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Auf der Oberfläche erkennt man über dem Mittelknopf und am oberen Rand als Spuren des Gebrauchs eine ganz plane Abschleifung mit schrägliegenden Kratzern (Abb. 1, Schnitt b und c). Die Abschleifung ist so derb, daß der obere Rand ganz scharf geworden ist und die dort liegenden Verzierungen trotz ihrer Tiefe weggeschliffen sind. Auf diesen Stellen ist das blanke Material sichtbar, während die übrige Fläche schön olivgrün patiniert ist. Auf der Unterseite (Abb. 3) ist am Ende des ersten Drittels des Durchmessers eine Doppelöse angebracht, in deren Nähe 6 mm vom Rand ein Zeichen von vier nicht ganz quadratisch übereinanderliegenden Punzen- oder Meißelhieben zu sehen ist. Vor der Reinigung war die Unterseite so stark verkrustet (Abb. 2 und Schnitt c), daß man kaum die Öse, gar nicht aber deren Form erkennen konnte. Für den ersten Augenblick hatte ich mit zwei gegenüberstehenden Ösen ge rechnet, denn es war durchaus möglich, daß unter dem verkrusteten Schmutz, der der Öse gegenüber lag, eine zweite zum Vorschein gekommen wäre. Um so größer war mein Erstaunen, als sich die vermeintliche eine Öse als Doppelöse entpuppte, deren beide Bügel schräg nebeneinander liegen und so einen stumpfen Winkel bilden. Die Anbringung dieser Doppelöse gab mir zu denken. Man sieht deutlich die zwei zusammengefügten Enden in der Mitte aufwachsen (Abb. 4), sich teilen und je in einem Flansch enden, um sich der Scheibe wieder anzulegen. An diesen Stellen habe ich die Patina abgenommen, um ganz genau die Anbringung zu prüfen. Fast macht es den Eindruck, als wären die Enden hart verlötet, was aber natürlich unmöglich ist. Auch an eine blinde Vernietung hatte ich gedacht; dies erwies sich aber nach Abnahme der Patina als ausgeschlossen. Die Doppelöse zeigt nun in aller Klarheit, wie das Rohstück der Schmuckscheibe entstand: die Scheibe wurde aus Wachs modelliert, die Doppelöse für sich geformt, die beiden Enden wurden flach zu einem Flansch gedrückt und so auf die Unterseite der Scheibe geklebt. Das Ganze wurde nun in die Form eingebettet, gebrannt und ausgegossen. Daß es eine verlorene Form war, versteht sich von selbst. Genau so, wie die Doppel öse im Wachsmodell angeklebt war, erschien sie im Abguß (Abb. 3). Warum nun diese eigenartige Doppelöse ? Die Abb. 5 zeigt die Anbringung der Schnur oder des Lederriemens in der Doppelöse. Erzielt wurde damit erstens eine straffe Anbringung, zweitens die Verschiebung der Scheibe und zugleich ihre Festhaltung an jeder beliebigen Stelle der Schnur oder des Riemens, schließlich die feste Anlage der Scheibe an den Körper. Wir haben also hier nicht nur eine gut ausgeführte, sondern Sogar bis ins Letzte durchdachte Arbeit vor uns. Dafür spricht meines Erachtens auch das Zeichen, das sich auf der Innenseite befindet, und das offenbar mit dem gleichen Punzen eingeschlagen worden ist wie die 5 Riefen der Randverzierung (Abb. 2, 3 und 5). Es wird wohl kaum etwas anderes darstellen als die Marke des Schöpfers der Scheibe, da ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Probehieb mit dem Punzen ausgerechnet am Werkstück ausgeführt wurde. Dafür hätte es bestimmt anderes Material gegeben, bei dem man nicht den so schwer ge wonnenen und gut gelungenen Abguß zu gefährden brauchte. Betrachtet man heute einmal unsere Erzgießereien mit ihren technischen Hilfsmitteln und Einrichtungen, vor allem aber mit den jahrzehntelangen Erfahrungen der Fachleute, so zeigt sich, daß es noch genügend Fehlgüsse gibt. Es können Saugblasen entstehen, oder die Formteile sitzen nicht genau, durch schlecht angelegte Einläufe verstopfen sich Kanäle, oder es entstehen Fehler durch nicht sorgsame Beachtung oder gar Aus lassung der Luftkanäle; das alles sind nur wenige der möglichen Mängel. VERWENDUNG: Damit komme ich zur Verwendung der Schmuckscheibe. Als ich das Stück zum erstenmal zu Gesicht bekam, äußerte ich sofort: „Diese Scheibe ist vom Pferd getragen worden!“ In mir tauchten im gleichen Augenblick Erinnerungen aus meiner Kinderzeit auf. Mein Heimatort liegt auf dem Lande, 14