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Tagesgrschichtc. Hohenstein, 12. Juli 1886. General Boulanger, der französische Kriegsminister, ist noch immer der Mann des Tages, d. h., er macht sich dazu. Das Gechenst eines „Staatsstreiches", das üngst m den Spalten Pariser Blätter auftauchte, hat er selbst durch sein dictatorisches Benehmen Her vorgernfen. Und sonderbar — es ist stille Sehnsucht nach einem Staatsstreich oder ist es vielseitige Ge wöhnung an dieses aufregende Schauspiel — mau spricht in Paris augenblicklich von dem Staatsstreich, als von einem Ereignisse, das über kurz oder lang eintreten könne; man spielt mit dem Feuer, malt den Teufel an die Wand und die Witzigen erdichten sogar Staatsstreiche. Der „Figaro", das bekannte Boule vardblatt. bietet feinen Lesern in einer drei Spalten langen, zum Theil recht gut durchgesuhrten Satire den „Staatsstreich des General Boulanger" ein Zu- kunfts-Phantasiebild, sehr ironisch und satirisch gemalt, das nicht ohne Interesse ist. „Er hat es erreicht". — beginnt der Artikel. „In dem Augenblick, wo wir schreiben, ist General Boulanger der einzige Herr der Schicksale unseres Landes. Der Staatsstreich, denn alle Welt seit einigen Wochen vorausgesehen hat, er ist seit gestern eine Wirklichkeit geworden. Gott schütze Frankreich! Unser Urtheil behalten wir uns später vor. Für den Augen blick haben die Ereignisse oas Wort, und uns geziemt es nur, unparteiisch, einzig um die Wahrheit besorgt, die Geschichte eines Tages zu erzählen, welcher in den bereits hinlänglich verwirrten Annalen -unseres Vaterlandes denkwürdig sein wird. Gestern Nach mittag vier Uhr hat man an den Straßenecken der Hauptstadt folgende Proklamation angeschlagen: „Bür ger! Ich bin im Begriff, Euch die freie Ausübung Eurer Souverünetät'wiederzugeben. Ich habe Euch von einem Parlamentarismus befreit, der Euch er drückt und täuscht, der vom Republikanismus nur die Formen hat, und der Euch vor dem Auslande er niedrigt, weiter durch seine kläglichen und fruchtlosen Debatten den vaterländischen Gedanken fast bis zur Vergessenheit des Namens vernichtet hat. Ich rufe mich als militärischen Dictatvr aus, als Oberbefehls haber der Streitkräfte zu Wasser und zu Lande. Mein Patriotismus, mein unausgesetztes Studium Eurer Wünsche und Bedürfnisse haben mir die Kraft gegeben, einen Plan auSzusühren, der in kurzer Frist Frank reich wieder in die Reihe der Nationen stellen soll. Man beleidige mich nicht durch einen Vergleich mit Die Ortschaft Grünwald bei Gablonz in Böh men war kürzlich der Schauplatz eines erschütternden Familiendramas. Der Webermeister Anton I. wurde auf offener Bczirksstraße von seinem achtzehnjährigen Sohne durch einen Schuß aus einer mit gehacktem Blei geladenen Stockflinle niedergestreckt. Das Ge- ständmß des Mörders, welcher am nächsten Tage verhaftet und dem Bezirksgerichte in Gablonz einge liefert wurde, enthüllte das traurige Bild eines zer rißenen Familienlebens. Er habe den Vater tödten wollen, weil derselbe vor Jahr und Tag Weib und Kind verlassen, sich um die Familie nicht kümmere und mit einer Frauensperson in Groß-Höritz in ge meinschaftlichem Haushalte lebe. Die Kunde von einem erschütternden Unglücks- sall durcheilte am Sonnabend die Stadt Gera. Ge gen H'/z Uhr Vormittags verunglückte auf entsetz- uche Weife der Herr Eommerzienrath Robert Ferber (Mitinhaber der Firma Morand und Co.) in seiner an der de Smitstraße gelegenen Fabrik. Ueber den Hergang des im höcüstcn Maße traurigen und be- kiagenswerlhen Vorfalles erfahren wir Folgendes: Der Herr Eommerzienrath halte sich, um den Gang oec Dampfmaschine zu infpieuen, in den Maschinen- raum begeben, wo zwei große Dampsmaschinen neben einander ausgestellt sind. Zwischen beiden bewegt sich das große Schwungrad, vor welchem zum Schutz für die Arbeiter ein eisernes Gitter angebracht ist. Auf dieses hatte der Genannte die Arme gelehnt, während er den Gang der Maschine beobachtete. Es bleibt unaufgeklärt, ob er sich hierbei zu weit vor gebeugt hatte oder ob er, vom Schwindel erfaßt, vornüber sank, genug, er wurde von den Speichen oes großen Schwungrades erfaßt, herumgeschleudert und dann in die sogenannte Kurbelgrube geworfen, wo er von der auf und niederschlagenden Kurbel stange binnen wenigen Secunden und ehe der Ma- schmenführer die Maschine zum Stillstand bringen konnte, beinahe vollständig zermalmt wurde. Die Aufregung in der Fabrik bei der Kunde von dem Unglücksfall war eine außerordentlich große. Viele Arbeiter weinten und jeder in der Fabrik Angestellte beklagt schmerzlich den Verlust des so plötzlich dahin geschiedenen edlen und stets gütigen Brodherrn. Auch außerhalb des Etablissements trauern viele um den als Wohlthäler der Armen wohlbekannten ausgezeich neten Mann. Die Stadt Gera verliert an ihm einen ihrer geachtetsten Mitbürger, dessen Andenken Allen, die ihn näher kannte», stets unvergeßlich blei ben wird. Stück Sandstein geworfen, er halte aber nicht diesen, sondern den auf dem Platze spielende» dreijährigen Knaben des Steinmetzpoliers getroffen und denselben derart am Kopfe verletzt, daß das Kind sofort in das Krankenhaus gebracht werde» mußte, wo sich sei» Zustand von Tag zu Tag verschlimmerte. Als vor einigen Tage» die Mutter des Kindes dasselbe im Krankenhause besuchte, erschrack sie dermaßen über den Anblick ihres Kindes, daß sie vom Schlage getroffen sofort todt am Krankenbett des Kindes zusammenbrach. Am Freitag ist nun auch das unglückliche Kind seinen schweren Leiden erlegen. Gegen den Anstreicher Ernst Albert Ittner aus Leisnig wuroe am 10. d M. vor dem Königl. Schwurgericht in Leipzig wegen Mordes verhandelt. Der Angeklagte ist in Rcmplengrün bei Adorf ge boren und erst 20 Jahre alt. Es wird ihm Schuld gegeben, am 1. April 1886 Abends gegen 10 Uhr auf dem Wege von Meinitz nach Neundörfchen in der Nähe von Leisnig seine Geliebte, die Dienst- magd Emilie Auguste Arnold, durch Erdrosseln ge- tödtet zu haben. Der Gerichtshof verurtheilte Ittner zum Tode. Am 8. d. M. ist in Leutewitz auch noch der Gutsbesitzer Ed. Fehrmann als das sünfte Opfer der wiederholt erwähnten Leutewitzer Katastrophe seinen schweren Leiden erlegen. Diese Todesnachricht ist um so betrübender, als von sechs Kindern des Verstorbenen drei erwachsene, welche der Mutier jetzt hilfreich zur Seite stehen könnten, selbst krank sind und der Pflege bedürfen. In Plauen wurde beim Ausgraben eines Kellers am Donnerstag Nachmittag in einer Tiefe von 30—36 em. ein thönerner Krug mit alten Silbcrmünzen ge linden. Die Zahl der im Kruge enthaltenen Münzen »trägt 2016 Stück, es sind wie Münzenkundige an- gcben, zumeist Thüringer und Meißner Groschen aus )em 13. und 14. Jahrhundert. Die Größe ist unge- ähr die von Zweimarkstücken. Nicht weit von der Stelle, wo der Fund gemacht wurde, hat der frühere Besitzer des Hauses bereits vor 3 Jahren ein irdenes Gefäß mit 600 ähnlichen Silbermünzen gefunden. Es ist anzunehmen, daß die Münzen zur Zeit des thal ganz bedeutende Schäden gemeldet, die zum Theil auch Verkehrsuuterbrechungen zur Folge hatten. Ein ganz besonders gefährlichen Unfall traf am Sonnabend früh >/s3 bei Vogelgesang den Wien- Dresdener Courirzug. Das Unglück geschah bei der Bahnmeisterei unterhalb der Haltestelle Vogelgesang Nachts gegen Uhr. Die ungeheuren Wassermassen, welche ihren Lauf in dem Felsenhauge nach der Elbe nahmen, rissen das gepflasterte Wasserbret desselben auf, durchwühlten zwei Stein-Halden und schwemmten dieselben schließlich nach dem nahen Bahnkörper, so daß derselbe mit Steinen überschüttet wurde, woraus dann, nachdem der dort befindliche Bahndurchlaß verstopft war, das Wasser sich auch über denselben weiteren Weg suchte. Der am Fuße der Halden im Steinbruchshause wohnende Steinbrecher Petzold meldete nach Aussage die drohende Gefahr dem in der Nähe wohnenden Bahnmeister Fischer, welcher auch dem um diese Zeit durchfahrenden Courierzugc entgegeneilte; da derselbe aber schon angebraust kam, war es nicht möglich, den Locomotivfüyrer warnen zu können. Infolge dessen fuhr der Zug auf die Schuttmasse auf und entgleiste. Die Maschine stand parallel zwischen beiden Gleisen, der Packwagen (sogen. Kopswagcn) war über die Böschung herunler gestürzt und vollständig zertrümmert bis auf das Coupee des Zugwagenwärters, welch' Letzterer erst nach Heraussägen einiger Stücke aus der Wand des Coupees aus seiner kritischen Lage befreit werden konnte und nur einige geringe Verletzungen davon getragen hat. Zwei stark beschädigte Personenwagen in welchen sich aber glücklicherweise keine Pasagiere befanden, liegen neben genannten Packwagen, die übrigen Wagen sind nach der Entgleisung stehen ge blieben und konnten die mit den bloßen Schreck davon gekommenen Passagiere nach einiger Zeit in den von Pirna requiiirten Zug umsteigen und ihre Weiterreise fortsetzen. Nachdem nun das über den Bahnkörper strömende Wasser in andere Richtung geleitet worden war, begannen die Räumungs- und Ausbesserungsarbeiten, wozu aus Königstein, Pirna Mügeln u. s. w. ca. 70—80 Arbeiter und aus Dresden ein Werkzeugswagen beordert waren. Neben der Wegräumung der Schullmassen ging man zunächst , auch daran, die'Maschiene und die übrigen entgleiß- ten Wagen durch Winden auf das Gleis zu bringen resp. zu entfernen, um dann den Oberbau auf der etwa 30 Meter langen beschädigten Bahnstrecke aus- i bessern zu können. Die Schwellen waren theils zer splittert, wie auch die Schienen auf der genannten Strecke übel zugerichtet sind. Das Berggleis ist vor- nommen und ist am Donnerstag nach London abge reist, wo er, ebenfall incognito, in Brown's Dover street, Piccadilly, Wohnung nehmen wird. Von England aus beabsichtigt der Prinz noch Frankreich und Italien zu besuchen und dann nach Dresden zurückzukehren. Zu den Obliegenheiten der Landbriefträger ge hört bekanntlich auch die Annahme von Postsendriii- gen auf ihren Bestellungsgängen. Dieselben haben zu diesem Zwecke ein Annahmebuch bei sich zu führe», welches zur Eintragung der von ihnen angenommenen Sendungen mit Werthangabe, Emschreibsendungen, Postanweisungen, gewöhnliche» Pallete und Nach nahmesendungen dient und nach jedem Bestellgange von einem Beamten der Postanstalt durchgesehen wird. Die Auflieferer kömieii derartige Sendungen entweder selbst in das Aniiahniebuch cintragcu, oder die Eintragung dem Landbriesträger überlassen. Ge schieht das Letztere, hat der Landbriefträger das Buch mit dem betreffenden Eintrag dem Auflieferer auf Verlange» vorzulegen. Auf diese Weise ist Je dermann in den Stand gesetzt, bei Auflieferung einer Sendung — abgesehen von gewöhnlichen Briefen — durch Vermittelung des Landbriefträgers deren richtige und Pünktliche Weiterbeförderung von vornherein sicher zu stellen. Es coursiren immer noch einige Reichskassem scheine zu 5 Mark der älteren Sorte (blaues Wasser Papier mit den zwei Knaben, eine Guirlande haltens). Diese Scheine haben seit 1. Juli 1885 nicht mch. die Eigenschaft, als gesetzliches Zahlungsmittel und Umlaufssähigkeit, sondern werden nur noch bei der preußischen Controle der Staatspapierc in Berlin eingelöst. Die genaue Adresse dieser Behörde ist: Berlin 8W, Oranienstraße 92. Das Leipziger Panorama der Schlacht von Mars la Tour melches einige Zeit geschlossen war und neuerdings, besonders in seinem plastischen Theile, eine Umgestaltungund wesentliche Verbesserung erfahren hat, ist Sonntag den 11. dss. M. wieder eröffnet worden. Die colossalen Regengüsse, welche am Freitag und Sonnabend über unser ganzes Sachsenland mcdergingen, haben namentlich in Ortschasten die in Flußniedrigungen liegen, großen Schaden angerichtet. So werden namentlich aus dem Elbe- und Mulden- Noth durch das Fenster ihr Lelen retten konnten. Nachdem die Steine die Fenster zertrümmert halten, war das Wasser in die Räume des Hauses geströmt, selbiges bis zu halber Höhe mit Schlamm und Sand anfüllend. Eine Ziege ist dabei im Stalle umge- kvmmen, In der am 10. dss. vor dim königlichen Land gerichte Zwickau stattgefundencn Hauptverhauölung wurde derjenige Lehrling eines dortigen Bankhauses, welcher, wie s. Z. berichtet ward, durch Wechselsül- schung sich in den, allerdings nur kurze Zeit dauern- üen Besitz von 20,000 Mark zu fetzen wußte und schon am Tage danach in Werdau zur Hast kam, in Rücksicht auf seine Jugend zu einer zweijährigen Ge- tängnißstrase verurthellt, während zwei andere junge Burschen, die als Hehler in die Angelegenheit ver wickelt waren, je ein Jahr Eefängniß zudictirt er hielten. Eine reichgcsegnete Schicht haben am Montag einige Doppelhäuser bei dem fiskalische» Erzbergbai Himmclfürst Funügrnbe bei Brand verfahren. Au lüttster Gezeugstrccke Kalb Stehenden Gang wurdet die Doppeihäüer und Musiker Ernst Peter und Ro- vert Lange stutzig, weil sie in dem angelegten Bohr loch in der Teufe eines halben Meters Wasser ver spürten und etwas wichtiges vermutheten. Durch oas Abschteßcn des Bohrloches, welches die Genann ten 6 Zoll stehen gelassen hatten, löste sich die Masse ab und wurde bei dem nun beginnenden Abtreiben eine von außen ganz unscheinbare, aber desto reichere Stufe aufgesunden. Diese Stufe mißt in ver Länge 56 Zentimeter, ist 35 Zentimeter breit und hat einen Durchmesser von 10 Zentimeter. Dieselbe ist ellypsen- artig gesormt und wiegt 98 Kilo, was trotz der leider so tief gesunkenen Silberpreise den ansehnlichen Werth von etwa 10000 Mark ergtebt. Außer dieser edlen Stufe wurden aber noch einige Tröge zer splitterte Theile aufgesäubert und ergiebt der ge- sammte Fund einen Werth von ungefähr 16000 Mark, welcher im Beisein des Gangsteiger Päßler und der beiden Obengenannten, sowie der mit dort arbeitenden Gesellen Heinrich Grahncrt und Hirsch bach hereingenommen wurde. Ein unfreiwilliges Bad mußten am Mittwoch einige Herre» aus Rußdorf in Bräunsdvrf nehmen. Dieselben hatten nämlich einen neuen Wagen probi- ren wollen, und waren auch in demselben von Rüß dorf bis Bräunsdvrf gekommen; hier aber trennte ich die Deichsel vom Wagen und letzterer fuhr mit i Insassen in den sogenannten großen Teich und iel um. Durch rasch herbei geeilte Hilfe wurden )ie Herren bald glücklich dem nassen Element wieder entrissen. Vor einiger Zeit hatte, wie damals gemeldet, auf einem Steinmetzplatze in Leipzig ein dort be- chäftigter Steinmetzgehilfe im Scherz nach einem un weit von ihm stehenden Arbeitsgenossen mit einem ouSfichtlich schon abends, das Elbgleis seit gestern wieder frei. Hartbetrosfen ist bei der Wegschwemmung der Halden auch der am Fuße derselben wohnende Steinbrecher Petzoldt, nebst Frau und Mutter, welche Hussitenkrieges vergraben worden "sind und" daß sie bei den rapiden Wachsen der Gefahr nur mit knapper j demnach über 460 Jahre in der Erde geruht haben.