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Redaktioneller Teil. 302, 31. Dezember 1914. nach dem Kriege ebenso habsüchtig, kleinlich und engherzig geblie ben sind, wie sie vorher waren, ihre geistige Blöße mit einem schwarz-weiß-roten Lappen verhüllen und laut »Hoch Vaterland« schreien. Sie werden sich sür besser halten, als die, die ein neues Deutschland schaffen werden. Die geistige Situation nach dem Kriege wird durch zwei Fra gen bestimmt werden. Erstens: haben wir neue Aufgaben in der Welt draußen zu erfüllen, und zweitens: haben wir dann die Kraft, eine Kultur zu schaffen, die den Völkern, die uns »Barbaren« nennen, wirklich überlegen ist? Beide Dinge stehen in Wechsel wirkung. Haben wir große Aufgaben in der Welt, so zwingen sie unsere Kultur zu einer inneren Geschlossenheit und uns zu ver stärkter Arbeit daran. Damit ergeben sich für den Buchhandel allerlei geschäftlich erfreuliche Aussichten. Welche Aufgaben erwachsen uns innerhalb der Weltkultur durch einen Krieg mit gutem Ausgang? Fern aller politischen Kannegießerei möchte ich sie andeuten. Es stünde uns bevor: eine enge Gemeinschaft mit Österreich-Ungarn, eine nähere kul turelle Verbindung mit den skandinavischen Stammesgenossen, den Holländern und Vlämen, und auch Frankreich wird uns nahe kommen, denn es kann sich nur erneuern mittelst seiner nordfran zösischen und burgundischen Bestandteile, die beide von der ger manischen Rasse stark durchsetzt sind. Weittragender aber als ein verstärkter Einfluß auf europäische Völker ist die Möglichkeit, manches Kleinliche der deutschen Charaktcranlage abzustreifen durch Aufgaben und Leben in Ländern mit anderen klimatischen Bedingungen. Ich habe seit einer Reihe von Jahren mich fleißig auf Rei sen im Auslande umgesehen, um mir über unsere kulturellen Mög lichkeiten als Volk klar zu werden. Es gehört z. B. zu der Art, wie ich meinen Beruf auffasse, daß ich, ehe ich die isländischen Sagas verlege, zuvor selbst nach Island fahre, mich dort aufs Pferd setze, um Leute und Land kennen zu lernen und so dem alten Wikingertum näherzukommen. So habe ich nicht nur Belgien, Holland, Dänemark, Schweden und Nor wegen auf Reisen genauer studiert, sondern auch die Slawen und den Orient. Als ich vor zwei Jahren von Belgrad über Orsowa die Donau hinunter nach Ru mänien fuhr, empfand ich sehr stark, daß die Donau unser deutscher Strom der Zukunft ist, und es wurde mir zur Gewißheit an den Küsten des Schwarzen Meeres, der russischen und auch der klein asiatischen türkischen. Ja, selbst im Kaukasus empfand ich es in mitten der dortigen schwäbischen Kolonisten: hier an der Slldküste des Schwarzen Meeres wird sich zunächst die einstige Hohen staufen-Sehnsucht des deutschen Volkes erfüllen. Ein zweites Deutschland, ein neues geistiges Griechentum unter südlichem Himmel wird hier auf dem alten Boden Groß-Griechenlands ent stehen. Wir zu Hause ahnen gar nicht, wie leicht man am Pontus Euxinus mit unserer Muttersprache durchkommt. Trotzdem die Touristen so gut wie ganz fehlen, sprach beispielsweise auf stock russischen Schiffen ein Drittel der Passagiere der 1. Klasse deutsch, Engländer und Franzosen waren überhaupt nicht zu sehen. Wie weit Islam und jene vergeistigte Art des Protestantismus, zu der wir in der Zukunft hoffentlich kommen und für die ich arbeite, nahe Berührung haben, will ich hier nicht ausführen, aber das ist sicher, daß das russische Kirchentum uns ferner steht als die rit terlich-vornehme Ethik des Mohammedaners. Ich sage dies alles nur, um den Verdacht abzuwehren, daß ich phantasiere, wenn ich beharipte: Den eigentlichen kultnrellen End- crfolg des Weltkrieges bilden als eine Art rückläufige Bewegung früherer Völkerver schiebungen die kulturellen Aufgaben des Germanentums am Schwarzen Meer und in Kleinasicn, ja bis zu all den Völkern Asiens hin, die arisches Blut in sich haben. Erst durch eine neue Berührung von Orient und Germanentum kommen wir zur eigentlichen Entfaltung unserer idealistischen Anlagen. Wir wurden zu geschäftig, zu betriebsam, zu materiell, wir brauchen die große Weite des Orients, sein herrliches Klima zur Entfaltung innerer Beschaulichkeit. Man kann Wohl annehmen, daß der Deutsche nach dem Kriege .mit größerem Selbstbewußtsein unter anderen Völkern lebt. Ich! 1822 verstehe darunter nicht jene Arroganz, die zu absprechendem Urteil anderer Sitten führt, weil es bei uns anders sei, sondern die äußere Form stolzer Haltung, die irur dann zu Recht besteht, wenn der innere Mensch das Anrecht darauf hat. In dieser Beziehung müssen wir uns grundsätzlich von den Engländern unterscheiden. So wird auch an die Deutschen Nordamerikas die Forderung her antreten, aus ihrem Vereinsstumpfsinn mit Kartenspiel, Kegeln und Biertrinken aufzuwachen. Und es werden ihnen Führer er stehen, sobald wir selbst in Deutschland die inneren Grundlagen einer deutschen Weltkultur schaffen. Was soll aber in Deutschland dafür geschehen? Wir haben eine Warnungstafel der Geschichte vor uns stehen. Nach 1813 eine Reaktion schlimmster Art, nach 1870 Materialismus und Strebertum. Wir entrüsten uns über den glatten Geschäftsstand punkt der Engländer. Aber machen wir uns auch klar, daß wir auf der Linie waren, uns in derselben Richtung zu entwickeln? Mit einemmal wird jedes Fremdwort verdeutscht! Wamm haben genau dieselben Leute nicht schon früher dafür geschwärmt? Jetzt wollen sie jedes Fremdwort durch Übersetzung abschaffen. Wissen sie nicht, daß nur schöpferischer Sprachgeist neue Worte bilden kann und daß ein solches Vermögen nicht allein für sich besteht, sondern daß zugleich das ganze Volk neue schöpferische Ideale durchdringen müssen? Daß die Religion ihrer theologischen Ausdrucksweise entkleidet und jede nationale oder soziale Phrase als unerträgliche Lüge empfunden werden mutz? Solange noch Universitätsprofessoren höfischen Titulaturen den Vorzug vor der Charakterisierung ihres Berufes geben, glaube ich nicht, daß wir die Weltherrschaft gewinnen. Der Verlauf der Mobilmachung und der Krieg haben wohl uns allen klar gemacht, welch wundervolle Organisation der Ge neralstab ist. Auch bei der Eisenbahn war nichts von verstaubter Bureaukratie zu spüren. Wir haben gesehen, was eine durch geistigte, immer von neuem lebendige Organisation leisten kann, und haben auch bei der Post an der Schwerfälligkeit, mit der sie sich nachträglich auf das Neue einstellte, fast so etwas wie ein Gegenbeispiel. Ich sollte meinen, uns als Buchhändlern läge nahe, uns nach dem Kriege sehr damit zu beschäftigen: wie kön nen wir mit unserer Organisation vorbildlich wirken, um die neuen kulturellen Aufgaben mit zu fördern, wie können wir uns mit dem neuen Geiste erfüllen? Schon seit einigen Jahren zeigt sich in der Industrie das Bestreben, »Qualität« als deutsche Marke herauszuheben, und die Organisation, die sich ihr kultu relles Gewissen schuf, heißt: »Deutscher Werkbund«. Immer wieder höre ich die Klage aus dem Publikum: wie we nige Sortimenter wissen, was »Qualität« in literarischer Be ziehung ist! Sie sagen, es erschiene zu viel, sie könnten nichts mehr lesen, und die Entwicklung so mancher Geschäfte hängt davon ab, ob zufällig ein gut orientierter Gehilfe da ist. Und die gehen ja auch am liebsten in die großen Städte! Ich sehe keinen anderen Weg zur Qualitätsentwicklung im Buchhandel, als das Hinein tragen eigener geistiger Interessen in seinen Beruf, der Sortimen ter muß, da ihm der »Hofrat« in der Regel versagt ist, aus der Not eine Tugend machen und wieder wie in alter Zeit, aber doch in neuer Form ein »Buchrat« werden. Dazu gehört, daß die Ver leger nicht eine Allerweltskonkurrenz treiben, sondern daß sich immer mehr Verlage mit »eigenem Gesicht« ausbilden. Durch Kenntnis der Verlage muß der Sortimenter wissen, ob das Buch gut ist oder Dutzendware, und jeder Verleger wird dann um so strenger darauf halten, daß der Sortimenter und mit ihm das Publikum sich auf seine Anzeigen verlassen können. Nun, das sind Kleinigkeiten, wird mir der Leser, der mir bis her gefolgt ist, sagen. Wo bleiben die veränderten Aufgaben des Buchhandels nach dem Kriege? Ich meine, neue Aufgaben des Buchhandels innerhalb des Volksganzen werden kommen, wenn sich wirklich eine innere Erneuerung unseres Volkes vollzieht, denn der Buchhandel soll doch die Gedanken und Vorschläge der füh renden Geister dem Volke übermitteln. Vielleicht gelingt es, eine Organisation aller geistig Führenden zu schaffen, die als Quali tätsforderung jenes Echte vertreten, von dem Fichte sagt: »Deutsch sein heißt Charakter haben«, und so zu dem »Werkbund« einen »Tatbund« gesellen. ! Große Teile des Slawentums werden uns näher kommen, das