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ZUR FRÜHGESCHICHTE DRESDENS Von Alfred Hahn Der Name „Altendresden“, der bis 1732 für das rechtselbische Dresden gebräuchlich war, hat seit dem 16. Jahrhundert die Chronisten dazu verleitet, die Anfänge Dres dens am Neustädter Markt zu suchen. Otto Richter, der in seiner „Verfassungs geschichte der Stadt Dresden“ 1885 diese Ansicht abgelehnt hatte, nahm sie in seiner „Geschichte der Stadt Dresden“, 1. Band, 1900, wieder auf und schrieb: „Die Sage, der Ort sei vom rechten Elbufer aus gegründet worden, ist insofern richtig, als die von Osten kommenden Sorben sich zuerst am rechten Ufer niederließen und von da aus allmählich auch auf das linke Flußufer übergingen. Der in Ringform angelegte alte Dorfplatz ist in dem heutigen Neustädter Markt erhalten. Die gegenüber auf dem linken Elbufer liegende Ansiedlung war allem Anschein nach nur eine von diesem ursprünglichen Dorfe abgezweigte Kolonie von Fischern.“ — Diese Auffassung ist heute noch verbreitet. Sie verbindet sich mit der Vorstellung einer sumpfigen, un wegsamen und siedlungsfeindlichen Eibaue, die bis ans Ende der Sorbenzeit vom Verkehr gemieden wurde. Erst nach der Stadtgründung habe der Dresdner Elbüber- gang Bedeutung gewonnen und allmählich zur Ausbildung von Verkehrsstraßen geführt, die sich im Stadtkern trafen. Eine eingehende Untersuchung der ursprüng lichen Bodenverhältnisse zeigt uns die Unhaltbarkeit dieser Annahme, der auch die siedlungskundlichen und vorgeschichtlichen Forschungen widersprechen, und läßt erkennen, daß die Keimzelle Dresdens links der Elbe in der Nähe der Frauenkirche lag. Die Beräumung der 1945 zerstörten Dresdner Innenstadt hat den Stadtkern zum großen Teil freigelegt und seinen Boden zum ersten Mal seit 750 Jahren vor den Blicken ausgebreitet. Mit Erstaunen nehmen wir wahr, wie kurz die Entfernungen in der Altstadt sind — beträgt doch ihr Durchmesser rund 600 m —, wie bewegt die Oberfläche trotz der jahrhundertelangen Einebnung noch immer ist, wie deutlich sich am Dippoldiswaldaer Platz der Alte See und am Rathaus die natürliche Begren zung der mittelalterlichen Stadt abhebt. Die Frage nach der Entstehung Dresdens drängt sich uns auf und veranlaßt uns zu dem Versuch, ein Bild der Landschaft aus der Zeit vor der Stadtgründung zu gewinnen. 1. DIE ELBTALLANDSCHAFT VOR DER GRÜNDUNG DRESDENS Nisan Die Dresdner Eibaue gehörte in sorbischer und frühdeutscher Zeit zum Gau Nisan („Niederung“, „Tiefland“), der sich im Elbtal von der „Wilden Sau“ bei Gauernitz bis in die Anfänge der Sächsischen Schweiz oberhalb Pirnas hinzog und besonders auf der fruchtbaren linken Elbseite dicht besiedelt war. Eine uralte Straße führte hier an den Hängen nach Dohna und zum Kühner Paß. Nisan war ein schmales Offenland inmitten der großen Wälder, die ringsum die Höhen bedeckten und erst im 12. Jahr hundert gerodet wurden. Die Elbe, breiter als heute, pendelte frei durch das Tal, veränderte dauernd ihre Ufer und bildete Heger (Kiesbänke), die oft zu Werdern (bewachsenen Hegern) wurden. Auch in der Nähe des Stadtkerns gab es mehrere solcher Elbinseln, z. B. oberhalb der Terrasse bei der Ziegelwiese, unterhalb des Theaterplatzes (Altenfischersdorfer Wer- / N