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9970 Nichtamtlicher Teil. »V 263, 11. November 1904. meiner Ansicht diese Schwäche dadurch ausgleichen, daß er seine Werke bis zum letzten Tage seines Lebens verbessert. <- Diese Bemerkungen wiederholt Voltaire auch in andern Briefen. -Ich bin mit nichts zufrieden und ich flicke alles«, schrieb er am 27. Oktober 1736 an Prault, und am 3. April 1752 bekannte er de Cideville: »Eine erste Aus gabe ist immer nur ein Entwurf«. »Mein ganzes Leben lang verbessere ich meine Verse und meine Prosa«, fügte er am 15. April desselben Jahres in einem Schreiben an den selben hinzu. Voltaire trug an dem unvollkoinmenen Zustand seiner Werke selbst die Schuld; denn, wie Colini (S. 180) uns be richtet, kannte er in seiner Ungeduld keine Grenzen, sobald er eine Arbeit begonnen hatte. Er wollte sie dann gleich gedruckt sehen. Oft gab er ein noch zur Hälfte unfertiges Werk unter die Presse. Er schrieb selbst seine Arbeiten nieder und zwar mit einer erstaunlichen Schnelligkeit. Nur wenn er krank war, diktierte er jemand in die Feder, und zwar mit derselben Geistesgegenwart, wie wenn er selbst schriebe. Er hatte zwar eine deutliche und lesbare Handschrift, aber er schrieb meist in so großer Hast, daß die Buchstaben oft recht undeutlich waren; er vergaß die Akzente und die Interpunktionszeichen und schrieb auf einer Seite denselben Eigennamen in drei oder vier verschiedenen Manieren. In seiner Originalhandschrift des »lüvrs«, seines Einnahmebuchs, haben nacheinander drei verschiedene Herausgeber ganz ver schiedene Zahlen und Namen gelesen. Da er seine Manuskripte oft von ungebildeten Männern wie Ceran, Longchamp, Wagnidre abschreiben ließ, war es nicht zu verwundern, daß sie zahlreiche Jrrtümer und orthographische Fehler enthielten. Colini wäre wohl im stande gewesen die Fehler zu verbessern; aber, wie wir aus seinem Schreiben vom 4. Februar 1755 an Dupont ersehen, ließ er sie aus Bosheit stehen, um mit seinen Freunden darüber lachen zu können. Voltaire las zwar selbst die Korrekturen, aber sehr schlecht, wie Colini (S. 134) berichtet. So kam es, daß seine Werke stets mit zahlreichen Fehlern erschienen. Voltaire ärgerte sich dann darüber, und wenn der Verleger sich auf das Manuskript oder die Korrekturen berief, leugnete Voltaire, diese Blätter überhaupt korrigiert zu haben, und er schimpfte auf die Verleger, »diese Räuberbande«! Die Kritiker gingen auch nicht immer galant mit Voltaire um. Sie wiesen ihm eine Menge schlimmer Jrr tümer, Verstöße und Verwechselungen nach. Er wurde dann ärgerlich und arbeitete oft die ganze Arbeit wieder um. Zuweilen veränderte er die Reihenfolge der Kapitel oder den Titel des ganzen Werks oder die Rollen seiner Theaterstücke. Aus der »Illqus« machte er die »Ilsvriaäs«, aus der »Uwtoirs Asosrals« den »Ilssai 8ur 1s8 mceui-8 st l's8prit äs8 uation8«. Oft änderte er seinen Freunden oder der Kritik zuliebe einzelne Stellen um. Dann wollte er Kartons in das Buch geklebt haben oder eine ganz neue Ausgabe veranstaltet sehen, obschon das Werk eben erst er schienen war. So kam es, daß er mit keinem seiner Ver leger zufrieden war und daß keiner von ihnen sicher war, daß nicht auf einmal eine neue »verbesserte und einzig korrekte« Ausgabe bei einem Konkurrenten erschien. Unter diesen Umständen ist wohl kaum anzunehmen, daß die Ver leger es gewagt haben, hohe Auflagen zu drucken, sobald sie den wankelmütigen Sinn Voltaires kannten. 8. Die Zensur. Voltaire hat sehr viel geschrieben, aber es sind meist nur kleine Bände, oft nur kurze Pamphlete. Alle seine Schriften haben einen polemischen Charakter. »Seine Romane sind Pamphlete«, sagt ein Kritiker; »sein „viotiommirs pbllo8oplngus" ist eine Sammlung von Pamphleten in alphabetischer Reihenfolge; sein „U88ai 8ur 1s8 mosure" ist nur ein enormes historisches Painphlet über neun Jahr hunderte; sogar seine Tragödien und seine „Usm-iaäs" riechen nach dem Pamphlet.« Die Regierung hatte deshalb immer die Augen auf Voltaire gerichtet. 1741 waren 79 königliche Zensoren ernannt worden, um die theologischen, juristischen, mathe matischen und belletristischen Werke zu prüfen. Diese Zen soren mußten schon mit Rücksicht auf die Gunst von oben ihr Amt möglichst streng ausüben. Eine Erklärung des Königs, datiert vom 10. Mai 1728, bedrohte mit dem Pranger und den Galeeren jeden Drucker, der Bücher ohne Privilegium und ohne Erlaubnis veröffentlichte, und die Kolporteure, die solche Bücher vertrieben. Seither wurden gegen die Zuwiderhandelnden schwere Strafen verhängt, während den Denunzianten sogar Belohnungen gewährt wurden. Da die verbotenen Bücher fast immer aus dem Ausland in Frankreich eingeführt wurden, so belegte ein könig licher Beschluß vom 24. November 1771 alle in das König reich eingeführten Bücher mit einem Zoll von 20 Livres pro Zentner. Zwei Jahre später, am 17. Oktober 1773, wurde dieser Satz aber auf 6 Livres 10 Sols, nebst 8 Sols für jedes Buch, ermäßigt, und am 23. April 1775 wurde der Einfuhrzoll auf Bücher ganz aufgehoben. Von den Werken Voltaires wurde eine ganze Reihe durch Parlamentsbeschluß entweder unterdrückt, konfis ziert oder verbrannt, und die Verleger und Verkäufer wurden bestraft. So wurden am 23. Oktober 1734 Jore Sohn, der an Stelle seines Vaters getreten war, Renö Josse, Buchhändler in Paris, und Duval, Drucker in Bayeux, wegen Herausgabe der »Usttrs8 pbilo8opbiqus8« ohne die behördliche Erlaubnis, abgesetzt. Am 24. Sep tember 1768 wurden der Spezereigehilfe Jean - Baptiste Josserand, der Althändler Jean Lscuper und seine Frau Marie Suisse verurteilt, die beiden ersten zur Brandmarkung und zu den Galeeren, die Frau aber zu 5 Jahren Gefängnis, weil sie den Roman »I/Uomms aux quarants sou8« von Voltaire und andre verbotene Schriften kolportiert hatten. Auch die andern Werke Voltaires wurden kaum geduldet. So durfte die »Uwtoirs äs 0barls8 XII« in Paris nicht verlegt werden (es wurden 2600 Exemplare davon konfis ziert), und deshalb bemühte sich Voltaire 1731, in Rouen einen Drucker zu finden, der das Buch heimlich Herstellen würde, wie es damals häufig geschah. Er überlegte auch mit de Cideville, ob er beim dortigen Ersten Präsidenten nicht die Druckerlaubnis durch eine List erschleichen könnte. 1732 wurde die Einfuhr der »Usm-iaäs« aus dem Ausland wenigstens stillschweigend geduldet. Am 21. Mai 1740 schrieb Voltaire an den Marquis d'Argenson: »Ich gestehe Ihnen, daß ich nur eines bedaure, daß nämlich meine Werke nur im Ausland gedruckt werden. Es betrübt mich, daß ich in meinem Vaterland zur Kontrebande gehöre.« Die Schwierigkeiten mit der Zensur mögen Voltaire wohl auch häufig bewogen haben, seine Schriften zu ver leugnen. So schrieb er am 19. September 1764 an d'Alembert betreffs des „Uietiormairs plüloeopbiqus": -Sobald irgend eine Gefahr besteht, bitte ich Sie dringend, mich zu benachrichtigen, damit ich das Werk mit meiner ge wöhnlichen Unverfrorenheit undllnschuld in denöffent- lichen Blättern verleugnen kann.« Gelang es auch Voltaire, sich aus der Klemme zu ziehen, so war doch die Gefahr nicht von seinen Verlegern abge wandt. Die im Ausland gedruckten Werke Voltaires liefen immer Gefahr, in den Zollbureaus konfisziert zu werden. Am 13. Dezember 1763 berichtet Voltaire an Damilaville, daß die Verleger Cramer gezwungen waren, ihren Ballen einen Umweg von hundert Meilen machen zu lassen. Am