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90, 20. April 1899. Nichtamtlicher Teil. 2937 lerischen Arbeit können sie gute Dienste leisten; ein anderes aber ist es, sie zur Verpflichtung für alle zu machen. Dafür sind die Unterlagen viel zu verschieden: die Fachschulen, die städtischen Fortbildungsschulen für Gewerbe, fürKaufleute u.s.w. empfangen ihre Schüler aus der Volksschule, Realschule, Privat schule, Realgymnasium, Gymnasium mit den größten Unter schieden im Stande der Vorkenntnisse und der allgemeinen Bildung; sollen sie zusammen, ob auch in verschiedenen Klassen, den gemeinsamen zwangsweisen Unterricht empfangen, so ist dieser für den gewesenen Vvlksschüler vielleicht sehr nützlich, dagegen für den des Gymnasiums zeittötend und zwecklos. Man unterrichte solche, welche an den alten Sprachen geschult sind, mit anderen, denen diese Vorbildung abgeht, gemeinsam in den neuen Sprachen, und es zeigt sich sofort, daß die Denk kraft des Humanisten für Sprachkunde viel entwickelter und leistungsfähiger ist, daß er mit wenigen, aber guten Privat stunden mehr lernt und selbständig besser zum Ziele kommt, als in jahrelangem Besuch von allgemeinen Fortbildungs oder Fachschulen mit anderen. Schreiber dieses hat mehrfach das Fortbildungsschulgeld für Lehrlinge mit Gymnasialbildung bezahlt, bis sich alsbald die Erfahrung herausstellte, daß ver schiedene Bildungsstufen nicht auf derselben Schulbank fort gebildet werden können, daß also ein Schulzwang hier ganz zweckwidrig und unstatthaft ist. Die Aufgabe der Schule ist, den Geist auszubilden durch das Mittel der allgemeinen Kenntnisse. Ob diese Ausbildung eine einfachere oder eine höhere ist, so ist doch in dem einen wie in dem anderen Falle die Aufgabe der Schule nicht, die einzelnen Fächer zu lehren, die die verschiedenen Berufsarten später erfordern; sie würde sonst ein Vielerlei lehren und es an der allgemeinen Grundlage fehlen lassen. Der spätere Beruf dagegen setzt den Untergrund der Schulung voraus, er kann und soll ihn nicht mehr uachholen, sondern er lehrt seine besonderen Erfordernisse und Zwecke, nicht schulmäßig, sondern auf dem Wege der praktischen Ausübung. So haben sich unsere tüchtigsten und bedeutendsten Buchhändler herauf gebildet; sie haben auf Grund eines guten humanistischen Schulsacks die praktische Lehre und Ausbildung des Berufs und der Erfahrung, sowie der eigenen Fortbilduug hinzu gefügt und sind so mehr geworden, als wenn sie ihre und des Prinzipals Zeit in der gemischten Fachschule hätten ab- sitzen müssen. Wenn die richtige Schule die Denkkraft aus gebildet hat für den strebsamen jungen Buchhändler, so fliegt ihm durch seinen Beruf vou selbst eine Menge von Bildungs stoff zu; er wird seine Litteraturkenntnis besser selbst zu sammenordnen als in der Fachschule, und die technischen Fach kenntnisse, Packen, buchhändlerische Buchführung u. dgl., wird er in einer guten Lehre ebenso oder besser lernen als im Lehrzimmer. Mit dieser ersten Frage beantworten sich auch die andern, die »Beschlüsse« jenes Handlungsgehilfentages. In der Lehre, die durch Lehrstunden erteilt wird und zwar in den »Tagesstunden«, die der Prinzipal gewähren »muß«, würde der Lehrling gerade die Hauptsache nicht lernen, nämlich das nachhaltige, zähe Fortarbeiten; der Geschäftsgang würde für ihn fortwährend durchbrochen, er käme in die Volontärstimmung hinein und nicht wieder heraus. Die Zahl der wenig leistenden jungen Gehilfen ist ohnedem groß genug, die dreijährige Lehrzeit war bei solchen zu kurz; durch die Vermischung von Schule und Beruf, von Schule und von Lehre, würden sich die Lei stungen nicht bessern, und gerade diejenigen Lehrlinge, die schwächer sind in der Vorbildung, hätten nicht genug an den Tagesstunden für die Fachschule. Danu -muß« der Prinzipal wohl noch weitere geben für die Vorbereitung zu den Stunden in der Schule? — So wird kein erfreuliches Arbeiten entstehen; — der elektrische Strom beruht zwar auf deu fortwährenden llnter- Srchüundjkchzigftcr Jahrgang brechungen, die Arbeit aber nicht. Bei uns wird der bisherige Buchhandel schwerlich den Hut abnehmen vor dem neuen, der aus den obligaten Unterrichtsstunden der Fachschule, anstatt aus der eigenen Weiterbildung in den Freistunden hervor gegangen ist. Kleine Mitteilungen. Telegraph. — Um eine schnellere Telegrammbestellung durch- zuführen, war vom Staatssekretär des Reichspostamts vor einiger Zeit in Aussicht gestellt worden, jugendliche Boten gegen Stück lohn anzunehmen und zu verwenden. Hiermit soll jetzt zunächst bei den selbständigen, etwa 80 Telegraphenämtern in den grössten Städten vorgcgangen werden. Auch hier sollen die jungen Boten nur nach dem sich entwickelnden Bedarf nach und nach eingestellt werden. Sie dürfen nicht unter 16 und nicht über 17 Jahre alt sein; Söhne von Postunterbeamten werden bevorzugt. Der Stück lohn soll so bemessen werden (5—10 für das Telegramm), daß die jugendlichen Telegrammbestcller etwa bis zu 2 ^ verdienen; sie bleiben in dieser vorbereitenden Beschäftigung, bis ihre An nahme als Postunterbeamte möglich wird. Die Dienstkleidung soll aus Dienstmütze, Litewka und dunkler Hose bestehen; dazu tragen sie die rote Telegrammbestelltasche. Postgesetznovelle. — Die Reichstags-Kommission für Vor beratung der Novelle zum Postgesetz trat am 18. d. M. unter dem Vorsitz des Abgeordneten lir. Schädler zusammen. Zum Berichterstatter wurde der Abgeordnete Or. Paasche gewählt. Von einer Generaldebatte wurde abgesehen; doch sollen zwei Lesungen stattfinden. Die Abschnitte I und II von Artikel 1 des Gesetz entwurfs (vgl. Nr. 33 d. Bl.), betreffend Briefporto und Nachbar ortsverkehr, wurden in erster Lesung angenommen. Bei Ab schnitt III, Zeitungsgebühr, wurden nur die Erklärungen des Direktors Krätke entgcgengenommen. Die Kommission vertagte sich darauf bis Mittwoch den 19. d. M. Buchhandel im Umherziehen. — Für den Gewerbebetrieb im Umherziehen ist in Preußen von den beteiligten Ministerien eine neue Anweisung zur Ausführung der Gewerbeordnung erlassen worden. Ueber das Feilbietcn von Druckschriften bestimmt die Ministerialanweisung, daß zur Prüfung, ob solche Druckschriften »in sittlicher oder religiöser Hinsicht Aergernis zu erregen geeignet sind, der Ortspolizeibehörde ein Verzeichnis und dem Bezirksaus schuß nach Aufforderung je ein Exemplar der Schriften einzu- reichcn ist. Doch kann von der Einforderung der Bücher abgesehen werden, wenn deren Inhalt allgemein bekannt ist oder die Namen des Verfassers und Verlegers annehmen lassen, daß Verbotsgründe nicht vorliegen. Die Kunst im Reichstag. — An einem der nächsten sitzungsfreien Tage wird der Präsident des Reichstags die Aus schmückungs-Kommission zusammentreten lassen, um mit ihr die Be ratung über den Deckenfries von Stuck »Die Jagd nach dem Glück- fortzusetzen. Graf Lew Tolstoj und das Autorrecht. — Graf Lew Tolstoj veröffentlicht in den russischen Zeitungen folgendes: -Erklärung. -Den sofort nach dem jeweiligen Erscheinen erfolgenden Nachdruck der in der -Niwa- zur Veröffentlichung gelangenden Kapitel meines Romans »Die Auferstehung- halte ich für un rechtmäßig in Rücksicht auf den Herausgeber der -Niwa», der von mir das Recht des ersten Drucks dieses Romans erworben hat. Deshalb bitte ich, ohne meine frühere Lossage von einem Recht auf litterarisches Eigentum zu ändern, die Herausgeber der russischen Zeitungen und Zeitschriften, mit dem Nachdruck dieses Romans so lange zu warten, bis er in der -Niwa- be endet sein wird, was annähernd im Monat Juli dieses Jahres zu erwarten steht. -Durch Erfüllung dieser meiner Bitte werden mich die Herausgeber sehr verpflichten, weil sie mich dadurch vor einer unangenehmen Lage bewahren, in die sie mich im entgegen gesetzten Falle in Bezug auf mein Verhältnis zum Herausgeber der -Niwa- bringen würden. Lew Tolstoj.- Lew Tolstoj läßt bekanntlich nicht nur seine Schriften in jeder beliebigen Sprache frei übersetzen und Herausgeber«, sondern er macht nicht einmal rücksichtlich der Originale von dem in Rußland geltenden gesetzlichen Schutz gegen Nachdruck Gebrauch. Er hat offen erklärt, daß jeder, dem es nur beliebt, seine (Tolstojs) Schriften in beliebiger Weise und in beliebiger Anzahl Nachdrucken darf, ohne irgendwelche Entschädigung an den Verfasser oder den Verleger zu zahlen. Ihm ist nur darum zu thun, daß seine 393