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ViMaM Nr. 162 (R. 83). Leipzig, Donnerstag den 16. Juli 1931. 98. Jahrgang. Redaktioneller Tnl» Zur Wirtschaftslage. Von Prof. 2r. G. Menz. sTas Eingreifen Hooncrs. — Konjunkturberichte. — Buchge werbe und Buchhandel. — Ein Ausruf des Hansa-Bundes.j Es muß als eins der grausamsten Paradoxe der Weltge schichte erscheinen, daß ausgerechnet der Zusammenbruch der Danat-Bank das erste Ereignis ist, das der Chronist nach dem doch zu Deutschlands Rettung erfolgten Eingreisen Hoovers zu verbuchen hat. Die ganze abgrundtiefe Schwierigkeit der Lage Deutschlands kommt darin zum Ausdruck. Trotzdem wird man gut tun, sich den Blick dadurch nicht zu einseitig bannen zu lassen. Gewiß ist diese Not im Augenblick die brennendste. Sie droht alles andere zu überschreien. An dieser Stelle aber im einzelnen näher darauf cinzugehen, wäre abwegig. Die Stöße dieses wirt schaftlichen Erdbebens folgen sich viel zu rasch, die Wendungen wechseln von Tag zu Tag viel zu überraschend, als daß ein Monatsbericht damit Schritt zu halten vermöchte. Wichtiger ist aber eben auch, die größeren Zusammenhänge dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Schließlich bleibt das ja doch der Rah men, in dem sich unser Schicksal gestalten muß und in dem alles Einzelgeschehen letzten Endes nur als Episode zu gelten hat, so gewaltig und überragend es im Augenblick erscheinen mag. Das gilt selbst für die Hoovcr-Aktion. Sic darf man weder über- noch unterschätzen. Ihre Bedeutung wird am besten aus ihrer Geschichte verständlich, über die inzwischen genug bekannt ge worden ist, um die Zusammenhänge überschauen zu können. Man wird sich erinnern, daß noch gelegentlich der Internationalen Handelskammer-Tagung, die dieses Jahr in Amerika stattfand, Verlautbarungen ersolgten, die unmißverständlich die grundsätz liche Abneigung Hoovers zu erkennen gaben, sich an den Nöten Europas irgendwie zu interessieren. Den Umschwung leiteten die Reise des Botschafters Sackett Anfang Mai von Berlin nach Washington und seine Berichte dort ein. Auf die Bedeutung dieses Ereignisses haben wir seinerzeit hier sofort hingewiesen. Ungefähr gleichzeitig kam die Einladung nach Chequers. Hier machten wir vor 4 Wochen auf die Beziehungen dieses Ereig nisses zur Abrüstungsfrage aufmerksam. Die Verlautbarungen, die inzwischen sowohl von fetten Hoovers wie der englischen Re gierung erfolgt sind, bestätigen diese Zusammenhänge, in denen doch wohl der Schlüssel vom Ganzen liegt. Die Kreise sind aber noch weiter zu ziehen. Es ist unverkennbar, daß Frankreich mit allen Mitteln bestrebt ist, sich seine Einwilligung zu irgend welcher Abrüstung mit Zugeständnissen bezahlen zu lassen, die seine »Sicherheit», will sagen seine Vormachtstellung in Europa endgültig befestigen. Hier hält Briand seinen Paneuropaplan bereit, der namentlich England, wohl aber auch Amerika mit dem Hinweis schmackhaft gemacht werden sollte, daß mit seiner Annahme der Aufschwung der Weltwirtschaft einsetzen würde. Früher sprach man nur von internationalen Kartellen. Das ist aber wohl aufgegebcn. England und Amerika leiden nicht weniger als Deutschland unter der Arbeitslosigkeit, die der sicht barste Ausdruck der Weltwirtschaftsstörung ist. Beide haben zu nächst mit Valorisationsexperimenten (Zinn, Gummi, Kaffee, Kupfer, Weizen) die Krise meistern wollen. Daß dieser Weg aus sichtslos ist, dürfte inzwischen allgemein und endgültig einge sehen worden sein. Hier scheitert schon alles an Sowjetrußland. Die verfehlten Versuche haben nur die Lage verschärft, weil in ihrem Gefolge die Gefahr des Zusammenbruchs an weiteren Stellen der Weltwirtschaft (namentlich in Südamerika) hinzu kam und sich bedrohlich steigerte. Insbesondere verringerte sich auch die Zeit für das Zuwarten auf eine mögliche Lösung in Europa. An sich hätten also England wie Amerika jetzt schon ein Interesse an der Betreibung von Gedanken, wie sie Briand andeutete, freilich ohne Frankreichs Vormachtsgelüste anerkennen zu wollen. Bon englischer Seite ist durch den Leiter der Bank von England Montague Norman deshalb ein anderes Projekt ausgearbeitet. Vorläufig konnte man sich indessen nicht einigen. Die Franzosen lehnen den Norman-Plan ab. Der Briand-Plan fand in Genf ebenfalls Ablehnung. Der deutsche Vorstoß mit der Zollunion, der die Dinge hätte in Gang bringen können, stieß auf offene Gegnerschaft in Frankreich, das sich die Führung nicht aus der Hand nehmen lassen will und durch dilatorische Behandlung der ganzen Angelegenheit die Zeit von selbst für seine Ziele reif werden lassen möchte. Angesichts der Anzeichen für die wachsende Intimität zwischen Berlin, London und Washington und die zunehmende Aktivität der Angelsachsen holte Frankreich aber auch zum Gegenstoß aus. Erste Gelegenheit da zu brachte der Zusammenbruch der Wiener Kreditanstalt. Frei lich riefen die Forderungen Frankreichs nur England offen aus den Plan. Nun kam Deutschland an die Reihe. Daß es auf Tributrcvision in irgendeiner Form hinausstreben mußte, und zwar noch in diesem Sommer, konnte nicht verborgen bleiben. Es genügte also der Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit eines Uvung-Moratoriums, um die Abziehungen der kurzfristigen Kredite aus Deutschland in Gang zu bringen. Später sorgte der »Matin» dafür, daß das Gerücht von dem drohenden Zusammen bruch der Danat-Bank in Umlauf kam; mit welchem Erfolg schließlich, ist bekannt. Weiter mitgeholfen hat insbesondere der Zusammenbruch der Norddeutschen Wollkämmerei mit den an schließenden Angriffen auf das deutsche Unternehmertum. Daß beim in Sicht kommen der Moratoriumsfrage der Abzug der kurzfristigen Kredite unter allen Umständen einsetzen würde, war vorauszusehen. Deswegen hat man ja den Moratoriumsmecha nismus unsererseits nicht in Gang bringen wollen. Umgekehrt hat Frankreich gerade darauf von vornherein so großen Wert gelegt und sich jetzt entsprechend verhalten, weil eine Mora toriumspanik mit all ihrer Nervenanspannung am ehesten ver sprechen kann, Deutschland für französische Wünsche reif zu machen. Binnen zwei Monaten hat Deutschland rund zwei Mil liarden verloren. Daß eine derartige Blutabzapfung auch der stärksten Volkswirtschaft ans Leben geht, ist klar. Die inneren Schwierigkeiten sind dabei nicht das einzige. Um die zwoi Mil liarden ist auch Deutschlands Kaufkraft in der Welt geschwächt. Am endgültigen Zusammenbruch Deutschlands hinge aber zwangsläufig auch derjenige der amerikanischen Rohstoffliefe ranten, mit anderen Worten ein Weltkrach. Diese Perspektive hat das Eingreifen Hoovers erzwungen. Das Schuldenfeierjahr ist aber doch nur eine Atempause. So ist nur ver hindert, daß es schon über den Schuldenzahlungen beim Ausbleiben unserer Tribute zu Konflikten unter den Beteiligten käme, was nur zu nahe läge, da Frankreich allenfalls seinen Verpflichtungen gegen Amerika Nachkommen könnte, nicht aber England, Italien u. a. Dahinter lauerte also eine französisch- amerikanische Weltherrschaft, die aber nur auf den Trümmern der Weltwirtschaft zu errichten wäre und namentlich für Eng land natürlich untragbar ist. Solidarisches Vorgehen unsrer 673