auf naturkundlichem Gebiete, weil hier die Wissenschaft nur langsam über die bereits im 19. Jahrhundert gewonnenen Grundlagen und ihre Auswirkung in der Technik hinauskommt. Deshalb kann der Leser ruhig das besprechende Bücherverzeichnis zu Rate ziehen, das die Zentrale für volkstümliches Büchereiwesen unter dem Titel »Naturwissenschaft« 1920 in 2. Auflage heraus gab (Preis 80 Pfg., 120 S.). Anders zeigt sich der Wandel des Weltbildes in der Umge staltung der Erdoberfläche durch den Menschen, von der ein Bild erd- und völkerkundliche Werke, vor allem Reisebeschreibungen ver schaffen. Wir haben gerade aus den letzten Jahren drei Volks büchereikataloge zu nennen, die das Bild der Erbe in den besten lebendigen Reisebeschreibungen, in erdkundlichen und geopolitischen Werken sesthalten und breitere Schichten der Leser besonders inter essieren werden: Der von der Stadtbücherei Stettin herausgegebene Katalog »Ferne Länder« (Preis 1 NM.) behandelt die besten Neisebeschreibungen aller außereuropäischen Länder; er bietet die Bücher innerhalb des Erdteils in alphabetischer Folge, verzichtet also auf Gruppierung, bespricht aber die einzelnen Bücher ganz ausführlich und sorgfältig, oft halbe Seiten lang. — Eine gute Er gänzung dazu ist der von der Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen in Leipzig 1927 herausgegebene Literatursllhrer »D i e Welt um Deutschland« .(Preis 2 RM.). Er schließt die Reisebeschreibungen aus und faßt sämtliche wissenschaftlichen Werke über fremde Erdteile und Völker in besprechender und gruppieren der Art zusammen, legt besonders Wert auf geopolitische Werke, dient zur Orientierung für den interessierten Leser über die Wirt schaft, die Nationalitätenfrage, die Staatsverhältnisse der außer europäischen Länder und Völker. — Der dritte Literatursllhrer, den ich auf dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde nenne, ist das Bücherverzeichnis »Die Länder und Völker der Erde«, das 1929 die Stadtbücherei Spandau zum Preis von 1 RM herausgab. Im Unterschiede zu den beiden länderkundlichen Kata logen sind in diesem Literaturführer sowohl Reisebeschreibungen wie erdkundliche und völkerkundliche Werke zusammengefaht, kurz ihrem 390 Inhalte nach gekennzeichnet. Besonders charakteristisch ist für diesen Katalog die Gruppierung der Bücher nach Gesichtspunkten, die sofort eine Vorstellung von den wichtigsten Problemen der Länder geben. Alle Erdteile sind in diesem Katalog berücksichtigt außer Europa. — Uber Europa selbst gibt es noch keinen Literaturführer. Aber über Deutschland. Dieser Katalog heißt »Deutsches Land und Volk« und wurde 1928 herausgegeben von der Zentralstelle für volks tümliches Bllchereiwesen in Leipzig für 2 NM. Hier braucht der Leser nicht in die Ferne zu schweifen — das Gute liegt so nah; er findet schöne Bilderwerkc, Reiseschilderungen, Volkskundewerke über seine Heimat und sein Vaterland, das Beste vom Besten. Die Literatur über das neue Kunst wollen unserer Zeit hat ihren Niederschlag gewonnen in einem Bücherverzeichnis, das ebenfalls die Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen unter dem Titel »Die Kunst unserer Zeit« 1929 herausgab (112 Seiten, Preis 2 RM.). Alle Zweige der Kunstbetätigung unserer Zeit, selbst Bühne und Tanz, Film und Photo, sind in diesem Literaturführer berücksichtigt, selbstverständlich nur in ihren typischen Vertretern und charakteristischen Werken. Das gesamte, noch vielfach ungeklärte Kunstwollen unserer Zeit, weit mehr eine Gegenbewegung gegen den Expressionismus als Expressionismus selbst, ist hier wörtlich »zur Anschauung« gebracht nach dem Grund satz »vor dem Reflektieren über die Kunst soll die Anschauung und das Erleben stehen«. An der Spitze steht als stärkste und über zeugendste Kunstleistung unserer Zeit die Architektur zunächst mit Bilderbüchern und Darstellungen vom neuen Bauschaffen in Deutsch land, Holland, Nordamerika, Frankreich; es folgen die führenden Architekten, dann die Bücher über Ziele und Aufgaben des neuen Bauwesens. So geht es fort, durch Malerei und Graphik, Plastik, Photo, Film, Dichtung, Musik. Im Abschnitt »Theater und Tanz« ist besonders das Verhältnis des Theaters zur bildenden Kunst berücksichtigt. Eine wertvolle Ergänzung zu dem Literaturftthrer »Die Kunst unserer Zeit« ist der Katalog »M e i st e r d e r M u s t k«, der gleich falls von der Deutschen Zentralstelle für volkstümliches Bllcherei wesen in Leipzig 1928 für den Preis von 1.50 RM herausgegeben ist. »Meister der Musik«, damit sind die deutschen Klassiker der Musik gemeint, von Heinrich Schlitz, der ersten großen Musiker persönlichkeit vor Bach, bis zu Max Reger. Uber alle diese Musiker finden sich in diesem Kataloge Biographien, Briefe, Werkerläute- rungen u. dgl. Alles genau beschrieben, die einführenden Werke von den schwerer lesbaren unterschieden. An Hand dieses Kataloges kann man die große deutsche Musikentwicklung überschauen, die — merkwürdig genug! — Deutschlands Ruhm als Kulturnation in der Welt begründet hat, obwohl das deutsche Volk als solches keineswegs zu den begabtesten musikalischen Völkern rechnet, wie die Slawen beweisen, aus deren Mitte denn auch nicht zufällig die Mehrzahl der Schöpfer der modernen, atonalen Musik stammt (um nur Namen wie z. B. Bartok, Strawinsky, Prokofjew, Krenek zu nennen). Diese sind übrigens berücksichtigt in dem bereits genannten Literaturführer »Die Kunst unserer Zeit« sowie in dem noch allerlei andere musikwissenschaftliche Werke enthaltenden Katalog, den die Stadtbibliothek Berlin unter dem Titel »M u s i k l i t e r a tu r« (übrigens mehr für Fachleute) zum Preise von 2 RM 1929 herausgab. Dieser enthält ausführliche Besprechungen. Zum Schluß nenne ich für den Freund von Lebensbeschreibun gen, Biographien, Memoiren u. dgl. den Literaturführer, den die Stadtbücherei Spandau 1926 unter dem Titel »Mensch und Welt« (227 S., Preis 2 NM.) herausgab. Es finden sich darin: Kindheits- und Jugenderinnerungen, Frauenleben, Arbeiterleben, Selbstbiographien, Biographien Uber Dichter, Staatsmänner, Künst ler, Erzieher, religiöse Persönlichkeiten, Arzte, Naturforscher und Techniker. Der Literaturführer ist ein Gang durch die Weltgeschichte des Individuums und dient dem Verständnis menschlicher Charak tere und Schicksale. — Literaturführer für die Schöne Litera tur sind in den meisten der genannten Kataloge enthalten. Einen besonderen gab unter anderen die bereits mehrfach genannte Zen tralstelle für volkstümliches Büchereiwesen in Leipzig heraus. Um auf den Anfang zurückzukommen: Auch Literaturführer wie die genannten lassen dem Zufall genug Spielraum. Bücherzu sammenstellungen gelten nur immer für bestimmte Leserkreise: »Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann«. Gottlob, daß es so ist, daß dem Menschlichen noch Spielraum bleibt in einer Welt der Mechanisierung, daß es noch persönliche Ratschläge gibt. Mag der eine oder der andere Referent unserer Bücherführer geirrt haben: Jedem bleibt es überlassen, das Buch abzulehnen! Auseinandersetzung mit dem Fernerstehenden, nicht Wahlverwandten tut immer gut; zu fordern ist nur, daß es sich um eine wider sprechende Meinung handelt, die ernste Auseinandersetzung lohnt.