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Innerthüringen nach Süddeutschland zogen, be kamen die Gleichberge zu Gesicht, und keiner, der in umgekehrter Richtung aus dem Süden einem Paß weg des Thüringer Waldes zustrebte, konnte sie übersehen. Das isolierte und daher imponierende Aufragen haben sie zwar mit mehreren anderen Bergen Süddeutschlands gemeinsam, doch daß sie darüber hinaus noch Zwillinge sind, bewirkt den nördlich der Alpen wohl einmaligen Reiz ihrer Gestalt. So nimmt es nicht Wunder, daß unsere Berge immer schon nach dieser Merkwürdigkeit benannt wurden: bereits 867 montes similes, seit dem hohen Mittelalter Gleichberge. Sollte nun in einem antiken Werk, wie der Geogra fike hyfegesis des Klaudios Ptolemaios, das ältere Itinerarangaben verwendet, ja teilweise auguste ische, vielleicht auch noch frühere Quellen verarbei tet hat und eine ganze Reihe spätkeltischer Oppida (Poleis) mit Namen und Koordinaten in Süddeutsch land aufführt, solch ein bedeutender Platz wie die Gleichberge einfach vergessen oder übersehen worden sein? Denn zu ihrer merkwürdigen Gestalt als Doppelberge tritt ihre Ausstrahlung im letzten vorchristlichen Jahrhundert als eines der bedeuten deren Oppida in Süddeutschland! Da Ptolemaios ganz unterschiedlich alte und zuver lässige Quellen verwendet hat und sein Werk voller eigener und durch Überlieferung entstandener Fehler steckt, können unmöglich alle seiner Angaben in Übereinstimmung gebracht werden. So zeigt seine Verteilung keltischer und germanischer Stämme ganz gewiß verschiedene Zustandsstadien wie in einem gerafften Bild, und neben kaiserzeit lichen Plätzen sind keltische Oppida verzeichnet, die längst verlassen waren, als erstere gegründet wur den. 39 Selbst die Identifizierung seiner Gebirge bereitet in der Forschung bis heute unüberwindliche Schwierigkeiten. Ich schließe mich der alten Meinung (z. B. R. Much) an, daß Ptolemaios mit „Melibokos“ nicht den Thüringer und Frankenwald oder gar den Teutoburger Wald, sondern den Harz, und mit dem „hypö“ (= unterhalb, südlich) davon ange gebenen „Semanus hyle“ nicht den Oberpfälzer Abb. 33 (nebenstehend). Diagramm der Späthallstatt- und Latnefibeln vom Kleinen Gleichberg (nach G. Neumann 1973, mit Korrekturen - doch einschließlich suspekter Funde wie z. B. Neumann Nr. 1 und 187 - und Ergänzungen durch Neufunde). Der auffallende Unterschied zwischen der hohen Fibelzahl des 5. Jh. und der geringen Fibelzahl im 2./1. Jh. geht überwiegend auf Erhaltungs- und Fundbedingungen zurück: Die frühen Fibeln sind meist aus Bronze sowie oft groß und massiv; die mittel- und spätlatfenezeitlichen Fibeln sind da gegen oft aus Elsen sowie kleiner und drahtförmig. Die auf der Ordinatenachse erkennbare Ausdünnung der Fibeln in der Phase Latne B spiegelt deutlich die starke Abschwächung der Siedlungsintensität oder noch eher einen Siedlungsabbruch zu Beginn dieser Phase wider, als Ergebnis der von West nach Südost gerichteten Wanderbewegung kriegerischer Ketten des Flachgräberkreises. Diese Beobachtung wird auch durch andere chronologisch empfindsame Funde bestätigt, wobei z. B. das Diagramm der zahlreichen Arm- und Halsringe ein ähnliches Bild ergibt. Wald, sondern den Thüringer und Franken-Wald bezeichnen wollte, auch wenn damit die Werra- Weser-Quelle im Harz zu liegen kommt und noch andere Unmöglichkeiten entstehen. Ich glaube, diese Ansicht wird durch den archäologischen Befund etwas gestützt, indem nämlich der Thüringer Wald zur Latenezeit eine keineswegs unwegsame Urwald zone und kaum als kulturelle und ethnische Trenn grenze in Erscheinung trat, sondern fast als Rückgrat der Besiedlung gelten kann. Zu beiden Seiten dieses schmalen Waldgebirges hatte sich die Spätlatne- kultur in ganz verwandter Ausprägung verzahnt. Vielleicht hebt Ptolemaios deshalb den „Semanus- Wald“ nicht noch besonders hervor und benutzt ihn auch nicht zur Abgrenzung seiner Stämme; im Gegensatz zum Sudetengebirge, das in Form des Fichtel-, Erz- und heutigen Sudetengebirges laut archäologischem und linguistischem Befund tatsäch lich eine breite und lange, unzugängliche Grenzzone zwischen großen Siedlungs- und Kulturräumen dar stellt. Gegenüber den Koordinaten- und Namenangaben der ptolemaiischen Poleis ist mit zunehmender Ent fernung von der Rhein-Donau-Linie wachsende Skepsis angebracht. So war es auch in erster Linie seine Lage am Main (Moinos), welche die wahr scheinliche Gleichsetzung des Oppidums auf dem Staffelberg bei Staffelstein mit „Menosgada“ ermög lichte (P. Reinecke). Sollte eine solche zweifach ge stützte Identifizierung (Lage entsprechend den Längen- und Breitenangaben, verbunden mit einer Namensdeutung) nicht auch für die Gleichberge mit dem Steinsburg-Oppidum möglich sein? Ptolemaios gibt in etwa nördlicher Nachbarschaft zu „Menos gada“, in einem Gebiet, wo wir bei ihm Südthü ringen ohnehin suchen müßten, zwei Plätze an, die für die Gleichberge in Frage kommen: Bikourgion und Kandouon (Abb. 34). In der Literatur über den Abschnitt „Großgermanien“ im Lehrbuch des grie chischen Geographen sind beide Namen mit den unterschiedlichsten Punkten in Nordbayern-Südthü ringen-Hessen verbunden worden. Mich hatte zunächst die Lokalisierung der Polis „Kandouon“ 39 Die Frage, ob die Quellen des Ptolemaios für Kanduon, Bergion, Bikurgion, Menosgada und andere Plätze dieses Raumes bis ins Spätlatäne zurückreichen, mag umstritten bleiben. Diese Frage ist für uns von sekundärer Bedeutung. Denn es ist kaum zu bezweifeln, daß mit diesen Poleis „kel tische“ Bergopplda im südlichen Mittelgebirgsraum gemeint sind. Noch Jahrhunderte nach dem Verlassen dieser Plätze sah man nämlich ihre Baureste liegen, erinnerte man sich ihrer ehemaligen Blüte. Auch wissen wir inzwischen, daß nicht nur im Bamberger und Würzburger Raum, sondern selbst Im nördlichen Grabfeld (z. B. Aubstadt. Lkr. Rhön- Grabfeld, Flur „Heiligenbrunnen“. Sülzdorf, Kr. Meinigen, Flur „Krautgärten“: zahlreiche Scherben des Spätlatene, der älteren und jüngeren Kaiserzeit, der Merowingerzelt und fränkischen Zeit, Neufunde 1976—1979 von G. Stol im Steinsbergmuseum; vgl. auch die spätlatne und kaiser- zeitliche Siedlung von Römhild „Spitalmühle" und die Germanensiedlung von Henfstädt „Strick“) eine gewisse Siedlungskontinuität (ob ethnische Kontinuität?) von der Latenezeit bis Ins beginnende Mittelalter herrscht. Der Kleine Gleichberg wirkte ebenso wie andere markante Erhebungen (Staffelberg usw.) auch als siedlungsleerer Berg in weite Ferne, und dies um so mehr, als direkt an seinem Westfuße vorbei eine alte Handelsstraße aus dem Würzburger Raum dem Paß von Oberhof zustrebte (siehe Beilagen 3 und 4). Und diese Trasse hatte nachweislich kon tinuierlich Bedeutung über den Niedergang der Latne-