Volltext Seite (XML)
und gegensätzlichen Formwillen voneinander unterscheiden. Allen diesen Kultur gruppen, der afrikanischen Faustkeilkultur, der eurasischen Abschlagkultur und der ostasiatischen Chopping-tool-Kultur, wohnt eine mehr oder weniger starke Aus breitungstendenz inne, die häufig überdurchschnittliche Wanderungen der Kultur träger hervorruft und im Grunde wohl in den Klimaänderungen des Eiszeitalters be dingt ist. Diese Wanderungen führen zu einer weitgehenden Überschichtung in den Kontaktgebieten, die abwechselnd von Trägern verschiedener Kulturen besiedelt sind, oft aber auch von mehreren Kulturgruppen zugleich. Diese Erscheinung hat gerade in den fundreichsten Gebieten, in Europa und Vorderasien, zu einer engen Verflechtung von Faustkeil- und Abschlagkulturen geführt und dadurch die Er kenntnis des Bestehens der verschiedenen Kulturkomplexe so lange verzögert. Die Ursachen der Verschiedenheiten sind noch nicht mit voller Sicherheit aufzuzeigen. Wirtschaftliche Unterschiede können nicht ausschlaggebend sein, da einmal die Wirtschaftsform in allen Gruppen sehr ähnlich sein dürfte (es handelt sich durchweg um Jäger und Sammler), zum anderen die Funktion der fraglichen Geräte die gleiche ist. Sowohl die Faustkeile 36 als auch die Werkzeuge der Abschlag- und der Chopping- tool-Kultur haben in erster Linie zum Schneiden und Schaben gedient. Die unter schiedliche Formgebung muß also andere Ursachen haben. Auch die Annahme, daß die drei verschiedenen Kulturgruppen von aus verschiedener Wurzel entstandenen Menschengruppen getragen worden seien, wie sie neuerdings A. Rust 37 vertritt, ist wenig wahrscheinlich, da die nahe Verwandtschaft auch der pleistozänen Menschen eine monogenetische Entstehung nahelegt. Ob die kultu relle Dreigliederung dem jetzt von vielen Anthropologen angenommenen Neben einanderherlaufen (Entfaltung statt Entwicklung) der drei Menschheitszweige, der Archanthropinen (Pithecanthropusgruppe), der Paläanthropinen (Neandertaler) und der Neanthropinen (Sapiensgruppe) 38 entspricht, ist bei der Seltenheit kulturell ein zuordnender Menschenfunde gleichfalls noch nicht sicher zu entscheiden. Wenn auch Sinanthropus und Pithecanthropus (sicher oder wahrscheinlich) mit der Chopping- tool-Kultur verbunden sind 39 , so treten doch entsprechende Menschenformen auch in anderen Gebieten auf, die keine Funde dieses Komplexes ergeben haben. Anderer seits scheinen die Präsapiensfunde sowohl mit der Faustkeilkultur (Swanscombe)40 als auch mit der Abschlagkultur (Fontechevade) 41 verbunden zu sein, während letztere außerdem weitgehend vom Präneandertaler und Neandertaler getragen erscheint (bes. das Mousterien). Eine Übereinstimmung der kulturellen und anthropologischen Aufteilung ist also nicht festzustellen. Wir müssen demnach doch damit rechnen, daß in den einzelnen Gebieten der Erde im frühen Pleistozän weitgehend unabhängig von der somatischen Aufspaltung der Menscheit verschiedene Wege bei der Herstellung und Formgebung der Werkzeuge beschritten werden, die dann konservativ beibehalten werden 42 . Einen interessanten 311 G. Kraft, Der Urmensch als Schöpfer, Berlin 1942, S. 167ff. •’ Offa 8, 1949, S. 8 ff. 38 Einen Überblick über den Stand der Forschung und eine Begründung der neuen Hypothesen bringt Quartär 5, 1951, S. 50ff. (G. Heberer). 39 Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien 80, 1950, S. 137 (H. L. Movius). 40 Quartär 2, 1939, S. 54 ff. (K. P. Oakley und G. M. Morant). 41 American Anthropologist 50, Heft 2, 1948 (H. L. Movius); Quartär 5, 1951, S. 50 ff. (G. Heberer). 43 Diese Erscheinung wird weitgehend durch die geringe Bevölkerungsdichte während des Pleistozäns bedingt, die zu starker somatischer Aufspaltung und zu geringer kultureller Entwicklung geführt haben dürfte.