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Der Deutsche Erwerbsgartenbau Nr. 50. 11. 12. 1925. Die Bindung des atmosphärischen Stickstoffs. Von Eduard Müller in Lehnin i. d. M. Die Bedeutung der stickstoffhaltigen Düngemittel für die Landwirtschaft und damit für die Ernährung der Menschen ist bekannt, ihre Feststellung ist das unvergängliche Verdienst des großen deutschen Chemikers Freiherrn Justus v. Liebig (1803—1873), der wohl manchem mehr als Begründer der Fleischextraktindustrie als einer der größten Förderer der Agrikulturchemie bekannt sein wird. Nun ist der Stickstoff in Gasform, wie er uns in der uns umgebenden Atmosphäre in schier unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht (8 Millionen Tonnen über 1 qkm Erdoberfläche!), für die Vegetation zu nächst wertlos, er muß der Pflanze in gebundener Form angeboten werden, wenn sie ihn durch ihre Wurzeln auf nehmen und zur Bildung von Eiweiß verwenden soll. Diese Bindung kann eine verschiedene sein, so durch Anlagerung von Wasserstoff zu Ammoniak, von Sauerstoff zu Salpeter säure, oder auch über Calciumcarbid zu Calciumcyanamid, dem bekannten Kalkstickstoff. Inwieweit die Bindung noch in an deren Richtungen versucht worden ist, soll hier unerwähnt bleiben, da diese Verfahren sich nicht als lebensfähig erwiesen haben. Bis vor etwa 20 Jahren beschränkten sich die uns zur Verfügung stehenden Quellen auf die Kohlenvergasung mit dem dabei entfaltenden sog. Ammoniakwasser, welches auf schwefel- saures Ammoniak verarbeitet wird, sowie die chilenischen Salpeterlager. Der durchaus ungenügende Entfall an schwefel- saurem Ammoniak hat uns nun seit Jahrzehnten zur Einfuhr gewaltiger Salpetermengen gezwungen, die einen erheblichen Teil des deutschen Arbeitseinkommens in das Ausland ab fließen ließen. Da es in dieser Beziehung anderen Nationen nicht besser ging, ist es erklärlich, daß sich allenthalben Be strebungen geltend machten, um das chilenische Salpeter joch abzuschütteln. Die ersten, welchen die Bindung des atmosphärischen Stick stoffs in wirtschaftlicher Weise gelang, waren die norwegischen Chemiker Birkeland und Ey de, welche die hohe Tem peratur des dort durch Wasserkräfte billig zu erzeugenden elek trischen Lichtbogens zur Bindung des Luftstickstoffs an Sauer stoff unter Bildung von Salpetersäure benutzten, also die Luft kurzerhand „verbrannten“. Brauchbar wurde dieses Verfahren jedoch erst durch den Gedanken der genannten beiden Erfinder, die zunächst unbefriedigende Ausbeute durch Auseinander reißen des an sich schmalen Lichtbogens durch kräftig wirkend? Elektromagnete zu einer breiten Scheibe zu erhöhen, der sog. „Sonne“, die bei den heute in Nottoden (Norwegen) in Betrieb befindlichen Oefen einen Durchmesser von 3 m hat bei einer Temperatur von mehr als 3000° C. Die gebildete Salpetersäure wird an Kalk gebunden und als sog. Kalk- oder Norgesalpeter in den Handel gebracht. Bei einem Stickstoffgehalt von eben falls 130/0 unterscheidet sich dieser Norgesalpeter von seinem chilenischen Bruder durch Ersetzung des auf den Ackerboden auf die Dauer ungünstig wirkenden Natrons durch Kalk, also ein stets willkommenes Mittel zur Kräftigung der Böden. Auch deutsche Erfinder haben sich erfolgreich mit diesem Verfahren der Stickstoffbildung befaßt. So befinden sich im Prinzip ähnlich arbeitende Werke bei Insbruck, in der Schweiz und auch in Norwegen, die sich an die Namen der deutschen Chemiker Schönherr, Pauling u. a. knüpfen. Bei weitem für uns wichtiger und auch interessanter ist das Verfahren, welches im größten Maßstabe von der Badischen Anilin- und Sodafabrik in deren Werken in Oppau und bei Mer seburg im Leuna-Werk praktisch durchgeführt wird. Fritz Haber, Chemiker und Direktor im Kaiser-Wilhelm-In- stitut Berlin-Dahlem und Karl Bosch, Physiker und Ingenieur bei der BASF., jetzt deren Generaldirektor — auf die Anfügung der diesen beiden Herren zustehenden zahlreichen Ehrentitel soll verzichtet werden — ersterer einer der bedeutendsten theoretischen Chemiker der Ge genwart und als Leiter der Gaskampfabteilung während des Krieges bei unseren westlichen Nachbarn nicht sonderlich beliebt, letzterer ein Mann der Praxis mit einem eminenten Können und einer unbesiegbaren Energie, haben in fast zehn jährigem Ringen das den Namen Haber-Bosch tragende Ver fahren ausgearbeitet und praktisch durchgebildet, durch welches nunmehr der gesamte deutsche Bedarf an gebundenem Stick stoff gedeckt werden kann. Das Verfahren betrifft die Ge winnung von Ammoniak aus seinen beiden Komponenten Stick stoff und Wasserstoff aus den uns in unbeschränktem Ausmaße zur Verfügung stehenden Quellen Luft und Wasser unter Zu hilfenahme der Kohle als Energieträger. Denn während der Stickstoff bereits als solcher in der Luft vorhanden ist, muß der Wasserstoff erst durch gewaltsame Zerlegung des Wasser moleküls in Wasserstoff und Sauerstoff freigemacht werden. Dies wird erreicht, indem in sog. Generatoren Wasserdampf durch glühenden Koks geleitet wird. Bei dieser hohen Temperatur zerfällt das Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff, ersterer bleibt unverändert, wogegen sich Sauer stoff und Kohle zu Kohlenoxyd vereinigen. Das entstandene Gasgemisch von Wasserstoff und Kohlenoxyd wird nun über eine aus einer Eisenoxydverbindung bestehende sog. Kontakt masse geleitet, wobei das Kohlenoxyd zu Kohlensäure ver brennt und ein Gasgemisch von Wasserstoff und Kohlensäure den Ofen verläßt. Wird nun außerdem noch ein Luftstrom über glühenden Koks geleitet, so wird auch dessen Sauer stoffgehalt in Kohlenoxyd bzw. Kohlensäure übergeführt, so daß hierbei ein Gemisch von Stickstoff und Kohlensäure ent steht, welches, mit obigem vereint, das endgültige Gasgemisch von Wasserstoff-Stickstoff-Kohlensäure darstellt. Der Pro zeß wird nun so geleitet, daß dieses Gemisch entsprechend der Zusammensetzung des Ammoniaks aus 1 Teil Stickstoff und 3 Teilen Wasserstoff besteht, welches nach Auswaschung der Kohlensäure durch Wasser und Entfernung der letzten Kohlen- oxydreste durch Kupfersalzlösungen dem eigentlichen Am moniakprozeß zugeführt wird. Dieser vollzieht sich in Appa raten aus einem besonders zähen Spezialstahl bei einem Druck von 200 Atmosphären und einer Temperatur von 5—600° mit einer Ausbeute von etwa 80/0, wobei die nicht vereinigten Gase im Kreislauf in die Apparatur zurückkehren. Das ge bildete Ammoniak wird zu einem kleinen Teil als solches in Wasser gelöst, der chemischen Industrie geliefert, ein Teil als Gas komprimiert u. a. in der Kältetechnik verwandt, während der überwiegende Teil als schwefelsaures Am moniak der Landwirtschaft zugeführt wird. Die hierzu er forderliche Schwefelsäure wird nicht aus ausländischen Roh- materialen (sizil. Schwefel oder Schwefelkies aus Algier, Flo rida usw.) hergestellt, sondern durch Umsetzung von schwefel saurem Kalk (Gips), der in eigenem Bruch gefördert wird, mit kohlensaurem Ammoniak gewonnen. Das hierzu erforder liche kohlensaure Ammoniak wird wiederum im eigenen Be triebe aus der bei der Mischgasreinigung abfallenden Kohlen säure und-Ammoniak hergestellt und auch als solches (Hirsch hornsalz, Backpulver) in den Handel gebracht. Durch Ver brennung von Ammoniak hergestellte Salpetersäure liefert durch Bindung an ersteres den hochprozentigen Ammonsalpeter, der wegen seiner explosiven Eigenschaften nur in Mischung mit schwefelsaurem Ammoniak oder Kalisalpeter geliefert wird. Für technische Zwecke werden noch Salmiak und Natronsal peter, ferner reiner Harnstoff, dieser aus Kohlensäure und Ammoniak mit einem Stickstoffgehalt von 46°/0 hergestellt. Dieser reine Harnstoff, dem Landwirt als wirksame Substanz der Jauche wohl bekannt, wird berufen sein, in der Gemüse- und Blumenkultur eine bedeutsame Rolle zu spielen. Die zur Verarbeitung gelangenden Rohstoffe sind also Kohle, Gips, Luft und Wasser, daneben Kochsalz und einige Kalisalze, grundsätzlich sind ausländische Rohstoffe ausge schlossen, ein außerordentlich wichtiges wirtschaftliches Mo ment. Nun einiges über den Umfang der Merseburger Anlagen, die wahrscheinlich als der bedeutendste einheitliche chemische Betrieb auf dieser Erde anzusprechen sind. Das Werk hat einen Umfang von etwa 2400 Morgen, seine Größe entspricht also einem respektablen Rittergut. Der Wasserverbrauch, hauptsächlich zu Kühlzwecken, beträgt täglich I1/2 Millionen Kubikmeter. Er wird aus der in der Nähe vorbeifließenden Saale gedeckt und ist etwa 21/2mal so groß, als der Wasserverbrauch von Groß-Berlin, während die Gaserzeugung doppelt so groß ist. Die Anschlußgleise haben eine Länge von 60 km, die einer Strecke von Brandenburg bis Berlin entsprechen. Obwohl die gewaltigen Apparaturen durch weg automatisch arbeiten, zählt die Belegschaft über 16000 Arbeiter, die von einem Stab von mehreren hundert Chemikern und Ingenieuren geleitet wird, während 1200 kaufmännische Angestellte den geschäftlichen Teil 1 erledigen. Zur Fabrik ge hören ferner ein Gipswerk und 3 Kohlengruben, die umfang reiche landwirtschaftliche Versuchsstation befindet sich in der Nähe von Ludwigshafen. Das ebenfalls der BASF, gehörige zweite (ältere) Werk liegt bei Oppau und hat etwa zwei Drittel des Umfanges der Merseburger Anlagen. Die Erzeugung an schwefelsaurem Ammoniak beträgt pro Sekunde 1 Ztr., dem nach im Jahr annähernd 27 Millionen Zentner, oder 100 000 Waggons! Wir kommen nun zur dritten Form des gebundenen Stick stoffs, dem Kalkstickstoff. Er knüpft sich an die Namen Frank und Caro, von denen der erstgenannte als Förderer der Kaliindustrie in ihren ersten Anfängen der älteren Gene ration wohl noch in guter Erinnerung sein wird, wogegen Caro als akademischer Lehrer fungierte, also auch hier Gemeinschaftsarbeit des Theoretikers mit dem Manne der Praxis. Nach dem Fehlschlägen der ersten, auch der Groß-