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DEUTUNG DER FUNDE VON BÄRENKRALLEN OHNE DURCHBOHRUNG: Da diese Bärenkrallen im Leichenbrand gefunden worden sind 33 ), haben alle Verfasser ihr Auftreten einmütig damit erklärt, daß sie die Überreste eines Bären felles sind, das dem Toten auf dem Scheiterhaufen untergelegt worden war. Wird einem Raubtier das Fell abgezogen, so schneidet der Jäger die Endglieder der Finger und Zehen ab, damit die Krallen im Fell verbleiben. Dies ist nicht nur in der modernen Jagd üblich 34 ), sondern war wohl schon früher immer der Brauch 35 ). Auch die Völkerkunde kennt diese Sitte: z. B. lassen die Ostjaken und Vogulen in Westsibirien beim Häuten des Bären, der in ihrem Kult eine große Rolle spielt, sogar die ganze Pfote im Fell 36 ). Wurde also dem Toten auf dem Scheiterhaufen ein Bärenfell untergelegt oder über ihn gebreitet, so blieben davon beim Verbrennen nur die Krallenbeine übrig, die nun beim Bergen der Brandreste mit in die Urne gelesen wurden. Wie die Beobachtung des Leichenbrandmaterials zeigt, erleiden die Knochen infolge der starken Hitze eine weitgehende Zersplitterung, so daß nur sehr selten und dann aus schließlich die kleinen Finger- oder Zehenglieder nahezu vollständig erhalten sind. Infolgedessen sind die Bärenkrallen meist nur in Bruchstücken vorhanden. Da sicherlich viele der 20 Krallen, die in einem Fell stecken, völlig zerstört sind und der Knochen schon durch seine Kleinheit leicht übersehen wird, ist die geringe Zahl der im Leichenbrand enthaltenen Krallen sehr leicht verständlich. Zudem muß auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß nur Fellteile verbrannt wurden, die vielleicht zur Bekleidung des Toten gehörten. Das gehäufte Auftreten von Krallen in dem einen Grab von Gotland und in Brandbestattungen von Hovgrdsberg mag einmal in einem sorgfältigen Bergen der Brandreste beruhen, zum anderen aber können auch mehrere Bärenfelle oder Bekleidungsstücke aus Fell dem Brand aus gesetzt gewesen sein. Zumindest muß dies für Grab 39 von Hovgärdsberg [Arne 37 )] angenommen werden, das 21 Stück enthielt. Schließlich könnte auch an eine Mehrfachbestattung gedacht werden. Da im Mittelalter Bärentatzen eine Delikatesse waren, ließe sich auch denken, die Krallen wären Überreste einer Speisebeigabe. Dann allerdings müßten sich im Leichenbrand auch die anderen Phalangen (Finger- bzw. Zehenglieder) und die Metapodien (Mittelhand- bzw. Mittelfußknochen) nachweisen lassen. Eine solche Beobachtung wurde aber bis jetzt noch nicht verzeichnet. Zudem spricht gegen diese Annahme die Tatsache, daß die Bärentatze erst seit dem Mittelalter als Delikatesse galt 38 ). Auch noch eine weitere Feststellung muß für die Erklärung der Funde un durchbohrter Bärenkrallen im Leichenbrand erwogen werden: Im Handwörterbuch 33) Das eine Vorkommen in einem Skelettgrab Gotlands (Inv. Nr. 6848:2) braucht hier nicht zu beirren, da zu dieser Zeit Skelettbestattung zwar vereinzelt auftritt, ohne aber eine Veränderung im übrigen Grabritus aufzuzeigen. 34) Dies kann jeder beobachten: sei es an dem „Fuchs“, der mancher Dame im Winter die Schultern wärmend umschlingt, sei es an den Löwen- und Leopardenfellen, die, aus unseren Kolonien stammend, viele Herrenzimmer schmücken. 35) Siehe auch die Darstellung der Heraklesstatue bei den Griechen. In dem Löwen- feil sind die Krallen deutlich erkennbar, z. B. Fouilles de Delphes IV (Paris) Taf. 41 oder Langlotz, E., Griechische Vasen im Martin von Wagner-Museum der Univ. Würzburg (München 1932) Taf. 183. 36) A. .1. Hallowell, Bear Ceremonialism in the Northern Hemisphere. American Anthropologist 28 (1926) 91. 37) a. a. ü. 38) 0. Keller, Thiere des classischen Altertums in kulturgeschichtlicher Beziehung (Innsbruck 1887) 121 f.